Protocol of the Session on January 29, 2003

Wir dagegen halten den Schutz unserer Lebensgrundlagen für das Zukunftsthema. Unsere Lebensqualität und das Glück unserer Kinder hängen von einer ökologischen, auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Politik ab.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir setzen auf Chancengerechtigkeit und Teilhabe, die CSU und die Staatsregierung auf Disziplin, Auslese und Druck. Ich kündige Ihnen hier an: Wir werden in der morgigen Sitzung des Bildungsausschusses einen Dringlichkeitsantrag zu Ihren unsäglichen Vorstellungen in der Bildungspolitik einreichen, Vorstellungen, die einer Bankrotterklärung der Pädagogik gleichkommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden den von Ihnen heute angekündigten Vorschlägen unseren heftigsten Widerstand entgegensetzen.

(Freiherr von Rotenhan (CSU): Das ist ja furchterregend!)

Wir setzen auf ein weltoffenes Bayern, in dem selbst in Bad Alexandersbad gleichgeschlechtliche Paare auf Kur gehen können. Sie sehen nicht die Chancen einer kulturellen Entwicklung, die etwa die EU-Erweiterung mit sich bringt, sondern überall nur Bedrohungspotenzial für die bayerische Leitkultur. Wir akzeptieren unterschiedliche Lebensentwürfe und stärken Selbstbestimmungsrechte; Sie schotten sich verbissen ab.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Grüne Politik steht für soziale Verantwortung genauso wie für den Schutz der natürlichen Ressourcen. Weil uns Genuss nicht fremd ist, setzen wir auf Agrarwende und Verbraucherschutz, um die Qualität von Lebensmitteln zu gewährleisten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer hingegen wie Sie, Herr Stoiber, auf die Herausforderungen der Zeit nur technokratische Antworten in Form von Hightech-Entwicklung, Disziplinierung und Wirtschaftswachstum geben kann, ist den Zukunftsaufgaben nicht gewachsen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Herr- mann (CSU): Das ist der fulminante Schlussteil!)

Das Wort hat jetzt Herr Kollege Dr. Gröber. Maximal zehn Minuten, Herr Dr. Gröber.

(Hofmann (CSU): Für welche Fraktion?)

Herr Gröber spricht für den Abgeordneten Gröber.

Herr Präsident, Herr Ministerpräsident, Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir eine kurze Vorbemerkung, nachdem dies heute mein erster Beitrag als parteifreier Abgeordneter im Bayerischen Landtag ist. Zum Ersten zur Politik in Bayern. Ich sage Ihnen: Derzeit gibt es keine Alternative zu der erfolgreichen Politik der Bayerischen Staatsregierung – dies zur Klarstellung, auch wenn ich das eine oder andere kritisieren werde.

(Zurufe von der SPD, unter anderem Abgeordneter Herbert Müller: Brav!)

Zum Zweiten genieße ich heute meinen Sonderstatus sozusagen in bayerischer Tradition.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Lassen Sie mich ruhig ausreden; Sie werden sich hinterher auch über meine Rede freuen. Es geht ganz einfach darum: Früher war man dem Volk verpflichtet, nicht nur der Partei. Mir tut es nicht leid, dass ich heute nur dem Volk verpflichtet bin.

(Herbert Müller (SPD): Brav!)

Ich glaube auch weiterhin, dass es ganz angenehm ist, einmal nicht bei einer Fraktion nachfragen zu müssen,

wann, ob und was man reden soll. Betrachten Sie also bitte meinen Beitrag als manchmal harte, aber konstruktive Kritik

(Herbert Müller (SPD): Brav!)

zu einigen Bereichen, von denen ich als Sozial- und Gesundheitspolitiker glaube, etwas zu verstehen. Ich war vier Jahre Landesvorsitzender des Gesundheitspolitischen Arbeitskreises der CSU. Ich habe mit vielen Mitgliedern der Staatsregierung Reformvorschläge diskutiert, die dann vom GPA auch verabschiedet wurden. Diese sind jedoch leider alle als unbequem und nicht zukunftsführend in der Schublade verschwunden, sind aber heute aktueller denn je, und mancher Bürger wäre froh, wenn wir uns damit vielleicht deutlicher beschäftigen würden.

(Zuruf von der SPD: Hört, hört!)

Zu meinem Beitrag hat mich ein Satz in der Regierungserklärung auf Seite fünf provoziert. Dort steht unter anderem ganz fett: „Wir müssen den Menschen Perspektiven geben, Anliegen ernst nehmen, Mut und Zuversicht wecken.“ Das ist auch völlig meine Meinung.

(Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schön!)

Dann kommt der Satz: Wir müssen die Wahrheit sagen und dürfen ihnen auch bittere Tatsachen nicht ersparen. Ich habe daraufhin die ganze Rede durchsucht, wo die Wahrheiten und die bitteren Tatsachen stehen. Da steht zwar einiges über die rot-grüne Koalition, was ich alles voll unterschreibe – das sind viele bittere Tatsachen –, aber bezüglich unserer eigenen zukunftsweisenden Aussagen vermisse ich einiges. Ich habe eine Art Blut-, Schweiß- und Tränenrede erwartet, aber sie ist nicht gekommen. Es ist richtig, sich mit der katastrophalen Lage in Berlin auseinander zu setzen, aber wir haben nichts von den Problemen gehört, die uns in Kürze überfallen werden, wenn wir nicht eine gute Gesundheitsreform, eine echte Sozialreform machen. Wir haben nichts gehört über die Lage an unseren Krankenhäusern, über die Lage im Gesundheitswesen insgesamt. Überhaupt fehlen mir konkrete Aussagen zur Reform des Sozialstaates und der sozialen Sicherungssysteme. Hier liegt eine eindeutige Fehlanzeige vor. Ich muss Ihnen heute als für den Bürger Verantwortlicher auch sagen, dass ich das aus der Sicht einer Partei verstehe, aus der Sicht des Bürgers aber nicht. Ich weiß – auch der Ministerpräsident weiß es –, dass sich die heute gerühmte, zweifellos gute Lage in Bayern ohne grundlegende Reformen in Kürze so gravierend ändern wird, dass die nächste Regierungserklärung vielleicht ganz anders aussieht. Darum müssen wir die Wahrheiten ehrlicher sagen, die bitteren Wahrheiten sagen und auch den Mut haben, endlich weiterzukommen, auch wenn uns das die Stimme einiger Leute kostet.

Faktum ist zurückblickend das historische Versagen von Horst Seehofer, das niemand dementieren kann. Horst Seehofer hatte als Gesundheitsminister 1994 in Bonn seinerzeit die Möglichkeit, etwas grundlegend zu ändern. Er hat sich für die globalen Budgets entschieden

und damit die völlig falsche Richtung vorgegeben. Hätten wir damals den richtigen Weg eingeschlagen, wären wir jetzt meilenweit von der heutigen Situation entfernt. So können sich aber die anderen immer auf uns berufen. Ich glaube, das muss man als für den Bürger Verantwortlicher auch deutlich sagen. Gerade deshalb müsste man erwarten, dass Horst Seehofer in Berlin unter dem Aspekt Ehrlichkeit und Wahrheit nicht permanent herumeiert und einmal Frau Schmid lobt und sagt, dass es vom Prinzip her richtig sei, was sie tut, ein anderes Mal es aber doch wieder falsch ist. Er erzählt zum Beispiel, man brauche keinen demografischen Faktor, zumindest nicht in den nächsten zehn Jahren. Man kann scharf nachdenken, wie lange er vor hat, noch zu arbeiten, und danach kommen die einschneidenden Maßnahmen nach dem Motto: Nach uns die Sintflut.

So kann es nicht gehen. Ich habe im Kommentar einer Fachzeitschrift die ironisch-lächerlichen Worte gelesen: „Was kann man von Herz-Jesu-Sozialisten wie Seehofer erwarten?“ So verliert man immer mehr Kompetenz, Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Gerade die Glaubwürdigkeit brauchen wir jedoch, wenn wir den Mut aufbringen, für die Zukunft etwas zu ändern. Es ist jetzt höchste Zeit, endlich klare Wahrheiten zu sagen. Der Schrecken des Niedergangs von Rot-Grün steckt auch der CSU in den Gliedern, so schön ein Wahlsieg in der nächsten Woche wäre. Mancher überlegt allerdings, was aus der CSU im September 2003 würde, wenn Dr. Stoiber Kanzler geworden wäre.

(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jede richtige Reform ist schmerzhaft und kostet Wählerstimmen, weil es dabei um bittere Wahrheiten geht. Maßgeblich ist allerdings, ob diese Maßnahmen, wenn sie schon schmerzvoll sind, im Sinne eines transparenten Gesamtkonzeptes auch sinnvoll sind. Schröders Politik ist dagegen eine schmerzhafte Flickschusterei. Wir müssen als Block von Politikern, die dem Volk verantwortlich sind, die Alternativen aufzeigen. Wir müssten erklären, dass allen etwas genommen wird, dass alle verzichten müssen, dass aber der Abbau von Privilegien, Missständen und sozialem Wildwuchs gerecht erfolgen wird. Alle müssen verzichten. Dabei muss es jedoch gerecht zugehen.

Ich möchte nur einige Stichpunkte nennen: Was ist mit der Beamtenreform, mit dem Abbau von Privilegien und mit der Beteiligung der Beamten an den sozialen Sicherungssystemen? Wir brauchen eine Reform der NonProfit-Organisationen, zum Beispiel des BRK, der Caritas und des Deutschen Ordens. Hier bedarf es einer Wirtschaftsprüfung und einer Prüfung der Interessenkollision dieser Non-Profit-Verbände mit dem normalen Arbeitsmarkt. Als ich noch Mitglied der CSU-Fraktion war, haben wir uns mit dem BRK auseinander gesetzt. Schließlich sind wir eingeknickt, weil einige von uns eine Doppelfunktion als Funktionär einerseits und als Politiker andererseits hatten. Damals wurde von der Lobby offen gesagt, dass man Druck machen werde, wenn die Reformen so weitergehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, so können wir die Zukunft nicht meistern.

Ich möchte ein weiteres Tabuthema ansprechen, auch wenn ich weiß, dass darüber nicht gern gesprochen wird. Ich war früher schon ein konsequenter Gegner einer halbscharigen Kabinettsreform. Die Entscheidung, das Gesundheitsministerium und das Sozialministerium umzugestalten, war verkehrt. Das war eine halbe Sache. Die Regierungen in Berlin und in Wien haben uns vorgemacht, wie es richtig geht: Was der Arbeit dient, muss bei einem Ministerium angesiedelt werden, das Arbeit schafft. Diese Teile des Sozialministeriums müssen deshalb beim Wirtschaftsministerium angesiedelt sein. Das Gesundheitsministerium muss als Spiegelministerium außerdem für die Gesundheitspolitik im weitesten Sinne zuständig sein. Das Sozialministerium müsste aufgelöst werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage das in dieser Deutlichkeit. Vielleicht gefällt Ihnen das nicht. Das wäre jedoch eine nötige Maßnahme.

Wo bleiben konkrete Aussagen zur Forderung nach der Auszahlung von Bruttolöhnen und zur grundsätzlichen Reform der Arbeitslosenversicherung? Wollen Sie eine Grundrente? Wenn ja, in welcher Form? Wie stehen Sie zu einer losgelösten Unfallversicherung? Wie wollen Sie die Lohnnebenkosten finanzieren, wenn Sie dafür keine Wege aufzeigen?

Vor einiger Zeit wurde eine vielgerühmte Zukunftskommission von den Ländern Bayern und Sachsen eingerichtet. Was ist das Ergebnis? –

(Maget (SPD): Einkassiert!)

Herr Dr. Biedenkopf ist nicht mehr dabei. Die Wahrheiten der Kommission liegen in der Schublade, weil sie als wahlerfolgsgefährdend eingestuft wurden und unter die Rubrik „Bittere Wahrheiten und Tatsachen“ fallen. Dazu gehört zum Beispiel die Aussage von Reinhard Miegel, der erklärte, dass wir allen Arbeitnehmern die Möglichkeit geben müssten, endlich zu Unternehmern ihrer eigenen Schaffenskraft zu werden. Wir haben die Rezepte, tun jedoch nichts. Wir diskutieren über die Ich-AG von Arbeitslosen, aber nicht über wirkliche Reformen im Beitragssystem. Ich sage noch einmal: Wenn das nicht gelingt, verlieren die großen Parteien jede Akzeptanz.

Ich habe Verständnis dafür, dass sich die CSU aus parteitaktischen Gründen mindestens bis zum September jeder Aussage über konkrete schmerzhafte Reformen enthalten wird. Dann müsste Sie jedoch offen dazu stehen. Das Zitat auf der Seite fünf in der Rede des Ministerpräsidenten müsste dann in etwa lauten:“ Wir sollten den Bürgern auch die Wahrheit über die bitteren Tatsachen sagen.“ Anschließend würde ich ergänzen:“ aber nur soviel und erst dann, wenn es dem Erfolg unserer Partei nicht schadet.“

Jeder, der die Reformen weiterhin verzögert, handelt verantwortungslos. Mit jedem Monat, in dem wir weiterhin mauern und nicht nach bitteren, schlüssigen und zukunftsweisenden Konzepten suchen, werden wir das Vertrauen der Bevölkerung verlieren und insbesondere der Jugend eine schwere Hypothek aufbürden. Die Bevölkerung erwartet von uns Handlungsfähigkeit und nicht das Schielen auf Mehrheiten.

(Herbert Müller (SPD): Der kennt sich aus und weiß, wovon er redet!)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. Zu einer zusammenfassenden Stellungnahme hat nun der Herr Ministerpräsident das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte einige Anmerkungen zu den Ausführungen machen, die in der Aussprache zu der Regierungserklärung von den Kolleginnen und Kollegen gemacht wurden. Herr Kollege Maget, erlauben Sie mir eine offene und ernste Anmerkung zu Ihren Vorwürfen im Zusammenhang mit der Position der Union zum Irak-Konflikt. Meine Position war immer eindeutig: Wir haben UNO-Resolutionen und Beschlüsse des Weltsicherheitsrates aus den Jahren 1991 und 1992, die beschlossen wurden, nachdem der Irak gegen seine Bürger, die Kurden im Nordirak, gegen den Iran und gegen Kuwait biologische und chemische Waffen eingesetzt hat. Die UNO – die als einzige dazu berufen ist – hat damals unmissverständlich erklärt, dass Saddam Hussein diese Waffen beseitigen müsse. Hierzu wurden UNO Resolutionen in mehrfacher Ausfertigung beschlossen.

Diese UNO-Resolutionen sind nachweisbar nicht befolgt worden. Deshalb folgten weitere UNO-Resolutionen, wonach Inspekteure der UNO überprüfen sollten, ob und wie Saddam Hussein der Auflage aus dem Jahr 1991, die nach dem Krieg „Desert Storm“ erlassen wurde, nachgekommen ist. Sie kennen die Geschichte: Die Inspekteure sind immer stärker behindert und gestört worden. Ab dem Jahr 1998 wurden die Inspekteure aus dem Land geworfen. Die UNO hat dies letztlich ohne größere Reaktionen hingenommen. Es gab keine Versuche, den Irak doch noch dazu zubringen, die UNO-Resolution aus dem Jahr 1991, die der Sicherung des Friedens in der Welt diente, zu befolgen.

Im August haben die Amerikaner ihre Position vorgestellt. Für mich war immer klar, dass es hier um die Sicherung des Friedens geht. Die Entscheidungshoheit über Maßnahmen gegenüber einem Land, das UNO-Resolutionen nicht vollzieht, liegt eindeutig bei der UNO. Das bedeutet, dass es keine Rechtfertigung für den Alleingang eines Landes gibt. Das war immer meine Position und die Position der CDU/CSU. Der massive Unterschied in den Positionen der SPD und der Union liegt darin, dass der Bundeskanzler erklärt hat, dass er auch bei einer etwaigen einstimmigen Beschlussfassung der UNO keinerlei Maßnahmen, welcher Art auch immer, unterstützen oder mittragen würde. Diese Haltung ist nachweisbar falsch. Dadurch geriet Deutschland außenpolitisch in eine außerordentlich schwierige Situation. Dadurch hat der Bundeskanzler den Druck, der notwendig ist, um den Frieden mit friedlichen Mitteln zu erreichen, weggenommen.

(Beifall bei der CSU)

Hier geht es um den Frieden und die Durchsetzung der UNO-Beschlüsse. Man kann nicht der UNO-Resolution

1441, in der festgelegt ist, dass Inspekteure in den Irak entsandt werden und die Berichte dieser Inspekteure abzuwarten sind, zustimmen, wenn man gleichzeitig festlegt, dass keine ernsten Konsequenzen angedroht werden.

Ich halte es für falsch, wenn ich von ernsten Konsequenzen, welcher Art auch immer, überhaupt nichts mehr wissen will und wenn ich mein Abstimmungsverhalten mit dem Ziel einer Entlastung von Saddam Hussein schon offen lege, bevor die Inspekteure überhaupt etwas sagen. Das ist politisch falsch und es führt auch nicht zu einer weiteren Sicherung des Friedens. Das sage ich Ihnen ganz offen. Das ist kein substanzieller Beitrag zur Sicherung des Friedens.