Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Elisabeth Köhler, Münzel, Schopper und Fraktion (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)
Gesetzesauftrag erfüllen: Plurales Angebot in der Schwangerenkonfliktberatung sicherstellen (Druck- sache 14/4455)
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Werner-Muggendorfer, Lochner-Fischer, Steiger und anderer und Fraktion (SPD)
Sicherstellung eines flächendeckenden und pluralen Angebots der Schwangerenkonfliktberatung in Bayern (Drucksache 14/4477)
Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Wortmeldungen? – Frau Kollegin Münzel. Ich darf noch an unsere neue Verabredung erinnern: Jede Fraktion hat für die Beratung der Dringlichkeitsanträge 45 Minuten und entscheidet selbst, wieviel Zeit auf welchen Antrag verwendet wird. Bitte schön, Frau Kollegin.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Der Beschluss der katholischen Kirche, zu Beginn des Jahres 2001 aus der Schwangerenkonfliktberatung auszusteigen, macht die Neuordnung der Beratungslandschaft notwendig. Diese Neuordnung eröffnet nun auch die Chance, einem wirklich pluralen Angebot bei der Schwangerenkonfliktberatung, so wie es das Gesetz vorschreibt, zumindest einen Schritt näher zu kommen.
Es ist um so notwendiger, einen weiteren Träger zu berücksichtigen, als wir nachweislich weniger Beraterinnen haben als gesetzlich gefordert. Wie sieht die Situation zur Zeit aus? – Einerseits haben sich auf katholischer Seite zwei Laienorganisationen gegründet, die die Schwangerenkonfliktberatung übernehmen wollen: Donum Vitae und Frauen beraten e.V. Anderseits hat die weltanschaulich neutrale Organisation Pro Familia Anträge gestellt, Schwangerenkonfliktberatung zu übernehmen, wobei Pro Familia nie einen Alleinvertretungsanspruch formuliert hat. Die Situation ist die: Der Sozialdienst katholischer Frauen und die Caritas gehen raus, und die frei werdenden Stellen können neu verteilt werden, und zwar zwischen den neu gegründeten Organisationen und der bewährten Organisation Pro Familia. Ich möchte noch einmal betonen: Pro Familia möchte nicht alle frei werdenden Stellen übernehmen, sondern an den frei werdenden Stellen angemessen beteiligt werden.
Frau Staatsministerin Stamm allerdings favorisiert Donum Vitae, und das ganz besonders in ihrer Heimat Unterfranken. Das „Stammland“ von Frau Stamm soll offensichtlich katholisch bleiben.
Dabei, Herr Kollege Ritter, verstehe ich die Nibelungentreue zur katholischen Kirche nicht. Schließlich war es die katholische Kirche, die die Staatsregierung veranlasste, die unwürdigen bayerischen Sondergesetze zum § 218 des Strafgesetzbuches im Landtag durchzupeitschen.
Schließlich war es die katholische Kirche, die die Staatsregierung bis vor das Bundesverfassungsgericht trieb und ihr dort eine „grandiose“ Niederlage bescherte, und schließlich war es die katholische Kirche, die die Staatsregierung trotz allem schmählich im Stich ließ und trotz all der Kniefälle der Staatsregierung vor der katholischen Kirche den Beschluss zum Ausstieg fasste. Selbst ein erneutes Zugehen der Staatsregierung auf die katholische Kirche, in diesem Fall auf die katholischen Laienorganisationen, indem sie den staatlichen Zuschuss für die Beratungsstellen von 50% auf 65% erhöhte, hat nichts genutzt. Jetzt greift Kardinal Ratzinger persönlich und direkt ein und will auch die katholischen Laienorganisationen verhindern. Frau Stamm macht einen Kniefall nach dem anderen und bekommt dafür einen Tritt nach dem anderen.
Ich frage Sie, Frau Staatsministerin, wie lange wollen Sie sich eigentlich noch demütigen lassen? – Befreien Sie sich aus der Umklammerung der katholischen Kirche und berücksichtigen Sie verlässliche Partner wie Pro Familia. Machen Sie einen Anfang und beauftragen und fördern Sie Pro Familia dort, wo diese den Antrag gestellt hat.
Machen Sie dem Trauerspiel um Pro Familia ein Ende – auch in Unterfranken, auch in der Oberpfalz. Das hätte zwei Vorteile. Erstens würden Sie dem Gesetz Genüge tun, das ausdrücklich ein plurales, wohnortnahes Beratungsangebot vorschreibt. Zweitens würden Sie den ratsuchenden Frauen einen großen Gefallen tun. Diese hätten dann eine echte Wahl und könnten sich dort beraten lassen, wo sie sich wohl fühlen, wo sie Vertrauen haben, wo sie sich nicht bevormundet fühlen.
Kolleginnen und Kollegen, das Schwangerschaftskonfliktgesetz verpflichtet die Staatsregierung, ein wohnortnahes, plurales Beratungsangebot sicherzustellen. Das Verwaltungsgericht Regensburg hat übrigens festgestellt, dass die Auffassung der Staatsregierung, Pluralität sei bereits bei zwei verschiedenen Trägern, zum Beispiel Gesundheitsamt und Caritas, gegeben, rechtswidrig sei. Ein duales System ist noch kein plurales System. Von Pluralität sind wir demnach in Bayern noch weit entfernt. Nur neun der 116 staatlich anerkannten Beratungsstellen haben keinen kirchlichen oder staatlichen Träger. In vier von sieben Regierungsbezirken gibt es keine ProFamilia-Beratungsstellen.
Dabei ist der Bedarf an Beratung bei der weltanschaulich neutralen Organisationen Pro Familia groß. Ich nenne Ihnen ein Beispiel aus unserer Heimat, Frau Stamm, Würzburg. Pro Familia hat am 05.10.1999 die staatliche Anerkennung nach § 8 des Schwangerenberatungsgesetzes bekommen, und seit dem 18.10.1999 können sich Frauen auch bei Pro Familia beraten lassen. Allerdings bekommt Pro Familia dafür keinen einzigen Pfennig staatlichen Zuschuss. Bis Ende Juli 2000 haben sich 99 Frauen beraten lassen. Nach Angaben von Pro Familia mussten sie im Bereich der Konfliktberatung wegen ihrer beschränkten Kapazität im gleichen Zeitraum 130 anfragende Frauen weiterverweisen. Ich denke, das ist ein ausdrucksvolles Beispiel, wie sehr Pro Familia gebraucht wird.
Pro Familia Würzburg hat einen Antrag auf Zuteilung eines Einzugsgebiets gestellt für die Region Untermain, also Miltenberg und Aschaffenburg, und die Region Würzburg, Main-Spessart, Kitzingen. Ich sehe nicht ein, weshalb Frauen in diesen Regionen nicht auf ein weltanschaulich neutrales Angebot zurückgreifen dürfen. Die Zeit der Bevormundung muss zu Ende gehen – auch für die Frauen, die nicht in Großstädten wie München, Nürnberg und Augsburg wohnen. Die Zeit der Bevormundung muss auch für die Frauen, die in ländlichen Gebieten wohnen, zu Ende gehen.
Für mich ist nicht einsehbar, weshalb ein erfahrener Träger wie Pro Familia jetzt, wo durch den Rückzug der katholischen Kirche eine Versorgungslücke entsteht und wo händeringend nach neuen Organisationen gesucht wird, sie nicht mit berücksichtigt wird. Neben der Strategie, die katholischen Organisationen zu bevorzugen, verfolgt die Staatsregierung auch die Strategie, entstehende Lücken durch die Gesundheitsämter schließen zu lassen. Diese Strategie dient eindeutig der Ausgrenzung von Pro Familia.
Dass ihre Strategie der Ausgrenzung gesetzlich nicht in Ordnung ist, wurde der Staatsregierung durch das Verwaltungsgericht Regensburg gerichtlich deutlich gemacht.
So verpflichtete das Verwaltungsgericht Regensburg die Staatsregierung dazu, Pro Familia Regensburg einen festen Einzugsbereich zuzuweisen und die gesetzliche Förderung zu bewilligen. Das Gericht machte also nicht nur deutlich, dass Pluralität nicht mit zwei Trägern erreicht ist, sondern auch, dass alle Anträge von freien Trägern auf Anerkennung und Förderung von Schwangerenberatungsstellen Vorrang vor der Tätigkeit staatlicher und kommunaler Gesundheitsämter haben. Subsidiarität nennt man das. In Sonntagsreden legen die Staatsregierung und die Kolleginnen und Kollegen von der CSU immer sehr viel Wert auf Subsidiarität, wenn es ihnen in den Kram passt, zum Beispiel beim Roten Kreuz. Dieses so hoch gehaltene Prinzip wird aber sehr schnell fallen gelassen, wenn CSU und Staatsregierung die Organisation nicht passt. Deshalb legte die Staatsregierung im Fall Pro Familia Regensburg leider Revision ein. Nehmen Sie doch zumindest jetzt in einem ersten Schritt die Revision in Regensburg zurück. Auf die Katholische Kirche müssen sie keine Rücksicht mehr nehmen; denn Frau Stamm wird von ihr notfalls sowieso im Stich gelassen.
Nun hat es die Staatsregierung den Bezirksregierungen zur Aufgabe gemacht – und es so in das Gesetz hineingeschrieben –, die zu fördernden Träger neu zu bestimmen. Die größten Probleme hat meinen Informationen nach Pro Familia in Unterfranken und in der Oberpfalz. Der unterfränkische Regierungspräsident heißt Dr. Beinhofer. Meine Kollegin Maria Schwarzenberg, die aus der Oberpfalz kommt, hat mir heute Vormittag erzählt, dass Dr. Beinhofer bis Mitte Mai Vizepräsident der Regierung der Oberpfalz war. Ist das nicht ein seltsamer Zusammenhang? Ein Schelm, der dabei Böses denkt. Dass diese beiden Regierungsbezirke die größten Schwierigkeiten haben, ist also kein Zufall, sondern heißt Dr. Beinhofer. Mich empört, dass ein Mann, Dr. Beinhofer, darüber bestimmen darf, welches Beratungsangebot die Frauen wahrnehmen dürfen, und die Staatsregierung unternimmt nichts, im Gegenteil: Staatsregierung und Frau Staatsministerin Stamm sehen es mit Genugtuung und greifen nicht ein. Das ist ein Skandal.
Gerade vor diesem Hintergrund fordern wir Sie eindringlich auf, alles zu tun, um Pro Familia angemessen zu beteiligen und dem Gesetzesauftrag Pluralität zu entsprechen.
Abschließend noch ein Wort zum Dringlichkeitsantrag der SPD. Wir werden uns bei der Abstimmung enthalten. Denn im ersten Spiegelstrich fordert die SPD, den Verein Donum Vitae darin zu bestärken, in das System der staatlichen Beratung einzusteigen. Nichts gegen Donum Vitae, aber es ist eine rein innerkirchliche Angelegenheit, ob sich dieser Verein an der Schwangerenkonfliktberatung beteiligt oder nicht. Dieses innerkirchliche Problem müssen die Beteiligten selbst auf die Reihe bekommen.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich nehme den letzten Satz meiner Vorrednerin auf. Denn hier zeigt sich ein deutlicher Unterschied zwischen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD. Wir sind nicht der Ansicht, dass es eine innerkirchliche Frage ist, ob es Beratungsstellen für Katholikinnen gibt oder nicht. Das liegt in staatlicher Verantwortung. Sowohl der Bundesgesetzgeber als auch der Landesgesetzgeber wollten ein plurales Angebot. Plural definiert man in Bayern nun einmal nicht ohne katholisches Beratungsangebot. Deshalb haben wir den Dringlichkeitsantrag in der vorliegenden Form gestellt. Wir hoffen auch, dass sich das Hohe Haus heute hinter die Sozialministerin und ihre Bemühungen stellt und trotz der Schwierigkeiten und Streitigkeiten innerhalb der katholischen Kirche für ein katholisches Beratungsangebot kämpft.
Darin besteht Ihre Aufgabe als Ministerin im Vollzug der Gesetze, die wir auf Bundesebene gemeinsam mit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tragen. Pro Familia ist eine unheimlich wichtige Organisation, kann aber nur einen Teil des Beratungsangebots abdecken.
Ich glaube, es ist Zeit, dass das Haus nicht nur Pressemeldungen ansieht und im Übrigen zusieht, wie sich Kardinal Ratzinger ganz offensichtlich in immer deutlicheren Worten mit Teilen der Staatsregierung kloppt, während die katholischen Laien dankenswerterweise sehr offen und klar dagegenhalten. Wir müssen zu erkennen geben, kein Verständnis dafür zu haben, dass ein Teil der katholischen Kirche versucht, das Ministerium und die ausführenden Organe daran zu hindern, ihren Aufgaben nachzukommen. Wir müssen die Angriffe von Kardinal Ratzinger auf Frau Stamm und andere in diesem Hohen Haus entschieden zurückweisen.
Wir sollten auch deutlich machen, dass wir in Bayern ein plurales Angebot wollen. Die SPD fordert dies schon seit Jahren. Pluralität war schon bisher nicht sicher gestellt und ist es jetzt noch weniger.
Bisher war die Pluralität, solange es den SKF gab oder gibt, nicht sicher gestellt, weil es in vielen Bezirken Pro Familie mit staatlich finanzierter Beratung noch nicht gibt. Die Anträge dafür liegen jedoch vor. Sie sollten endlich genehmigt werden. Ich finde es gut, Frau Staatsministerin, dass sie einer Besprechung mit den Bezirken
diese nochmals darauf hingewiesen haben, wie notwendig ein plurales Beratungsangebot ist – ich zitiere –:
Es sollte immer ein konfessionsfreies und ein kirchlich orientiertes Beratungsangebot am Standort vorhanden sein.
Meine Partei, ich – und offensichtlich auch Sie – haben kein Verständnis dafür, warum Beratungsstellen in Würzburg und in Regensburg immer noch nicht genehmigt und finanziell unterstützt werden.
Für mich ist nicht nachvollziehbar – und für Juristinnen und Juristen wahrscheinlich noch viel weniger –, warum einerseits ein Gerichtsverfahren zugunsten von Pro Familia Regensburg ausgeht, in dem der Staat verpflichtet wird, ein Einzugsgebiet festzulegen, das es angeblich gar nicht gibt, der Staat dann gegen das Gerichtsurteil Revision eingelegt, und andererseits Monate später dem neu gegründeten Verein Donum Vitae ein Einzugsgebiet, das nun offensichtlich doch vorhanden ist, zugewiesen und sofort genehmigt wird.
Ich nehme an, dass die Juristen, die den Freistaat Bayern in der Revision vertreten, mit dieser politischen Entscheidung enorme Probleme haben werden. Deshalb fordern wir die Staatsregierung auf, das unwürdige Verfahren endlich zu beenden.
Ziehen Sie den Einspruch gegen den Gerichtsentscheid zurück. Erkennen Sie Pro Familia Regensburg nicht nur an, sondern nehmen Sie diese Einrichtung in die staatliche Förderung auf, und zwar genau so, wie es Frau Staatsministerin den Bezirken offensichtlich gesagt hat.
Nun zu den anderen genehmigten Stellen. Wir haben in unserem Antrag, anders als die GRÜNEN, ausdrücklich gefordert, dass die bereits von Pro Familia benannten Stellen, die noch nicht in der staatlichen Förderung sind, umgehend genehmigt werden müssen. Die Verunsicherung ging mit den Sondergesetzen los. Diese Sondergesetze – darauf verweisen auch die katholischen Laien – waren der Versuch, der katholischen Amtskirche so weit entgegen zu kommen, damit die jetzige Situation nicht eintritt. Diese Sondergesetze haben also nichts genützt. Sie haben Menschen wie Kardinal Ratzinger nicht davon abgehalten, ihren harten Kurs gegenüber der Staatsregierung beizubehalten. Dieses Verfahren hat Frauen und Beraterinnen enorm verunsichert. Es wird Zeit, dass wir diese Verunsicherung durch unsere Politik endlich ausräumen. Das schaffen wir nur, wenn die Beratungsstellen von Pro Familia und von Donum Vitae schnell anerkannt werden. Dies gilt auch für Beratungsstellen anderer Träger.