Protocol of the Session on July 12, 2000

(Beifall bei der CSU)

Als nächste Rednerin hat Frau Kollegin Steiger das Wort.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Wir haben für diesen Antrag zwar ein einstimmiges Votum, aber die SPD-Fraktion ist es trotzdem besonders wichtig, über diesen Antrag und über die Situation der Beschäftigung Schwerbehinderter im öffentlichen Dienst im Bereich des Freistaates Bayern nochmals deutlich zu sagen, wo hier die Mängel sind; denn es gibt gewaltige Mängel. Die Beschäftigung Schwerbehinderter im öffentlichen Dienst in Bayern passt überhaupt nicht zu dem üblichen Schema der Bayerischen Staatsregierung, wonach Bayern immer vorne ist. Denn Bayern hat im öffentlichen Dienst lediglich eine Beschäftigungsquote von 3,94% erreicht und ist somit das Schlusslicht aller alten Bundesländer. Also von wegen: Bayern vorne. Es gab von 1997 mit 3,88% eine Steigerung auf 3,94% im Jahre 1998. Dabei ist der Anteil der Frauen nochmals gesunken. Dies ist kein Ruhmesblatt, deshalb muss dringend gehandelt werden.

(Beifall bei der SPD)

Denn das Nicht-Erfüllen der Beschäftigungsquote bedeutet auch, dass der Freistaat Bayern Jahr für Jahr dafür 14 Millionen DM Ausgleichsabgabe zahlt, dass die Staatsregierung ihrer Verpflichtung nicht nachkommt. Dies sind Jahr für Jahr 14 Millionen DM, die für andere Bereiche fehlen. Es sind 14 Millionen DM Jahr für Jahr für Versäumnisse gegenüber Menschen mit Behinderungen. Dass wir in der Bayerischen Verfassung Artikel 118 a, im Grundgesetz den Artikel 3 haben, nützt nichts, wenn er nicht umgesetzt wird. Wo bleibt in dieser Situation die Vorbildfunktion des Freistaates Bayern für die Privatwirtschaft? Wo bleibt der „Bayern-vorn-Anspruch“? Wenn wir im Bereich der Beschäftigung Schwerbehinderter im öffentlichen Dienst dieses Tempo weiterhin halten, besteht die Gefahr, dass man von einer Schnecke überholt wird, und dies ist in einer Zeit nicht mehr tragbar, in der wir Integration brauchen und feststellen, dass Menschen mit Behinderungen einen Anspruch auf ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben haben, dazu gehört auch der Arbeitsplatz.

(Beifall bei der SPD)

Bei jedem im öffentlichen Dienst gegebenen Bericht weisen wir von der SPD-Fraktion seit Jahren auf dieses Problem hin. Wir haben konkrete Anträge zur beruflichen Eingliederung gestellt und fordern, insbesondere bei Menschen mit Behinderungen bestimmte Gruppen zu berücksichtigen, die es besonders schwer haben, im Arbeitsmarkt eingegliedert zu werden, nämlich Jugendliche, Frauen, ältere Menschen und Langzeitarbeitslose. Sie von der CSU haben diese Anträge in schöner Regelmäßigkeit Jahr für Jahr immer wieder abgelehnt. Jetzt legen Sie einen Antrag vor, zu prüfen und zu berichten.

Sie bleiben aber hinlänglich unverbindlich, was zur Verbesserung der Beschäftigungsmöglichkeiten getan werden könnte. Trotzdem stimmen wir diesem Antrag zu, weil ein kleines Schrittchen besser ist als das, was Sie bisher gemacht haben, nämlich sich davor zu drücken, die Beschäftigungsquote massiv voranzutreiben. Dennoch bleibt kritisch anzumerken, dass die niedrige Einstellungsquote im öffentlichen Dienst im Freistaat Bayern ein jahrelang von der Staatsregierung ungelöstes Problem ist. Herr Kollege Unterländer, andere Länder haben dieses Problem gelöst.

(Beifall bei der SPD)

Die Ausrede, es gebe Probleme bei der Polizei, im Justizvollzug und bei der Lehrerschaft, gilt nicht, da es diesen Personenkreis in anderen Bundesländern genauso gibt. Mit solchen Argumenten können Sie nicht kommen. Der Freistaat Bayern ist das Schlusslicht der alten Bundesländer, und daran muss sich dringend etwas ändern.

Wir unterstützen Ihr Schrittchen in die richtige Richtung; denn es ist schon seit vielen Jahren unser Anliegen, Schwerbehinderten zur Beschäftigung zu verhelfen. Aber ein Prüfantrag allein ist zu unverbindlich; dazu gehört mehr. Denn das, was Sie für den öffentlichen Dienst und für diesen Bereich geprüft haben wollen und worüber berichtet werden soll, steht in dem von Ihnen erwähnten Bundesgesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter, und dieses Gesetz gilt es im öffentlichen Dienst des Freistaates Bayern umzusetzen. Sie brauchen dies also nur zu tun.

Ihr Einwand, für die Besetzung der Pflichtplätze seien nicht genügend Schwerbehinderte vorhanden, ist richtig. Deshalb ist im Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter, das der Bundestag letzte Woche verabschiedet hat, die Quote von 6 auf 5% gesenkt worden, um damit dieser Ausrede entgegenzuwirken. Das gilt für zwei Jahre; da müssen Sie tätig werden, in diesem Gesetz steht konkret, was getan werden muss; denn es besteht künftig ein Rechtsanspruch Schwerbehinderter auf Übernahme der Kosten der notwendigen Arbeitsassistenz. Sie wollen das geprüft haben, aber es steht bereits im Gesetz. Im Gesetz steht auch die bessere Verknüpfung von Bundesanstalt für Arbeit und Hauptfürsorgestellen. Ferner, dass die Rechte der Schwerbehinderten und ihrer Vertretungen gestärkt werden. Diese Vorgaben sind da und machbar. Bitte, setzen Sie diese Vorgaben um und verhelfen Sie damit den behinderten Menschen im Freistaat Bayern mehr zu einem eigenständigen Leben. Wir unterstützen diesen kleinen, vorsichtigen Schritt, weil Sie dieses Problem endlich erkannt haben.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Unterländer?

Bitte schön.

Frau Kollegin Steiger, ist Ihnen bekannt, dass die Behindertenverbände, die auch für Sie eine maßgebliche Interessenvertretung behinderter

Menschen in unserem Land sind, mit diesem Gesetz erhebliche Probleme haben und um eine grundlegende Überarbeitung gebeten haben?

Herr Unterländer, ist Ihnen bekannt, dass dieses Gesetz ein Konsens ist und in Absprache mit allen Beteiligten geschaffen worden ist, angefangen von den Arbeitgebern, den Gewerkschaften, den Hauptfürsorgestellen über die Arbeitsämter bis zu den Behindertenverbänden, und dass in den entsprechenden Gremien die Länder vertreten waren, auch der Freistaat Bayern?

(Beifall bei der SPD)

Trotzdem war der Freistaat Bayern vertreten. Wie wir alle wissen, ist ein Konsensgesetz die Basis, der alle zustimmen konnten. Natürlich gibt es da Verbesserungen. Aber uns war wichtig, dass wir eine breite Basis haben, um dieses Gesetz endlich auf den Weg zu bringen. Wir machen keine fundamentalistische Opposition, sondern unterstützen Ihren Antrag, weil Sie dieses Problem erkannt haben.

Wir erwarten, dass Sie das auch in Bayern im Rahmen der Möglichkeiten, die der Freistaat Bayern hat, vor allem im öffentlichen Dienst unterstützen und dagegen nicht permanent polemisieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, behinderte Menschen entsprechend der gesetzlichen Vorgaben zu beschäftigen, ist wichtig und notwendig. Wir müssen das tun, damit Menschen mit Behinderungen selbstbestimmt und gleichberechtigt leben können. Deshalb haben wir diesem Antrag zugestimmt. Es ist aber wichtig und notwendig, die kritische Situation, die im Freistaat Bayern herrscht, wo die Beschäftigungsquote noch nicht einmal mit 4 Prozentpunkten erfüllt ist, deutlich zu machen und anzusprechen. Es muss mehr als dieser Prüfantrag gemacht werden, dessen müssen wir alle voll bewusst werden.

(Beifall bei der SPD)

Als Nächste hat Frau Kollegin Schopper das Wort.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir wissen, dass wir über einen Antrag sprechen, der im öffentlichen Dienst und in den nachberatenden Ausschüssen einstimmig verabschiedet wurde. Ich glaube, dass deutlich geworden ist, dass es allen ein Anliegen ist, die Schwerbehinderten im öffentlichen Dienst zu fördern. Die Quote mit der Vorgabe von 6% hört sich mager an. Daher ist es wichtig, dass wir im öffentlichen Dienst Vorbildfunktionen wahrnehmen. Dies mit Leben zu füllen, ist nicht nur ein Auftrag des Grundgesetzes, in dem ausdrücklich steht, dass niemand wegen seiner Behinderung diskriminiert werden darf. Dies ergibt sich auch aus der bayerischen Verfassung. In der letzten Legislaturperiode hat der Landtag einstimmig beschlossen, dass keinerlei Diskriminierung mehr möglich sein soll.

Wir wissen, dass der Arbeitsmarkt eine sehr wichtige Facette ist. Er leistet Integration. Der Stellenwert einer Arbeit bedeutet für die einzelnen Betroffenen eine riesige Anerkennung. Dass es in der Realität bis zur Füllung des Diskriminierungsverbotes mit Leben noch ein weiter Weg ist, zeigt sich auch anhand der Quote, die der Freistaat Bayern bei weitem nicht erfüllt. Ich habe hochgerechnet: Wenn die Quote mit dem jetzigen Tempo nach und nach erhöht wird – im letzten Jahr war das immer im Bereich um die 0,06 –, dann hätten wir die Pflichtquote in 50 Jahren halbwegs erfüllt, wenn diese Quote nicht für Sie dankenswerterweise gesenkt werden würde. Ich glaube, daran sieht man, wie weit der Weg in Bayern noch ist. Bayern ist das Schlusslicht im Bereich der alten Bundesländer. Bayern ist das einzige Bundesland, das noch nicht einmal eine 5 vor dem Komma hat. Dies spricht für sich Bände.

Wir haben eine mangelnde Vorbildfunktion im öffentlichen Sektor. Frau Stein, der Behindertenbeauftragten der Staatsregierung, ist es ein wirkliches Anliegen, dass die Quote auch im Bereich des öffentlichen Dienstes tatsächlich erfüllt wird. Die einzelnen Ministerien klaffen da sehr weit auseinander. Das Sozialministerium ist Spitzenreiter – das muss man anerkennen –, während das Kultusministerium das Schlusslicht ist. Aber auch Ministerien, die man zahlenmäßig vergleichen kann, weisen eine unglaubliche Diskrepanz auf. Bei der Obersten Baubehörde fehlen 22 Personen zur Erfüllung der Pflichtquote, während es im Landwirtschaftsministerium 231 Personen sind. Diese Diskrepanzen konnten auch im Ausschuss nicht entsprechend geklärt werden.

Ich glaube, trotz aller gemeinsamer Anstrengungen und des einstimmig verabschiedeten Antrages ist es noch ein weiter Weg, um das Klima für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst zu verbessern, dass sie sich bewerben, dass sie sich trauen, ihre Behinderung offen zuzugeben. Dies waren ja die Punkte, wo sich Hemmschwellen aufgetan haben. Hier liegt noch ein weiter Weg vor uns. Für Behinderte fallen in diesem Bereich auch Arbeitsplätze weg, da die so genannten Bürojobs immer mehr wegrationalisiert werden. Deshalb muss man für diese Menschen nun ein neues Tätigkeitsfeld suchen, um sie wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Nach wie vor herrscht ein Klima, in dem betroffene Menschen ihre Behinderung verstecken, so lange es geht, um vielleicht kurz vor der Rente noch einen Schwerbehindertenbonus zu erhalten. Dieses Klima muss sich noch ändern. Wir haben noch viele Hausaufgaben vor uns, vor allen Dingen Sie, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Der federführende Ausschuss für Fragen des öffentlichen Dienstes empfiehlt Zustimmung mit der Maßgabe verschiedener Änderungen. Ich verweise insofern auf die Drucksache 14/3987. Wer dem Antrag mit den vorgeschlagenen Änderungen zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Gibt es Gegenstimmen? –

Stimmenthaltungen? – Keine. Das ist dann so beschlossen.

Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 20

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Glück, Kobler, Unterländer und anderer und Fraktion (CSU)

Auswirkungen der geplanten Neuregelung zur Verteilung der Mittel des Bundesausgleichsfonds auf die Länder; Förderung von Einrichtungen für Behinderte (Drucksache 14/3390)

Ich eröffne die Aussprache. Die Redezeit beträgt wieder 15 Minuten pro Fraktion. Ich erteile Frau Kollegin Görlitz das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem Dringlichkeitsantrag fordern wir die Staatsregierung auf, das Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter insoweit abzulehnen, wie die Mittel in erster Linie für die Bundesanstalt für Arbeit zur Verfügung gestellt werden sollen. Vor allem fordern wir, dass dies nicht zulasten der Förderung von Einrichtungen der beruflichen Eingliederung, sprich Werkstätten und Wohnheimplätzen geschehen darf.

Im zweiten Punkt wird die Staatsregierung aufgefordert, sich auch weiterhin dafür einzusetzen, dass gerade die Gestaltungsmöglichkeiten für Behinderte nicht aus der Verantwortung und der Verfügung der Länder genommen werden dürfen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit diesem Antrag verfolgen wir das Ziel, die weitere Unterstützung und Förderung der Behinderteneinrichtungen, der Werkstätten zu sichern. Blankes Entsetzen hat die Einrichtungen erfasst, als wir im letzten Jahr, so wie jedes Jahr, die Liste der zu fördernden Objekte eingereicht haben. Siehe da: Weder im Januar kam die Antwort, so wie es normalerweise üblich ist, dass Projekte angenommen werden, noch im Februar, noch im März. Erst nach schärfsten Protesten kam dann schließlich im Mai, fast ein halbes Jahr später, die Zusage, dass Vertrauensschutz bestehe und dass die Projekte, auf die unsere Behinderten so dringend warten, tatsächlich in die Förderung aufgenommen würden.

Wir sehen die Konsequenz dieses Gesetzes vor allem in der Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt, so löblich das ist. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass wir dies unterstützen. Sie haben in Ihren vorherigen Ausführungen angesprochen, dass gerade im öffentlichen Dienst noch einiges nachzuholen ist. Wir unterstützen, dass Schwerbehinderte im ersten Arbeitsmarkt eingegliedert werden. Dies darf aber nicht zulasten derer gehen, die in den Einrichtungen untergebracht werden müssen. Man kann solche Dinge nicht wegreden. Man kann noch so viel an Unterstützung und Förderung betreiben – immer wieder bleiben Personen übrig, die in den normalen Arbeitsprozess einfach nicht eingegliedert werden können. Für diese müssen wir geeignete Einrichtungen bereit halten.

In der Zwischenzeit hat es sozusagen eine Entwarnung aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales gegeben. Doch das, was von dort gekommen ist, ist für uns nicht zufrieden stellend. Auch wenn Herr Riester sagt, dass das Recht der Werkstättenförderung ohne Abstriche erhalten bleibe, oder an anderer Stelle feststellt, dass der Bedarf nach regionalen Gesichtspunkten ermittelt und dann auch gefördert werden solle, reicht uns das so nicht aus, um Entwarnung zu geben.

(Frau Radermacher (SPD): Was wollen Sie denn?)

Mit keinem Wort ist erwähnt, dass die Mittel wie bisher in ausreichender Höhe zur Verfügung gestellt werden.

Wir haben Projekte, die in den nächsten Jahre in die Förderung kommen, auf die die Behinderten dringend warten. Eine pauschale Aussage, dass ein Recht auf Förderung bestehe, ist für uns keine zufriedenstellende Auskunft, auch nicht, dass der Bedarf nach regionalen Gesichtspunkten festgestellt wird. Unsere bayerische Behindertenpolitik verfolgt das Ziel, die Behinderten möglichst wohnortnah in den Werkstätten und auch in den Wohnstätten unterzubringen. Es macht keinen Sinn, die Behinderten stundenlang mit dem Bus durch die Gegend zu schicken oder fern ihrer Familie in Einrichtungen unterzubringen.

(Frau Radermacher (SPD): Wer sagt denn das?)

Mit unserer bayerischen Behindertenpolitik streben wir weiterhin die wohnortnahe Unterbringung an, und wir werden alles tun, um diesen Anspruch zu erfüllen.

Wir fordern Sie auf, dem Antrag zuzustimmen, dass diese Zuschüsse nach wie vor aus der Ausgleichsabgabe zur Verfügung gestellt werden. Denn wir wollen unsere bayerische Behindertenpolitik nicht einer Politik nach Kassenlage opfern.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU – Frau Rader- macher (SPD): O mei!)

Das Wort hat Frau Kollegin Steiger.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Frau Görlitz, ich muss Sie gleich zu Beginn fragen: Wer ist „wir“? Sie sprachen davon: Wir wollen, wir tun, wir machen, wir fordern. Wer ist „wir“? Ist das die CSU-Fraktion,

(Kobler (CSU): Der Bayerische Landtag!)

oder ist es die Bayerische Staatsregierung? Wer ist „wir“?