Protocol of the Session on July 11, 2000

Deswegen begrüßen wir es, dass Sie nunmehr mit Ihrer Blue Card vorsichtig anfangen, sich der Wirklichkeit zu stellen. Das ist für uns eine wirtschaftspolitische Kehrtwendung. Jetzt sollten Sie versuchen, auch Ihre Gesellschafts- und Kulturpolitik auf die Höhe unserer Zeit zu bringen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vor allem müssen Sie damit aufhören, Bayern und der bayerischen Bevölkerung zu schaden. Sie schaden ihr,

indem Sie die nötige Internationalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft behindern. Ihre bisherige Gesellschaftspolitik ist ein Standortrisiko. Sie gefährden den sozialen Frieden in unserem Land.

(Widerspruch bei der CSU)

Sie schaffen in der Ausländerfrage ein Zwei-KlassenSystem. Sie teilen in gute und schlechte Ausländer, in nützliche und unnütze. Aber woher soll der Skin wissen, wenn er auf der Straße einem Ausländer begegnet, ob er ein nach Ihrer Auffassung nützlicher Wissenschaftler oder ein unnützer Inder ist? Gleichzeitig schieben Sie immer wieder Menschen nach Hause ab, die uns nach Ihrer Vorstellung nützen könnten und die in diese Gesellschaft längst integriert sind – von der rumänischen OPSchwester bis zum ungarischen Facharbeiter. Aus ideologischer Verbohrtheit richten Sie wirtschaftlichen Schaden an.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie spalten die Gesellschaft, indem Sie die Integration der Eingewanderten behindern.

(Sinner (CSU): Wer profitiert denn von der Green Card?)

Wir sprechen jetzt über Ihre Sünden.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie grenzen Millionen von Menschen immer wieder neu aus, indem Sie immer wieder so tun, als hätten Ausländer kein Recht, hier zu leben. Das ist ein Problem. Dies fällt auf die Ausländer zurück. Wenn Sie gegen einzelne Ausländer immer wieder betont Propaganda machen, dann fällt dies auf alle zurück. Alle, die sich als Ausländer betrachten müssen, können sich dann in diesem Lande nicht wohl fühlen. Dafür sind auch Sie verantwortlich.

Sie spalten die Gesellschaft, indem Sie Bayern teilen. Sie teilen die Einwohner Bayerns, und zwar in diejenigen, die an die Chancen der Internationalisierung glauben und hoffen, von ihr profitieren zu können und von ihr wahrscheinlich auch profitieren, und in diejenigen, die vor der Globalisierung Angst haben. Sie schüren eine Art Klassenkampf. Die Spitze und die Mitte in der Wirtschaft und in der Gesellschaft ist international orientiert; den Leuten unten aber, denen machen Sie weiter Angst. Sie drängen sie mit Ihrer Politik in Ausländerfeindlichkeit. Dabei arbeiten Sie an höchst gefährlichem Sprengstoff. Diesen Sprengsatz, denke ich, wird auf Dauer auch Ihre eigene Partei nicht aushalten. Wenn Sie mit Ihrer Propaganda der Abschottung nicht aufhören, dann werden Sie bald nur noch für den rechten Rand Politik machen, dann wird Ihr Wählersegment verdammt schmal werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der weltoffene Mittelstand will heute schon nichts mehr von Ihrer Gesellschaftspolitik wissen. Er geniert sich, wenn er hört, welche Töne Sie spucken.

(Zuruf von der CSU: Warum haben wir 57%?)

Ihr könnt auch etwas von uns lernen; das schadet doch nichts.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb appelliere ich an Sie im Interesse Bayerns, der bayerischen Bevölkerung, aber, ich denke, auch in Ihrem eigenen Interesse: Arbeiten Sie mit uns für ein weltoffenes Bayern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als Nächster hat Herr Kollege Herrmann das Wort. Es wird auch ein Zehn-Minuten-Beitrag.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Dürr, an einem weltoffenen Bayern hat die CSU schon gearbeitet, als es die GRÜNEN noch gar nicht gab.

(Beifall bei der CSU – Frau Paulig (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Wie alt sind Sie denn?)

Wenn man Ihnen so zuhört, Herr Kollege Dürr, hat man den Eindruck, dass Sie auf einem anderen Stern leben, jedenfalls nicht die tägliche Lebensrealität in Bayern wahrnehmen. Dies können Sie schon an einer simplen Zahl feststellen: In keinem anderen Bundesland, Herr Kollege Dürr, arbeiten so viele ausländische HightechExperten wie in Bayern. Das hat seinen guten Grund: Sie fühlen sich hier wohl, haben einen guten Arbeitsplatz und sind auch herzlich willkommen.

Bayern ist weltoffen, gastlich und braucht in dieser Hinsicht von Ihnen sicherlich keinen Nachhilfeunterricht.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU – Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bayern nicht, aber ihr braucht den!)

Meine Damen und Herren, Bayerns Wirtschaft, Bayerns Industrie, Bayerns Forschung sind Spitze, nicht nur national, sondern europaweit und zum Teil sogar weltweit. Deshalb können wir in der Tat auch Spitzenleute aus der ganzen Welt gut brauchen – ich betone: Spitzenleute aus der ganzen Welt. Was wir nicht brauchen,

(Frau Paulig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sind Pflegekräfte!)

was wir nicht brauchen, Frau Kollegin Paulig –, ist die rot-grüne Green Card, und was wir nicht wollen, ist massenhafte Zuwanderung, die die Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft überfordern würde.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Sie sagen, Herr Kollege Dürr: „Bayern braucht Zuwanderung.“ Ich glaube, es ist sinnvoll, wenn man sich bei solchen Diskussionen nicht nur im gegenseitigen Schlagabtausch ergeht, sondern sich auch einmal die konkreten Zahlen anschaut. Wie sehen diese denn im Moment

aus? 1999 kamen aus dem Ausland 144000 Personen nach Bayern, gleichzeitig zogen 127000 Personen weg, bleibt eine Nettozuwanderung von 17000 aus dem Ausland. Gleichzeitig sind aus dem übrigen Bundesgebiet 139000 Personen nach Bayern zugezogen, 91000 sind weggezogen, bleibt eine Nettozuwanderung aus dem übrigen Bundesgebiet von 48000 Personen.

Ich meine, an den Zahlen wird zunächst einmal deutlich, dass wir eine unheimlich hohe Fluktuation haben, dass ständig Menschen neu in unser Land kommen, dass andere es auch wieder verlassen. Das ist ein ganz natürlicher Vorgang. Davon, dass sozusagen die Schotten dicht wären oder uns niemand willkommen wäre, kann jedenfalls keine Rede sein.

Nur, meine Damen und Herren, wir müssen natürlich auch sehen, dass der Zuzug von Ausländern, also von außerhalb des Bundesgebietes, nach Bayern oder nach Deutschland von der Integrationsfähigkeit unseres Landes her einfach Grenzen haben muss.

Nun muss ich allerdings auch sagen: Bayern ist das Land mit dem höchsten Wirtschaftswachstum und der niedrigsten Arbeitslosenquote. Gleichzeitig haben wir, wie ich gerade aufgezeigt habe, die höchste Binnenzuwanderung innerhalb Deutschlands, das heißt, Menschen aus anderen Bundesländern ziehen nach Bayern, um hier zu arbeiten und zu leben. Auch sie haben offenbar, Herr Kollege Dürr, eine andere, eine bessere Vorstellung von Bayern, als Sie sie regelmäßig hier verbreiten.

Einen weiteren Gesichtspunkt will ich ansprechen, meine Damen und Herren. Alle Rentenmodelle, über die zur Zeit in Berlin diskutiert wird, gehen von einer durchschnittlichen Nettozuwanderung nach Deutschland aus dem Ausland von etwa 100000 Personen pro Jahr über die nächsten 10, 20, 30, 40 Jahre aus – ein Durchschnittswert, aber immerhin eine klare Größe. Der Anteil Bayerns daran würde durchaus den 17000 entsprechen, plus/minus, wie wir sie im vergangenen Jahr tatsächlich hatten.

Nun sagen Sie, Herr Kollege Dürr: „Bayern braucht Zuwanderung.“ Was soll denn das heißen? Ich fordere Sie auf, da etwas konkreter zu werden. Sind Ihnen die 100000, die für die nächsten Jahre prognostiziert werden und die jetzt schon der durchschnittliche Level sind, von dem man ausgeht, sind Ihnen diese 100000 Nettozuwanderung pro Jahr zu wenig? Wollen Sie 200000? Wollen Sie 500000? Es nützt doch nichts, bei einer solchen Aktuellen Stunde, die Sie selbst beantragt haben, nur politische Lyrik zu verbreiten und zu der Frage: Wie viel mehr Zuwanderung wollen wir denn? im Endeffekt jede konkrete Aussage schuldig zu bleiben.

(Beifall bei der CSU)

Ich denke, meine Damen und Herren, wir sind mit der Blue Card in Bayern jetzt jedenfalls auf einem guten und pragmatischen Weg, was die spezielle Frage des Bedarfs an Spitzenkräften in der Hightech-Industrie betrifft. Blue Card bedeutet, dass ausländischen Computerspezialisten, die von der Arbeitsverwaltung eine

Arbeitserlaubnis erhalten haben, rasch auch eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, und zwar ohne weitere Prüfung eines öffentlichen Interesses. Das heißt, die Arbeitserlaubnis eines Ausländers ist an einen Arbeitsvertrag mit einer Firma geknüpft, und das heißt natürlich auch, Blue Card bedeutet, dass auch die Aufenthaltserlaubnis für die Dauer des Arbeitsvertrages gilt. Wer dieses Arbeitsverhältnis auflöst, wer arbeitslos wird, der muss dann auch wieder ausreisen, bevor er unserer Sozialkasse zur Last fällt.

Ich kann Ihnen nur sagen, meine Damen und Herren von der Opposition: Genauso ist es in den USA. Ich habe mich darüber im April bei einer Reise in die USA intensiv informiert. Egal, ob ein deutsches Unternehmen wie Siemens oder Bosch einen Ingenieur für drei Jahre in ein Werk in die USA schickt oder ob sich Microsoft einen indischen Ingenieur in die USA holt, beide Ingenieure erhalten zunächst einmal Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse der US-Behörden, die streng an den jeweiligen konkreten Arbeitsplatz der Firma, die dies beantragt, gebunden sind. Sobald dieses Arbeitsverhältnis erlischt, muss der Betreffende aus den USA wieder ausreisen, wenn er nicht sofort einen anderen Arbeitsplatz gewinnt.

Eine Green Card, wie sie seit ein paar Monaten bei uns in aller Munde ist, erhält man in den USA in der Regel erst nach zwei bis fünf Jahren. Erst wenn man die Arbeitsfähigkeit und den Leistungswillen über Jahre hinweg unter Beweis gestellt hat, erteilen die USA eine solche Green Card, die dann zum längerfristigen Aufenthalt in den USA ohne Bindung an einen konkreten Arbeitsplatz berechtigt. Das ist die Situation in den USA, und deshalb ist es eine Mogelpackung, den Begriff der Green Card auf das völlig unausgegorene Konzept der rot-grünen Bundesregierung in Berlin zu übertragen.

(Frau Elisabeth Köhler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Und wie ist es bei der Blue Card?)

Frau Kollegin Köhler, die Schröder-Green-Card mag gut gemeint sein, sie ist aber geradezu typisch für die völlig verfehlte rot-grüne Ausländerpolitik.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Denn wir haben hier wieder einmal genau die Situation: Wer die Schröder-Green-Card bekommt, kann für fünf Jahre in unserem Land tun und lassen, was er will. Er kann vom ersten Tag an auch irgendetwas völlig anderes machen. Er kann sich möglicherweise sogar, was ich dem indischen Ingenieur natürlich überhaupt nicht unterstellen will, so, wie diese Green Card angelegt ist, fünf Jahre in die soziale Hängematte legen. Und das ist die Fehlkonstruktion an diesem Konzept.

(Beifall bei der CSU – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Frau Köhler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wollen Sie die in Quarantäne schicken? – Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Einsperren!)

Das würde dann wieder entsprechende Belastungen für die Kommunen mit sich bringen.

(Frau Paulig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Also, das ist vielleicht ein Schmarrn!)

Deswegen wiederhole ich, Frau Kollegin Paulig: Diese Green Card á la Schröder hat mit der Green Card nach US-Vorbild überhaupt nichts zu tun, sie ist eine Mogelpackung, und deshalb hat die Blue Card der Bayerischen Staatsregierung und von Innenminister Dr. Beckstein die volle Unterstützung der CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CSU)