Protocol of the Session on November 9, 2000

Ja, da haben Sie wirklich noch viel Arbeit. Mit der Rede, die Sie heute gehalten haben, sind Sie fast ein Außenseiter in Ihrer Partei. Denn Sie haben versucht, wirtschaftsfreundlich zu sein.

(Beifall bei der CSU – Widerspruch bei Abgeordne- ten der SPD)

Von der billigen Polemik gegen die frühere Bundesregierung im sozialpolitischen Bereich haben Sie aber auch heute nicht lassen können. Warum ist denn kürzlich in einem Ihrer Parteigremien, möglicherweise gegen den Widerstand von Herrn Hoderlein und Ihnen, Herr Maget, beschlossen worden, die Rentenpolitik der Bundesregierung abzulehnen? Doch wohl wegen sozialer Schieflage. Weite Teile Ihrer Partei halten die Politik von Schröder offenbar für unsozial. Gegen diese Aussage protestieren Sie nicht einmal, Herr Maget. Da zucken Sie nur noch mit der Schulter. Laut dürfen Sie es nicht sagen; in Wirklichkeit sind Sie derselben Meinung. Die Menschen spüren, dass die Politik von Schröder, egal ob Renten- oder Steuerpolitik, über weite Strecken eine Politik auf Kosten der kleinen Leute ist.

(Beifall bei der CSU)

Vor acht Wochen konnte Herr Schröder vor Kraft kaum laufen – so ist er zumindest in die Sommerpause gegangen. Kann aber jetzt jemand sagen, welchen Kurs Ihr Kanzler und Parteivorsitzender in der Rentenfrage hat?

(Frau Radermacher (SPD): Das werden Sie schon noch sehen!)

Haben Sie eine Ahnung, wie sich Kanzler und Bundesregierung die künftige Gesundheitspolitik vorstellen? Haben Sie eine Ahnung, welche Vorstellungen der Kanzler in der Europapolitik hat? Schröder beginnt zu taktieren, weil er der Gefangene der Traditionsflügel in der SPD und in den Gewerkschaften geworden ist.

(Frau Paulig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da sehen Sie, was die GRÜNEN noch leisten müssen!)

Die Ökosteuer war ein Zeichen der Ermutigung für die Ölkonzerne, dass Öl in Deutschland ruhig teurer werden kann.

(Beifall bei der CSU – Widerspruch bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein Wort zu den Straßenbaumitteln.

(Widerspruch des Abgeordneten Hoderlein (SPD))

Herr Hoderlein, wenn Sie es schon als stark empfinden, dass der Flächenstaat Bayern wenigstens einen Teil dessen bekommt, was ihm zusteht, finde ich das reichlich merkwürdig. Wir sind doch nicht in einer Nation, in der man nach Gutsherrenart gönnerhaft etwas verteilt, was den Empfängern ohnehin zusteht. Die Ansätze für den Straßenbau sind weit unter dem geblieben, was für Bayern notwendig wäre. Deshalb ist es kein besonderes Verdienst, sondern in einem geordneten Rechtsstaat eine Selbstverständlichkeit, dass der Freistaat Bayern bekommt, was ihm zusteht.

(Beifall bei der CSU)

Cabaretreif waren Ihre Ausführungen, Herr Maget, zu den Verdiensten der SPD um München und um die Medienpolitik.

(Frau Radermacher (SPD): Das heißt „kabarettreif“! Das andere ist das mit den nackten Mädchen!)

Wahrscheinlich haben Sie sich mit Herrn Ude, der Kabaretterfahrung hat, darüber ausführlich unterhalten. Mit der tatsächlichen Politik hat das aber nichts zu tun. Können Sie sich noch daran erinnern, mit welcher Polemik Sie im Hause agiert haben, als insbesondere Edmund Stoiber die Weichen für eine neue Medienpolitik gestellt hat, mit welcher Leidenschaft Sie dagegen angekämpft haben, dass mit der Mediengesetzgebung der Weg für die Entwicklung des Medienstandorts Bayern geöffnet wurde, wie sehr Sie dagegen polemisiert haben, dass damit das Monopol der öffentlich-rechtlichen Anstalten gebrochen werde, wie Sie mit Schaum vor dem Mund und moralischer Keule dagegen angegangen sind?

(Maget (SPD): Wann soll das gewesen sein?)

Und jetzt stellen Sie sich hier her und sagen: „Wir sind die Helden der Medienpolitik!“

(Beifall bei der CSU – Widerspruch bei der SPD – Zuruf des Abgeordneten Hoderlein (SPD))

Herr Hoderlein, ich spreche von der Zeit, die ausschlaggebend dafür war, wo sich Medienstandorte in Deutschland entwickeln. Hätten CSU und Staatsregierung die Bedeutung der neuen Medien erst so spät wie die SPD in Bayern entdeckt, hätten sich Köln und andere Standorte längst so entwickelt, dass wir keine Chance mehr hätten.

(Beifall bei der CSU – Widerspruch bei der SPD)

Und dann haben Sie auch noch die Entwicklung der Region München zum Verdienst der hiesigen Stadtpolitik erklärt, Herr Maget. Ich weiß, dass es in Ihrer Fraktion, wie in unserer auch, Spannungen gibt, weil der Großraum München und die Münchner Stadtpolitik aus strukturellen Gründen von den politischen Rahmenbedingungen in besonderer Weise profitieren. Ich gebe durchaus zu, dass Herr Ude in diesem Punkt sehr viel offener und realistischer als sein Vorgänger Kronawitter ist. Herr Ude kann seine Stadtpolitik aber nur gestalten, weil die Landespolitik die Voraussetzungen für die Dynamik in der Region München schafft. Wenn Sie das verdrehen und sagen, die Stadtpolitik von München sei ausschlaggebend für die Dynamik der Region, weiß ich nicht, ob das Unverfrorenheit, Kurzsichtigkeit oder „politische Brille“ ist – falsch ist es auf jeden Fall.

(Beifall bei der CSU – Widerspruch bei der SPD)

Die Viag ist eine Erfolgsgeschichte bayerischer Standortpolitik.

(Maget (SPD): War!)

War und ist, Herr Maget. Sie hatte zu jeder Zeit ihre eigenen Entwicklungsschritte. Seinerzeit war es wichtig, Bayernwerk und Viag zusammenzuführen und damit die Viag nach München und Bayern zu bekommen. Denn dadurch wurden wichtige Impulse im industriellen Bereich gegeben, und es war die Voraussetzung dafür,

dass München der Standort für die neue Branche Mobilfunk geworden ist. Ohne die Vereinigung von Viag und Bayernwerk wäre dies nicht möglich gewesen.

Aus dieser Zusammenarbeit hat sich die Basis für die Privatisierungserlöse ergeben, die ihrerseits die finanzielle Voraussetzung für die Zukunftsoffensive Bayern sind, und die Sie anfangs leidenschaftlich bekämpft haben. Noch Ihr damaliger Fraktionsvorsitzender Albert Schmid hat gesagt, diese Mittel müssten für die Bauindustrie ausgegeben werden, weil dies Arbeitsplätze schaffe. Er hat behauptet, diese Mittel sollten nicht für moderne Technologien verwendet werden. Durch die wirtschaftliche Entwicklung, insbesondere durch die Liberalisierung auf dem Strommarkt, hatten die Bayernwerke allein auf Dauer keine Zukunft. Dies war die Schubkraft für den Zusammenschluss der Veba und der Viag, der richtig war. Als Konsequenz der Privatisierung wurden dann Standortentscheidungen von den Unternehmen getroffen, was wir kritisieren. Die norddeutschen Vorstandsvorsitzenden kennen offenbar nicht die bayerische Art der Zusammenarbeit, also die Abstimmung von Entscheidungen zwischen Unternehmen und der Politik, die nötig ist, wenn man der Verantwortung für die Entwicklung in dieser Region Rechnung tragen will. Dies kritisieren wir.

Wir wissen, dass die Unternehmen letztlich eigenverantwortlich entscheiden müssen und in einem Wettbewerb stehen. Das gilt für Siemens genauso wie für e.on oder BMW. Zur bayerischen Kultur der Zusammenarbeit gehört es aber, dass auch Unternehmen dieser Art sich mit der Staatsregierung beraten, wie eine solche Entwicklung gestaltet werden kann. Den Verantwortlichen bei e.on, die mit der bayerischen Politik offenbar noch keine Erfahrungen haben, sind solche Formen der Zusammenarbeit zwischen Landespolitik und Konzernleitung von ihren früheren Standorten nicht gewöhnt. Deshalb ist es zu einem Konflikt gekommen.

Ich bleibe dabei: Die Viag ist auch deshalb eine große Erfolgsgeschichte, weil man immer wieder für den nächsten notwendigen Schritt offen war. Hätten wir dieses Unternehmen zu spät verkauft, hätten wir nicht mehr so hohe Erlöse erzielt, die für unsere Landespolitik wichtig sind. Herr Kollege Maget, ich möchte darauf hinweisen, dass der Haushaltsausschuss nach meiner Erinnerung diesem Vertrag einstimmig zugestimmt hat. Sie waren mit im Boot. Wenn Sie heute nichts zu kritisieren hätten, hätten Sie wahrscheinlich behauptet, dass die SPD den Anstoß zu diesem Vertrag gegeben hätte. Bei Ihrer Bescheidenheit haben Sie das heute jedoch nicht so dargestellt.

(Beifall bei der CSU)

Geradezu absurd sind Ihre Äußerungen zur bayerischen Schulpolitik. Wie lange ist in diesem Haus für eine Gesamtschule gekämpft worden? Sie haben im letzten Jahr noch nicht genau gewusst, wofür Sie plädieren sollen. Einige SPD-Kollegen waren für die Gesamtschule, während andere über die Leistungsorientierung gesprochen haben.

(Beifall bei der CSU – Frau Radermacher (SPD): Das eine schließt das andere nicht aus!)

Das eine schließt das andere sehr wohl aus. Frau Kollegin Radermacher, Sie nehmen immer die Sowohl-alsauch-Position ein.

(Beifall bei der CSU – Frau Radermacher (SPD): Lesen Sie einmal die Untersuchungsberichte durch!)

Die Bankrotterklärung der Gesamtschule hinsichtlich der Wissensvermittlung und ihrem erzieherischen und sozialen Effekt ist überall in Deutschland bekannt. Ihr Zwischenruf beweist, dass sich diese Erkenntnis in der SPD-Landtagsfraktion noch nicht in ausreichendem Maße durchgesetzt hat.

(Beifall bei der CSU)

Auch die Orientierungsstufe in München ist bankrott. Sie wird nur noch von Ex-OB Kronawitter verteidigt. Aber selbst die Initiatoren der Orientierungsstufe haben mittlerweile erklärt, dass sie keine Zukunft hätte, weil damit Kindern wichtige Entwicklungschancen vorenthalten würden und eine begabungsgerechte differenzierte Förderung nicht möglich sei. Meine Damen und Herren, der Ministerpräsident hat bereits angesprochen, dass Sie für diese Politik Ihre Quittung beim Volksbegehren bekommen haben. Die bayerische Bevölkerung hat Ihnen deutlich gezeigt, was sie von Ihrer Schulpolitik hält. Wir wissen, dass in der Schulpolitik vieles weiter zu entwickeln ist. Ich traue mich jedoch zu sagen: Das bayerische Schulwesen kann sich mit jedem Schulwesen in Deutschland messen. Es ist besser als alle Schulwesen, die in Ländern bestehen, in denen die SPD regiert.

(Beifall bei der CSU)

Herr Kollege Maget, Sie hängen alten Bildungsklischees an. Deshalb nennen Sie immer wieder als Maßstab die Zahl der Abiturienten. Sollen wir vielleicht ein Billigabitur ausgeben, wie in Ländern, in denen die SPD regiert, damit wir möglichst viele Abiturienten haben?

(Beifall bei der CSU)

Hat es sich bei Ihnen noch nicht herumgesprochen, dass für viele Begabungen der berufsbezogene Bildungsweg erfolgreicher ist? Sie haben auch in diesem Feld Nachholbedarf. Sie versuchen, die CSU nachzuahmen. Das gilt auch für die Familienpolitik, wie sie der Ministerpräsident dargestellt hat. Meine Damen und Herren, was sind die großen Aufgaben der nächsten Jahre? Ich nenne folgende Punkte:

Erstens. Die Weiterführung der Zukunftsoffensive Bayern. Wir haben eine außerordentlich erfolgreiche Entwicklung, die sich an vielen Zahlen und Lebenswirklichkeiten darstellen lässt. Dies ist für uns jedoch kein Anlass für Stillstand; denn die Welt entwickelt sich dynamisch weiter. Wir müssen unserer Bevölkerung immer wieder deutlich machen, dass der Maßstab für das Notwendige die Weltspitze ist. Es ist anstrengend, auf Dauer in der Weltspitze dabei zu sein. Dem einen oder

anderen mag es übertrieben erscheinen, diesen Maßstab anzulegen. Wenn wir jedoch bei unseren Ansprüchen Weltspitze sind, zum Beispiel im öffentlichen und privaten Lebensstandard, müssen wir auch in unserer Leistungsfähigkeit Weltspitze sein.

Zweitens. In den nächsten Jahren müssen wir den Weg in die Wissensgesellschaft gestalten. Deshalb ist in diesem Haushalt die Bildungspolitik ein besonderer Schwerpunkt. Ich möchte nur zwei Begriffe nennen, die mir besonders wichtig erscheinen. Über die Details werden wir morgen diskutieren. Der erste Punkt ist der Maßstab „Chancengerechtigkeit“. In Bayern sind die öffentlichen Schulen nicht schlechter als die Privatschulen. Dies ist im internationalen Vergleich ein ungeheuer wichtiges soziales Element; denn in den allermeisten Ländern sind die Privatschulen deutlich besser als die öffentlichen Schulen. Dort haben nur diejenigen Kinder wirkliche Aufstiegschancen, deren Eltern es sich leisten können, ihre Kinder auf eine Privatschule zu schicken. Im Sinne einer guten Sozial– und Gesellschaftspolitik brauchen wir deshalb ein Schulwesen, das eine Chancengerechtigkeit im Hinblick auf den Zugang zu den Bildungsmöglichkeiten unserer Zeit gewährleistet. Bayern hat hier einen Maßstab erreicht, den es nirgendwo sonst auf der Welt gibt. Diesen Maßstab müssen wir weiter ausbauen.

(Beifall bei der CSU)

Für uns ist dies ein entscheidendes Kapitel der Gesellschaftspolitik in einer Umbruchzeit.

Ich möchte als zweiten Orientierungspunkt auf dem Schulsektor die Persönlichkeitsbildung nennen. Der Ministerpräsident hat in seiner Rede wiederholt die Bedeutung der Erziehung anklingen lassen. Herr Kollege Maget, es wäre zu vordergründig, die Modernität und Zeitgemäßheit des Schulwesens nur an der Zahl der Computer und der Internetanschlüsse zu messen. Natürlich ist der Computer heute ein wichtiges Handwerkszeug, wie dies früher etwa der Taschenrechner gewesen ist. Entscheidend ist jedoch, was wir uns unter Bildung und Persönlichkeitsbildung vorstellen. Darüber müssen wir mit den Eltern und der Öffentlichkeit intensiv diskutieren, weil es hier gilt, in einer Welt unterschiedlicher Erziehungsstile und Wertvorstellungen Maßstäbe zu setzen. Dies ist nötig, damit die Persönlichkeitsbildung auch an den öffentlichen Schulen gelingen kann.

Drittens. Wir werden besonders darauf achten, dass Leistungsfähigkeit und Menschlichkeit miteinander verbunden sind. Dies ist das Konzept der CSU zur aktiven Bürgergesellschaft auf der Basis einer Wertorientierung auf dem christlichen Menschenbild, der Entfaltung einer Kultur der Verantwortung für sich selbst, für die Mitmenschen, für das Gemeinwesen und für die Zukunft und einer Strukturgliederung konsequent nach dem Subsidiaritätsprinzip. Wir werden darauf achten müssen, dass sich nicht nur Technik und Wissenschaft weiter entwickeln, sondern dass sich auch unser Gemeinwesen immer weiter entwickelt und im Inneren lebendig bleibt.

Dazu zählen die Weiterentwicklung des Sozialstaates, die Bedeutung des Gemeinschaftslebens und die