Sie tun so, als seien die Wohlfahrtsverbände überrascht worden. Im Dezember saß Bundesfamilienministerin Renate Schmidt mit den Wohlfahrtsverbänden zusammen, und beide erzielten eine freiwillige Vereinbarung, in diesem Jahr 2003 so vorzugehen, wie das jetzt hier beschlossen wurde. Deswegen ist es eine Ungeheuerlichkeit, zu behaupten, sie seien überrascht worden.
Schon bei der Lektüre des Antrags der CSU, aber noch mehr beim Vortrag kamen mir fast die Tränen – die CSU als Gralshüterin des Zivildienstes, als Fighterin für die Zivildienstleistenden. Herr Kollege Herrmann, das ist an Heuchelei nicht mehr zu überbieten. Jahrzehntelang haben Sie sie als Drückeberger diffamiert. Sie wollten sie vor Spruchkammern wie weiland bei McCarthy in den USA in den Fünfzigerjahren zitieren. Ich danke heute im Namen der SPD-Fraktion den Millionen von Zivildienstleistenden, die in den letzten Jahrzehnten eine ausgesprochen segensreiche Arbeit geleistet haben.
Wäre es nach Ihnen gegangen, gäbe es heute gar keine Zivildienstleistenden, denn Sie hätten alle zum Dienst mit der Waffe gezwungen und vielleicht auch noch in den Irak geschickt.
Dieser Antrag ist überflüssig wie ein Kropf. Deswegen werden wir dem Antrag nicht zustimmen. Ihre Aussage zum Beispiel, das gehe zulasten der alten Menschen in den Altenheimen, ist eine Bankrotterklärung sondergleichen; wenn wir Zivildienstleistende brauchen, um die alten Menschen zu pflegen, können wir zusperren. Sorgen Sie lieber dafür, dass ausreichend gut qualifiziertes Personal in den Altenheimen vorhanden ist. Dann können Sie mit solchen Anträgen wieder kommen.
Dieses Zivildienständerungsgesetz hat eigentlich das Ziel, für das Jahr 2003 genau das zu erreichen, was Sie jetzt beklagen, nämlich dass wir das hohe Niveau von 100000 Zivildienststellen in unserem Land aufrechterhalten. Wie gesagt, die dafür notwendige Kostenbeteiligung der Träger zur Haushaltskonsolidierung ist notwendig geworden – das geben wir zu –, da werden 90 Millionen e eingespart. Das wäre vielleicht nicht notwendig gewesen, wenn Sie uns die 1500 Milliarden Schulden
mit jährlichen Zinszahlungen von 40 Milliarden e nicht hinterlassen hätten. Auch das hören Sie nicht gerne.
Wollen Sie eine namentliche Abstimmung beantragen, das können Sie dann machen, wenn Sie nochmals dran kommen. Jeder Zivildienstleistende kostet die Träger künftig im Monat 66 e mehr; das zu den gewaltigen Belastungen, die Sie in den Raum gestellt haben. Ich meine, diese 66 e sind die Leistungen der Zivildienstleistenden auch wert.
Herr Kollege Werner, ich unterbreche Sie nur kurz, um mitzuteilen, dass dazu eine namentliche Abstimmung beantragt ist.
Das Zivildienständerungsgesetz schafft in diesem Jahr übrigens auch für die jungen Leute selbst Planungssicherheit. Von Juli bis September suchen viele junge Leute, die ihre Ausbildung abgeschlossen haben, und vor allen Dingen Abiturienten einen Zivildienstplatz. Ohne dieses Gesetz bestünde kaum eine Chance, dass sie kurzfristig einen Platz bekommen. Das ist nun mit diesem Gesetz der Fall.
Den Trägern gibt das Gesetz genügend Zeit, sich konzeptionell auf geänderte Rahmenbedingungen einzustellen, und das sollten Sie auch einmal sehen. Diese Rahmenbedingungen werden künftig von mehr Gerechtigkeit und einer notwendigen zahlenmäßigen Angleichung von Zivildienst- und Wehrdienstleistenden gekennzeichnet sein. Dies ist der eigentliche Hintergrund für diese Gesetzesinitiative. Es geht nämlich nicht an, dass immer weniger Wehrpflichtige einberufen werden, dass aber die Zahl der Zivis immer und ewig auf dem derzeit hohen Niveau bleibt. Auch das hat mit Gerechtigkeit zu tun, für die wir eintreten. Die Träger haben also Zeit, sich konzeptionell darauf einzustellen, dass künftig die von Zivildienstleistenden erbrachten Leistungen und Arbeiten von regulären Arbeitskräften erbracht werden. Natürlich trägt die Änderung bei den 400-e-Jobs auch dazu bei, es den Trägern künftig zu erleichtern, diese wichtigen Tätigkeiten durch reguläre Arbeitskräfte zu erbringen. Ihrem Antrag werden wir die verdiente Würdigung zukommen lassen, ihn nämlich ablehnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wurde namentliche Abstimmung beantragt, ich denke, um eine gewisse Disziplinierung der eigenen Fraktion herbeizuführen, damit ein paar mehr Kollegen und Kolleginnen in die Plenarsitzung kommen. Die tränenreiche Rede des Kollegen
Nein, Herr Kollege Kobler, Sie könnten Zeitung lesen oder sich ein bisschen vorbereiten, damit Sie wissen, was Sache ist.
Ich weiß noch sehr gut, dass früher die Zivildienstleistenden bei Ihnen im Ruf standen, Vaterlandsverräter zu sein. Nun übertreiben Sie wieder und tun, als würde der Sozialstaat abgeschafft.
Auch ich finde es nicht gut, dass die Träger statt 70% nur noch 50% Zuschüsse erhalten. Obwohl Sie wissen, dass der Kompromiss, der zur Haushaltskonsolidierung nötig ist, im schriftlichen Einvernehmen mit den Wohlfahrtsverbänden, in mündlicher Zustimmung der Krankenhausgesellschaft und der Umweltverbände zustande kam, haben Sie das nicht erwähnt. Die Situation ist für alle schwierig, und insbesondere für die kleinen Träger eine große Bürde.
Die CSU gibt in jeder Plenarsitzung Zeugnis ab, dass Einsparungen notwendig sind. Alternative wäre gewesen, in Familienleistungen einzugreifen. Ich möchte nicht wissen, was dann los gewesen wäre. Es gibt die Möglichkeit, 66 e beim Träger einzusparen oder in die Familienleistungen einzugreifen. Sie gebärden sich als Pharisäer.
Ich möchte auf einen weiteren Aspekt hinweisen, der heute noch nicht zur Sprache kam. Die Einberufung geschieht unglaublich ungerecht. Der Zivildienst ist gekoppelt am Wehrdienst. Es kann nicht angehen, dass die Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen alle eingezogen werden, während die Wehrdienstleistenden sich mehr oder weniger ausrechnen können, dass sie nicht eingezogen werden. Die GRÜNEN, die den Wehrdienst am liebsten abschaffen würden, sehen größeren Reformbedarf, weil dann der Zivildienst zum Auslaufmodell werden könnte.
Ohne Zivildienstleistende wäre vieles nicht möglich, was für die Pflegebedürftigen und die Behinderten getan wird. Die Zahlen sprechen für sich. 1971 gab es bundesweit 6000 Zivildienstleistende, 1999 war mit 138000 der Höhepunkt, und nun sind es 100000.
Sie wissen so gut wie wir, dass die gesetzlich geforderte arbeitsmarktpolitische Neutralität nicht mehr gegeben ist und der Zivildienst vielfach zum Ausfallbürgen im Gesundheits- und Pflegewesen geworden ist. Als politisch Verantwortlicher muss man sich Konsequenzen überlegen. Alles beim Alten zu lassen und nichts zu ändern, bringt nicht weiter. Es muss eine Perspektive entwickelt werden. Diese kann lauten, dass die freiwilligen Dienste gestärkt und die Konversion innerhalb des Zivildienstes begonnen wird.
Modell verhaftet, den Kopf in den Sand zu stecken. Der „Reformmotor“ wird mit Rückwärtsgang gefahren.
Uns fällt es momentan sehr schwer, die Kürzungen akzeptieren zu müssen. Auf Dauer werden wir aber Antworten geben müssen, wie der Zivildienst künftig aussehen soll, damit die Dienstleistungen, die ohne die Zivildienstleistenden nicht funktionieren, sichergestellt werden können. Das ist besonders für Leistungen wichtig, die zum selbstbestimmten Leben nötig sind. Antworten auf solche Fragen sind Sie heute ebenso wie in Diskussionen zu früheren Anträgen schuldig geblieben.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Ich habe den Rat des Kollegen Werner, den er auch den Trägern gibt, durchaus zur Kenntnis genommen, Minijobs oder reguläre Arbeitsplätze zu schaffen. Sie müssen sich genau überlegen, was dies letztendlich für die Pflegesätze heißt. Das sind keine Einsparungen, sondern die Kosten müssen erhöht werden. Die Kosten werden nur verschoben. Sie sollten sich damit auseinandersetzen, dass dies keine echten Einsparungen sind.
Es ist schon richtig, dass die Regelung im mündlichen Einvernehmen mit den Trägern getroffen worden ist. Die Wohlfahrtsverbände standen aber vor der Wahl, entweder Kürzungen der Erstattung des Bundes oder die Reduzierung der Zivildienststellen hinnehmen zu müssen. Sie durften zwischen Teufel und Belzebub auswählen. Das Einverständnis kam dann unter dem Druck der Alternativen zustande.
Den Trägern der Zivildienststellen werden zusätzliche Finanzbelastungen für die Dienstverhältnisse auferlegt, die im Vertrauen auf die geltenden Finanzierungsregelungen getroffen worden sind. Das ist ein ganz großes Problem. Die finanziellen Engpässe des Bundeshaushalts werden im Ergebnis auf behinderte, alte und pflegebedürftige Menschen oder ersatzweise auf nachrangige Leistungssysteme abgewälzt. Die zusätzliche Belastung der Träger der Zivildienststellen muss letztendlich höhere Leistungsentgelte zur Folge haben. Das heißt, es werden höhere Pflegesätze herauskommen. Die Kommunen werden über die Sozialhilfe zahlen oder die Selbstzahler. Das sind Ihre Einsparungen, das ist Ihr Weg, den Sie aufgezeigt haben!
Der Bund versucht seinen Haushalt auf Kosten Dritter zu sanieren. Er entlastet seinen Haushalt um circa 98 Millionen e. Für Bayern mit seinen 15000 Zivildienstleistenden macht dies circa 10 Millionen e aus. Daher haben wir den Vermittlungsausschuss angerufen. Am 14. 03. 2003 hat der Bundesrat das Gesetz behandelt, am 20. 03. 2003 kam im Vermittlungsausschuss keine Einigung zustande. Bayern wird in der nächsten Bundesrats
Ich komme nun zum weiteren Vorgehen der Bundesregierung. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen. Die Bundesregierung hat gleichzeitig einen Haushaltsvorbehalt von 20% gemacht. Sie hat also im Vorgriff eine Kontingentsperre eingelegt. Das waren die Wahlmöglichkeiten, die den Trägern der Freien Wohlfahrtsverbände gegeben wurden. Es war angeboten, entweder die Mittelzuweisung von 70 auf 50% zu kürzen oder die Kontingentsperre einzuführen. Nun müssen die Träger der Freien Wohlfahrtsverbände beides in Kauf nehmen. Deswegen ist eine eklatante Unsicherheit entstanden. Das ist ungeheuer schwierig.
Die im Raum stehende Kürzung der Kontingente, das heißt, dass die Anzahl der Zivildienststellen für die Einsatzstellen gekürzt wird, hat vor Ort eine erhebliche Planungsunsicherheit geschaffen. Die vorhandenen Stellen können zur Zeit nicht mehr besetzt werden. Momentan gibt es einen eklatanten Mangel an Zivildienstleistenden. Vielerorts kann fast jede dritte Planstelle nicht mehr besetzt werden. Junge Zivildienstpflichtige werden vermehrt keine Einstellungszusage bei den Beschäftigungsstellen bekommen können. Anträge werden verschoben. Die Zivis hängen also zur Zeit in der Luft.
Kein Zivi kann sich um eine Ausbildung oder um einen Arbeitsplatz bemühen. Junge Männer werden damit auf dem Arbeitsmarkt zu Warteschleifen gezwungen. Damit werden sie zu Wartezeitarbeitslosen.
Auch für Arbeitgeber entsteht eine Unsicherheit; denn in der aktuellen konjunkturellen Lage ist das Freihalten eines Arbeits- oder Ausbildungsplatzes für die Dauer des späteren Zivildienstes ein hohes unternehmerisches Risiko.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Sie können doch nicht ernsthaft das Vorgehen der Bundesregierung bei den Zivis in dieser Art und Weise verteidigen. Ich halte dieses Vorgehen für ausgesprochen schwierig. Es erzeugt sehr viele Unsicherheiten. Das ist wirklich ein Sparvorschlag der Bundesregierung, der bar jeder Vernunft ist.
Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Wir kommen jetzt zur Abstimmung, die in namentlicher Form erfolgen soll. Für die Stimmabgabe sind die entsprechend gekennzeichneten Urnen bereitgestellt. Die Ja-Urne ist auf der Seite der CSU-Fraktion, die Nein-Urne auf der Oppositionsseite, jeweils im Bereich der Eingangstüren, aufgestellt. Die Urne für Stimmenthaltungen befindet sich auf dem Stenografentisch. Mit der Stimmabgabe kann nun begonnen werden. Hierfür stehen fünf Minuten zur Verfügung.
Die Stimmabgabe ist abgeschlossen. Das Abstimmungsergebnis wird außerhalb des Plenarsaals ermittelt; das Ergebnis gebe ich später bekannt.