Protocol of the Session on March 22, 2000

Was soll Europa werden? Wie ist die Finalität Europas? Soll es ein europäischer Staat werden, wie es der Bundesaußenminister im Europäischen Parlament und im Deutschen Bundestag klipp und klar gefordert hat? Er sagte, wir bräuchten ein Zwei-Kammer-System. Nur die Mitgliedstaaten und die nationalen Parlamente sollen noch in Europa gehört werden. Die föderativen Strukturen, also die Bundesländer in Deutschland, würden damit in Europa keinen Stellenwert mehr haben. Warum greifen Sie das nicht an? Träte das ein, könnten Sie alle nach Hause gehen.

Es kann nicht unser Ziel sein, dass ein europäischer Staat aufgebaut wird, der aus dem Europäischen Parlament und einer zweiten Kammer besteht, in der die Vertreter von nationalen Parlamenten oder Vertreter von nationalen Regierungen sitzen, nicht jedoch die Vertreter von Regionen, also den deutschen Bundesländern. Von Bayern wäre weder Parlament noch Regierung vertreten. Das kann nicht das Ziel des vereinten Europas sein.

(Beifall bei der CSU)

Sie können das noch 50-mal sagen, trotzdem ist es falsch. Sie sollten damit vorsichtig sein, immer wieder denjenigen, der die Entwicklung Europas positiv und kritisch – also nicht nur positiv, sondern auch kritisch – begleitet, an den Pranger zu stellen. Wer fragt denn nach dem Verhandlungsstand zwischen der Europäischen Union und Polen, zwischen der Europäischen Union und Tschechien, und was auf wirtschaftlichem Sektor vereinbart wurde? Ich hörte, dass 60% bis 70% bereits verhandelt sind. Die Bundesregierung informiert die deutsche Öffentlichkeit nicht über die gegenwärtige Verhandlungssituation mit den Beitrittsländern. Wir wissen auch nicht, was wir dazu beitragen müssen. Die Bundesregierung geht dieser Diskussion aus dem Weg. Schon die frühere Bundesregierung hat die Diskussion nicht optimal geführt. Dafür wurde sie von Herrn Schröder kritisiert. Jetzt führt dieser die nicht optimale Information der Bundesregierung gegenüber der Öffentlichkeit fort. Unabhängig davon, wer regiert, halte ich das für einen schweren Fehler, weil Europa damit nicht in der Öffentlichkeit verankert wird.

(Beifall bei der CSU)

Ich habe mich gegen das Wort des Bundeskanzlers Kohl gewandt: Lasst die Skeptiker am Wegrand stehen, wir marschieren weiter. Ich habe diesen Ausspruch mehrfach bei ihm und in der Öffentlichkeit kritisiert und den Hinweis gemacht, dass am Ende die Ränge der Skeptiker so groß sein könnten, dass diejenigen, die nach Europa marschieren, immer weniger werden. Wir müssen die Skeptiker – nicht die Gegner, die können wir nicht mitnehmen – nach Europa mitnehmen.

(Frau Renate Schmidt (SPD): Man muss doch auch etwas Positives zu Europa sagen!)

Ich greife den Satz meines Freundes Jean-Claude Juncker, Ministerpräsident des Landes Luxemburg, auf. Er erklärte öffentlich: Wir beschließen in Europa etwas, ziehen den Kopf ein, warten auf die Reaktion – die nicht kommt, weil sie keiner begreift –, dann machen wir weiter. So konnte man Europa noch in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren aufbauen. So kann man Europa bei der nachwachsenden Generation, die viele Segnungen Europas als selbstverständlich nimmt und den Schrecken des Krieges nicht kennt, nicht aufbauen. Mit den Menschen muss offen geredet werden. Ihnen muss gesagt werden, was auf sie zukommt, welche Vorund Nachteile sie haben werden. Wir müssen die Nachteile minimieren. Wenn ich das anspreche, meinen Sie, das sei die „Haiderisierung“ der Politik. Sie wollen der Diskussion ausweichen. Das versucht der Bundeskanzler, und das versuchen Sie als seine Schülerin.

(Beifall bei der CSU – Frau Renate Schmidt (SPD): Sie sollten nur ein positives Wort über Europa verlieren, dann wäre dieser Vorwurf weg!)

Ich will das Thema nicht zu hoch hängen, sage Ihnen aber ganz offen: Wer bei der Europapolitik in der bayerischen Bevölkerung eine so geringe Resonanz hat wie Sie, und wer mir „Haiderisierung“ vorwirft, maßt sich viel an, weil wir schließlich über 64% der bayerischen Bevölkerung bei der Europawahl hinter uns vereinen konnten.

(Frau Renate Schmidt (SPD): Der Wähler, nicht der bayerischen Bevölkerung!)

Das ist eine ganz große Anmaßung.

(Beifall bei der CSU)

Meine Damen, meine Herren, was die Diskussion mit der Bevölkerung anlangt, so tun Sie, als würde zu jedem Thema eine Unterschriftenaktion gestartet werden.

(Frau Renate Schmidt (SPD): Das ist die Haltung von Staatsminister Bocklet!)

Das ist die klare Position der CSU und der CDU. Ich freue mich, dass es in diesen Fragen kaum Unterschiede zu Ministerpräsident Clement gibt. Ich staune über seine Härte gegenüber der Bundesregierung und zur Ablehnung der Osterweiterung, wenn die Änderungen bei der Kompetenzabgrenzung nicht vollzogen werden.

(Frau Renate Schmidt (SPD): Das werden wir sehen!)

Ja, wir werden sehen, was die Ministerpräsidenten der SPD-regierten Länder tun werden. Ich kann Ihnen dazu sagen: Der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen hat in geradezu brutaler Offenheit gegenüber der EU-Kommission deutlich gemacht, er könne nicht anders, auch wenn das einigen in Deutschland nicht gefallen möge.

Er hat klipp und klar erklärt: Die Eigenstaatlichkeit der Länder hat den höchsten Rang. Wenn die Eigenstaatlichkeit der Länder angetastet wird, kann ich als Minister

präsident keinen weiteren Kompetenzübertragungen an die EU zustimmen. Ich muss hier nach dem Motto gehen: Zuerst das Land und dann die Partei. – Meine Damen und Herren, ich habe das gerne gehört und kann nur sagen: Weiter so! Ich glaube, dass wir auf dieser Ebene ein wesentliches Stück weiterkommen, unabhängig von Ihren Einlassungen, meine Damen und Herren von der Opposition.

Wenn es nicht zu einer breiten Diskussion über die Erweiterung der Europäischen Union kommt, im Bundestag, im Bundesrat, im Bayerischem Landtag, in den Parlamenten, in der Öffentlichkeit, – –

(Frau Renate Schmidt (SPD): Das ist doch unbestritten!)

Ja, vor allem im Bundestag. – Es geht um viele wichtige Themen, etwa darum, ob die Aussage von Herrn Dr. Fischler zutrifft, dass die im März letzten Jahres beim Berliner Gipfel angestellte Schätzung zu den Kosten der Osterweiterung um 12 Milliarden Euro nach oben korrigiert werden muss. Das ist doch ein wichtiges Thema. Anscheinend fehlen 12 Milliarden Euro. Ansonsten kann die Osterweiterung nicht in der geplanten Form durchgeführt werden. Dazu müsste man sich eigentlich dem Parlament gegenüber äußern. Doch der Bundeskanzler gibt keine entsprechende Regierungserklärung ab, sondern fährt ohne irgendeine Vorgabe seiner eigenen Partei bzw. seiner eigenen Fraktion zum Gipfel nach Lissabon. Ich halte das nicht für richtig.

(Beifall bei der CSU)

Er will der Diskussion hier ausweichen. Wenn auch über dieses Thema nicht gesprochen wird, müssen wir die Diskussion über die Erweiterung der EU mit der Bevölkerung auf andere Weise führen. Frau Schmidt, das Thema Türkei kann man nicht so einfach abtun. Sie haben gesagt, die Türkei sei kein Beitrittskandidat. Natürlich ist sie ein solcher. Sie hat den Status eines Beitrittskandidaten; im Moment wird nur nicht mit ihr verhandelt. Doch schon aus dem Status des Beitrittskandidaten ergeben sich bestimmte Rechte. Gegenwärtig wird bereits mit der Europäischen Union darüber verhandelt, wie türkische Unternehmungen, vor allem türkische Bauunternehmungen, in die öffentlichen Ausschreibungen der EU einbezogen werden können. Das hat Auswirkungen. Darüber muss man doch mit der Bevölkerung sprechen, damit die Menschen wissen, was los ist.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Elisabeth Köhler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

In dem Zusammenhang ist auch über die Grenzen zu reden, über die geographischen und auch über die kulturellen Grenzen. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie mögen es anders sehen; aber gegenwärtig ist der größte Teil der Bevölkerung nicht damit einverstanden, dass die Türkei Beitrittskandiatenstatus hat. Das ist für mich auch maßgebend.

(Beifall bei der CSU)

Meine letzte Anmerkung. Ich komme zu einem Thema, das uns ganz besonders betrifft und bei dem ich auf Ihre Einsichtsfähigkeit hoffe, meine Damen und Herren von der SPD und von den GRÜNEN. Was die Daseinsvorsorge angeht, haben Sie nach meiner Einschätzung Frau Wulf-Mathies etwas falsch verstanden. Jawohl, wir haben uns gewehrt. Denn wir wollten nicht, dass die Daseinsvorsorge in die Kompetenz der EU fällt.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Renate Schmidt (SPD))

Der Vorschlag der Europäischen Kommission, den berühmten Artikel 3 zu ändern, zielte darauf ab, die Kompetenz der EU im Hinblick auf die Daseinsvorsorge zu erweitern.

(Frau Renate Schmidt (SPD): Das wäre falsch!)

Ja, das ist es ja. Deswegen haben wir uns gewehrt. Wir haben uns geweigert, die Daseinsvorsorge generell der Kompetenz der EU zuzuordnen. Denn dann könnte uns die Europäische Union auf den verschiedensten Feldern etwas vorschreiben, beim Rundfunk angefangen, bis hin zur Altenpflege. Da kommen noch sehr viele Probleme auf uns zu.

Festgemacht hatten wir unsere Kritik zunächst an dem Vorgehen der EU im Hinblick auf die hiesigen Landesbanken und Sparkassen. Wir waren der Meinung, Herr Bundeskanzler Kohl habe gewaltig gekämpft. Doch hat er nur eine Protokollerklärung erreicht, nicht einmal eine Protokollnotiz. Wir sind davon ausgegangen, dass mit dieser Protokollerklärung des Problem der Sparkassen und Landesbanken im Prinzip gelöst wäre, dass diese als eine deutsche Eigenheit akzeptiert seien, und zwar aus den bekannten Gründen. Was musste ich hören? – Sowohl der frühere EU-Wettbewerbskommissar van Miert, als auch sein Nachfolger Dr. Monti

(Zuruf der Frau Abgeordneten Renate Schmidt (SPD))

sprachen trotz der erwähnten Protokollerklärung von einer massiven Ausdehnung des Sparkassenwesens hierzulande. Da muss ich ganz offen sagen: Die Sparkassen, die werden zum Konfliktfall werden. Daran müssen wir unseren Widerstand festmachen. In Deutschland ist es nun einmal so, dass die Genossenschafts- und Raiffeisenbanken sowie die Sparkassen in der Fläche sind. Wenn es hier zu Einschränkungen käme, würde sich die Struktur unseres Landes verändern: In den Städten wäre Zuwanderung zu verzeichnen. Im ländlichen Raum käme es, was die Kreditversorgung anbelangt, zu erheblichen Schwierigkeiten.

Vor dem dargestellten Hintergrund bitte ich um etwas mehr Fairness, aber auch darum, etwas stärker auf die bestehenden großen Probleme einzugehen. Ich glaube, dass wir aufgrund des eingangs angesprochenen Urteils, aufgrund der allgemeinen Bewusstseinsveränderung und der Entwicklung Europas eine Chance haben. Wie soll Europa aussehen? Welche Rolle sollen die Nationalstaaten spielen? Welche Rolle sollen die Länder oder die Regionen künftig spielen? Das sind

offene Fragen. Ich persönlich bin der Meinung, dass die nationalen Kompetenzen und die nationalen Ebenen in einem immer stärker zusammenwachsenden Europa immer weniger werden werden. Das begreifen wir. Das werden die Franzosen und auch die Italiener angesichts einer immer mächtiger werdenden Kommission begreifen.

(Wortmeldung des Abgeordneten Dr. Kaiser (SPD))

Frau Zweite Präsidentin Riess: Herr Kollege Dr. Kaiser, die Aussprache ist geschlossen. Eine Zwischenfrage ist jetzt nicht mehr zulässig.

Es ist unsere Aufgabe, in unserem Verantwortungsbereich die Chancen zu nutzen, die sich gerade durch die europäische Integration für Föderalismus und für das Land Bayern ergeben. In einem größer werdenden Europa und einem im Hinblick auf viele Fragen an Bedeutung verlierenden Deutschland bestehen sehr große Chancen für dieses Haus, für die von Ihnen getragene Staatsregierung und damit für dieses Land insgesamt. Diese Chancen wollen wir nutzen. Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihre Beiträge. Ich habe doch den Eindruck, dass die Vorschläge, die ich heute unterbreitet habe, die Zustimmung der Mehrheit in diesem Hause finden. Dafür herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CSU)

Frau Zweite Präsidentin Riess: Kolleginnen und Kollegen, ich lasse jetzt noch über die beratenen Dringlichkeitsanträge abstimmen, zunächst über den der SPDFraktion auf Drucksache 14/3203. Wer dem Dringlichkeitsantrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Herr Kollege Hartenstein ist nicht anwesend. Gegenstimmen? – Das ist die Fraktion der CSU. Stimmenthaltungen? – Ich sehe keine. Der Dringlichkeitsantrag ist damit abgelehnt.

Jetzt lasse ich über den Dringlichkeitsantrag der CSUFraktion auf Drucksache 14/3204 abstimmen. Wer diesem seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der CSU. – Gegenstimmen? – Das ist die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Stimmenthaltungen? – Das ist die Fraktion der SPD. Herr Kollege Hartenstein war bei dieser Abstimmung nicht anwesend. – Der Dringlichkeitsantrag ist damit angenommen.

Persönliche Erklärungen nach § 110 unserer Geschäftsordnung möchten zwei Mitglieder der Fraktion des BÜNDNISES 90/DIE GRÜNEN abgeben. Ich erteile zunächst Herrn Kollegen Dr. Runge das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen, meine Herren! Der Vorsitzende der CSU-Fraktion, Alois Glück, hat in seinem Redebeitrag mir als Vertreter der GRÜNEN im Rundfunkrat Pflichtverletzung vorgeworfen. Dies weise ich zurück.

(Zurufe von der CSU)

Frau Paulig hat in ihrem Beitrag ausgeführt, dass auf Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks Druck ausgeübt werde, dass kritischer – heißt: regierungskritischer – Journalismus unterdrückt werde. Die betreffenden Mitarbeiter haben sich zuerst an Frau Paulig gewandt und dabei um strikte Vertraulichkeit gebeten.

Es geht um den Schutz der Informanten, den Schutz der jeweiligen Personen. Bevor solch sensible Dinge an die große Glocke gehängt werden, gilt es, genau zu recherchieren und auch bei der anderen Seite nachzuhaken, und zwar nichtöffentlich, Herr Glück und Frau Paulig.

Aber Herr Glück, wenn Sie es so wollen: Auf der letzten Sitzung des Fernsehausschusses habe ich massive Kritik an der Berichterstattung im Vorabendprogramm des Bayerischen Fernsehens geübt. Ich habe Kritik geübt an der Einseitigkeit von Auswahl und Diktion der Beiträge. Als Gründe hierfür sehe ich aber weniger die Ausübung von Druck als vielmehr die Schere im Kopf und den vorauseilenden Gehorsam einzelner Mitarbeiter.