Protocol of the Session on January 9, 2001

Die ganze Zeit über haben Sie die Wahrheit nur scheibchenweise ans Licht kommen lassen. Indem Sie nicht von Anfang an lückenlos aufgeklärt haben, haben Sie die Bevölkerung verunsichert. Sie haben nicht gesagt, was Sache ist. Sie haben die Bauern und die Verbraucherinnen und Verbraucher verunsichert. Sie haben das getan, weil den zuständigen Ministern Miller und Stamm der Fleischabsatz und die wirtschaftlichen Interessen der Futtermittelindustrie bis zum heutigen Tag wichtiger sind, als die Gesundheit der bayerischen Bevölkerung. Das ist skandalös.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie, Herr Ministerpräsident haben die Gesundheitsgefährdung der bayerischen Bevölkerung ebenfalls zu verantworten. Sie haben auch zu verantworten, dass Ihre Regierung so getan hat, als sei die bayerische Landwirtschaft eine heile Welt. So haben Sie sich in den ersten Tagen geäußert. In Ihren Köpfen muss es ausschauen, wie in Ostdeutschland nach der Wende. Anscheinend sind Sie auf ihre eigene Propaganda hereingefallen.

Die Staatsregierung hat nichts dazu getan, dass Bayern wirklich zu dem von Ihnen propagierten Musterland geworden ist. Sie haben es zu verantworten, dass aus dem Musterland ein BSE-Land geworden ist. Herr Minis

terpräsident, Sie haben versagt, als Sie nicht eingegriffen haben, nachdem Sie gesehen haben, dass die beiden Minister mit dieser Aufgabe, Konsequenzen aus diesem Skandal zu ziehen, nicht fertig werden. Herr Ministerpräsident, wir fordern Sie auf: Ziehen Sie endlich die Konsequenzen. Greifen Sie jetzt ein, wagen Sie einen Neuanfang in der Agrar- und in der Gesundheitspolitik. Wagen Sie einen inhaltlichen Neuanfang, wagen Sie aber auch einen personellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Entlassen Sie die beiden Minister Miller und Stamm.

Frau Staatsministerin Stamm, Herr Staatsminister Miller, die GRÜNEN im Bayerischen Landtag haben bis gestern Ihren Rücktritt nicht gefordert. Wir fordern ihn auch heute nicht. Wir rechnen auch gar nicht mehr damit. Wir fordern Ihre Entlassung. Aber auch Ihre Entlassung fordern wir nicht leichtfertig und auch nicht voreilig, wie es hieß. Wir haben ausführlich geprüft und geschaut, was Sie vorher gemacht haben und was Sie hinterher gemacht haben.

Bis letzte Woche war ich der Meinung: Was Sie getan haben, das hätte jeder aus Ihrer Partei genau so schlecht gemacht; dafür trägt niemand persönlich die Verantwortung.

(Zuruf des Abgeordneten Starzmann (SPD))

Das war ein Irrtum. Ich habe immer gedacht: Die Fehler, die gemacht wurden, die sind auf unser Agrarsystem zurückzuführen.

(Starzmann (SPD): Etwas Besseres kommt nicht nach, Herr Bocklet!)

Ich habe gedacht, das seien systematische Fehler. Deswegen haben wir in den vergangenen Wochen vor allem nach Schwachstellen im Verbraucherschutz gesucht. Wir haben nach Lösungen gesucht, weil wir die Schwachstellen möglichst schnell beheben wollten. Wir haben nach Möglichkeiten gesucht, wie man die bayerische Bevölkerung schützen und wie man die Landwirtschaft vor weiterem Schaden bewahren kann.

Im Unterschied zu anderen stand für uns die Problematik mit BSE im Vordergrund, Herr Glück. Das lassen wir uns nicht nehmen. Wir haben uns aber auch die Landwirtschaft angeschaut, die Sie uns hier eingebrockt haben. Das Problem wurde systematisch verursacht, und es wird nicht allein dadurch gelöst, dass die beiden Verantwortlichen, Herr Minister Miller und Frau Ministerin Stamm, persönliche Konsequenzen ziehen oder entlassen werden. Das genügt nicht. Herr Glück, ich habe Ihr Manuskript nicht gelesen.

(Glück (CSU): Ich habe auch keins!)

Sie brauchen keine Angst zu haben: Ich fordere nicht die Herdenkeulung der Staatsregierung.

(Lachen bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich fordere nur die Entlassung von zwei Ministern.

Natürlich ist das ein archaischer Reflex, weil man immer glaubt, man könnte das Problem damit aus der Welt schaffen. Die beiden Minister sind nicht allein für das Problem verantwortlich, aber sie sind für ihre eigenen Fehler verantwortlich. Sie haben nämlich beide persönlich versagt. Sie haben unverantwortliche Fehler gemacht. Wir fordern die Entlassung der beiden Minister, weil es nicht danach aussieht, dass sie aus ihren Fehlern gelernt haben. Sie vertreten heute die gleiche Anschauung wie gestern. Ein Neuanfang ist mit diesen beiden Ministern nicht möglich.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Der Neuanfang in der Landwirtschaftpolitik und in der Gesundheitspolitik ist unumgänglich. Man hätte diese Fehler nicht machen müssen. Es gab immer Alternativen. Niemand hat sie gezwungen, zu lügen, oder den entscheidenden Anteil der Wahrheit zu verschweigen.

Frau Staatsministerin Stamm, Sie haben den Landtag belogen, als Sie am 29. November 2000 hier in diesem Hohen Haus nach einer Anfrage meiner Kollegin Kellner erklärten, es gebe in Bayern noch keinen BSE-Verdacht. Das haben Sie damals erklärt.

(Frau Dr. Baumann (SPD): Das ist ein starkes Stück!)

Frau Staatsministerin Stamm, Sie haben auch bis heute noch nicht zugegeben, dass die gesetzlichen Bestimmungen für die Erhitzung von Tiermehl nicht ausreichten.

Sie, Herr Staatsminister Miller, haben gelogen, als Sie am 27. November 2000 in der „Süddeutschen Zeitung“ erklärten, in Bayern sei nie Tiermehl an Rinder verfüttert worden. Sie haben die Verbraucherinnen und Verbraucher mit Ihrem Gütesiegel „Qualität aus Bayern“ in die Irre geführt. Sie haben so getan, als sei dieses so genannte Gütesiegel eine Garantie für BSE-Freiheit.

(Loscher-Frühwald (CSU): Das stimmt nicht!)

Nichts war garantiert. Das so genannte Qualitätsprogramm war nichts anderes als Lug und Trug. Sie haben nicht nur gelogen, sondern dort nicht gehandelt, wo es dringend notwendig gewesen wäre. Niemand hat Sie gezwungen, aus wichtigen Hinweisen keine Konsequenzen zu ziehen. Sie, Herr Staatsminister Miller, haben seit 1995 nach eigenen Angaben davon gewusst, dass Rinderfutter mit Tiermehl verunreinigt war. Das haben Sie eingeräumt.

(Zuruf des Staatsministers Miller (Landwirtschafts- ministerium))

Das stand in der Zeitung. Dann hätten Sie das dementieren müssen. Sie haben daraus keine Konsequenzen gezogen. Selbst jetzt wird immer noch Tiermehl in Tierfutter entdeckt.

Sie, Frau Staatsministerin Stamm, haben mindestens seit 1995 Hinweise darauf, dass Tiermehle nicht genügend erhitzt wurden. Auch daraus haben Sie keine Konsequenzen gezogen, im Gegenteil: Sie leugnen die Tatsachen bis auf den heutigen Tag. Die Aussage von Herrn Glück vorhin, ich hätte behauptet, dass nicht ordnungsgemäß erhitzt worden sei, ist falsch. Das habe ich nie gesagt. Sie müssen immer genau unterscheiden. Bei Frau Staatsministerin Stamm habe ich genau darauf geachtet. Das ist eine politische Lüge, keine verbale. Es wird immer wieder behauptet, die Tiermehle seien ordnungsgemäß erhitzt worden. Es kann aber sein, dass die Herstellungsanlage ordnungsgemäß aufgeheizt und der notwendige Druck erreicht worden ist; trotzdem kann es sein, dass die Tiermehle die notwendige Temperatur nicht erreicht haben.

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Herr Kollege Dr. Dürr, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Glück?

Ja, bitte.

Herr Kollege Dürr, wollen Sie Folgendes sagen: Die gesamte internationale Wissenschaft ist der Meinung, dieses Verfahren reicht aus, alle infektiösen Keime zu töten, aber ich, Dr. Dürr, weiß es besser?

Nein, Sie haben nicht genau zugehört. Wenn das Verfahren dazu führt, das Tiermehl faktisch auf 133 Grad zu erhitzen, dann reicht das aus, es sei denn, es handelt sich um hochinfektiöses Material. Denn auch bei 133 Grad wird dann eine völlige Vernichtung der Prionen nicht erreicht. Das ist wissenschaftlicher Standard. Ich berufe mich hingegen auf die Untersuchungen der Fleischforschungsanstalt in Kulmbach und die ELISA-Tests. In Kulmbach wurden seit 1995 Untersuchungen gemacht. Die Fleischforschungsanstalt hat immer wieder darauf hingewiesen, dass man zwischen dem technisch vorgeschriebenen Verfahren und dem Resultat unterscheiden muss. Sie können das bei Hofmann nachlesen. Tiermehl kann nicht genügend erhitzt sein, und dennoch kann man nicht von einer nicht ordnungsgemäßen Erhitzung sprechen. Wie gesagt, das können Sie bei Hofmann nachlesen. Das ist seit Jahren bekannt. Seit Jahren wird hierauf hingewiesen.

(Glück (CSU): Dann hätten Sie einen Antrag auf andere wissenschaftliche Verfahren stellen müssen! – Gegenruf von Frau Dr. Baumann (SPD): Das ist doch wissenschaftlicher Standard!)

Sie haben uns immer beschwichtigt, indem Sie sagten, das Tiermehl wird ordnungsgemäß erhitzt. Die Widersprüche aber haben Sie nie aufgelöst. Diese Widersprüche sind Ihnen doch bisher noch gar nicht aufgefallen. Obwohl Sie doch sonst immer so schlau sind, das haben Sie bisher noch nicht gespannt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Glück (CSU): Man muss doch intellektuell redlich sein!)

Das versuche ich. Sie aber leugnen die Tatsache, dass die Tiermehle bis heute nicht richtig erhitzt werden. Frau Ministerin Stamm, Sie haben es auch hochmütig abgelehnt, Schnelltests einzuführen, obwohl das längst möglich gewesen wäre und obwohl das vermutlich der bayerischen Bevölkerung auch einen BSE-Fall erspart hätte. Mit Ihrer Untätigkeit haben Sie beide die Gesundheit der bayerischen Bevölkerung fahrlässig gefährdet. Der bayerischen Bevölkerung ist es deshalb nicht länger zuzumuten, dass Sie beide für ihre Ernährung und Gesundheit weiter Verantwortung tragen.

Warum haben Sie so gehandelt? Ihnen war Lobbypolitik wichtiger als Gesundheitsschutz.

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Hofmann?

Nein, jetzt mag ich nicht mehr. Jetzt rede ich.

(Hofmann (CSU): Ich hätte Sie mit dem Hofmann konfrontiert, den Sie zitiert haben!)

Die Staatsregierung hat jahrelang in unverantwortlicher Weise darauf verzichtet, den neuesten Stand von Wissenschaft und Technik im Hinblick auf die Gefahren von BSE zur Kenntnis zu nehmen. Das werden Sie doch hoffentlich einräumen. Einzig aus wirtschaftlichen Interessen, einzig aus Sorge um den Fleischabsatz und die Interessen der Futtermittelhersteller hat die Staatsregierung wichtige Maßnahmen nicht durchgeführt, die dringend notwendig gewesen wären. Anderswo hat man diese Maßnahmen ergriffen. Die grüne Ministerin in Nordrhein-Westfalen hat Schnelltests eingeführt. Sie hat bei der Verarbeitung von Tiermehl und Rinderfutter sauber getrennt. Sie sagen, bis da und dann hat auch die Ministerin in Nordrhein-Westfalen nichts getan. Irgendwann aber hat sie gehandelt, während Sie noch immer nicht gehandelt haben, und das ist der Unterschied.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Man hätte handeln können, doch man wollte nicht. Jedes Mal, wenn man vielleicht hätte handeln wollen, wenn man vielleicht ein Handeln überlegte, stand der Bauernverband vor der Tür. Daraufhin hat man sich wieder zum Fürsprecher der Fleischmärkte und der Futtermittelhersteller gemacht. Sie haben die Interessen der Agrarlobby verteidigt und so getan, als würden Sie für die Interessen der Verbraucher eintreten. Es hieß immer, man dürfe die Verbraucher nicht verunsichern. Minister Miller hat im Juni letzten Jahres erklärt: „Wir müssen jede unnötige Verunsicherung der Verbraucher vermeiden.“ Im Satz davor sagte er, warum man die Unsicherheit vermeiden muss. Es ging ihm nicht um das Wohlbefinden der Verbraucherinnen und der Verbraucher. Es ging ihm vielmehr um „die Nachfrage nach deutschem Rindfleisch im Inland, aber auch im Ausland“. Das war sein einziges Interesse. Deshalb haben die beiden Minister es auch abgelehnt, irgendetwas zu unternehmen, um die bayerische Bevölkerung besser vor BSE zu schützen.

Das ist auch der Grund, warum das Sozialministerium vehement abgelehnt hat, den Schnelltest einzuführen. Lieber hat man sich hinter den veralteten EU-Standards verschanzt. Frau Stamm ließ lieber Proben vergammeln oder Gehirne wochenlang in Formalin einlegen.

(Unruhe bei der CSU)

Das ist wahr. Als der Schnelltest woanders längst erfolgreich durchgeführt wurde, hat man es im Sozialministerium unter Regie von Frau Stamm lieber nicht so genau wissen wollen. Den wissenschaftlichen Standard hätte man nutzen können, das wäre vorbeugende Politik gewesen. Doch man hat ihn nicht genutzt. Nicht nur im Fall der Kuh aus Rottenbuch im Landkreis WeilheimSchongau war die Staatsregierung sehr langsam. Testergebnisse und Reaktionen ließen ungeheuer lange auf sich warten. Die erste bekannte deutsche BSE-Kuh wurde am 2. November 2000 in Bayern getötet und schon am 29. November 2000 wurde das erste negative Testergebnis festgestellt. Ich bestreite nicht, dass dies alles seinen gemütlichen gesetzlichen Gang ging.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Verbraucherschutz aber war das nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)