Protocol of the Session on July 12, 2000

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Hartmann?

Nicht jetzt.

Herr Deimer ist der Oberbürgermeister einer wirklich wunderschönen Stadt. Er ist seit über 30 Jahren außerordentlich erfolgreich. Das ist ein Rekord. Ich bewundere ihn wegen seiner kommunalpolitischen Leistung und bin ein persönlicher Freund von ihm. Aber in dem Punkt hat mein Freund „Dick“ Deimer schlicht nicht Recht. Das sage ich als Erstes. Zweitens fordere ich Sie auf, denken und argumentieren Sie selbst. Das ist Ihre Pflicht. Sie müssen eigenständig eine Argumentationsbasis finden, die tragfähig ist. Ich habe Ihnen gerade gesagt, dass die Rechnung mit 6 Milliarden DM falsch ist. Sie haben dagegen nicht fachlich argumentiert, sondern Sie haben erklärt, das ist nicht unser Argument, aber Herr Deimer hat das gesagt. Herr Maget, das ist dünn. Sie müssen eine neue Begründung finden für die immer wieder in den Raum gestellten 6 Milliarden DM.

(Maget (SPD): Glaube keinem Deimer!)

Nach dem, was wir hier jetzt zur Haushaltspolitik gehört haben, muss ich feststellen, das, was Sie sagen, ist außergewöhnlich widersprüchlich. Sie fordern schriftlich und mündlich zusätzliche Ausgaben von 4 Milliarden DM. Ich frage Sie – –

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Keine Zwischenfragen.

(Zuruf von der SPD: Er weiß nicht, was er antworten soll!)

Hier kam gerade der Zwischenruf, er weiß nicht, was er antworten soll. Das spricht für sich.

Erstens. Ich frage Sie: Wollen Sie eine Steigerung des Haushalts um 2% oder darunter wie im Finanzplanungsrat zwischen Bund und Ländern vereinbart und von uns ebenfalls beschlossen, oder wollen Sie deutlich mehr?

Zweitens. Wenn Sie zusätzliche Ausgaben in Höhe von 4 Milliarden DM vorschlagen, wollen Sie diese auf die 2% – nehmen wir den Vorschlag des Finanzplanungsrats – drauflegen? Wenn Sie das wollen, wollen Sie das Geld woanders einsparen? Wenn Sie einsparen, sagen Sie uns und der Bevölkerung, wo Sie einsparen wollen. Wohin wollen Sie nun wirklich?

Wenn ich Ihren Dringlichkeitsantrag ansehe, bemerke ich, die Punkte sind überwiegend konsumtiver Art. Ich frage Sie: Wollen Sie eine weitere Herabsetzung der Investitionsquote, die mit 15,3% zwar die beste in der Bundesrepublik Deutschland ist, die aber unbedingt gehalten werden muss, wie ich heute früh ausgeführt

habe? Wollen Sie eine Herabsetzung der 15,3%? Das ist die strategische Frage. Ich erwarte darauf eine Antwort und nicht irgendwelche wilden Forderungen.

(Beifall bei der CSU)

Ich frage Sie schließlich: Sind Sie sich mit der Mehrheit der Länder und dem Bund einig, dass wir möglichst schnell einen ausgeglichenen Haushalt ohne Nettoneuverschuldung haben wollen? Heute früh haben wir bei der ersten Lesung gesagt, wir wollen einen ausgeglichenen Haushalt. Wir zwingen uns und die folgende Generation sogar, dies unter dem Joch des Gesetzes einzuhalten. Wollen Sie das, oder wollen Sie die Freiheit von allen Fesseln, indem Sie den Leuten überall alles versprechen? Sagen Sie uns hier an diesem Pult, was Sie haushaltspolitisch wollen. Ich habe in der Aussprache heute früh und in dieser Aktuellen Stunde nur Verwirrung bei der Opposition festgestellt. Wir haben eine klare Linie: Runter mit den Schulden, Halten der Investitionsquote und eine solide Haushaltspolitik.

(Beifall bei der CSU)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Dazu werden die Anträge getrennt. Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 14/4035 – das ist der Antrag der Fraktion der SPD – seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der SPD. Gegenstimmen? – Das ist die Fraktion der CSU. Stimmenthaltungen? – Das sind die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und Herr Kollege Hartenstein. Damit ist der Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 14/4088 – das ist der Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – seine Zustimmung geben will, den bitte ich ebenfalls um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und Kollege Hartenstein. Gegenstimmen? – Die Fraktion der CSU. Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist der Dringlichkeitsantrag ebenfalls abgelehnt.

Ich rufe zur gemeinsamen Beratung auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Elisabeth Köhler, Christine Stahl, Tausendfreund, Gote und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Beendigung der Diskriminierung von Schwulen und Lesben (Drucksache 14/4036)

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Glück, Welnhofer, Dr. Fickler und Fraktion (CSU)

Schutz des gesellschaftlichen Leitbildes der Ehe (Drucksache 14/4089)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache und erteile als erster Rednerin Frau Abgeordneter Stahl das Wort.

Frau Präsidentin, meine Herren und Damen! In fortgeschrittener Stunde möchte ich heute mit Ihnen über die Liebe reden.

(Oh, Oh! bei der CSU – Maget (SPD): Ein gutes Thema!)

Damit meine ich die Liebe zweier Menschen zueinander, die sie dazu bringt, den weiteren Lebensweg miteinander zu gehen, für den Partner Verantwortung zu übernehmen und ihn in seiner Entwicklung zu unterstützen. Wir wissen doch alle, dass in einer zunehmend anonymisierten, schnelllebigen Welt gegenseitige Unterstützung im Alltag, emotionale Nähe in einer bindungslosen Gesellschaft immer wichtiger werden. Ich freue mich über jedes Paar, das hier sein Pendant – umgangssprachlich: seinen Deckel – findet, mit dem es alt werden möchte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich frage Sie nun: Was spricht dagegen, diesen Wunsch zu respektieren und den bisher absolut Rechtlosen ein paar Instrumente in die Hand zu geben, damit sie vorhandene Diskriminierungen etwas abschwächen und ihren Partner bzw. ihre Partnerin schützen können? Uns ist durchaus klar, dass man noch bestehende Restvorbehalte bei einer – ich betone – Minderheit der Bevölkerung nicht von heute auf morgen ausräumen kann. Aber auch wenn es sich nur noch um eine Minderheit handelt, ist es wichtig, dass der Staat ein Signal setzt, und deutlich macht, dass es sich bei Schwulen und Lesben nicht um kranke, verwirrte Geister handelt, sondern um Menschen, die genau die selben Rechte haben wie wir auch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Darüber hinaus sollen den Betroffenen mit dem Gesetzentwurf mühsame und rechtlich nicht immer mögliche Wege – auch wenn Sie, so auch heute, immer wieder versuchen, den Leuten das Gegenteil weiß zumachen – erspart werden, von den vielen unterschiedlichen Verträgen, die die Betroffenen schließen müssen, ganz zu schweigen. Ich bringe ein Beispiel dafür, wie alltägliche Diskriminierungen aussehen, die immer wieder vorkommen und nichts Außergewöhnliches sind. Nehmen wir an, jemand hat einen schwulen Lebenspartner, der krank wird. Den Arzt interessiert die ausgestellte Vollmacht – ein schönes Beispiel für die angeblich rechtlichen Möglichkeiten – überhaupt nicht, er verweist den Partner auf den Klageweg, wie es in einem konkreten Fall passiert ist. Zudem war den Eltern – auch das ist nicht ganz ungewöhnlich – die Beziehung des Sohnes schon immer ein Dorn im Auge, weshalb sie ebenfalls keine Auskunft geben und dem Arzt dieselbe untersagen.

Nehmen wir an, der Sohn stirbt, die Eltern räumen die Wohnung des Paares aus, der Partner fliegt aus derselben und erbt trotz eines entsprechenden Testamentes nichts, wenn er nicht in der Lage ist, den Eltern den Pflichtteil auszuzahlen. So viel zu den von Ihnen immer wieder behaupteten einfachen rechtlichen Möglichkeiten. Hinzu kommt, dass der Betreffende sein potenzielles Erbe in beträchtlichem Umfang versteuern muss.

Finden Sie das wirklich richtig? Begrüßen Sie es, wenn jemand, weil er eine homosexuelle Ausrichtung hat, diesen Demütigungen ausgesetzt wird?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In Bayern sind davon zwischen 300000 und eine Million Menschen betroffen. Mich wundert, dass die Staatsregierung in der Beantwortung einer längeren Anfrage von uns Diskriminierungen durchaus registriert und zugibt, gleichzeitig aber keinen Handlungsbedarf sieht. Das passt nicht zusammen. Dieser Logik folgend, lehnen Sie natürlich auch unseren Gesetzentwurf ab. Wir sagen aber: Diese Ablehnung ist nicht klug begründet. Sie sollten sich das Ganze noch einmal überlegen. Denn wir sehen in der Ablehnung Ihrerseits ein klares Ja zu weiteren Benachteiligungen von Schwulen und Lesben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Zusammenhang führen Sie eine vordergründig verfassungsrechtliche Diskussion, die verdecken soll, von welch mittelalterlichen Vorstellungen Ihre Politik tatsächlich geprägt ist. Ich bin froh, feststellen zu können, dass die Mehrheit der Deutschen, immerhin 54%, überwiegend wohl Frauen, für die Möglichkeit ist, sich eintragen zu lassen. Bei den unter 34-Jährigen sind es 77%, bei den unter 30-Jährigen sogar 84%. Lediglich 37% sind dagegen, 9% unentschlossen. Ich weiß nicht, woher der Ministerpräsident die Gewissheit nimmt, die CSU sei hier mit der Mehrheit der Deutschen auf einer Linie. Ich glaube eher, die Mehrheit der Deutschen hat sehr wohl gemerkt, dass Ihre Vorstellungen nicht der Realität entsprechen.

Um Ihre von den Lebensrealitäten längst überrollte Diskussionslinie zu stabilisieren, sind Sie sich nicht zu schade, in der Antwort auf unsere Anfrage zur Situation von Schwulen und Lesben in Bayern erfundene Kampfgenossen zu zitieren wie den Bayerischen Landkreistag, der die Eintragung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften angeblich „für eine gesellschaftspolitische Fehlentwicklung“ hält. Mittlerweile haben wir herausgefunden, dass es einen derartigen Beschluss des Landkreistages nicht gibt. Vielmehr handelt es sich um die Meinung eines Sachbearbeiters. Es ist schon ein bisschen mager, wenn dieser Sachbearbeiter einer Ihrer Kronzeugen sein soll.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In Ihren Versuchen, Stimmung zu machen, sind Sie sich nicht zu schade, sich mit Erzreaktionären – daher vermutlich Erzbischof Dyba – zu verbünden, die zur Diskussion, wie unsere Gesellschaft mit langjährigen schwulen und lesbischen Partnerschaften umgehen soll, nichts anderes beizutragen haben als die Anmerkung, es handle es sich bei Schwulen und ihren Partnern nur um importierte Lustknaben. Das wird der Diskussion wenig gerecht. Ich darf Herrn Dyba an dieser Stelle daran erinnern, dass die katholische Kirche überproportional mit Homosexuellen gesegnet ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb die Frage: Ist Heuchelei nicht Sünde?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Oder nehmen wir den Beitrag eines Ihrer CSU-Kollegen, dort hinten in der letzten Bank, der es schafft, in einer Diskussion über Graffity-Schmierereien den Bogen zu den Schwulen im Bundestag zu schlagen, und zwar nicht etwa, weil das ein schönes buntes Bild abgäbe, wie er vielleicht meint, sondern weil er glaubt, der Bundestag würde durch Schwule in Misskredit gebracht. Hat er denn die Worte seiner eigenen Kollegen aus der CDU vergessen, die um eine sachliche Diskussion gebeten haben?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zwar distanzieren sich Herr Glück, Herr Glos und Herr Stoiber – ich betone – anständigerweise von solch einem Unterfangen; noch ist die Unterschriftenaktion aber nicht vom Tisch. Und wir fragen uns, ob es Ihnen gelingt, diesen Anstand Abgeordneten wie Herrn Geis und anderen in der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag zu vermitteln. Die Frage, ob die Distanzierung tatsächlich Anstand oder nur politisches Kalkül war, brauchen wir nicht zu diskutieren. Ich bedaure aber, dass Sie diesen Anstand, den Sie heute an den Tag legen, bei Ihrer Unterschriftencampagne gegen Ausländer nicht gezeigt haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Landes-CSU und Staatsregierung versuchen durch eine angeblich verfassungsrechtlich gebotene Diskussion zum Schutz der Ehe den Blick auf das eigentliche Problem, die Diskriminierung von Homosexuellen, zu verstellen.

Es ist Ihnen nicht zu blöd, falsche Kronzeugen, Vorgestrige und berüchtigte Verbünde eine deutliche Sprache sprechen zu lassen. Aber wenn Sie die verfassungsrechtliche Auseinandersetzung wollen, können Sie sie hier sofort haben.

Was wird denn dem Rechtsinstitut Ehe durch die Eintragung einer Lebenspartnerschaft genommen? Ministerpräsident Dr. Stoiber sieht seit der Tagung in Straubing die Gefahr, dass dadurch das Rechtsinstitut der Ehe relativiert, also herabgesetzt würde. Wieso? Wieso würde das Institut relativiert? Diese Auffassung kann man doch nur vertreten, wenn man der Ansicht ist, dass Homosexualität etwas Schlechtes, etwas Schmutziges ist, das das Hehre, Gute in den Schmutz zieht und damit abwertet. Ansonsten kann man zu dieser Annahme überhaupt nicht kommen.

(Freiherr von Redwitz (CSU): Doch! Wir haben ein Grundgesetz!)