Protocol of the Session on May 8, 2001

selbstständigen politischen Gemeinden oder Gemeindeverbänden vergleichbare Zusammengehörigkeit oder gar Einheit aufweisen.

Außerdem kann es nicht angehen, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass eine Kommunalverwaltung mit einer möglicherweise sogar willkürlichen Grenzziehung – ich will das offen lassen – innerhalb ihres Gemeindegebietes den Gesetzgeber präjudiziert. Fall München, meine sehr verehrten Damen und Herren!

Abweichend von diesen Grundsätzen sind nach Artikel 14 Absatz 1 Satz 4 der Bayerischen Verfassung räumlich zusammenhängende Stimmkreise zu bilden, soweit es der Grundsatz der Wahlgleichheit erfordert. Dabei gilt, wie bereits ausgeführt, dass die Einwohnerzahl eines Stimmkreises vom Durchschnittswert im jeweiligen Wahlkreis nicht mehr als 15% abweichen soll und nicht mehr als 25% abweichen darf.

Diese nunmehr in Artikel 5 Absatz 2 Satz 3 des Landeswahlgesetzes enthaltene Regelung bietet Orientierung für einen sachgerechten Ausgleich zwischen den Prinzipien einerseits der Deckungsgleichheit und andererseits der Wahlgleichheit. Sie geht auf eine Vereinbarung der großen Fraktionen dieses Hauses zurück, hat aber keinen Verfassungsrang, meine sehr verehrten Damen und Herren, sondern ist nur einfach-gesetzliche Verfassungsinterpretation. Gleichwohl entspricht sie dem politischen Willen der CSU-Landtagsfraktion und ist mit folgenden Maßgaben zu beachten.

Obwohl es im Hinblick auf die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung nicht zwingend erscheint, bei der heute zur Verabschiedung anstehenden Stimmkreisreform die 25-%-Grenze zu beachten, wird sie strikt und ausnahmslos eingehalten. Wir halten uns an die vereinbarten 25%, meine sehr verehrten Damen und Herren, und zwar ausnahmslos, obwohl es mir persönlich zum Beispiel in Erlangen nicht gefällt. Ich hätte dort eine Lösung vorgezogen, welche die kreisfreie Stadt in ihren Grenzen mit einer Abweichung von etwas mehr als 25% belässt. Aber das ist vorbei.

Wir halten uns strikt an die 25-%-Grenze, obwohl das Bundesverfassungsgericht bisher nicht ausdrücklich, sondern lediglich in einem obiter dictum von der 33 1/3-%-Grenze abgewichen ist. Die 15-%-Grenze wird eingehalten, soweit nicht – das ist jetzt wohl der eigentliche Streitpunkt – im Einzelfall gewichtige Gründe für eine davon abweichende Lösung sprechen.

Wir haben es hier mit einer Soll-Bestimmung zu tun, meine Damen und Herren, die der Gesetzgeber an sich selbst richtet. Sie kann daher bereits nach dem so genannten Spezialitätsgrundsatz nur als allgemeine Leitlinie verstanden werden, die keine zwingende Verbindlichkeit für jeden Einzelfall entfaltet; denn dem Gesetzgeber sind abweichende, spezielle Regelungen im Rahmen des Willkürverbots grundsätzlich erlaubt. Sie gehen der allgemeinen Regelung vor und bedürfen lediglich einer vernünftigen Rechtfertigung.

Die Bedeutung der so genannten Soll-Vorschrift im allgemeinen Verwaltungsrecht ist hingegen eine ganz

andere, wie Sie, lieber Kollege Dr. Hahnzog, bei der Ersten Lesung offensichtlich verkannt haben. Zur Erläuterung Ihrer Auffassung haben Sie seinerzeit eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1978 herangezogen, noch dazu eine solche aus dem Sozialhilferecht. Was das mit Wahlrecht zu tun hat, bleibt verschlossen. In derartigen Fällen, in denen es um die Verpflichtungen eines Trägers öffentlicher Gewalt gegenüber den Bürgern geht, will der Gesetzgeber mit Soll-Vorschriften zugunsten der Bürger eine strikte Gesetzesbindung der Exekutive – der Exekutive! – festlegen, die stets beachtet werden muss, soweit nicht in atypischen Fällen ein abweichendes Verwaltungshandeln zur Vermeidung von offenbar ungewollten Ergebnissen geboten erscheint.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die 15-%Grenze im Landeswahlgesetz regelt nun aber gerade nicht Verpflichtungen eines Trägers öffentlicher Gewalt gegenüber den Bürgern. Der Gesetzgeber wendet sich hier vielmehr – wie bereits dargelegt – mit einem Handlungsprogramm an sich selbst, und er hält sich auch an dieses Programm, wenn das Plenum, wenn wir alle miteinander heute der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses folgen; denn es gibt für jede der im Gesetzentwurf der Staatsregierung enthaltenen Abweichungen gewichtige Gründe. Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: „Soll“ bedeutet bei der Bildung von Stimmkreisen lediglich eine Rechtfertigungslast im Fall von Abweichungen, aber nicht etwa grundsätzlich ein Muss.

Der Gesetzgeber hat sich zwar an der gesetzlichen Sollgrenze zu orientieren, kann aber aus gewichtigen sachlichen Gründen von ihr abweichen. Jede der insgesamt nur 17 Abweichungen bei 92 Stimmkreisen kann im Einzelfall mit guten Gründen gerechtfertigt werden. Dabei werden umso geringere Anforderungen an die Begründung zu stellen sein, je geringer die Abweichung ausfällt.

Im Übrigen ist auch hier noch einmal festzustellen: Sie, Kollege Dr. Hahnzog, haben sich immer wieder auf eine Vorbildfunktion des Bundeswahlrechts und insbesondere der Bundeswahlkreiseinteilung berufen. Nun stellt sich aber heraus, dass es dort weit mehr Abweichungen von der Sollgrenze gibt als im vorliegenden Gesetzentwurf der Staatsregierung. Ja, warum halten sich denn Ihre Genossen nicht an das, lieber Kollege Hahnzog, was Sie selber so hoch halten? Sie werden schon ihre Gründe dafür haben; ich weiß aber nicht, ob diese Gründe so sachlich sind, wie wir das für die des vorliegenden Gesetzentwurfs in Anspruch nehmen können, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Lachen bei der SPD – Zurufe der Abgeordneten Dr. Hahnzog (SPD) und Frau Werner-Muggendorfer (SPD))

Also, lieber Kollege Hahnzog, ich hätte Ihnen eigentlich nicht zugetraut, dass Sie diesen Einwurf heute wieder bringen. Es kommt erstens einmal schon sehr selten vor, dass gerade Sie sich auf Herrn Kanther berufen. Das ist die erste bemerkenswerte Tatsache.

(Unruhe bei der SPD)

Und nun die zweite: Sie haben seit einigen Jahren eine Mehrheit im Deutschen Bundestag, und es wäre daher überhaupt kein Problem, sich von den Kanther’schen Vorschlägen zu lösen und zu sagen: Wir machen auf der Bundesebene das, was wir in Bayern verkünden. – Sie machen das aber nicht, sondern Sie machen das, was Ihnen besser passt.

(Beifall bei der CSU – Zuruf von Frau Werner-Mug- gendorfer (SPD))

Also, es hat keinen Sinn, Frau Werner-Muggendorfer, dass wir, also Sie und ich, jetzt diese Diskussion führen. Ich würde mich gern bei anderer Gelegenheit mit Ihnen unterhalten.

(Heiterkeit bei der SPD)

Aber diese Diskussion setzt einen gewissen Informationsstand voraus und den können wir in der beschränkten Redezeit nicht gemeinsam erarbeiten, so Leid mir das tut.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Das, was von Ihnen bezüglich der Bundeswahlkreise vorgebracht wurde, ist also letztlich ein Rohrkrepierer der SPD. Wer auch immer den Entwurf erarbeitet hat, Sie hätten heute die Möglichkeit, ihn zu ändern, weil RotGrün – ich sage: leider – eine Mehrheit hat.

Es liegt auch neben der Sache, wenn Sie gebetsmühlenartig immer wieder darauf hinweisen, der erste Referentenentwurf zur Stimmkreisreform hätte den Grundsätzen der Wahlgleichheit mehr entsprochen als der nun vorliegende Gesetzentwurf der Staatsregierung. Das mag ja sein, aber anderen, keineswegs weniger bedeutenden Verfassungsgrundsätzen, insbesondere dem Grundsatz der Deckungsgleichheit, hätte dieser erste Referentenentwurf weit weniger entsprochen als der heute vorliegende Gesetzentwurf der Staatsregierung.

Weitere Grundsätze für die Bildung von Stimmkreisen sind das in der Verfassung verankerte Prinzip der gleichen Zahl von Stimm- und Wahlkreismandaten – darüber haben wir schon gesprochen –, das Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs in bestehende historisch gewachsene Strukturen, insbesondere das Prinzip der Stimmkreiskontinuität, und das Prinzip, die Probleme nach Möglichkeit am Ort ihres Auftretens zu lösen und nicht auf Kosten der Existenz von Stimmkreisen, die sämtliche Voraussetzungen für ihren Fortbestand erfüllen, wie dies insbesondere bei Bad Tölz-Wolfratshausen der Fall ist.

Es gibt nach alledem für die Stimmkreisreform natürlich keine Lösung, die sämtlichen verfassungsrechtlichen Vorgaben in gleicher Weise gerecht werden könnte. Diesen Zielkonflikt, meine Damen und Herren, der sich aus einer so genannten Antinomie von Verfassungsbestimmungen und Rechtsgrundsätzen ergibt, muss der Gesetzgeber in einem einzelfallbezogenen Abwägungsprozess lösen.

Nach den eingehenden Beratungen im federführenden Ausschuss bin ich davon überzeugt, dass der vorliegende Gesetzentwurf die beste, jedenfalls aber eine gute, sachgerechte Lösung darstellt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will jetzt noch einmal, wie schon zweimal zuvor – bei der Ersten Lesung und im Ausschuss – auf einen Einzelfall eingehen, der sich als bevorzugte Spielwiese der Opposition erwiesen hat: auf den Stimmkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. Ich betone noch einmal: Diesen Stimmkreis aufzuteilen wäre nicht in Ordnung, denn mit Ihrer Lösung, Kollege Dr. Hahnzog, würden Sie einen Stimmkreis auflösen, der gegenwärtig in jeder Hinsicht sämtlichen Anforderungen des Wahlrechts geradezu idealtypisch entspricht.

Er ist 1994 – so wenden Sie immer wieder ein – erst gebildet worden. Aber das war ja gerade ein Schritt, der diese Region hinsichtlich der Stimmkreiseinteilung näher an die Verfassung herangebracht hat. Da wollen Sie jetzt den Rückwärtsgang einlegen. Das ist doch geradezu – ja, ich will nicht sagen pervers, weil das wahrscheinlich ein unparlamentarischer Ausdruck wäre.

Sie wollen auf jeden Fall diesen Stimmkreis zerschlagen, und man weiß natürlich auch, warum Sie diesen Vorschlag machen. Sie wollen sich am Stimmkreis des Ministerpräsidenten parteipolitisch austoben, meine sehr verehrten Damen und Herren der Opposition, und uns von der CSU nach Möglichkeit damit schaden.

(Widerspruch bei der SPD)

Das ist die Art, wie Sie Oppositionspolitik verstehen, und wir müssen damit leben. Damit werden wir auch in Zukunft leben müssen und, wie ich meine, auch leben können.

(Unruhe bei der SPD)

Sie unterschätzen mein politisches Wollen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich würde es vielleicht nicht ablehnen, aber der Wunsch danach hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten etwas nachgelassen.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

Aber ich sehe mit Freude das interessierte Auge des Herrn Ministerpräsidenten.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen – Zurufe von der SPD)

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren der Opposition, Ihnen geht es hier nicht um die Sache, es geht Ihnen um den parteipolitischen Spektakel. Nach dem Grundsatz „Semper aliquid haeret“ – das ist ein schönes „deutsches“ Sprichwort und heißt auf Lateinisch „Es bleibt immer etwas hängen“ – behaupten Sie ganz einfach, was wir hier machen, sei von der Sache her nicht gerechtfertigt, sondern sei ein Stück weit „Spezlwirtschaft“.

(Beifall bei der SPD)

Über diesen Beifall bin ich nicht unglücklich, denn Sie rechnen hier mit der Dummheit der Leute, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CSU – Zurufe von der SPD)

Sie wollen den Leuten etwas vormachen und uns unsachliches Vorgehen anhängen. Auch das ist nicht in Ordnung, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Der Stimmkreis Garmisch-Partenkirchen ist im südlichen Oberbayern mit Abstand der kleinste. Dort also treten die Probleme auf und nicht in Bad Tölz-Wolfratshausen. Und diese Situation führt uns unter Berücksichtigung aller oben dargelegten Grundsätze zu der im Gesetzentwurf der Staatsregierung enthaltenen sachgerechten Lösung.

Ich nenne weitere in den Ausschussberatungen strittige Beispiele. Da haben wir Oberfranken. Das ist ja für die SPD eine unendliche Geschichte. Zuerst ging es Herrn Hoderlein darum, seinen eigenen Stimmkreis zu retten. Das ist ihm geglückt.

Dann hat sich das Zentrum des Schlachtfeldes verlagert, eine neue Schlachtordnung ist entstanden. Wir haben uns demgegenüber bemüht – obwohl das in unserer Fraktion sehr heiß diskutiert worden ist –, eine Lösung zu suchen, die den Prinzipien der Deckungsgleichheit so nahe wie möglich kommt, und haben eine deckungsgleiche Lösung mit nur – ich sage in diesem Zusammenhang „nur“ – 20% Abweichung gefunden durch einen deckungsgleichen Stimmkreis mit zwei Landkreisen, nämlich Kronach und Lichtenfels. Und im Übrigen muss ganz, ganz wenig geändert werden; es kann sogar bei Coburg nunmehr Deckungsgleichheit hergestellt werden.

Das alles passt Ihnen jetzt auch wieder nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren, aber Sie machen auch keinen Gegenvorschlag für Oberfranken. Daran sieht man schon, worum es eigentlich geht: Es geht nicht darum, der Sache zu dienen, sondern ein Süppchen anzurühren. Das lassen wir Ihnen aber nicht durchgehen.

(Unruhe)

Ich sage ein Wort zu Rhön-Grabfeld. Es ist immer schlimm, wenn ein Stimmkreis verschwindet, weil sich die Menschen in einer Region nicht nur mit dem konkreten Abgeordneten, sondern auch mit ihrem Stimmkreis identifizieren, weil sie damit in ihrer Vorstellung ein Stück politischer Einflussmöglichkeit verbinden, und dieses auch zu Recht. Deshalb fällt es immer sehr, sehr schwer, einen Stimmkreis aufzulösen.

Aber wir haben hier versucht, eine Lösung zu finden, die es nicht für alle Zukunft ausschließt, dass – ganz unabhängig von der Parteipolitik – einmal aus der einen und einmal aus der anderen Region jemand in München Direkt-Abgeordneter sein kann. Deswegen haben wir den Zuschnitt für Rhön-Grabfeld so gewählt, dass der Anteil am neuen großen Stimmkreis – der auch plus 20% Abweichung aufweist, in diesem Fall ohne

Deckungsgleichheit –, dass also der größte Teil von Rhön-Grabfeld mit den drei ehemaligen Kreisstädten zusammengeführt mit Haßberge wird und so ein Gebilde entsteht, dass eben einmal von der einen Region und ein anderes Mal von der anderen Region dominiert werden kann in dem Sinne, dass der oder die Abgeordnete von dort kommt.

Ich hatte ausgeführt, was Deckungsgleichheit heißt; es heißt auch Vermeidung von Dreiteilungen. In Mittelfranken haben wir, um das zu erreichen, relativ hohe Abweichungen im Bereich Ansbach/Weißenburg/Gunzenhausen hingenommen. Da hat Herr Hoderlein einmal für Ansbach erklärt, wie sogar in der Zeitung zu lesen war: Dreigeteilt – niemals! Jetzt haben wir das vermieden, aber es ist wieder nicht Recht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie müssen sich schon überlegen, was Sie eigentlich wollen – obwohl, wir wissen ja, was Sie eigentlich wollen: Sie wollen der CSU so weit wie möglich, ohne sich selbst Ärger zu bereiten, in dieser Auseinandersetzung schaden, und Sie versuchen es auf diesem Wege und mit diesen Mitteln.

(Widerspruch bei der SPD)