Protocol of the Session on March 22, 2000

Natürlich geht es bei der Frage der Subsidiarität um Macht. Aus Ihrem Blickwinkel und aus dem Blickwinkel der Staatsregierung, Herr Ministerpräsident, geht es natürlich um Machterhalt.

Windelweich ist deshalb in Bezug auf den inneren Föderalismus in Bayern die Erklärung, die Sie in dem Dringlichkeitsantrag abgeben, wenn davon die Rede ist: Es ist zu prüfen, wie Kompetenzen erweitert werden können. Da kommt nichts Konkretes. Da warten wir auf die Ausführungen. Ich denke, es wird auch hier bei den hehren Worten bleiben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie gehen in Ihrem Dringlichkeitsantrag im letzten Absatz auf ein Bekenntnis zur Selbstorganisation der Bürger ein. Ich halte dies für geradezu scheinheilig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn was dahinter steht, ist die Entsolidarisierung der Gesellschaft. Dies wurde – es sei nur als Beispiel genannt – deutlich bei allen Vorschlägen, die Sie zur

Reform der Rente gemacht haben, auch bei allen Vorschlägen, die Sie zur Gesundheitsreform machen. Sie wollen eine Gesellschaft für Starke, für diejenigen, die vorsorgen können. Sie fordern Eigenverantwortung ein, haben aber keine Konzepte dafür, die Bürgerinnen und Bürger auch in die Lage zu versetzen, diese Verantwortung auch wahrzunehmen. Sie nehmen bei dieser Politik in Kauf, dass Schwächere auf der Strecke bleiben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Einige Worte zu Europa. Europa steht vor großen Herausforderungen. Europa steht aber vor allen Dingen vor großen Chancen. Es gilt, diese Chancen in Bayern mitzugestalten. Dafür ist eine Reform der Institutionen nötig, eine umfassende Reform der Institutionen der Europäischen Union. Dazu ist – ich habe es schon an anderer Stelle gesagt – auch die Reform des Finanzierungssystems nötig.

Aber was macht Bayern? Bayern verharrt in seiner Verweigerungshaltung. Sie verweigern die offene Debatte um eine Europäische Verfassung und um die Grundrechtscharta. Was das Schlimmste ist: Sie versuchen, auch diese wichtige Diskussion um die Zukunft Europas ohne die Bürgerinnen und Bürger zu führen, indem Sie die offene Diskussion und die Vertiefung der europäischen Integration nicht mit den Bürgerinnen und Bürgern führen, sondern ausschließlich auf der Bühne der Exekutive betreiben.

Die Bürgerinnen und Bürger kommen erst dann wieder zu Wort, wenn es in Ihr populistisches Spiel passt, und zwar zugunsten des eigenen Machterhalts. Dabei erinnere ich an Ihre Vorschläge zur Unterschriftenaktion gegen die Osterweiterung.

Sie beklagen die Kompetenzanmaßung der EU. Auch dies ist scheinheilig. Sie wissen so gut wie ich, dass viele Probleme in den Mitgliedsstaaten erst durch die Intervention eben dieser Mitgliedsstaaten auf die europäische Ebene kommen und dann zu europäischen Problemen werden.

Ich nenne nur ein Beispiel. Wir hatten im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten über die Sparkassen, über das deutsche Sparkassensystem gesprochen. Es waren doch die deutschen Banken, die das deutsche Sparkassenwesen erst zu einem europäischen Thema gemacht haben. Es war doch nicht die Europäische Kommission, die dieses Thema angerissen hätte. So gibt es Beispiele in Hülle und Fülle.

Wenn es in Ihren Kram passt, wenn es Ihrem Machterhalt dient, dann ist Bayern immer vorneweg, um Probleme auf die europäische Ebene zu verlagern.

Wir wollen mehr demokratische Legitimation für Europa. Deshalb brauchen wir eine umfassende Reform der Institutionen. Deshalb müssen wir zu Mehrheitsentscheidungen kommen. Deshalb brauchen wir auch weiterhin eine Stärkung des Europäischen Parlaments.

Wie steht es aber z. B. um die demokratische Legitimation des Ausschusses der Regionen, für den Sie immer

weiterreichende Kompetenzen fordern? Im Gegensatz zu vielen Vertretern anderer Mitgliedsstaaten betreibt Bayern die Politik, den Ausschuss der Regionen ausschließlich als Machtinstrument der Exekutive zu nutzen. Dort sind die Parlamente nicht vertreten, und die Kommunen sind nicht vertreten. Das dient ausschließlich Ihrem Machterhalt. Das ist keine Reform, die wir als demokratische Reform der europäischen Union ansehen. Solange dies nicht anders wird, lehne ich deshalb weiter gehende Kompetenzen für den Ausschuss der Regionen ab.

Sie betreiben ein Schattenboxen um die Osterweiterung. Mit vollmundigen Erklärungen wie „Qualität vor Zeit“ betreiben Sie dieses Spiel um die Osterweiterung. Dabei ist hier doch überhaupt kein Dissens. Es besteht kein Dissens zu den GRÜNEN, kein Dissens zur SPD, kein Dissens zum Europäischen Parlament und auch nicht zur Kommission. Alle, die ich nun genannt habe, sind sich darüber einig, dass die Kopenhagener Kriterien natürlich eingehalten werden müssen, bevor ein neues Land Mitglied der EU werden kann. Hier ist kein Dissens.

Warum beenden Sie also nicht endlich die Stimmungsmache gegen den Beitritt der osteuropäischen Länder und beteiligen sich konstruktiv an der Gestaltung der Erweiterung, damit nämlich die Chancen der Erweiterung, die größer sind als die Risiken – das kann man gar nicht oft genug sagen –, auch in Bayern fruchten können?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich noch ein paar Worte zur Türkei sagen. Herr Glück, Sie haben sie angesprochen. Ich bin gänzlich anderer Meinung. Die Türkei hat keinen neuen Status erhalten. Sie hat den Kandidatenstatus bereits sehr lange. Kürzlich wurde er bekräftigt. Wie anders wollen wir der Türkei eine Perspektive für Europa eröffnen, wenn nicht durch Bekräftigung dieses Kandidatenstatus? Sie wissen so gut wie ich, dass die Europäische Union bisher noch keine Verhandlungen mit der Türkei aufgenommen hat und dass dies nicht passieren wird, bevor in der Türkei nicht Menschenrechte und Demokratie gewährleistet sind. Gerade damit aber die Türkei Entwicklungen in dieser Richtung einleiten kann, ist es wichtig, ihr diese Perspektive zu eröffnen.

Ich vermute hinter Ihrem Unbehagen gegenüber der Türkei ganz andere Vorbehalte. Damit sind wir wieder beim Thema Leitkultur. Sie haben doch nur deshalb davor Angst, dass die Türkei in die Europäische Union kommt, weil dadurch das, was Sie als Leitkultur beschreiben, sich evtl. weiterentwickeln, öffnen oder verändern könnte. Ihnen geht es doch darum, ein islamisch geprägtes Land aus der Union herauszuhalten. Das machen wir GRÜNE nicht mit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie nun auch mich mit einem Bekenntnis zum Föderalismus schließen. Föderalismus ermöglicht Identifikation der Menschen mit ihrer Heimat – das haben nahezu alle Redner und Rednerinnen gesagt, und dieser Meinung bin ich auch. Sie, Herr Ministerpräsident, sag

ten richtig: Die Menschen leben in ihrem Land, sie sind in ihrer Heimat verwurzelt, sie wollen sich in ihrem Land, in ihrer Region wohl fühlen. Die Menschen können und wollen aber mehr. Sie sind längst reif für Europa und bereit, als Europäerinnen und Europäer selbstbewusst für ihre Anliegen einzutreten. Dazu brauchen sie nicht die schützende Hand eines Ministerpräsidenten, der aus eigenem Machtkalkül heraus vorgibt, sie vor einem übermächtigen Europa zu schützen. Die bayerischen Bürgerinnen und Bürger sind längst weiter. Trauen auch Sie ihnen endlich die Identifikation als Europäerinnen und Europäer zu,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und ermöglichen Sie die Entwicklung Bayerns zu einer weltoffenen Region in einem zusammenwachsenden, größeren Europa.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Herrmann. Bitte.

Frau Präsidentin, Hohes Haus! Lassen Sie mich zunächst einmal auf die Äußerungen von Frau Kollegin Paulig eingehen. Anfangs machte sie ein paar historische Anmerkungen, die ich durchaus nachvollziehen kann, in denen ich durchaus mit ihr übereinstimme. Frau Kollegin Paulig, ich meine zum Beispiel die Bezüge zu Immanuel Kant oder zur nationalsozialistischen Diktatur. Ich stimme mit Ihnen völlig überein: Föderalismus ist eine wichtige Sicherung auch gegen totalitäre Systeme. Übrigens war es nicht nur die nationalsozialistische Diktatur, die 1934 die Länder, wie es damals hieß, gleichgeschaltet hat – dasselbe konnte man dann 1949 noch einmal unter der SED-Diktatur in der DDR erleben; auch die hat sehr schnell die bisherigen früheren Länder wieder aufgelöst und Verwaltungsbezirke geschaffen.

Frau Kollegin Paulig, Sie haben sich dann aber im weiteren Verlauf leider vor jeder konkreten Aussage zum Föderalismus gedrückt. Sie haben über globale Umweltprobleme bis hin zum Waffenexport praktisch die gesamte Tagesordnung Ihres GRÜNEN-Bundesparteitages vom vergangenen Wochenende durchdekliniert, nur zur weiteren Entwicklung des Föderalismus haben Sie nicht die kleinste Idee beigetragen,

(Frau Paulig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zehn Punkte!)

mit Ausnahme vielleicht die Forderung nach einer Spielbank für München. Aus Ihrem Munde war das für mich tatsächlich ein neuer Aspekt. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass er tatsächlich ins Zentrum der Föderalismusdiskussion gerückt werden soll.

(Frau Paulig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da haben Sie Recht! Ich glaube aber, Sie haben nicht zugehört!)

Doch, ich habe Ihnen sehr genau zugehört.

(Frau Paulig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe zehn Punkte aufgeführt!)

Meine Damen und Herren, ganz wichtig – ich glaube, darin besteht leider immer noch nicht volle Übereinstimmung – ist die Frage, von welchem Staatsverständnis wir eigentlich ausgehen. Alois Glück hat dies in seiner Rede vorhin angesprochen. Es geht nicht darum, dass der Nationalstaat gnädigerweise Kompetenzen an Regionalverwaltungen abgibt – nein, unser Verständnis vom Staatsaufbau ist das Verständnis, das übrigens auch unserem Grundgesetz zugrunde liegt, dass wir aufbauen von den kleinen Gemeinschaften in unserer Gesellschaft über die Kommunen und über die Länder. Die Länder haben sich dann – so steht es auch ausdrücklich in der Präambel des Grundgesetzes – föderal zur Bundesrepublik Deutschland zusammengeschlossen. Letztlich hat damit nach meinem Verständnis das Grundgesetz dem eher zentralistischen Nationalstaatswahn des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts eine klare Absage erteilt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, hierin liegt meines Erachtens auch die eigentliche Herausforderung für die Diskussion in Europa.

Wenn wir in die USA schauen, erleben wir dort eine offensichtlich völlig problemlose Verbindung eines ausgeprägten Föderalismus mit einem ebenso natürlichen Patriotismus. Wenn wir demgegenüber in manche europäische Nachbarländer schauen, stellen wir fest, dass eben Frankreich oder Großbritannien und auch andere Länder leider eine wesentlich zentralistischere Nationalstaatstradition haben. Meine Befürchtung, ja ich möchte sagen mein Eindruck ist, dass in Brüssel in der Europäischen Kommission ganz offensichtlich zu viele jener arbeiten, die ein solches zentralistisches Nationalstaatsdenken von ihrem Heimatstaat aus gewohnt sind und das sie nun auf Europa projizieren und entsprechend auf einen zentralistischen europäischen Staat hinarbeiten wollen. Genau diesen Bestrebungen müssen wir mit aller Kraft entgegentreten.

Frau Paulig, ich hätte von den GRÜNEN aufgrund dessen, was sich jedenfalls aus der Entstehungsgeschichte Ihrer Partei oder Bewegung, wie Sie sich früher nannten, durchaus ergeben hätte, einen klaren Kurs gegen einen solchen europäischen Zentralismus erwartet. Seit eineinhalb Jahren trägt ja nun ein GRÜNER die Verantwortung für die deutsche Außenpolitik. Ich habe nicht den Eindruck, dass das Thema Föderalismus in Europa und Weiterentwicklung des Föderalismus in Europa auch nur im Entferntesten in den ersten 10, 20 oder 30 Prioritäten für die Arbeit des gegenwärtigen deutschen Bundesaußenministers vorkommt – ganz im Gegenteil. Gerade wenn man den GRÜNEN-Parteitag des vergangenen Wochenendes heranzieht: Sie verzetteln sich in stundenlange Debatten über Hermeskredite für chinesische Kraftwerke oder über den Panzerexport in die Türkei.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

Es gab keine einzige Initiative für ein föderales Europa.

(Beifall bei der CSU)

Bei Ihnen steht eben der Föderalismus nicht auf der Tagesordnung.

(Beifall bei der CSU)

Unser Verständnis von Föderalismus in Europa ist natürlich auch für die Osterweiterung von Bedeutung – das wurde heute schon mehrfach angesprochen. Dies gilt auch im Hinblick auf die Erwartungshaltung mancher Länder, die dieser Europäischen Union beitreten wollen. Sie mögen Recht haben, dass der eine oder andere vor allen Dingen finanzielle Erwartungen hat. Bei Ländern wie Estland, Lettland oder Littauen geht es nach deren Selbstverständnis aber auch darum, dass sie sich aus eigener Kraft vom früheren Moskauer Zentralismus befreit haben. Diese Befreiung wollen diese kleinen Länder nach ihrem Selbstverständnis jetzt nicht mit einem neuen Zentralismus tauschen, der in Zukunft in Brüssel regiert.

Ich will unter Hinweis auf den von uns vorgelegten Antrag allerdings noch einen ganz anderen Punkt ansprechen, den Sie, Frau Kollegin Gote, zum Schluss auch gestreift haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, beim Thema Subsidiarität und Föderalismus geht es für die CSU sicherlich auch weiter darum, die kommunale Ebene in Bayern zu stärken.

Denn die konsequente Anwendung des Subsidiaritätsprinzips hat auch Konsequenzen im Verhältnis der Länder zu ihren Kommunen. Die Kommunalpolitik wird von den Menschen am unmittelbarsten erlebt. Alles, was auf kommunaler Ebene erledigt werden kann, das soll nach unserer festen Überzeugung auch dort erledigt werden.

Es geht darum, dass wir die Bürger stärker in die Aufgaben der Kommunalpolitik einbeziehen. Es geht darum, im Zusammenhang mit der Neuordnung der Finanzverfassung von Bund und Ländern eine stärkere Einbeziehung der Kommunen im Sinne der Selbstverwaltung und der Eigenverantwortung zu prüfen.

Nach meiner Überzeugung werden wir auch den kommunalen Finanzausgleich in Bayern weiter entwickeln müssen; denn wichtige Zielsetzungen, die wir für den Länderfinanzausgleich verfolgen, müssen wir natürlich letztlich auch zum Maßstab für den kommunalen Finanzausgleich machen. Wer steuerliche Mehreinnahmen erzielt, darf diese nicht nahezu vollständig durch den Finanzausgleich wieder verlieren. Das ist unser Landesinteresse, aber dieses Interesse verfolgen zu Recht auch immer mehr Kommunen in Bayern.

Wer vor dem Finanzausgleich mit seiner Steuerkraft an der Spitze steht, darf hinterher nicht das Schlusslicht sein. Auch dieses Ziel verfolgen wir als Freistaat Bayern im Länderfinanzausgleich. Zu Recht wird dieses Ziel aber von vielen Landkreisen und Städten in Bayern immer engagierter verfolgt. Deshalb ist es, denke ich, für die Kommunen genauso wichtig wie auf der Ebene des Länderfinanzausgleiches, wenn wir weiter in die Richtung arbeiten, dass bei Steuermehreinnahmen wenigstens die Hälfte tatsächlich auch bei dem verbleiben soll,

der sie erzielt hat. Dann erreichen wir auch unter den Kommunen wieder mehr Wettbewerb und ein größeres Interesse der Kommunen, höhere Steuereinnahmen beispielsweise durch Wirtschaftsansiedlung zu erzielen.