Protocol of the Session on May 9, 2001

(Zuruf des Abgeordneten Maget (SPD))

Nein, darauf hättest du auch alleine kommen können. Ich habe es auch geschafft.

Frauen lassen sich nicht länger mit den drei K – Küche; Kirche, Kinder – abspeisen.

(Maget (SPD): Jetzt wäre es beinahe nicht rausgekommen!)

Keine Angst, ich habe es mir aufgeschrieben!

Sie wollen am Berufs- und Gesellschaftsleben aktiv und gleichberechtigt teilhaben. Noch nie war es so wichtig, aber auch so schwer für Kinder aus bildungsfernen Schichten oder Kinder von Eltern, die kein Geld haben, sich ausreichend zu qualifizieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Von denen schaffen nur Ausnahmen den Weg in weiterführende Schulen. Viel zu viele machen überhaupt keinen Schulabschluss. Das ist ein Armutszeugnis für die bayerische Bildungspolitik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das schadet nicht nur diesen Kindern, sondern bringt auch soziale Probleme mit sich, und das schadet unserer wirtschaftlichen Entwicklung.

Was die jungen Menschen wollen, die sich eine Familie wünschen oder eine haben, war der CSU und der Staatsregierung bisher egal. Herr Glück behauptet heute noch, die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung hätte kein Interesse an Ganztagsschulen. Genau das Gegenteil ist richtig. Ihre Zahlen sind von gestern genauso wie Ihre Konzepte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihnen war bis jetzt auch egal, was Kinder aus unteren Einkommensschichten wollen oder gar aus Familien, die Sie immer noch Ausländer nennen, obwohl sie längst Teil der bayerischen Bevölkerung sind. Es war Ihnen egal, ob diese Kinder das Abitur machen wollen oder können, eine Lehre oder wenigstens überhaupt irgendeinen Bildungsabschluss bekommen.

Kriterien wie Bildungsgerechtigkeit oder Chancengleichheit für Frauen und Männer spielen in Ihren familien- und bildungspolitischen Konzepten keine Rolle.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In jüngster Zeit greift die Staatsregierung in der Bildungs-, Familien- und auch Einwanderungspolitik immer öfter zu Mitteln, die in den rückständigen Konzepten der CSU gar nicht vorgesehen sind oder ihnen sogar direkt widersprechen. Das ist reiner Zweckrationalismus: Die CSU macht es, weil es die Wirtschaft will.

(Zuruf von der CSU)

Sie folgt nicht dem Motto von Strauß: Was schert mich mein Geschwätz von gestern? Denn bei seinen Nachfolgern ist dieses Geschwätz mehr oder weniger immer noch das gleiche.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Staatsregierung und CSU denken nicht nur immer noch in den Konzepten von gestern, sie machen auch immer noch die Politik von gestern. Ministerin Hohlmeier beispielsweise führt die sechsstufige Realschule ein, obwohl ein frühes Aussortieren allen pädagogischen Zielen zuwiderläuft. Minister Beckstein weist weiter ungarische Handwerker, bosnische Krankenschwestern und rumänische Studienabsolventen aus, obwohl längst klar ist, dass es einen massiven Mangel an Arbeitskräften gibt. Ideologisch stur und gegen jede Vernunft werden die alten, überholten Konzepte praktiziert.

Es geht selbstverständlich schon um eine grundsätzliche Korrektur der bayerischen Familienpolitik, auch wenn das Herr Glück nicht glauben will und vehement dementiert. Die Menschen wollen endlich in ihren Bedürfnissen ernst genommen werden. Viele Eltern sind überfordert, und viele andere werden gar nicht mehr Eltern, um nicht überfordert zu werden.

Staat, Wirtschaft und Gesellschaft müssen sich ihrer Mitverantwortung stellen und den Eltern vielfältige Angebote zu deren Entlastung machen. Erziehungsverantwortung bedeutet eben nicht, dass die Eltern alles alleine machen müssen oder können. Erst verlässliche Strukturen ermöglichen es ihnen, ihre Verantwortung auch wahrzunehmen. Wir brauchen mehr staatliche Angebote zur Kinderbetreuung, damit Mütter und Väter Familie und Beruf besser miteinander vereinbaren können, damit die Lehrkräfte an den Schulen den pädagogischen Herausforderungen, die Kinder und Jugendliche heute an sie stellen, besser begegnen können – für mehr Bildungsgerechtigkeit und damit in unserer Gesellschaft brach liegende Ressourcen endlich genutzt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weil der bayerische Staat nicht genügend Ganztagsschulen und Möglichkeiten zur Kinderbetreuung anbietet, müssen viele junge Menschen in Bayern auf Familien verzichten, obwohl sie sie sich erklärtermaßen wünschen. Wie dringend der Wunsch ist, hat jüngst wieder die Shell-Jugendstudie gezeigt.

Dafür nehmen viele Frauen – denn sie tragen auch heute noch die Hauptlast der Familienarbeit – erhebliche berufliche und persönliche Nachteile in Kauf, oder die Familien versuchen, mit einem Kind sozusagen über die Runden zu kommen und das bisher Unvereinbare auf einem Minimumstandard zu realisieren. Gerade wenn die Frauen die Grundlage für ihre berufliche Karriere und Entwicklung legen sollen, werden sie aus dieser Laufbahn herausgerissen. Eine kurze Pause wäre meistens nicht das Problem, aber es fehlen Kinderkrippen, fehlen Angebote, die es ihnen erlauben würden, nicht völlig aus dem Beruf auszusteigen.

Die Anbindung an den Arbeitsplatz wird erleichtert, wenn die verlässliche Halbtagsschule tatsächlich verlässlich ist. Aber vielen fehlen eben die Chancen, die Ganztagsschulen für Eltern wie für Kinder bedeuten können. Dass es auch anders geht, dass Kinder und Karriere für Frauen vereinbar sind, zeigt das Beispiel Island, das mit einer Geburtenrate von 14,8% und einer Frauenerwerbsquote von 82,3% einen europäischen Spitzenplatz einnimmt. Deutschland liegt mit einer Geburtenrate von 9,3 und einer Frauenerwerbsquote von 62% in dieser Statistik ziemlich weit hinten.

(Zuruf von der CSU)

Unsere Fraktion und Partei hat immer Chancen für Frauen eröffnet. Bei genauerem Hinsehen werden Sie feststellen, dass unsere kleine Fraktion mehr ministrable Frauen hat als Ihre Fraktion.

(Prof. Dr. Faltlhauser (CSU): Zählen können wir, aber ob sie ministrabel sind, ist eine andere Frage!)

Der Städtetag fordert den Ausbau und ein klares Bekenntnis zur Ganztagsschule. Frau Staatsministerin Hohlmeier – Herr Ach, Ihre Ministerin, hören Sie zu –, erklärte, die Nachfrage unter jungen Familien sei so groß, dass sie private Träger allein nicht mehr decken könnten. Kollege Knauer, der heute das Thema heute anscheinend auch nicht so wichtig findet, wusste: Wenn wir die Lebensbedingungen für Familien verbessern wollen, brauchen wir ganztägige Betreuungseinrichtungen. Dann schaffen Sie diese Einrichtungen doch endlich!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es geht auch um die Chancen eines großen Teils der bayerischen Kinder. Es gibt keine berufliche Zukunft ohne Qualifikation. Hier treffen sich die Bedürfnisse dieser Kinder mit den Interessen von Wirtschaft und Gesellschaft heute: Investitionen in Bildung und Erziehung sind Zukunftsinvestitionen. Jeder weiß, dass ein qualifizierter Breitensport die Grundlage für Spitzenleistungen ist. Nur in der bayerischen Bildungs- und Wissenschaftspolitik ist

das wohl anders. Seit 1994 wurden aus den Verkaufserlösen von 8,2 Milliarden DM in Bildung und Wissenschaft ausschließlich Spitzentechnologien gefördert.

(Prof. Dr. Faltlhauser (CSU): Das stimmt nicht – zum Beispiel Fachhochschulen!)

Auch dies ist für mich Spitzensport; der Breitensport beginnt für mich ganz unten. – Die Staatsregierung hat investiert, gebaut und noch mehr angekündigt, aber sich keine Gedanken darüber gemacht, woher künftig die Spitzenkräfte für die Spitzeneinrichtungen kommen sollen. Eine Qualifizierungsoffensive fehlt in Bayern nicht nur für Hightech-Industrien, sondern auch für das Handwerk, für Dienstleistungen und für alle Bereiche der Wirtschaft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Investitionsbereitschaft ausländischer, aber auch bayerischer Betriebe hängt in erster Linie von der Qualifikation und dem Angebot an Arbeitskräften ab. Diesen Aspekt müssen wir im Auge behalten, wenn wir unseren Wirtschaftsstandort sichern wollen. Dies hat neulich Staatsminister Huber gesagt und war schon vor zehn Jahren bei Robert Reisch zu lesen. Nur mit erheblichen Anstrengungen für zusätzliche Qualifizierungen aller Bevölkerungsschichten werden wir unseren Wohlstand, unseren Lebensstandard und unsere Zukunft sichern können. Die Frage, wie wichtig uns unsere Kinder sind, ist gleich die Frage: Wie wichtig ist uns unsere Zukunft?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat nun Herr Vorsitzender Ach, bitte schön.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich glaube, wir gehen von völlig unterschiedlichen Voraussetzungen aus: Sie diskutieren über Inhalte; wir wollen wissen, woher das Geld kommt.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Über unseren Antrag!)

Deswegen spreche ich hier und nicht Herr Kollege Knauer. Frau Kollegin Kellner hätte sich besser dafür geeignet als Sie, Herr Dr. Dürr. Wenn ich etwas will, muss ich zunächst wissen, ob ich das Geld dafür habe.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Kellner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Dies ist Ihr Problem. Weil Sie es nicht wissen, haben Sie heute diesen eigenartigen Antrag eingebracht. Ich bewerte dies als völlig objektiver, außenstehender finanzpolitischer Betrachter der Szene. Ich stelle drei Dinge fest. Erstens sind Ihre beiden Anträge aus finanzpolitischer Sicht der beste Beweis dafür, dass Sie von Haushaltsrecht keine Ahnung haben. Sie haben auch kein Interesse an einer soliden und nachhaltigen Haushaltspolitik, wie man den Ausführungen des Fraktionsvorsitzenden der SPD, Herrn Maget, entnehmen kann, der auf eine Frage des Abgeordneten Prof. Dr. Faltlhau

ser, wie es denn mit Blick auf den Länderfinanzausgleich mit dem Geldausgeben sei, gesagt hat: Wenn Sie mehr Geld ausgeben, müssen wir weniger Länderfinanzausgleich zahlen.

(Maget (SPD): Vergessen Sie es!)

Aber Sie haben es gesagt. Dies wäre eine Verschwendung, und diese wollen wir nicht betreiben. Insofern nehme ich Ihren Zuruf zur Kenntnis.

Zweitens haben Sie die Bildungsoffensive in NordrheinWestfalen angesprochen. Es ist anzuerkennen, dass Nordrhein-Westfalen eine Bildungsoffensive in Milliardenhöhe startet. Aber ich muss Sie fragen, wie Nordrhein-Westfalen diese Offensive finanziert. Sie wissen, dass Nordrhein-Westfalen von allen Ministerien eine „Bildungsabgabe“ fordert. Wir würden in Bayern von einer „globalen Minderausgabe“ sprechen, um diese Offensive nicht mit neuem Geld, sondern mit Umschichtungen aus anderen Ressorts zu finanzieren. Dies können auch wir. Aber wir sehen die Schwierigkeiten dort, wo wir die Gelder wegnehmen.

Drittens haben Sie manchmal auch beim Rechnen Probleme; denn wenn Sie von all dem Gesagten keine Ahnung hätten, hätten Sie diese Anträge nicht einbringen können. Ich weigere mich, Geld auszugeben, das nicht vorhanden ist. Wir können nicht jede Mark zweimal ausgeben. Das kann nicht funktionieren und ist eine eigenartige Rechenmethode, die Adam Riese so nicht erfunden hat. Seriöse Haushaltspolitik heißt nämlich: Wer Geld ausgeben will wie Sie, der muss sich zunächst einmal der Einnahmen sicher sein. Liebe Kollegin Kellner, ein altes Sprichwort heißt: Das Fell des Bären kann erst verteilt werden, wenn er erlegt ist.

(Frau Kellner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das habe ich schon heute Vormittag gehört!)

So geht es auch hier.