Protocol of the Session on July 11, 2001

(Beifall bei der CSU)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Nun hat Herr Dr. Runge das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Wiesheu! Wer in den letzten Wochen Sommerempfänge von Kammern und sonstigen Wirtschaftsverbänden besucht hat, dem sind die soeben vom Minister gehörten Worte sehr, sehr bekannt vorgekommen. Allerdings war er heute ein Stück derber. Von der Warte des Ministers ist es nachvollziehbar, dass er seine Rede immer wieder auflegt. Schon arbeitsökonomische Gründe sprechen dafür. Auch für uns ist Recycling an und für sich ein wichtiges Ziel, aber Vermeidung ist uns eigentlich noch wichtiger.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und, Herr Minister, Ihre heutige Rede war für uns vermeidbar, sie war für uns schlichtweg verzichtbar.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abgeordneten Glück (CSU)

Herr Glück, nachdem Sie gerade zwischengerufen haben, darf ich auch Sie zitieren. Sie haben den Zeitpunkt der Rede des Ministers schon vorab kritisiert, wie gestern in einer Meldung von dpa nachzulesen war.

(Glück (CSU): Das stimmt nicht!)

Es war nicht nur in der Meldung von dpa, sondern auch in einigen Zeitungen nachzulesen, dass Sie über den Zeitpunkt der Pressekonferenz der Staatsregierung sehr unglücklich gewesen seien, weil der Minister erst im Nachhinein die Rede vor dem Landtag habe halten sollen und sich die Staatsregierung schon vorher zu diesem Thema geäußert habe.

Gut, man kann und man darf sich durchaus Sorgen machen über die wirtschaftliche Lage, über die Konjunktur. Wir sehen das auch nicht ganz so optimistisch wie der Kollege Kaiser.

Aber, Herr Minister Wiesheu, wie Sie es machen ist das nichts anderes als dumpfes Wahlkampfgetöse.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist nichts anderes, als den Standort Deutschland schlechtzureden.

Herr Minister Wiesheu, wir haben schon sehr grinsen müssen, als Sie das schöne Wort von der „Agonie der Bundesregierung“ fanden. Da ist jedem von uns sofort die Frage eingefallen: Wie würden Sie es denn bezeichnen, was die Regierung Kohl in 16 Jahren gemacht hat? Ich meine, das Aussitzen der Regierung Kohl. Da war

man völlig weggetaucht. Es wäre interessant, zu erfahren, welche Wortwahl Sie dazu finden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Regierungskoalition in Berlin hat den Reformstau aufgelöst und Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland gegeben. Im letzten Jahr hatten wir – das kann niemand leugnen – ein Rekordwachstum von 3 Prozentpunkten. Jetzt hat die wirtschaftliche Entwicklung einen Dämpfer bekommen.

Die Wirtschaftsforschungsinstitute – das haben wir alle nachlesen können – haben ihre Wachstumsprognosen nach unten korrigiert. Der Abbau der Arbeitslosigkeit vollzieht sich langsamer als erhofft. Es kann auch sein, dass Kanzler Schröder seinen Mund etwas voll genommen hat, als er einmal von 3,5 oder 3 Millionen Arbeitslosen redete. Aber wie der Kollege Kaiser richtigerweise gesagt hat, ist in der Wirtschaftspolitik die Psychologie ganz wichtig.

Wir müssen uns einmal ein klein wenig zurückerinnern, was die Herren Kohl und Stoiber immer im Mund geführt haben. Sie haben immer von der Halbierung der Arbeitslosigkeit geredet. Stattdessen ist es in Ihrer Zeit mehr geworden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Inflationsrate vom Mai in Höhe von 3,5% ist zugegebenermaßen deutlich zu hoch. Wir nehmen diese Entwicklung sehr, sehr ernst. Was wir jetzt brauchen, sind eine nüchterne Analyse der Situation und ein sachliches Abwägen der Handlungsmöglichkeiten, die gegeben sind.

Seit Herbst vergangenen Jahres haben wir die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums. Die Gründe sind im Wesentlichen unstrittig. Es sind die BSE- und die MKSKrise in der Landwirtschaft, es ist eine weitere Ölpreiskrise, und es ist die Wachstumsschwäche in den Vereinigten Staaten.

Zusätzlich – das wurde von allen Seiten angesprochen – verdüstert sich das Bild in der Baukonjunktur. Dabei muss man sagen: Hier hat die alte Koalition durch überzogene Subventionen Strukturen geschaffen, die auf Dauer nicht tragfähig sind. Wenn wir allein die Baukonjunktur herausrechnen, liegt das Wachstum in Deutschland um fast einen Prozentpunkt höher, als dies zur Zeit der Fall ist.

Experten und Institute gehen davon aus, dass sich die wirtschaftliche Lage spätestens in einem Jahr wieder verbessert. Der Abbau der Arbeitslosigkeit wird weitergehen. Im letzten Jahr ist die Zahl der Erwerbstätigen um knapp 600000 angestiegen. Auch in diesem Jahr ist mit einem Anstieg um 300000 zu rechnen. Das sind Zahlen, an denen man nicht vorbeigehen kann.

Die Binnennachfrage wird anziehen. Dafür hat die Koalition die maßgeblichen Voraussetzungen geschaffen.

Die Entlastung von Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen allein in diesem Jahr durch die Steuerreform in Höhe von 45 Milliarden DM wird hier positive Wirkungen entfachen.

Im nächsten Jahr gibt es weitere Entlastungen, beispielsweise durch das Familienförderungsgesetz; diese Entlastung macht weitere 5 Milliarden DM aus.

Wir vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – es ist schön, dass jetzt auch Kollegin Kellner hier sitzt – wenden uns gegen jeden Versuch, den Kurs einer nachhaltigen Finanzpolitik zu verlassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Konjunkturprogramme auf Pump führen letztlich nur zu weiteren Einschränkungen der wirtschafts- und sozialpolitischen Handlungsmöglichkeiten und wälzen die Lasten auf zukünftige Generationen ab. Wir halten daher an dem Ziel fest, die Nettoneuverschuldung bis zum Jahr 2006 im Bund auf Null zu reduzieren.

Ein zentraler Punkt ist und muss sein die Senkung der Lohnnebenkosten. An dem Ziel, die Sozialversicherungsbeiträge unter 40 Prozentpunkte zu senken, muss unbedingt festgehalten werden. Hier ist es, so meinen wir, durch die ökologische Steuerreform gelungen, die Rentenbeiträge um 1,2 Prozentpunkte abzusenken. Die Wirtschaft, vor allem kleine und mittlere Unternehmen, wird durch die ökologische Steuerreform im Saldo entlastet. Auch dies ist unbestreitbar. Erste Lenkungswirkungen sind durchaus erkennbar.

Unternehmen und Haushalte investieren verstärkt in energiesparende moderne Technologien. Es gibt 250000 neue Arbeitsplätze in diesem Sektor.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme kurz zur Haushaltskonsolidierung zurück. Auch wir haben hier im Landtag – ebenso wie die Staatsregierung – die Zielsetzung, die Nettoneuverschuldung auf Null herunterzufahren. Aber wenn es dann beliebt, ist man ganz schnell wieder bei der Forderung nach „fresh money“. Letzten Donnerstag ging es im Wirtschaftsausschuss um die Regionalförderung im Zuge der EUOsterweiterung. Auf einmal hatte man wieder neues Geld verlangt. Einmal hü, einmal hott, immer gerade, wie es beliebt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich schneide jetzt kurz einige der von Minister Wiesheu angesprochenen Baustellen an.

Steuerreform! In 16 Jahren Regierung Kohl ist überhaupt nichts zustande gekommen.

(Dinglreiter (CSU): Das stimmt doch nicht! Was war denn 1986, 1988 usw.?)

Na, das waren klägliche Versuche, Herr Dinglreiter.

Jetzt gibt es eine Steuerreform. Hierzu gibt es immer wieder die falsche Behauptung, der Mittelstand fahre weniger gut als andere. Abgesehen von der Geschichte mit den Veräußerungserlösen, wo es tatsächlich so ist, stimmt es, ansonsten überhaupt nicht. Der Mittelstand wird tatsächlich um 20 Milliarden DM entlastet. Dazu tragen vor allem der niedrigere Eingangssteuersatz und der höhere Grundfreibetrag bei. Wenn Sie in Ihrer Argumentation anführen, der Körperschaftsteuersatz betrage ja 25%, dann zieht das einfach nicht. Sie können ja rechnen: 25% Körperschaftsteuer plus Soli plus Gewerbesteuer sind schon 38%. Herr Wiesheu, zeigen Sie mir die Personengesellschaften, die eine durchschnittliche Steuer von 38% zahlen. Die können Sie an den Fingern weniger Hände abzählen. Es handelt sich um etwa 5 bis 6% der Personengesellschaften.

Dann komme ich zu Ihrem Gejammere bezüglich der Reform der betrieblichen Mitbestimmung. Einmal abgesehen davon, dass hier immer mit völlig falschen Zahlen, darüber, was das kostet, argumentiert wird – wir haben es vor einigen Wochen im Plenum in einem eigenen Punkt behandelt –, wird sich Ihre Kritik unseres Erachtens ebenso schnell erledigen, ebenso schnell als Sturm im Wasserglas erweisen wie Ihr Gezeter um die Geschichte mit der Scheinselbstständigkeit oder Ihr Gezeter über die 630-DM-Jobs.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schauen wir uns doch einmal an, was da tatsächlich passiert ist. Bei den 630-DM-Jobs ist trotz aller Unkenrufe die Zahl solcher Verhältnisse ganz massiv angestiegen. Wir haben jetzt 4 Millionen ausschließlich derartiger Verhältnisse. Die Einnahmen bei den Krankenkassen liegen bei 2,3 Milliarden DM. Die Einnahmen bei der Rentenversicherung liegen bei knapp 3 Milliarden DM. Gleichzeitig gibt es Steuerausfälle von etwa 2 Milliarden DM.

Das heißt, die Versicherungspflichtigkeit der 630-DMJobs war ein Riesenerfolg. Trotz Ihres Gejammeres und trotz Ihres Gezeters. Mit dem Gejammere schaden Sie dem Standort Deutschland indirekt, indem Sie ihn schlechtreden. Der Wirtschaftsstandort kann direkt Schaden nehmen, wenn ein vernünftiges Zuwanderungskonzept scheitert, nur weil Sie krampfhaft nach Wahlkampfthemen suchen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Minister Wiesheu, Ihre Einlassungen im Zusammenhang mit den UMTS-Zinserlösen und den Bahninfrastrukturmitteln sage ich: Sie wissen es doch selber am besten. Ihre Bundesregierung hat die Bahninfrastrukturmittel zuletzt auf etwa 6 Milliarden DM heruntergefahren. Jetzt sind wir wieder bei knapp 10 Milliarden DM angelangt. Selbstverständlich wäre es wünschenswert, wenn sich das, was jetzt aus den Zinserlösen kommt, verstetigen ließe. Aber dafür müssen erst einmal die Finanzquellen geschaffen werden. Nur, wenn eine Bundesregierung den Betrag vorher auf 6 Milliarden DM heruntergefahren hat, dann dürfen die Parteien, die sie getragen haben, hinterher nicht groß tönen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann zur Schließung von Ausbesserungswerken. In Bayern sind zwei Werke betroffen, was uns alle wiederum betroffen macht. Ich habe dazu seitens der SPD Stimmen gehört. Ihr schönes Wortspiel mit „null, null, null“ greift hier im Grunde gar nicht.

Was die Ausführungen betrifft, zu denen Sie sich hier verstiegen haben, so glauben Sie doch selber nicht, dass Minister Eichel Herrn Mehdorn dahin lenken könnte, dass er das Werk in Kassel nicht schließt, in Sachsen vier und in Bayern zwei Werke schließt.

Das ist Sache der Bahn.

(Dr. Bernhard (CSU): Das ist doch viel zu billig!)