Protocol of the Session on June 28, 2000

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Merkl, ich war angenehm über ihre Ausführungen überrascht, die durchaus abgewogen waren und eine gewisse Rationalität erkennen ließen. Mir ist auch aufgefallen, dass Ihre Ausführungen keineswegs repräsentativ für die CSU sind. So hört man das innerhalb der CSU ganz selten. Mit dieser Nachdenklichkeit, in dieser Abgewogenheit hört man dies selten. Wenn man, ganz aktuell, die Presseberichte von gestern und heute liest, hört man ganz andere Töne. Lassen wir das aber beiseite.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie haben einen Antrag eingebracht, der lautet: „Die Staatsregierung wird aufgefordert, bei der Bundesregierung auf ein Gesamtkonzept zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung... hinzuwirken“. Diese Aufforderung ist überflüssig. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Glück, Herr Dr. Merkl, wie Sie wissen, hat das die Staatsregierung schon gestern gemacht, nämlich zusammen mit dem Land Baden-Württemberg mit einer Initiative in Richtung der Bundesregierung. Wozu Sie heute die Staatsregierung auffordern, ist also gestern schon von ihr erledigt worden. Insofern kann man sagen: Respekt vor dieser Aktionsgemeinschaft, aber so richtig erforderlich ist dieser Antrag heute nicht.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie das Thema diskutieren wollen, dann habe ich dafür viel Verständnis, aber wenn Worte einen Sinn geben, Herr Kollege Hofmann, dann ist Ihr heutiger Antrag jedenfalls überflüssig, weil er gestern von der Staatsregierung schon erfüllt worden ist. Das ist ein Schaufensterantrag ohne Einfluss auf den Lauf der Dinge. Der Hintergrund ist, dass die CSU befürchtet, bei der gegenwärtigen Diskussion zu spät zu kommen, nachdem es die Bundesregierung war, die die GreenCard-Initiative gestartet hat und jetzt eine Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen für eine künftige Einwanderungspolitik einberufen will.

Die Forderung nach einem Gesamtkonzept, so wie Sie sie in Ihrem Antrag mehrfach erheben, ist grundsätzlich vernünftig. Aber genau dann, wenn die Bundesregierung so etwas will – diese Kommission soll schließlich ein solches Gesamtkonzept entwickeln –, sagt die CSU: Das wollen wir nicht; wir arbeiten dort nicht mit. Sie schelten Frau Süßmuth, weil sie von der Parteilinie abweicht und nicht bereit ist, an einem Konzept, wie Sie es fordern, mitzuwirken.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Gegenteil heißt es, Herr Beckstein lässt verlauten, dass man für ein solches Konzept keine endlos debattierende Kommission brauche; eine Kommission verzögere nur. Jetzt brauche man sofort ein Konzept. Es stellt sich nur die Frage: Wieso haben Sie es nicht schon längst

vorgelegt, nachdem Sie jetzt ankündigen, Sie hätten eines, das Sie in Kürze vorlegen wollen? Ich will nur auf das Gerede über Konzepte und Notwendigkeiten hinweisen. Sie bekommen ein Konzept. Wenn Sie selbst eines haben, dann legen Sie es vor.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Glück? – Bitte schön, Herr Kollege Glück.

Herr Kollege, wie kommen Sie zu der Behauptung, dass ein Gesamtkonzept vorgelegt werden soll, wenn der Auftrag an die Kommission ausdrücklich heißt, dass nur der Bereich des Arbeitsmarktes im Hinblick auf die Zuwanderung zu regeln ist und alle Fragen des Asylrechts und andere Fragen außen vor bleiben müssen?

(Beifall bei der CSU)

Diese Frage ist ganz leicht zu beantworten, nämlich mit den Ausführungen des Kollegen Dr. Merkl. Das eine lässt sich von dem anderen so nicht trennen.

(Zuruf des Abgeordneten Glück (CSU))

Nein, das wird die Kommission auch nicht können. Keine Kommission wird das können.

(Glück (CSU): Das ist nicht wahr!)

Sie können das auch nicht. Wir können das seriöserweise auch nicht. Sie erhalten Ihr Konzept, und wenn Sie eines haben, dann legen Sie es vor.

(Glück (CSU): Das stimmt nicht!)

Ach was! Meine sehr verehrten Damen und Herren, strittig ist doch nicht, dass wir ein Gesamtkonzept brauchen.

(Glück (CSU): Aber die Kommission darf keines vorlegen!)

Strittig ist ausschließlich die Frage, was der Inhalt eines Gesamtkonzepts sein soll. Das ist doch die strittige Frage. Sie wollen den Versuch unternehmen, die Diskussion, die 1992/1993 im Zusammenhang mit dem Asylkompromiss geführt worden ist, jetzt wieder hochzukochen. Das ist Ihre Intention, wenn Sie von einem Gesamtkonzept reden, wohingegen die Bundesregierung eine andere Vorstellung hat. Sie sagt: Wir haben damals einen Kompromiss gefunden, daran soll im Wesentlichen nicht gerüttelt werden, wohl wissend, dass es schon im Hinblick auf die europäische Ebene Änderungen geben muss. Sie aber wollen diesen damaligen Kompromiss aushebeln. Das ist der große Unterschied zwischen den verschiedenen existierenden Vorschlägen.

Im Übrigen ist mir aufgefallen, meine sehr verehrten Damen und Herren – ich will das nicht überbetonen –, dass es in Ihrem heutigen Antrag heißt, dass ein Konzept vorgelegt werden müsse über die Steuerung und die Begrenzung der Zuwanderung, wohingegen es in der Berichterstattung über die gestrige Kabinettssitzung genau in umgekehrter Reihenfolge heißt. Dort ist nicht von Steuerung und Begrenzung die Rede, sondern an erster Stelle steht die Begrenzung, dann erst kommt die Steuerung. Ich weiß nicht, ob das ein lässlicher Fehler in der Abstimmung zwischen Staatsregierung und Fraktion war. Lassen wir aber diese Kleinigkeiten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Problem scheint mir zu sein, die Union insgesamt, die CSU und die CDU wissen noch nicht, wie sie mit diesem Thema, das in der Tat wellenartig behandelt wird, diesmal umgehen sollen, nachdem die Bundesregierung die Initiative ergriffen hat.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich will Sie daran erinnern, dass die Bayerische Staatsregierung in ihrer Regierungserklärung 1998 Folgendes ausgeführt hat: „Die Bayerische Staatsregierung will die Zuwanderung auf den deutschen Arbeitsmarkt begrenzen, und zwar nicht durch den Ausschluss vom Arbeitsmarkt nach der Einreise, sondern durch die Begrenzung der Zuwanderung.“ Das war 1998; das ist noch nicht so lange her. Heute sind Sie wie folgt zu vernehmen: Es sollen Handlungsspielräume für eine im Interesse von Staat und Gesellschaft gelegene Aufnahme von Ausländern geschaffen werden. Was nun? Zwischen diesen Aussagen liegen nur zwei Jahre.

Ich nehme erfreut zur Kenntnis, dass Sie offensichtlich von Ihrem Dogma Abschied genommen haben, das da lautete: Bayern ist kein Einwanderungsland, und Deutschland auch nicht. Sie sind offenbar bereit, wie Herr Dr. Merkl hier eingefordert hat, die Realität zur Kenntnis zu nehmen. Ich will die Widersprüchlichkeit Ihrer Ausführungen nicht allzu sehr breittreten, aber es ist doch interessant festzustellen, wie sich Ihre Positionen im Laufe der Monate und Jahre änderten. Gott sei Dank kann nunmehr jemand in der CDU/CSU ungestraft – jedenfalls bislang, Herr Bosbach ist noch stellvertretender Fraktionsvorsitzender – zugeben, was man schon vor 20 Jahren hätte zugeben müssen. Man hätte viele überflüssige Diskussionen vermieden, wenn man damals zugegeben hätte, dass Einwanderung erstens stattfindet und zweitens nicht nur eine Last für den aufnehmenden Staat ist, sondern auch eine Bereicherung sein kann. Es hat leider viel zu lange gedauert, bis es so weit gekommen ist.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abgeordneten Dr. Merkl (CSU))

Viele Menschen und das politische Klima in diesem Land haben darunter gelitten, dass Sie nicht bereit waren, das rechtzeitig anzuerkennen.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Goppel (CSU))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wehren uns nicht gegen ein Gesamtkonzept, ganz im Gegenteil. Ich habe gesagt, dass die Initiative von der Bundesregierung ausgeht. Das größte Problem der Zuwanderung liegt darin, dass sie viele Facetten hat. Herr Dr. Merkl, Sie haben damit Recht, dass wir über den Familiennachzug reden müssen, über die Aussiedler, insbesondere über diejenigen der zweiten und dritten Generation, über Asylbewerber, über abgelehnte Asylbewerber, über Werkvertragsarbeitnehmer, über Arbeitnehmer aus den Ländern des Ostens, die neu zu uns kommen usw. Das ist ein gigantisches Problem, das zu lösen wir uns keineswegs weigern. Wer das aber lösen will, muss bereit sein, die Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen.

Eine der Tatsachen ist, dass die Zahl der Asylbewerber seit Jahren rückläufig ist. Wir hatten im Jahr 1999 nur noch 99000. Ich sage „nur noch“, weil es schon einmal 300000 oder 400000 waren. Seit dem Asylkompromiss ging die Zahl ständig zurück; zurzeit liegt sie bei etwa knapp 100000. Die Zahl der Asylbewerber pro 1000 Einwohner in Deutschland ist keineswegs mehr die höchste in Europa. Das war zwar einmal so, aber zurzeit haben wir in der Bundesrepublik pro 1000 Einwohner 1,2 Asylbewerber, während es in der Schweiz 5,68 und in Holland 2,86 sind; in anderen Ländern ist es ähnlich.

(Willi Müller (CSU): Sie sollen die absoluten Zahlen sagen!)

Selbstverständlich muss ich die Zahl relativieren, weil ich nicht die absoluten Zahlen der Bundesrepublik mit denen der Schweiz oder Hollands vergleichen kann, sondern ich muss eine Relation herstellen.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Tatsache ist auch, dass die Zuwanderungsbilanz seit Jahren negativ ist. Es wandern mehr Ausländer weg als herkommen, auch wegen der Politik, auch deswegen, weil man es immer weniger Menschen attraktiv macht, hier zu bleiben. Ich kenne doch die Petitionen von hochqualifizierten Menschen, die gerne hier bleiben möchten, zum Beispiel – erst vor wenigen Wochen – von einer Dirigentin, die man nicht hier lassen will. Man will sie rauswerfen, und die einzige Möglichkeit für sie, in der Bundesrepublik zu bleiben, besteht darin, in ein anderes Bundesland zu ziehen. Derartige Maßnahmen haben zu einem negativen Wanderungssaldo geführt.

Tatsache ist auch, dass die Deutschen immer weniger werden. Gestern konnte man im „Pressespiegel“ einen sehr interessanten Artikel des Herrn Dr. Gauweiler lesen, in dem er seine Sorge darüber zum Ausdruck gebracht hat, dass Deutschland in 30 bis 40 Jahren ohne Deutsche dastünde. Ich wüsste eine Antwort darauf, aber will das nicht breittreten. Sie können sich vorstellen, was man tun muss, um mehr Deutsche zu bekommen.

(Heiterkeit)

Das Problem liegt doch nicht darin, dass Deutschland eines Tages ohne Deutsche sein wird, sondern darin, dass wir zur Kenntnis nehmen müssen: Wenn es keine Deutschen mehr gibt oder wenn sie nicht arbeiten wollen, dann brauchen wir andere; dann müssen wir Menschen aus dem Ausland darum bitten, wie es jetzt mit der Green-Card-Initiative geschieht und wie es in den sechziger Jahren millionenfach gemacht worden ist.

Ich will noch auf die Untersuchung der Megatrends hinweisen, die die Staatsregierung bei einem Institut in Auftrag gegeben hat. Darin wird untersucht, wie Deutschland und Bayern in 20 oder 30 Jahren aussehen werden, was man tun muss, damit die Entwicklung noch besser sein wird, als sie jetzt schon ist. Wenn man diese Projektion wagt, muss man zur Kenntnis nehmen, dass es nicht möglich sein wird, provinziell auf die Megatrends zu antworten. Es wird nicht möglich sein, die Schotten in einer Zeit dichtzumachen, die von Globalisierung geprägt ist. Man darf nicht glauben, dass in Bayern nur Bayern und in Deutschland nur Deutsche leben können. Man hat zur Kenntnis zu nehmen, dass die Welt klein geworden ist und die Menschen mobil geworden sind. Trotz all seiner Bemühungen wird Herr Beckstein diesen Megatrend nicht umkehren können.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen versuchen, uns damit zu arrangieren und die Zuwanderung zu gestalten. Das wollen wir. Sie wollen das offensichtlich nicht, sondern Sie wollen weiterhin die Zuwanderung begrenzen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist nicht anrüchig, wenn die Bundesrepublik, die USA oder Australien sich bei der Aufnahme von Ausländern überlegen, ob es ihnen nützt oder nicht. Das ist durchaus ein legitimes Interesse der Länder, auch der Bundesrepublik Deutschland. Anrüchig ist es aber schon, wenn man nur noch jene aufnehmen will, die uns nützen, und die anderen vor der Tür stehen lassen will, für die wir eine humanitäre Verpflichtung haben, und zwar nicht nur qua Grundgesetz und wegen der Genfer Konvention, sondern auch deswegen, weil wir alle miteinander Christenmenschen sind. Wer versucht, die einen gegen die anderen auszuspielen, wie es einige in der CSU tun – nicht Sie, Herr Dr. Merkl –, verschläft nicht nur die Megatrends, sondern versündigt sich an der Gesinnung, die im christlichen Abendland über 2000 Jahre hinweg entstanden ist. Deswegen werden wir dabei nicht mitmachen.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deutschland ist ein reiches Land, und Bayern ist noch viel reicher. In den letzten Wochen habe ich gelesen, dass die durchschnittlichen Einkommen in Bayern deutlich höher sind als in Thüringen oder Mecklenburg-Vorpommern.

(Freiherr von Rotenhan (CSU): Noch mehr!)

Ja, Sie sind sogar höher als in manch anderen westlichen Bundesländern. Darüber können wir uns doch freuen. Wir wissen auch, dass zu diesem Reichtum die damaligen Gastarbeiter und ihre Kinder beigetragen haben, und zwar nicht wenige. Es gibt Hunderttausende von Unternehmern in Deutschland, die keinen deutschen Pass haben. Es gibt Millionen Ausländer, die hier jeden Tag arbeiten, Steuern zahlen und dafür sorgen, dass wir in Wohlstand leben können. Wir sind ein reiches Land. Gerade ein so reiches Land wie wir hat überhaupt keinen Grund, Angst davor zu haben, dass 10000, 20000 oder 30000 hier herein und an unserem Wohlstand teilhaben wollen.

(Zuruf des Abgeordneten Freiherr von Rotenhan (CSU))

All diejenigen Asylbewerber, die sich nicht auf politisches Asyl berufen können, als Wirtschaftsflüchtlinge abqualifizieren, verkennt die Realität. Es ist ein ganz legitimes Interesse dieser Menschen, an unserem Wohlstand teilzuhaben. Das schadet uns nicht, sondern wird unser Land bereichern. Wie arm wäre dieses schöne Land Bayern, hätte es nicht über Jahrhunderte hinweg Zuwanderung über die Alpen gegeben, hätte es nicht die vielen Architekten und Künstler von jenseits der Alpen gegeben.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch diese Perspektive muss man sich einzunehmen getrauen. Zuwanderung nützt diesem Land mehr, als sie ihr schadet. Da Ihr Antrag rückwärts gerichtet ist, werden wir ihn ablehnen und dem Antrag der GRÜNEN zustimmen.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)