Protocol of the Session on November 29, 2000

(Volkmann (SPD): 19. Jahrhundert!)

Ich sagte: „im Zweifel“. Wollen Sie Verbrecher im Zweifel frei herumlaufen lassen?

(Volkmann (SPD): Nein!)

Dann verstehe ich Ihre Aufregung nicht. Warum werden Sie dann auch noch im Gesicht rot bei dieser Thematik? Das verstehe ich nicht.

Im Zweifel Einschluss – das ist unsere Position. 95% der Bevölkerung und wahrscheinlich sogar 85% Ihrer eigenen Anhänger, meine Damen und Herren von der Opposition, werden dieser Position zustimmen.

(Beifall bei der CSU)

Wir sind nicht gegen Resozialisierung, sondern für Resozialisierung mit Augenmaß.

(Lachen des Abgeordneten Volkmann (SPD))

Wir erwarten die Einsicht, dass es Leute gibt, die nicht resozialisierungsfähig sind. Es gibt Menschen, die nicht resozialisiert werden können. In einem solchen Falle bleibt nicht anderes als der Einschluss übrig. Diese Einsicht ist uns viel wichtiger, als den Schutz unschuldiger Menschen aufs Spiel zu setzen, wie es durch rot-grüne Reso-manie, um es einmal so auszudrücken, immer wieder geschieht.

Strafrecht ist unentbehrlich. Notwendig ist es auch, die bestehenden strafrechtlichen Bestimmungen konsequent anzuwenden, punktuell zu verschärfen und noch

treffsicherer zu machen, zum Beispiel durch ein Fahrverbot als Hauptstrafe, worauf ich später noch einmal zu sprechen komme.

Ich freue mich, dass ich wenigstens zu Ihrer Heiterkeit etwas beitragen kann, wenn schon nicht zu Ihrem Wohlempfinden.

(Schindler (SPD): Aber ernst nehmen muss ich Sie nicht!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf keinen Fall kann es angehen, dass das bestehende Strafrecht aufgeweicht wird. Unter diesem Gesichtspunkt ist die angekündigte Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems ein besonders besorgniserregendes Vorhaben der Bundesregierung. Sie will in einem Maße in den Urbestand des Strafrechts eingreifen, wie es seit Jahrzehnten nicht mehr geschehen ist. Als roter Faden zieht sich durch dieses Vorhaben die Absicht, dass das strafrechtliche Sanktionensystem aufgeweicht und Geld- und Freiheitsstrafen geschwächt werden sollen. Ein Teil der Vorschläge lässt sich sogar mit dem Schlagwort „Freiheit für Verbrecher“ beschreiben.

Zunächst einmal wird gefordert, dass statt Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren in Zukunft Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren grundsätzlich zur Bewährung auszusetzen sind. Früher hatten wir einmal nur ein Jahr, dann sind zwei Jahre daraus geworden, und jetzt sollen Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren grundsätzlich zur Bewährung ausgesetzt werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer bekommt denn drei Jahre? Ein Täter muss da schon einiges ausgefressen haben, damit er überhaupt drei Jahre bekommt. Und solche Strafen wollen Sie dann zur Bewährung aussetzen und den Betreffenden frei herumlaufen lassen? Nicht mit uns, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Beifall bei der CSU)

Bei drei Jahren liegt keine leichte, sondern mindestens mittelschwere Kriminalität vor.

Dann wollen Sie die Höchstgrenze bei der so genannten Halbstrafenaussetzung für Erstverbüßer von zwei Jahren auf 15 Jahre hinaufsetzen. Mit anderen Worten: Bisher konnte, wer zum ersten Mal gesessen hat, nach einem Jahre wieder auf freien Fuß kommen, wenn er sich mit günstiger Prognose anständig verhalten und auch nur zwei Jahre Freiheitsstrafe bekommen hat. Der Täter mit zwei Jahren Freihheitsstrafe kann als Erstverbüßer bei Wohlverhalten und guter Prognose nach einem Jahr wieder freikommen. Das ist die geltende Rechtslage.

Nun wollen Sie, dass ein Schwer- oder Schwerstverbrecher mit 15 Jahren Freihheitsstrafe – das ist die höchste Freiheitsstrafe, die es gibt, darüber gibt es nur noch lebenslänglich – als Erstverbüßer bei günstiger Prognose ohne zusätzliche Kautelen bereits nach siebeneinhalb Jahren oder bei 12 Jahren Freiheitsstrafe nach sechs Jahren wieder auf freien Fuß gesetzt werden kann. Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus

unserer Sicht hat das mit angemessenem Strafrechtsvollzug überhaupt nichts mehr zu tun.

(Beifall bei der CSU)

Personen, die beispielsweise wegen brutaler Vergewaltigung, Kindesmissbrauchs, Raub oder Totschlags zu 12 Jahren verurteilt worden sind, sollen künftig, sofern sie Erstverbüßer sind, darauf hoffen können, dass sie bereits nach sechs Jahren wieder auf freien Fuß gesetzt werden. Ich empfehle Ihnen, sich einmal in die Opfer dieser Verbrecher hineinzudenken, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CSU)

Von immer wieder auftretenden Wiederholungsfällen, die dann keiner hat absehen können, möchte ich gar nicht reden. So geht es im Strafrecht mit uns nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren. Es gibt ohnehin den Drittelerlass. Das reicht nach unserer Überzeugung völlig aus.

Des Weiteren wollen Sie das Prinzip „Schwitzen statt Sitzen“ ausweiten. Nun sind wir auch sehr dafür, dass diejenigen, die eine Freiheitsstrafe nur deswegen verbüßen müssen, weil die Geldstrafe uneinbringlich ist – also Leute, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen – den Vollzug der Strafe abwenden können, indem sie eine vernünftige, insbesondere gemeinnützige Arbeit verrichten. Die Erfahrung zeigt aber leider, dass mit Leuten, die für solche Arbeiten in Fragen kommen, häufig nichts Rechtes anzufangen ist. Am Ende heißt es daher oft nicht „Schwitzen statt Sitzen“ sondern „Kein Sitzen und auch kein Schwitzen“. Ich habe mir zu diesem Thema die Erfahrungen des Regensburger Stadtgartenbauamtes mitteilen lassen. Dort sollten die Leute bei Gartenarbeiten schwitzen, aber sie schwitzten nicht. Sie stellten sich einfach nicht so an, wie man sich anstellen müsste, um die Ersatzsanktion zu verbüßen. Darin liegt ein Problem, das wahrscheinlich auch nur schwer zu lösen ist. Aber man muss es weiterhin versuchen.

Es kann sicherlich auch einmal sinnvoll sein, gemeinnützige Arbeit als Ersatz für eine Bewährungsstrafe zu verhängen. Bei der Bewährungsstrafe muss ja die Freiheitsstrafe nicht verbüßt werden, und so kann es durchaus in Einzelfällen sinnvoll sein, wenn dem Straftäter das Schwitzen zugemutet wird. Auf keinen Fall aber sind wir dafür, dass bei kurzen Freiheitsstrafen ohne Bewährung „Schwitzen statt Sitzen“ verhängt wird, denn der Richter ist ja gehalten, Freiheitsstrafen unter zwei Jahren zur Bewährung auszusetzen, es sei denn, es liegen besondere Umstände vor, welche den Vollzug der Freiheitsstrafe im Hinblick auf die Tat und die Täterpersönlichkeit notwendig machen. Wenn dem aber so ist, ist infolgedessen für „Schwitzen statt Sitzen“ kein Raum mehr. Dann muss gesessen werden, meine sehr verehrten Damen und Herren. Solche Fälle bilden ohnehin die Ausnahme. Es gibt kaum kurze Freiheitsstrafen, die vollstreckt werden. Wenn es aber erforderlich ist, dann muss auch vollstreckt werden. Sie wollen dagegen den Richter sogar dazu zwingen, dass er bei Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten ohne Bewährung auf Antrag

„Schwitzen statt Sitzen“ verhängt. Das halten wir für falsch.

Für richtig halten wir es dagegen, das Fahrverbot über das Vorhaben der Bundesregierung hinaus zur Hauptstrafe auszubauen. Wir haben derzeit zwei Arten von Hauptstrafen, die Geldstrafe und die Freiheitsstrafe. Das Fahrverbot könnte eine vernünftige, sinnvolle dritte Hauptstrafe werden. Natürlich darf es nur in geeigneten Fällen und nicht bei Schwerverbrechen verhängt werden. Es könnte ausgesprochen werden durch in Fällen leichter bis mittlerer Kriminalität, in denen es – ich sage es einmal salopp – dem Täter „wurscht“ ist, ob es eine Geldstrafe, welche vielleicht gar nicht einbringlich ist, oder eine kurze Freiheitsstrafe auf Bewährung bekommt, der aber sehr darunter leiden würde, wenn man ihm sein „liebstes Kind“, das Auto oder das Motorrad, verbieten würde. Der Ausbau des Fahrverbotes zu einer vollwertigen Hauptstrafe ist unser Anliegen. Dabei soll die dem geltenden Recht zugrunde liegende Beschränkung des Fahrverbots auf Taten, die im Zusammenhang mit einem Kraftfahrzeug begangen werden, wegfallen. Bisher kann ein Fahrverbot nur ausgesprochen werden, wenn Taten im Zusammenhang mit einem Kraftfahrzeug begangen worden sind. Es wäre jedoch durchaus möglich, auch gegen einen Täter, der sich z. B. gewalttätiger Übergriffe schuldig gemacht hat, ausschließlich oder neben einer anderen Strafe ein Fahrverbot zu verhängen. Ich habe vorhin schon einmal die Treffsicherheit der Strafen erwähnt. Ein Fahrverbot würde manchen Täter wohl härter treffen als eine Freiheitsstrafe auf Bewährung. Ein Fahrverbot würde vielfach eine nachhaltigere Warn- und Denkzettelwirkung entfalten als andere Strafen und infolgedessen für nicht wenige Fälle treffsicherer sein.

Wir sehen gegen ein solches Fahrverbot auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Wir halten es nicht für verfassungsrechtlich geboten, das Fahrverbot auf Straftaten einzuschränken, welche im Zusammenhang mit Kraftfahrzeugen begangen werden, und wir halten es für rechtspolitisch sinnvoll, mit dem Fahrverbot eine neue selbständige Hauptstrafe zu schaffen.

Zum Schluss, meine sehr verehrte Damen und Herren: Wir wollen, dass dieser Rechtsstaat gegenüber Verbrechern wehrhaft bleibt. Jede Milderung des Strafrechts ist der falsche Weg.

(Beifall bei der CSU)

Zum Schluss, meine sehr verehrten Damen und Herren: Wir wollen, dass dieser Rechtsstaat gegenüber Verbrechern wehrhaft bleibt. Jede Milderung des Strafrechts ist der falsche Weg.

(Beifall bei der CSU)

Nächster Redner ist Herr Kollege Dr. Hahnzog, bitte.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Offenbar war die Terminierung der Haushaltsberatungen mit schuld daran, dass heute zwei

rechtspolitische Themen hintereinander zur Beratung anstehen. Damals ist es allen Fraktionsführern nicht gelungen, genügend Leute hierher zu bringen, so dass wir heute die Debatten, die wir damals schon geführt haben, nochmals führen. Auch die Presseerklärung des Herrn Justizministers vom 1. November hat offenbar nicht genügend Verbreitung gefunden, so dass Herr Welnhofer sie heute nochmals vorlesen musste. Ich gehe darauf noch ein.

Wir unterscheiden uns im Grundverständnis. Wir sind der Auffassung, dass Resozialisierung der beste Schutz potenzieller Opfer ist. Wer resozialisiert ist, begeht nicht wieder solche Straftaten. Daran sollten wir uns orientieren. Sie haben ein völlig falsches Grundverständnis und stehen Ihren eigenen Aussagen diametral entgegen.

(Beifall bei der SPD)

In die politische Diskussion wird sehr vordergründig und aus meiner Sicht auch – man darf heute hier wohl viel sagen – verleumderisch die Argumentationslinie gebracht, was auch Herr Welnhofer getan hat, dass das strafrechtliche Sanktionensystem abgemildert werden solle und dass der strafrechtliche Schutz der Bürgerinnen und Bürger aufgeweicht werden solle. Der zentrale Punkt der Neuordnung des Sanktionensystems wird verschwiegen, dass nämlich in der überwiegenden Zahl von strafgerichtlichen Sanktionen bisher das Opfer das Nachsehen hatte. Zuerst kommt der Staat und vollstreckt die Geldstrafe, dann vollstreckt er die Kosten des Verfahrens, und dann kann das Opfer, das durch Diebstahl, Betrug, Untreue oder einen Verkehrsunfall Schaden erlitten hat, sehen, wie es an sein Geld kommt. Der zentrale Punkt der Änderung des Sanktionensystems, nämlich die Stellung des Opfers zu verbessern, wird verschwiegen. Selbstverständlich geht das etwas zu Lasten der Staatskasse; denn wenn die Ressourcen des Straftäters nicht unerschöpflich sind, hat das Opfer Vorrang. Das halten wir für gut, weil das Strafrecht auch dazu dienen soll, Rechtsbrüche wieder gutzumachen. In erster Linie kann man es bei vermögensrechtlichen Straftatbeständen und -strafen am ehesten regeln, dass der Schaden ersetzt wird.

Unter völlig falscher Flagge wird dieses Vorhaben angegriffen, das im Übrigen noch gar kein Vorhaben ist. Es gibt noch nicht einmal einen Referentenentwurf der Bundesregierung – ich habe mich erst gestern noch erkundigt –, sondern nur den Bericht einer Reformkommission, die noch unter den alten Mehrheitsverhältnissen eingesetzt worden ist. Die Arbeit der Kommission hat unendlich lange gedauert. Dank der Entschlusslosigkeit der alten Koalition wurde noch nicht einmal das Fahrverbot vorangebracht, Herr Kollege Welnhofer, weil damals keine Rechtspolitik stattfand; das nur als Nebenbemerkung.

Nun zu den Aussagen, dass die Bewährungsmöglichkeit in Zukunft bei der Verurteilung im Ersturteil von zwei auf drei Jahre hinaufgesetzt werden soll. Aus wissenschaftlichen Untersuchungen geht hervor, dass sich diejenigen, denen Bewährung gegeben wurde, anschließend sehr viel besser verhalten haben als diejenigen, bei denen nur der Vollzug anstand. Von vorzeitig Entlasse

nen waren 61% rückfällig bzw. auffällig, von jenen, die die Strafe voll verbüßten, 78%. Gerade das Interesse am Schutz der Opfer sollte dazu führen, in geeigneten Fällen Bewährung zu geben. Die Tatsache, dass Bewährung an sich keine Wohltat ist, erweist sich schon dadurch, dass bei Bewährung aus der Vollstreckung der Betroffene zustimmen muss. Wenn er aus dem Strafvollzug herauskommt, hängt nämlich ein Damoklesschwert über ihm: Der Rest seiner Strafe, den er nicht abgesessen hat, wird irgendwann fällig, wenn er ein anderes Delikt begeht. Im Einzelfall kann es sinnvoll sein – die Prüfungen sind sehr streng –, Bewährung zu geben, anstatt die Strafe ganz zu vollziehen. Das sollte man bedenken. Ähnlich ist es bei denjenigen, welche Bewährung nach der halben Zeit statt nach zwei Drittel bekommen haben. Von den Ersttätern, die Bewährung nach der halben Zeit bekommen haben, waren nur 43% rückfällig bzw. auffällig, von denjenigen, die voll in Anspruch genommen wurden, aber 67%.

Ihr Widerstand ist also kontraproduktiv und außerdem völlig abwegig. Der Anteil von Straftätern mit Strafen bis zu zwei Jahren, die vorzeitig mit Halbzeit entlassen wurden, beträgt bisher keine 50, keine 20 und keine 10%, sondern das sind gerade mal um die 2%. Das ergibt die sehr genaue Prüfung. Bei diesem Personenkreis hat sich das positiv ausgewirkt. Lassen Sie also die Kirche im Dorf und betrachten Sie das Vorhaben nicht nur unter Stammtischgesichtspunkten, sondern realistisch. Dann müssen Sie diese Diskussion in vielen Punkten konstruktiv begleiten, anstatt das Reformvorhaben voll abzulehnen.

Sie finden in mir jemanden, der das Fahrverbot sehr wohl für überlegenswert hält. Sie müssen dann aber angemessene Relationen schaffen. Ein Fahrverbot wird jemanden – wenn es nicht mit Straßenverkehrsdelikten im Zusammenhang steht –, der sein Auto nicht als Pendler braucht, der nicht Berufskraftfahrer ist, der vielleicht sogar einen Chauffeur hat, sehr viel weniger treffen als jemanden, der darauf angewiesen ist. Die Gerechtigkeit der Strafe muss weiterhin gewahrt werden. Das ist unser Ansatzpunkt. Bisher gibt es nur zwei Strafen. Die Freiheitsstrafe trifft alle gleich. Geldstrafen werden nicht mehr in absoluten Beträgen ausgedrückt, sondern in Tagessätzen, die sich daran orientieren, was der Einzelne verdient. So etwas muss auch für das Fahrverbot gelingen, damit die Gerechtigkeit nicht völlig ins Wanken gerät.

Von gemeinnütziger Arbeit als Sanktion wird viel zu wenig Gebrauch gemacht. Bisher wurde sie als Bewährungsauflage bei Ersatzfreiheitsstrafen angewendet. Man entnimmt Presseverlautbarungen des Justizministeriums immer wieder, dass das eigentlich besser werden müsste.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Prof. Dr. Vocke? –

Herr Dr. Hahnzog, Sie haben von Gerechtigkeit gesprochen. Die Bevölkerung erwartet, dass der Sühnegedanke im Vordergrund steht. Sie

behandeln das Ganze aus der Sicht des Täters. Das Opfer erwartet aber Sanktionen.

Herr Kollege, bitte stellen Sie eine Frage.

Wie wollen Sie das mit dem Sühnegedanken in Einklang bringen?