Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte Sie jetzt schon um Ihre Zustimmung zum Gesetzentwurf der Staatsregierung. Kollege Dr. Bernhard wird zu München ergänzende Ausführungen machen und – so weit noch möglich und nötig – wird auch Kollege Kreuzer noch sprechen – wir werden ja sehen, was jetzt angesprochen wird.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Welnhofer, ich verstehe Ihren Blick zur Regierungsbank, ob da auch möglichst viele Minister und Staatssekretäre anwesend sind; denn Sie müssen Angst haben, dass dieses Gesetzesvorhaben in Ihrer Fraktion nicht genügend Stimmen findet.
Sie brauchen nur die Zeitungen zu lesen, diesen Teil, der uns, den Berichterstattern, dankenswerterweise immer vom Landtagsamt zur Verfügung gestellt wird, um zu wissen, was in der Presse gelaufen ist. Also da waren mehr CSU-Abgeordnete tätig und beklagten sich über Benachteiligung; der Gang zum Verfassungsgericht wurde angekündigt und Ähnliches. Wir werden einmal sehen, ob dieser Mannesmut gegenüber der Öffentlichkeit auch hier im Plenum noch vorhanden ist. Deswegen beantragen wir jetzt schon namentliche Abstimmung. Da werden wir ja dann sehen, wie es ausschaut.
Ich verstehe natürlich auch, Herr Welnhofer, dass Sie vom Kern der heutigen Debatte abzulenken versuchen. Und der Kernvorwurf an die CSU-Mehrheit und auch an die Staatsregierung, die dieser Mehrheit im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens nachgekommen ist, lautet, dass Sie hier, bei der Schaffung dieses Landeswahlgesetzes, verfassungswidrig handeln..
Und dies ist bedauerlich, denn Wahlen und die dafür maßgeblichen Wahlgesetze sind die Brücke zwischen dem eigentlichen Souverän, dem Volk, und dem Parlamentarier, auch hier in diesem Landtag. Solche Brücken sollten tragfähig sein, und sie sollten unanfechtbar sein. Und dies sind sie diesmal leider nicht.
Sie haben darauf hingewiesen, wie die Diskussion um das Landeswahlgesetz eingebettet war in die Gesamtheit der Verfassungsänderungen, die im Februar 1998 durch den Volksentscheid – nicht von uns, von Ihnen und unserer Fraktion, sondern von den Bürgerinnen und Bürgern, die allein die Verfassung ändern können und die zu respektieren sind – gefordert worden sind, und wie dies abgelaufen ist.
Da nehmen Sie einen Punkt heraus und sagen: Die Sozis haben jetzt Schuld, dass wir weniger Stimmkreisabgeordnete haben.
Ich finde es in der Gesamtbetrachtung ein positives Ergebnis. Wir wollten nämlich auch andere Abgeordnete, Abgeordnete, die mehr Rechte haben, ein Parlament, das lebendiger, das sachkundiger wird. Dafür haben wir das Untersuchungsausschuss-Recht verbessert, wir haben Enquetekommissionen möglich gemacht und viele andere Punkte. Das ist doch die Gesamtbewertung, die erforderlich ist, und da ist das Fazit positiv.
Aber was die anderen Sachen betrifft, haben Sie ja noch Bringschuld. Da, wo die Bürger am meisten tangiert sind, bei der Reform des Petitionsrechts, womit die Bürger ihre Anliegen noch stärker hier im Landtag vorbringen können, haben Sie sich bisher verweigert. Da sind wir noch in Verhandlungen. Aber dieses sollten Sie sich merken: dass das dazugehört zu der Frage „Reform des Landtags und der Staatsregierung“.
Jetzt zu den einzelnen Gesichtspunkten. Auch da noch einmal eines vorweg: Das war ein Gesamtpaket. Sie haben da Dinge von uns gewünscht, denen wir stattgegeben haben, die uns aber nicht leicht gefallen sind, zum Beispiel die Verlängerung der Legislaturperiode von fünf auf sechs Jahre.
(Welnhofer (CSU): Außerdem war das ein freudscher Versprecher. Verlängerung von vier auf fünf, nicht von fünf auf sechs Jahre!)
Ja, von vier auf fünf Jahre. Sie haben dieses freudig kassiert und eingeschoben, weil es Ihr spezielles Anliegen war. Jetzt sagen Sie: Aber die Gegenleistung, die machen wir mies! Also das ist unter vernünftigen Verhandlungspartnern eine ganz, ganz schäbige Geschichte, und da muss man sich überlegen, ob man mit Ihnen jemals noch so etwas macht, wenn Sie das Erste, was Ihnen besonders zukommt, kassieren und das andere in Abrede stellen und sagen, das waren die anderen.
Jetzt zu den einzelnen Grundsätzen. Maßgebend sind nach der Verfassung zwei Gleichheitsprinzipien: Deckungsgleichheit und Wahlgleichheit. Das, was Sie daraus machen, zeigt, dass Sie in Ihrer ganzen Geschichte immer Schwierigkeiten mit Gleichheitsproblemen hatten,
nicht nur auf diesem Feld, sondern was Frauen betrifft, was Minderheiten betrifft, überall haben Sie diese Schwierigkeiten, und dies setzen Sie jetzt auch fort.
Die Deckungsgleichheit – also jeder Landkreis, jede kreisfreie Stadt möglichst ein Stimmkreis – war noch nie erfüllbar in der Geschichte nach dem Kriege; seit 1949 war dies nicht erfüllbar, weil wir 72 Landkreise und 25 kreisfreie Städte – davon ein Teil große Städte und große Landkreise – haben, die man nicht mit einem Abgeordnetensitz hier abspeisen kann. Deswegen war das von vornherein relativiert, und es kommt immer nur darauf an, dass man dies dann sachgerecht regelt.
Der zweite Punkt, die Wahlgleichheit, hat durch die Verfassungsänderung eine stärkere Bedeutung gefunden. Dies hat die Staatsregierung in den Diskussionen im Verfassungsausschuss auch eingeräumt, und Sie mussten es auch einräumen mit den 15 und 25%. Also zwischen diesen beiden Prinzipien ist es erforderlich, eine Abwägung zu finden.
Wir waren überrascht und haben den ersten Entwurf der Staatsregierung vom April 2000 positiv gesehen. Darin wurde nicht nur die 25-Prozent-Grenze eingehalten – wer das als absolute Grenze sieht, kann nicht mehr anders und wir sehen dies als verfassungsrechtliche Grenze –, sondern auch die 20-Prozent-Grenze nicht überschritten. Es gab keinen Stimmkreis, der 20% größer oder kleiner als der Durchschnittsstimmkreis in dem jeweiligen Regierungsbezirk war. Aus den Stimmkreisen mit unter 20% sind allein sieben Fälle geworden, die die
Diese Fälle zeigen, dass auch das Innenministerium zunächst eine andere Richtung als verfassungsrechtlich denkbar und hoffentlich auch wünschenswert gesehen hat. In sieben Fällen ist man allein hinsichtlich der 20% davon abgewichen. Doch dafür gab es keine zwingenden Gründe; denn der erste Entwurf der Staatsregierung wird aus Ihrer Sicht nicht verfassungswidrig gewesen sein, sondern hielt sich im Rahmen der Gestaltungsmöglichkeiten. Hier kommt zum Tragen – darüber haben wir oft diskutiert –, dass bei mehreren Möglichkeiten, die der Wahlgleichheit – einer verfassungsrechtlichen Forderung – entsprechen, der Gesetzgeber gehalten ist, die der Wahlgleichheit näher liegende Lösung zu wählen. Gegen diesen Grundsatz haben Sie in diesen sieben Fällen verstoßen. Dies ist eine wichtige Scharnier in der Abwägung zwischen Deckungs- und Wahlgleichheit. Man hätte einfach bei den Stimmkreisen die Abweichungen vermindern können. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass dies Verhandlungssache war. Es war aber nicht nur Verhandlungssache.
Herr Welnhofer, es gibt eine Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichts von 1993. Leitsatz Nummer 1 dieser Entscheidung lautet:
... kann gefolgert werden, dass es dieser Verfassungsbestimmung am ehesten entspricht, wenn die Zahl der Stimmkreise und Wahlkreismandate etwa gleich groß ist.
Dies war der Ausgangspunkt unserer Verhandlungen und seit 1949 Praxis, und dies ist auch der Inhalt dieser lange bestehenden Verfassungsbestimmung für das Wahlrecht in Bayern. Sie sollten sich vor Augen führen und nicht sagen, die anderen seien schuld. Das lag in der Objektivität dieser Konkretisierung der Gleichheitsgrundsätze.
Wir haben bei der Abwägung Ihrerseits ein Feuerwerk von neuen Prinzipien erlebt, in denen Sie versuchen, einzelne Lösungen zu rechtfertigen. Da gab es Ihren Grundsatz: keine Dreifach-Lösungen. Dabei haben Sie ausdrücklich gesagt, ein Landkreis solle nicht in drei verschiedene Bereiche zerteilt werden, ein Landkreis soll aber auch nicht an drei verschiedenen Stimmkreisen teilnehmen. Dies haben Sie erwähnt, um den Bereich Oberland Bad Tölz-Wolfratshausen und Ansbach zu rechtfertigen. Nicht berücksichtigt sind Rosenheim und Augsburg. Die Dreiteilung kann also wohl kein eherner Verfassungsgrundsatz sein, wenn es einmal so und einmal so gemacht wird, gerade wie es Ihnen passt.
Ein weiterer Ihrer Gesichtspunkte war die Stimmkreiskontinuität. Auch da haben Sie unterschiedlich verfahren. In München ist Ihnen nach den Fragen des Gleichheitsgrundsatzes und nach dem Willkürverbot zuletzt noch etwas Stimmkreiskontinuität übrig geblieben. Rosenheim-West muss Bereiche abgeben, die es schon ewig hatte; denn die Gemeinden östlich des Inn, Neubeuern und Nussdorf am Inn, kommen jetzt plötzlich völ
lig sachwidrig als Ausgleich zu anderen Bereichen, Feldkirchen und Bad Feigenbach zu Rosenheim-West. Diese Grundsätze wenden Sie auf verschiedene Sachverhalte an und ergeben natürlich, dass Sie bei der Abwägung nicht von objektiven Kriterien, sondern von anderen Kriterien ausgehen, die sich klar und einfach mit „Spezlwirtschaft“ umschreiben lassen, wie wir in einzelnen, besonders bevorzugten Stimmkreisen gesehen haben.
Es gibt besonders starke Bereiche, die über 20% hinausgewachsen sind. Es gibt aber auch Bereiche, wo jemand zu frühzeitig angekündigt hatte, er kandidiere nicht mehr. In diesen Fällen ist plötzlich eine Regelung gefasst worden, die diesen Stimmkreis von der Landkarte verschwinden lässt. Ich bin gespannt, ob heute dazu jemand Stellung nimmt, weil wir das häufig in der Presse haben nachlesen können.
Ferner haben Sie angeführt, in zusammengefassten Bereichen müsste jeder der Teile die Chance haben, doch anzukommen. Bei Dillingen im Augsburger Bereich galt dies. Sie haben gesagt, Dillingen müsse deswegen bleiben und mit dem kleinen Teil Augsburg-Nord zusammengefasst werden. Dies gilt bei Garmisch-Partenkirchen plötzlich nicht.
Sie haben als Grundprinzip ausgeführt: Der kleinste Landkreis, wenn in einem Gebiet etwas geändert werden muss, muss dran glauben. Dies ist bei GarmischPartenkirchen geschehen, jedoch nicht bei Tirschenreuth, Regen, im östlichen Teil Unterfrankens und in dem Bereich Ansbach-Mittelfranken. Überall dort haben Sie sich nicht daran gehalten, sondern die kleinen Stimmkreise geteilt und andere hinzugefügt. Jeder weiß aus seinem Gäu, was sich dort abgespielt hat, dass hier diese Grundsätze vordergründig sind, dass sie anderes vertuschen wollen und das für das Vertrauensverhältnis zwischen den Wählerinnen und Wählern schlecht ist.
Dass wir diese Fälle kritisch unter die Lupe nehmen, geschieht nicht in erster Linie wegen der Kandidatinnen und Kandidaten der verschiedenen Parteien und nicht wegen der Vertretung in diesem Parlament, sondern wegen der Wählerinnen und Wähler. Mit Blick auf die im bayerischen Wahlrecht verankerte wichtige Zweitstimme – im Unterschied zum Bundeswahlrecht –, die die Parteilisten verändern kann, ist dieses von Ihnen durch das Auseinanderziehen der Größenordnungen eine Missachtung des Gleichheitsgrundsatzes, auch dieser Besonderheit des bayerischen Wahlrechts.
Sie sagen, im Bereich südlich von München spiele sich das Ganze wie auf einer Spielwiese ab. Nach dem Vorschlag der Staatsregierung sind sechs Gebietskörperschaften betroffen. Alle diese Gebietskörperschaften sind in irgendeiner Form mitbeteiligt und nicht in geschlossener Form vorhanden. Dies beginnt im Osten, wo Rosenheim-Ost die zwei Gemeinden FeldkirchenWesterham und Bad Feilnbach, die sich bitter dagegen wehren, nach Miesbach abgeben soll. Die Gemeinden sagen, nach Miesbach fahre kein Bus, Schulkinder und Arbeitnehmer, alles sei bisher nach Rosenheim ausgerichtet gewesen. Auch handle es sich um verschiedene Planungsregionen nach dem bayerischen Planungsregionensystem. Die Zuordnung zu Miesbach sei völlig
sachwidrig. Die Gemeinden kommen deshalb zu Miesbach, weil Miesbach zu klein ist und irgendetwas dazu bekommen muss.
Bad Tölz-Wolfratshausen wird in Gänze erhalten. Es muss nichts abgeben, bekommt aber eine Hälfte von Garmisch-Partenkirchen dazu, die andere Hälfte kommt zu Weilheim-Schongau. Also auch Bad Tölz-Wolfratshausen, Garmisch-Partenkirchen und Weilheim-Schongau bleiben nicht in ihrer Reinform erhalten.
Dann gibt es noch Starnberg; die bekommen etwas von Weilheim-Schongau dazu, weil es zuviel ist. Sechs Landkreise sind also von der berühmten Deckungsgleichheit tangiert. Das Ergebnis ist, dass aber zusätzlich auch die 15-Prozent-Grenze nicht eingehalten werden kann. Der Landkreis Miesbach hat minus 18% zu verzeichnen – so jedenfalls nach den neuesten Zahlen –, der Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen mit Garmisch-Partenkirchen plus 20,7%, der Landkreis Weilheim-Schongau plus 22,1%. Das sind große Diskrepanzen. Da grenzen zwei Landkreise aneinander – Miesbach hat minus 18%, Bad Tölz-Wolfratshausen plus 20,7% –, zwischen denen fast 40% Unterschied besteht. Man kann sich gut vorstellen, was das für diese Landkreise bedeutet.
Wir haben einen ganz konkreten Gegenvorschlag gemacht – das haben Sie nicht erwähnt –, für den die SPD nicht die alleinige Urheberschaft reklamieren will. Auch CSU-Kollege Neumeier aus Garmisch-Partenkirchen hat ähnliche Vorstellungen wie wir, die er an die Öffentlichkeit gebracht hat. Nach unserem Vorschlag würden vom Prinzip der Deckungsgleichheit nicht sechs Landkreise, sondern nur drei betroffen. Der Landkreis Weilheim-Schongau könnte identisch erhalten bleiben, ebenso der Landkreis Starnberg, und Rosenheim müsste auch nichts abgeben. Das wäre in der Deckungsgleichheit um 100% besser. Auch bei der Wahlgleichheit sähe das viel besser aus. Es gäbe dann keinen Wahlkreis, der über plus 15% oder über minus 15% läge – also insoweit verfassungsrechtlich eindeutig sachgerecht. Es hat nichts mit dem Stimmkreiskandidaten von Bad Tölz-Wolfratshausen zu tun, sondern mit der Geografie und mit der dortigen Verteilung der Bevölkerung, dass ein solches Ergebnis möglich ist, wenn man nicht den Landkreis Garmisch teilt, sondern Bad Tölz-Wolfratshausen, was bis 1994 der Fall war. Wenn man diesen Zustand wieder herstellt, kann man jeweils zu 100% mehr den Verfassungskriterien entsprechen.