Protocol of the Session on July 8, 2003

Wir haben laut Schätzung der Kommission rund 500000 Kleinunternehmen in Bayern. Diese sollen vom Kündigungsschutz entlastet und von Detailregelungen des Arbeitsstättenrechts befreit werden. Das Arbeitszeitrecht soll flexibilisiert werden. Die Möglichkeiten zur Lösung von der Tarifbindung sollen erweitert werden. Kleinunternehmen sollen durch Abbuchungsverfahren für die Lohnsteuer und die Sozialversicherungsbeiträge vom Berechungsaufwand befreit und auch von steuerlichen Buchführungspflichten deutlich entlastet werden.

(Dr. Kaiser (SPD): Das haben die in Berlin schon längst getan!)

Dieses „Wirtschaftsrecht light“ ist ein sehr konkretes Rezept gegen die spezifischen Belastungen von Kleinunternehmen. Bayern ist gelegentlich als Land des Mittelstandes verspottet worden. Wir stellen aber fest, dass gerade kleine und mittlere Unternehmen Arbeitsplätze schaffen. Dort wird eine hohe Arbeitsleistung erbracht. In der Woche werden 60, 70 und mehr Stunden geleistet. Wir sollten diese mutigen Unternehmer fördern, unterstützen und sie von überflüssiger Bürokratie entlasten, um ihnen damit mehr Mut zu Einsatz, Innovation und Kreativität zu geben.

(Beifall bei der CSU)

Damit soll auch der Geist für Unternehmensneugründungen wieder geweckt werden.

Zweitens. Wir wollen die Prüfzuständigkeiten in der technischen Arbeitssicherheit bündeln und straffen. Wir wollen eine drastische Vereinfachung und Vereinheitlichung von Sicherheitsvorschriften. Wir wollen weniger Vorschriften, weniger Genehmigungsverfahren und weniger Prüfungen. Zeitverluste durch unkoordinierte Doppeloder Mehrfachprüfungen der Berufsgenossenschaften, der Gewerbeaufsicht oder auch des TÜVs sind kontraproduktiv.

Ich möchte Ihnen dazu ein Beispiel aus der Kommissionsarbeit aufzeigen: Die Wurstschneidemaschine eines Metzgers, die ohnehin sicher gebaut sein muss, wird vor Ort nicht nur vom Prüftechniker der Fleischerei-Berufsgenossenschaft überprüft, sondern auch vom Prüfer der staatlichen Gewerbeaufsicht und möglicherweise auch noch vom Lebensmittelüberwacher des Landratsamtes. Das ist überzogener Bürokratismus, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CSU)

Wenn ähnlich qualifiziertes Personal nach ähnlichen rechtlichen Maßstäben ein und dieselbe Maschine mehrfach hintereinander kontrolliert, kostet es Zeit und Arbeit sowohl bei der Wirtschaft als auch in der Verwaltung. Es muss möglich sein, dass wir diese Verantwortlichkeiten zusammenfassen und grundlegend neu strukturieren.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was hindert Sie daran?)

Zur Vermeidung von Mehrfachprüfungen im Arbeitssicherheitsrecht schlägt die Kommission eine Lösung vor: Betriebsprüfungen werden durch ein beliehenes Unternehmen, beispielsweise durch den TÜV, durchgeführt. Routinemäßig prüfen Gewerbeaufsicht und Berufsgenossenschaften überhaupt nicht mehr. Die Gewerbeaufsicht ist nur noch als Aufsicht über die Kontrolleure sowie für Schwerpunktaktionen zuständig. Das sind sehr weitreichende Vorschläge, aber wir sind bereit, sie gründlich zu prüfen. Wir haben den Ehrgeiz, möglichst viele Vorschläge möglichst schnell in die Tat umzusetzen.

Drittens. Wir wollen Verwaltungsleistungen nach dem Prinzip „Alles aus einer Hand“. Wir wollen Beratung und Genehmigungen bei je einem Ansprechpartner bündeln. Hier sieht die Staatsregierung übereinstimmend mit der Kommission einen Schwerpunkt für rasches Handeln in landespolitischer Kompetenz.

In Bayern werden jedes Jahr rund 90000 Unternehmen gegründet. Wir sehen in den Unternehmensgründern die Pioniere für den sozialen Wohlstand von morgen. Deshalb ist hier der Staat als Förderer und Dienstleister gefragt und nicht als Kontrolleur, der bürokratische Hemmschuhe anlegt. Der Staat ist für die Baumeister der Zukunft da – und nicht umgekehrt.

Derzeit brauchen laut Umfrage der Kommission etwa 80% der Existenzgründer professionelle Hilfe, um sich im Förder- und Paragraphendschungel zurecht zu finden. Viele scheitern an einem zu hohen Kosten- und Zeitaufwand. Deshalb werden wir die Zuständigkeiten so bündeln, dass der Unternehmer für sein Anliegen immer nur eine einzige Ansprechstelle hat, die er aufsuchen muss.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist genial!)

Örtliche Anlaufstellen mit dem Ziel „Alles aus einer Hand“ erlauben eine schnelle Erledigung aller Formalitäten wie zum Beispiel Gewerbeanmeldung, Eintrag ins Handelsregister oder Anmeldung bei Finanzamt und Krankenkasse. Im Wesentlichen wird die Bündelung durch Übertragung von Aufgaben an die Landratsämter oder an die Industrie- und Handelskammern bzw. Handwerkskammern erreicht. Hierfür vernetzen wir alle beteiligten Stellen – Kammern, Gemeinden, Landratsämter und die Sozialversicherungsträger. Ich appelliere an die Kommunen, Software für die elektronische Gewerbeanzeige über das Internet möglichst flächendeckend einzusetzen. Unser Ziel muss sein, dass Selbstständigkeit nicht an Formalitäten scheitern darf, bevor sie überhaupt begonnen hat.

(Beifall bei der CSU)

Auch bei den Bau- und Anlagengenehmigungen lautet das wichtigste Ziel: Genehmigung aus einer Hand – und zwar in garantierter, kalkulierbarer Zeit. Wenn schon eine Genehmigung unverzichtbar ist, muss das Verfahren wenigstens so effizient und rasch wie möglich abgewickelt werden. Der Unternehmer soll nur mit einer Anlaufstelle in einem Verfahren zu tun haben und als Endprodukt eine umfassende Genehmigung erhalten. Er

soll sich darauf verlassen können, dass über sein Vorhaben innerhalb einer bestimmten Zeit, vielleicht innerhalb eines Monats, abschließend entschieden wird. Andernfalls soll nach dem Vorschlag der Kommission die Genehmigung als erteilt gelten. Von Landräten ist mir gesagt worden, dass sie auch bei größeren gewerblichen Bauten häufig in der Lage sind, innerhalb von einer oder zwei Wochen Baugenehmigungen zu erteilen. Wir möchten die Landräte und Verantwortlichen in den Baugenehmigungsbehörden ausdrücklich ermuntern, die jetzt schon vorhandenen Ermessensspielräume auszuschöpfen. Es muss aber auch unsere Aufgabe sein, weitere Maßnahmen zu einer Effizienzsteigerung und zu einer Beschleunigung von Genehmigungsverfahren bei Investitionen voranzubringen.

Viertens. Wir wollen mehr Bürgerservice für jedermann. Wir wollen das E-Government über das Internet konsequent ausbauen. Das beste Beispiel ist die elektronische Steuererklärung ELSTER, die in Bayern entwickelt wurde und mittlerweile eine Million mal mit großem Erfolg eingesetzt wird. Ich verweise auf Projekte wie das elektronische Grundbuch und das elektronische Mahnverfahren. Diese Wege müssen wir konsequent weiter gehen. Möglichst viele Informationen und Formulare sollten online verfügbar sein. Auch ein umfassender Email-Verkehr sollte rasch möglich werden. Die Möglichkeiten für Beratung, Kommunikation und Interaktion zwischen Verwaltung und Bürgern und Unternehmen sollen weiter verbessert werden.

Ich bitte das Hohe Haus um Unterstützung bei der Umsetzung dieser sehr ehrgeizigen Ziele. Wir wollen, dass in drei bis vier Jahren alle wesentlichen Dienstleistungen der Verwaltung online abgewickelt werden können. In diesem Zusammenhang möchte ich erneut an die kommunalen Gebietskörperschaften appellieren, diesen Weg entschlossen mit uns weiterzugehen.

Die Beseitigung eines Ärgernisses liegt uns besonders am Herzen. Ich meine die Reduzierung und Vereinfachung der Statistiken. Es ist auf Dauer nicht hinnehmbar, dass die Unternehmen in Deutschland mit der Erarbeitung von fast 500 Einzelstatistiken belastet werden.

(Beifall bei der CSU)

In der heutigen Zeit, in der durch den Mikrozensus in Umfragen sogar Wahlergebnisse bis auf die Stelle hinter dem Komma vorhergesagt werden können, muss es möglich sein, wesentliche Erkenntnisse für Staat und Wirtschaft zu gewinnen, ohne dass ständig Tausende von Unternehmen umfangreiche Fragebögen ausfüllen müssen.

(Beifall bei der CSU)

Die Kommission schlägt eine deutliche Reduzierung von Statistiken vor. Sie sollen bis auf einen unverzichtbaren Mindestbestand abgebaut werden. Sie sollen auf Stichproben umgestellt werden. Daten sollen im automatisierten elektronischen Verfahren erhoben werden. Zeitraubendes handschriftliches Ausfüllen muss überflüssig werden. Insgesamt soll der Staat Aufgaben, die er auf

die Unternehmen übertragen hat, reduzieren oder wieder selbst übernehmen.

Der Ministerpräsident hat an die Ressorts den Auftrag gegeben, dies unter dem Motto „Mut zur Lücke“ zügig anzugehen. Das, meine Damen und Herren, wird Sie zunächst überraschen. Wir sind aber der Auffassung, dass Perfektionismus zur Kostenbelastung führt und die wirtschaftlichen Kräfte lähmt. Deshalb müssen wir ein „Fitness-Programm“ für alle Bereiche der öffentlichen Verwaltung und der Wirtschaft in Gang setzen.

Ich möchte Ihnen außerhalb der Tätigkeit der HenzlerKommission zwei Projekte vorstellen, die die Staatsregierung in den nächsten Wochen und Monaten intensiv beschäftigen werden.

Wir wollen eine deutliche Verwaltungsvereinfachung für die Landwirtschaft.

(Beifall bei der CSU)

Wir werden das Thema noch vor der Sommerpause im Ministerrat auf den Weg bringen. Als Beispiele nenne ich den Verzicht auf den Rinderpass bei der innerstaatlichen Tierverbringung oder den „Mehrfachantrag online“. Seit 2002 können die Landwirte in Bayern Flächenprämien und wichtige Tierprämien über das Internet beantragen. Ich bestätige den Landwirten in Bayern mit Hochachtung, dass sie modern wirtschaften und moderne Technik einsetzen.

Ich nenne Ihnen aber auch ein abschreckendes Beispiel. Der Bund hatte vorgesehen, das Verfahren der Umsatzsteuer-Pauschalierung zu ändern. Er wollte fast 400000 land- und forstwirtschaftliche Betriebe in ein aufwändiges Umsatzsteuerverfahren drängen. Dieses Verfahren scheiterte im Vermittlungsausschuss. Damit haben wir, meine Damen und Herren, eine riesige Bürokratielast von der Landwirtschaft abwenden können.

Dies ist nur ein Beispiel, dass im Bund und der EU eine Unzahl an neuen Regelungen mit einer Vielzahl an Details entstehen, die für den Landwirt in der Praxis kaum noch zu überschauen sind. Die vor zwei Wochen von den EU-Agrarministern auf den Weg gebrachte so genannte Reform der Agrarpolitik scheint mit einer riesigen Last an Bürokratie verbunden zu sein. Wir appellieren, in diesem Bereich dringend zur Vereinfachung, zu Pauschalierungen und zu Entlastungen zu kommen.

(Beifall bei der CSU)

Neben der Umsetzung der Vorschläge der Henzler-Kommission ist das zweite Projekt der Staatsregierung, die Kommunen zu entlasten. Standards und Vorschriften werden überprüft und reduziert.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gibt es auch Geld?)

Der Projektgruppe Verwaltungsreform liegen 331 Vorschläge vor. Sie werden derzeit bearbeitet. Noch im September 2003 wird die Staatsregierung Entscheidungen zur Entlastung der Kommunen treffen. Ich nenne als Bei

spiel den Wegfall der Genehmigungspflicht von Grundstücksteilungen im Baurecht, die Suche nach verstärkten Pauschalierungen im kommunalen Finanzausgleich und Förderrecht, die Abschaffung diverser Statistiken, die Überprüfung der Fehlbelegungsabgabe und viele andere Punkte.

Es genügt nicht, durch mehr Einnahmen eine bessere Situation der Kommunen zu erreichen. Wir müssen die Kommunen bei den Ausgaben deutlich entlasten.

(Beifall bei der CSU)

Um unnötige Bürokratie zu vermeiden, müssen wir in Zukunft eine konsequente Folgenabschätzung in der Gesetzgebung vornehmen. Der Staat muss die betriebsund volkswirtschaftlichen Bürokratiekosten für Bürger und Wirtschaft quantifizieren und den Nutzen neuer Gesetze genau abwägen. In Bayern gibt es bereits eine zentrale Normprüfung. Neue Regelungen dürfen nur noch ergehen, wenn sie im Lichte eines konsequent angewendeten Subsidiaritätsprinzips unerlässlich sind.

Gesetze sollen nach dem Vorschlag der Kommission verstärkt befristet werden. Experimentierklauseln sollen breiter eingesetzt werden, damit neue Wege getestet und Normen auch schneller wieder abgeschafft werden können. Im Medienrecht wurden in Bayern bereits solche Befristungs-, Überprüfungs- und Experimentierklauseln verwirklicht. Wir werden weitere Anwendungsfelder erschließen.

Meine Damen und Herren, wir wissen alle: Es wird immer wieder neue Aufgaben für Staat und Politik geben, die nur mit neuen Gesetzen und Vorschriften zu beantworten sind. Einen Stillstand der Gesetzgebung kann es nicht geben. Unser gemeinsames Ziel als Landtag und als Staatsregierung muss es allerdings sein, über mehrere Legislaturperioden hinweg nicht mehr sondern weniger Vorschriften zu haben. Das Prinzip muss lauten: Neue Regelungen ja, falls wirklich nötig, aber ein klares Nein zu einer immer höheren Regulierungsdichte.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was wir von den Vorschlägen der Kommission in bayerischer Landeskompetenz umsetzen können, werden wir sehr rasch voranbringen. Daran lassen wir uns messen.

Etwa ein Drittel der Vorschläge betrifft unmittelbar bayerisches Landesrecht. Die Vorschläge der Kommission werden jetzt von den Fachressorts abgestimmt. Schon am 5. August 2003 wird im Ministerrat ein Zwischenbericht zu den Vorschlägen der Kommission vorliegen. Am 9. September 2003 wird der Ministerrat die ersten Entscheidungen zur Umsetzung fällen. Wir werden also noch vor Ende der Legislaturperiode erste Empfehlungen der Kommission umsetzen. Deregulierung und Bürokratieabbau wird ein vorrangiger Schwerpunkt der kommenden Legislaturperiode sein.

Die Kommission hat dazu wichtige Vorschläge unterbreitet. Jetzt kommt es auf die politische Umsetzung an. Wir in Bayern sind dazu entschlossen. Wir sehen aber nicht, dass ähnliche Anstrengungen zum Bürokratieabbau auch auf Bundes- und Europaebene unternommen wer

den. Für die Umsetzung unserer wichtigen Vorhaben, wie die Mobilisierung der Wirtschaft und der Investitionstätigkeit, brauchen wir den Einsatz und die Kooperation des Bundes und von Europa. Ich appelliere daher eindringlich an die Bundesregierung, sich unseren Initiativen nicht zu verweigern. Je mehr und je schneller die Dinge umgesetzt werden, desto besser ist das für unser Land, für Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Tut erst selbst etwas!)

Die Staatsregierung wird deshalb zahlreiche Vorschläge als Bundesratsinitiativen einbringen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassend Folgendes ausführen: Der Staat hat viel zu viel Verantwortung für Bereiche übernommen, die keine originären Staatsaufgaben sind. Deshalb heißt Deregulierung mehr Freiheit und Dynamik, aber auch mehr Eigenverantwortung und weniger Absicherung. Es geht um ein Staatsverständnis für mehr unternehmerische Dynamik und für mehr Eigeninitiative des Einzelnen. Andere reden vom „aktivierenden Staat“, wir in Bayern setzen ihn in die politische Tat um. Die Vorschläge zur Entbürokratisierung und ihr Grundgedanke einer serviceorientierten Verwaltung bleiben eine Daueraufgabe in Kommunen, Land, Bund und in Europa.