Um die strukturelle Problematik dieser Region darzustellen, will ich zwei Zahlen nennen: Noch vor 20 Jahren gab es in Arzberg 2800 Arbeitsplätze in der keramischen Industrie. Heute sind es 270. Die Entwicklung in Arzberg ist eine Entwicklung, die in der ganzen Region stattfindet. Wir stehen in einem strukturellen Umbruch, und deshalb ist es unverantwortlich, ausgerechnet dort, wo die strukturelle Not am größten ist, die Stilllegung vorzunehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich werde Ihnen noch Folgendes sagen: Ich habe mich mit einem
Brief nicht nur an Ministerpräsident Stoiber und die Kollegen Wiesheu und Huber gewandt, sondern auch an Bundeswirtschaftsminister Müller. Er hat zurückgeschrieben, der e.on-Konzern – ähnlich wie RWE – muss Kraftwerke abschalten, die keine Rendite bringen. Das sind die Unternehmen ihren Aktionären schuldig. Dazu sage ich: Wenn e.on, ein global player, so etwas sagt, habe ich noch Verständnis. Aber wenn ein Bundeswirtschaftsminister, der für die strukturelle Entwicklung des ganzen Landes verantwortlich ist, so etwas sagt, dann halte ich das für verantwortungslos.
Es ist bereits gesagt worden, in Arzberg wird ein Kraftwerk geschlossen, das umweltfreundlich ist. 30 Millionen DM an Staatsmitteln sind investiert worden. Ich bin der Meinung, wenn wir schon keine rechtliche Handhabe haben, diese Mittel zurückzufordern, gibt es für e.on die moralische Verpflichtung, mit diesen Mitteln etwas für die Region zu tun. Herr Minister, ich habe Sie so verstanden, dass Sie das auch ansteuern.
Ich bin der Meinung, dass e.on in Arzberg vertragsbrüchig wird. Es gibt einen Vertrag mit Tschechien über die Lieferung von Kohle bis zum Jahr 2005. Herr Kollege Schläger, darauf habe ich mich bezogen, als die Frage anstand, hat das Kraftwerk Arzberg eine Zukunft. Ich halte es für einen Affront gegenüber den Tschechen, wenn wir diesen Vertrag einfach kündigen, ein Affront auch deshalb, weil diese Lieferungen auch in schwieriger Zeit – auch nach 1945 – erfolgt sind.
Ich denke, wir müssen das Ziel verfolgen, den Zeitpunkt hinauszuschieben, möglichst viel zu erhalten und alternative Arbeitsplätze anzubieten, wenn sich die Kraftwerke nicht halten lassen. Ich denke, dazu muss in einer Kooperation von Staatsregierung und e.on das Notwendige getan werden. Ich sage deutlich, ich will mich bei dieser Gelegenheit bei der Staatsregierung, beim Ministerpräsidenten und bei den beteiligten Ministern herzlich bedanken. Sie waren bereit, mit uns zu sprechen. Sie waren bereit, mit den Bürgermeistern zu sprechen. Sie waren bereit, mit den Betriebsräten zu sprechen. Das ist ein Zeichen dafür, dass sie bereit sind, sich der Dinge anzunehmen. Wenn wir in Arzberg und anderswo heute ein bisschen hoffnungsvoller in die Zukunft blicken, dann ist das das Verdienst der Bayerischen Staatsregierung und nicht das Verdienst der Bundesregierung.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die beiden Staatsminister Dr. Wiesheu und Erwin Huber haben heute Nachmittag den untauglichen Versuch unternommen, mit Aggressivität und Polemik von der eigenen politischen Verantwortung abzulenken.
Für die Arbeitsplatzverluste an den Kraftwerksstandorten gibt es zwei wesentliche Ursachen: Erstens die überstürzte Freigabe und Liberalisierung des Strommarkts in der Bundesrepublik Deutschland. Diese Liberalisierung hat die alte Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP zu verantworten.
Herr Kollege Dinglreiter, die SPD hat dem im Deutschen Bundestag nicht zugestimmt. Selbstverständlich war die Liberalisierung aufgrund der Vorgaben der EU-Richtlinie unumgänglich notwendig, aber nicht so überstürzt und ohne zeitliche Übergangsfristen, wie in Deutschland geschehen.
Die Franzosen haben bis heute noch nicht liberalisiert. Der französische Atomstrom der EdF wird in Deutschland verkauft. Die Franzosen kaufen sich in deutsche Firmen ein, zum Beispiel in die baden-württembergische Energieversorgung. Yello-Strom gehört zum Teil schon heute dem französischen Staatsunternehmen EdF. Die Erklärung des Wirtschaftsministers, die Kraftwerksstandorte gingen deshalb über die Wupper, weil der Strom aus erneuerbarer Energie auf den Markt dränge und die Franzosen deshalb sagten, sie müssten die Liberalisierung hinausschieben, ist geradezu abenteuerlich. In Wahrheit waren es unternehmensstrategische Überlegungen Frankreichs, wonach der europäische Markt aufgerollt werden sollte, und wir sind den Franzosen auch noch entgegen gekommen und haben sie eingeladen, zum Stromverkauf und zur Unternehmensbeteiligung nach Deutschland zu kommen. Dass die Franzosen von der Regierung abgemahnt werden mussten, hatte auch innenpolitische Gründe. Die kommunistische Gewerkschaft bei der EdF ist sehr stark, und die Kommunisten sind Koalitionspartner in der Regierung. Selbstverständlich verzögern sie die Liberalisierung in Frankreich. Nur wir sind vorneweg marschiert und haben jetzt die Quittung dafür bekommen.
Wir haben bei einer Gesamtkapazität von 100000 Megawatt in der Energieproduktion 30000 Megawatt Überkapazität. Denn im letzten Jahr lag die höchste Auslastung bei nur 70000 Megawatt. Das sind die wahren Gründe für die Arbeitsplatzverluste an den Kraftwerksstandorten. Sie haben dieser Form der Liberalisierung der Energiepolitik im Deutschen Bundestag im Jahr 1998 zugestimmt, und deshalb sollten Sie jetzt zu Ihrer Verantwortung dafür stehen.
Der zweite Grund für die Arbeitsplatzverluste an den Kraftwerksstandorten liegt in strategischen Fehlleistungen der Staatsregierung und insbesondere des Ministerpräsidenten. Ich darf an die Fusionsplanungen der Viag mit der Schweizer Algroup erinnern. Als der Ministerpräsident groß verkündet hat, damit entstünde der sechst
größte Industriekonzern in der Bundesrepublik mit Sitz in München, habe ich im Haushaltsausschuss gesagt: „Das geht nie und nimmer gut: Es scheitert mit Sicherheit an den handelnden Personen.“ Großaktionäre bei Algroup waren Martin Ebner, das Enfant terrible der Züricher Bankenszene, und Christoph Blocher, der Vorsitzende der europafeindlichen Schweizer Volkspartei, der mehrmals Volksbegehren gegen die EU erfolgreich hat initiieren und durchführen lassen. Diese beiden Männer haben sich nie dem damit verbundenen Machtanspruch, dass München bestimmen sollte, unterordnen wollen. Deshalb wurden Probleme mit der Bewertung vorgeschoben, und drei Tage später war die Fusion gescheitert, was auch ich nicht voraussehen konnte.
Dann brach natürlich Panik aus. Denn die Viag kam unter den Druck der Kapitalmärkte. Ein solcher Fehlschlag schlägt sich bekanntlich sofort im Börsenkurs nieder. Deshalb hat man verzweifelt nach einem Partner gesucht und ist bei der Veba fündig geworden. Interessant nachzulesen ist, wie damals die Fusion auch gegenüber dem Bayerischen Landtag begründet wurde. Ich zitiere Herrn Ministerpräsident Stoiber aus der Presseerklärung der Bayerischen Staatskanzlei – wir mussten davon ausgehen, dass die darin gemachten Aussagen richtig sind, Herr Staatsminister Huber – vom 27. September 1999:
... dass die zwischen Viag und Veba für ihre Fusion geschlossene Grundsatzvereinbarung für Bayern außerordentlich zufrieden stellend ist. Stoiber: Die Standortinteressen Bayerns sind voll gewahrt.
Es sei für den Viag-Großaktionär Freistaat Bayern von entscheidender Bedeutung, dass drei wichtige Geschäftsfelder des neuen Konzerns, nämlich Energie, Chemie und Telekommunikation, in Bayern fest verankert bleiben.
Der Strom soll verbrauchsnah erzeugt werden. Damit wird in Bayern auch künftig so viel Strom produziert, wie im Freistaat Bayern verbraucht wird.
Das war erst vor einem Jahr. Man sieht, wie glaubwürdig und sachlich fundiert die Aussagen der Bayerischen Staatskanzlei sind. Heute stehen Sie vor dem Scherbenhaufen Ihrer Energiepolitik.
Auch wenn circa 700 Arbeitsplätze an Kraftwerkstandorten wegfallen sollen, so muss ich doch einräumen, dass ein paar neue entstehen; allerdings nicht in Arzberg, Pleinting oder Aschaffenburg, sondern hier in München. Dem Konzern kann ich auch gar nicht übel nehmen,
dass er die liberalisierten Rahmenbedingungen entsprechend nutzt; denn das erwarten die Aktionäre. In der letzten Wochenendausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ sind zwei große Stellenanzeigen des Viag-Konzerns erschienen, in denen es heißt:
Mit kompetenten und engagierten Mitarbeitern wollen wir unsere Marktposition im europaweiten Stromhandel weiter ausbauen. Für unser Frontbzw. Middleoffice
suchen wir für den Standort München Stromhändler, Kundenhändler – Derivate, Risikomanager, Produkt- und Prozesskoordinatoren, Vertragsmanager, Marktanalysten und Financial Engineers.
Solche Leute werden gesucht, wenn man Strom aus dem Ausland verkaufen will, zumal auf dem liberalisierten Markt die Möglichkeiten dazu bestehen und der Konzern Gewinn machen will. Deshalb werden Standorte in Bayern geschlossen. Denn im Handel verdient man mehr als in der Produktion. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik, meine Damen und Herren von der CSU.
Heute Nachmittag haben Sie, Herr Staatsminister Huber, uns glauben machen wollen, wie erfolgreich die Fusion doch für Bayern gewesen sei.
Sie sollten die ganze Wahrheit und nicht nur das verkünden, was Ihnen passt. Sie sagten, im Vorstand des neuen e.on-Konzerns sei das Verhältnis zwischen Veba und Viag drei zu zwei – klarerweise die Mehrheit bei der Veba. Im Energiebereich betrage dieses Verhältnis, so sagten Sie, fünf zu fünf. In der „Süddeutschen Zeitung“ hätten Sie nachlesen können, dass das Verhältnis in der zweiten Reihe, also bei den Managern im operativen Geschäft, 35 zu fünf beträgt, d. h. die Viag- und Bayernwerk-Leute sind untergebuttert worden.
Mit der Titelzeile „Aus dem Merger of Equals“ – der Fusion unter Gleichen – „ist eine Übernahme geworden“ hat die „Süddeutsche Zeitung“ den Nagel auf den Kopf getroffen. Sie haben erwähnt, Herr Staatsminister Huber, dass die Leitung des Bereichs Wasserkraft in Landshut und die des Bereichs Netze in Bayreuth angesiedelt sei, und im Jahr 1998 ist es in einer gemeinsamen Aktion von CSU und SPD – auch mein Verdienst – gelungen, die sehr gute, lukrative Gedos-GmbH, das Rechenzentrum des Bayernwerks für Bayern und Thüringen, mit heute circa 450 hoch qualifizierten Informatikern in Würzburg anzusiedeln.
Das Rechenzentrum des neuen Konzerns wandert von Würzburg nach Hannover. Das haben Sie nicht erwähnt. Sie nennen nur das Positive.
Sie haben auch nicht erwähnt, dass eine sehr gute und lukrative Firma der Feinchemie, nämlich die SKW Trostberg, verschwinden wird. Diesen Namen gibt es gar nicht mehr. Diese Firma wird mit Degussa fusionieren. Der Sitz dieser Firma ist nicht mehr Trostberg, sondern Düsseldorf. Auch der Sitz des e.on-Konzerns ist nicht mehr in Bayern. Sie haben hier nichts mehr zu sagen. Sie haben damals gefeiert, weil die Viag ihren Sitz von Bonn nach München verlegt hat. Jetzt spielt die Musik in Düsseldorf. Das ist das Ergebnis Ihrer strategischen Fehlentscheidungen.
Ich wundere mich auch über Ihren Optimismus bezüglich Viag-Interkom. Diese Firma hat sich toll entwickelt. In München hat sie 5000 Arbeitsplätze geschaffen. Diese Firma befindet sich aber jetzt in britischer Hand. Die Briten halten 90% und die Norweger 10% der Anteile. 45% der Anteile sind verkauft worden. Sie betonen natürlich, Sie hätten mit diesen Leuten gesprochen und diese Leute hätten entsprechende Zusagen gemacht. Drei Tage später habe ich jedoch gelesen, dass der Vorstandsvorsitzende von British-Telekom schon im Feuer steht. Ob dieser Mann in einem Jahr noch Chef von British-Telekom ist, steht in den Sternen.
Was von den Zusagen großer Kommunikationsfirmen zu halten ist, hat das Beispiel Mannesmann gezeigt. Als Vodafone Mannesmann übernommen hatte, hieß es, der Maschinenbausektor von Mannesmann Rexrodt, Mannesmann Sachs und Krauss-Maffei werde abgespalten. Daraus soll die Firma Atex gegründet werden, die dann an die Börse gehen soll.
Sie haben das begrüßt, wie Sie alles begrüßen. Plötzlich hat Vodafone aber gesagt, dass es sich nicht mehr an die Zusagen halten wolle. Daraufhin ist die Firma Atex verkauft worden. Die Firma wurde an ein Konsortium der Firmen Siemens und Bosch zu jeweils 50% verkauft. Das Bundeskartellamt hat jedoch Bedenken angemeldet. Jetzt wird der Maschinenbaubereich der Firma Atex zerschlagen. Ein Teil kommt zu Bosch, ein anderer Teil zu Siemens. Hier geht es um 23000 Arbeitsplätze in Bayern.
Ihre Presseerklärungen sind Beruhigungspillen. Diese Pillen werden nur für kurze Zeit wirken. Es ist bedauerlich, wie dies gelaufen ist. Sie sollten deshalb zu Ihrer Verantwortung stehen. Sie tragen die Verantwortung für die überhastete, voreilige und schlechte Liberalisierung des Strommarktes in Deutschland. Außerdem haben Sie strategische Fehlentscheidungen in der Unternehmenspolitik getroffen.