Protocol of the Session on December 6, 2002

Guten Morgen, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 104. Vollsitzung des Bayerischen Landtages. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich Herrn Kollegen Walter Hofmann gratulieren. Er feiert heute seinen Geburtstag.

(Allgemeiner Beifall)

Im Namen des Hohen Hauses sowie persönlich wünsche ich ihm für das neue Lebensjahr alles Gute, weiterhin gute Ideen bei seinen Zwischenrufen und viel Erfolg bei seiner parlamentarischen Arbeit.

(Beifall bei der CSU – Hofmann (CSU): Herr Präsident, ich habe für kommenden Mittwoch eingeladen! – Allgemeine Heiterkeit)

Das konnten Sie sich zu diesem Zeitpunkt erlauben, weil noch nicht so viele Kollegen da sind.

(Gabsteiger (CSU): Herr Präsident, er hat zum Mittagessen eingeladen; zum Abendessen haben Sie eingeladen!)

Aber nur die Anwesenden, so sehe ich das.

Wir kommen jetzt zu unserer eigentlichen Tagesordnung. Ich rufe zur gemeinsamen Beratung auf:

Tagesordnungspunkt 11

Haushaltsplan 2003/2004;

Einzelplan 03 A für den Geschäftsbereich des Bayerischen Staatsministeriums des Innern

Tagesordnungspunkt 12

Haushaltsplan 2003/2004

Einzelplan 03 B – Staatsbauverwaltung –

Das Wort hat der Herr Staatsminister des Innern.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf vorab ebenfalls einen herzlichen Glückwunsch an Kollegen Walter Hofmann aussprechen und ihm sagen, es gibt kein schöneres Geburtstagsgeschenk, als zu Beginn des Geburtstags eine Rede des Innenministers anhören zu müssen.

(Beifall bei der CSU – Allgemeine Heiterkeit – Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Der ist aber leicht zufrieden zu stellen! – Herrmann (CSU): Jetzt haben Sie aber die Messlatte hochgehängt!)

Meine Damen und Herren, wir leben gegenwärtig in schwierigen Zeiten. Die wirtschaftliche Lage, die anhal

tend hohe Arbeitslosigkeit, eine katastrophale Steuerschätzung und der blaue Brief aus Brüssel, das sind die Rahmenbedingungen, die wir leider haben. Fehler und Versäumnisse von Rot-Grün haben die öffentlichen Haushalte ruiniert. Das gilt in besonderer Weise auch für die Kommunen, deren finanzielle Lage Anlass zu größter Sorge gibt. Manche Städte und Gemeinden in Deutschland bewegen sich am Rande ihrer finanziellen Handlungsfähigkeit.

Umso wichtiger ist es, dass wir eine verantwortungsbewusste, ehrliche, zukunftsorientierte Politik machen und den Bürgerinnen und Bürgern Optimismus und Perspektive geben. Gerade weil die großen Linien in der Politik unklar sind – und zum Teil auch verfehlt –, ist es umso wichtiger, deutliche Schwerpunkte zu setzen.

Zunächst gilt es, die innere Sicherheit zu bewahren. Dazu gehört die Abwehr des Terrorismus ebenso wie die der Alltagskriminalität. Innere Sicherheit hat den Rang eines sozialen Grundrechts. Ohne Sicherheit ist ein Leben in Freiheit nicht möglich. Daneben müssen wir unseren Kommunen zur Seite stehen und neue Spielräume für Investitionen eröffnen. Dann ist da noch der Haushaltsplan 03 B. Hier geht es darum, innovative Maßnahmen zu finden, um die erfolgreiche Arbeit auch bei der Obersten Baubehörde fortzusetzen.

Der erste Schwerpunkt heißt innere Sicherheit. Der islamische Fundamentalismus mit dem Terrornetzwerk AlQaida als seiner gefährlichsten Speerspitze ist eine akute Bedrohung unserer Sicherheit und unseres Rechtsstaats. Gestern waren bei der Innenministerkonferenz die Repräsentanten des Bundesnachrichtendienstes, des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Bundeskriminalamtes anwesend. Im Rahmen einer mehrstündigen Aussprache aller Innenminister wurde eine Situationsanalyse dargelegt.

Wir müssen uns darüber klar sein, was die eigentliche Zielsetzung von Osama bin Laden ist. Ich sage das in seiner Sprache: Der Kampf der Gläubigen gegen Juden und Kreuzritter. Das ist seine Formulierung: Juden und Kreuzritter. Deshalb will er diejenigen, die die heiligen Stätten in Saudi Arabien durch ihre Anwesenheit als Ungläubige „entweihen“, von der arabischen Halbinsel vertreiben. Anschließend sollen die dortigen Systeme im Sinne des fundamentalen Islamismus verändert werden. Die Motivation, die inzwischen weltweite Dimension hat, stellt eine unmittelbare, hochkarätige Bedrohung gegenüber Deutschland dar. Darüber gibt es nach Meinung aller Chefs der deutschen Sicherheitsdienste keinen Zweifel, wie sie gestern bei der Innenministerkonferenz verdeutlichten. Sie waren aber auch alle der Meinung, dass unsere Sicherheitsanstrengungen dafür sorgen, dass manches bei uns vermieden wird. Harte Ziele, die schwer zu erreichen sind, sind besser geschützt. Deshalb wird auf soft targets und auf Ziele in anderen Teilen der Welt ausgewichen.

Mit seiner Intoleranz gegenüber Andersgläubigen, seinem Absolutheitsanspruch und seiner Ablehnung westlicher Zivilisation ist der Islamismus – ich betone: der Islamismus, in Abgrenzung zu den toleranten Muslimen – eine ständige Bedrohung für uns.

Wir haben in Bayern mit dem umfangreichsten Sicherheitspaket aller Länder reagiert. Wir haben – das ist in diesem Haushalt enthalten – 890 neue Stellen für die Sicherheit in Bayern geschaffen. 650 kommen der Polizei zu Gute. 300 davon sind bereits besetzt, die weiteren 350 Stellen sind in diesem Doppelhaushalt mit verankert. 50 neue Stellen hat der Verfassungsschutz erhalten. Hauptziel ist dabei, die islamistische Szene noch stärker zu erfassen und zu beobachten.

Die Rasterfahndung hat – so die übereinstimmende Meinung in der gestrigen Innenministerkonferenz – die Feststellung mehrerer hundert Personen ergeben, zu denen in konventioneller Weise nachermittelt werden muss, um die Szene zu verunsichern und zu kontrollieren. Wir haben also die notwendigen Maßnahmen auf den Weg gebracht.

Wenn wir den Terrorismus wirksam bekämpfen wollen, müssen wir auch modernste Technik einsetzen. Mit der Erprobung biometrischer Verfahren zur Gesichtsfelderkennung hat die bayerische Polizei Neuland betreten.

Damit wollen wir vor allem solche Täter aus dem Verkehr ziehen, die beim Grenzübertritt fremde oder gefälschte Papiere vorlegen.

Vor Kurzem habe ich auch den Startschuss für einen weiteren Pilotversuch gegeben. Mit einem hoch modernen System wollen wir die Kennzeichen vorbeifahrender Kraftfahrzeuge erfassen, mit dem Fahndungsbestand abgleichen und Treffer an die Einsatzkräfte weiterleiten.

Wir verwenden häufig auch ein neues Gerät zur „elektronischen“ Abnahme von Fingerabdrücken, den so genannten „Livescan“. Er versetzt uns in die Lage, binnen kürzester Zeit Aufnahmen von Finger- und Handflächenabdrücken durch ein direktes und digitales Scanverfahren zu fertigen und sogleich elektronisch zum Bundeskriminalamt nach Wiesbaden zu übermitteln. Hierdurch ist ein umgehender Personenabgleich anhand von Fingerabdrücken möglich.

Ich darf das kurz erläutern. Früher hat man Fingerabdrücke dadurch genommen, dass man die Finger in Druckschwärze getaucht hat, sie auf dem Papier abgerollt hat. Dann ist dieses Papier grundsätzlich an das Bundeskriminalamt geschickt worden. Dort ist es – außer in Eilfällen – einige Tage später in den Computer eingestellt worden. Durch das Livescan-System kann man Fingerabdrücke unmittelbar an das BKA übermitteln und dort sofort mit dem Computerbestand abgleichen, und man kann sofort feststellen, ob der Betreffende, dessen Fingerabdruck genommen wurde, gesucht wird. Man kann ihn verhaften. Früher hat man solche Leute manchmal laufen lassen müssen. Das ist ein qualitativer Sprung.

Insgesamt geht es mir um Folgendes, meine lieben Kolleginnen und Kollegen – das ist die Philosophie, die hinter meinen Überlegungen steckt –: Es geht nicht an, dass international organisierte Verbrecher mit hoch technisierten Möglichkeiten arbeiten und die Polizei weit dahinter zurück bleibt, weil sie noch mit Karteikarten und Strichlisten arbeitet, während die international organisierten Verbrecher Computer nutzen. Das kann nicht

sein. Unsere Polizei muss technisch besser ausgerüstet sein als die Kriminellen.

(Beifall bei der CSU)

Mit Sorge beobachte ich, dass in Deutschland – ich zitiere hier den zuständigen EU-Kommissar, mit dem ich gesprochen habe – generell die Gefahren des Terrorismus unterschätzt werden. Er hat dabei nicht nur die Politik gemeint. Ich füge hinzu, dass auch ich den Eindruck habe, dass zumindest zeitweise von der Bundesregierung die Gefahr unterschätzt wurde. Dies zeigen die Lücken in den Sicherheitspaketen. Anstatt diese Defizite zu beseitigen, soll nach der Koalitionsvereinbarung die Antiterrorgesetzgebung „evaluiert“ werden. Im Klartext bedeutet das nichts anderes, als dass das Rad möglichst wieder zurückgedreht werden soll.

Ich selbst halte das Sicherheitspaket III für unabdingbar. Zu dessen zentralen Forderungen gehört, dass gewaltbereite Ausländer regelmäßig bereits beim Verdacht terroristischer Straftaten ausgewiesen werden. Es muss genügen, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Betroffene einer terroristischen Vereinigung angehört oder sie unterstützt. Bisher verlangt Rot-Grün hier Beweise. Ich will aber nicht verhehlen, dass gestern bei einer Innenministerbesprechung der Herr Bundesinnenminister deutliche Gesprächsbereitschaft bekundet und die Kollegen aufgefordert hat, ihm konkrete Fälle zu schildern, beispielsweise bei der Frage der Ausweisung von Personen des Kalifatsstaates. Da sind Schwierigkeiten aufgetreten, weil es der Herr Bundesinnenminister nicht für notwendig erachtet hat, Möglichkeiten zu schaffen, beispielsweise die Leute, die im Zusammenhang mit dem al-Tawhid-Verfahren nach mehreren Monaten Untersuchungshaft wieder aus der Haft entlassen wurden – einer davon lebt jetzt in München –, bei Verdacht der Terrorunterstützung auszuweisen, wobei selbstverständlich eine hundertprozentige Überwachung im islamistischen Bereich nicht möglich ist. Hier können also immer noch Gefahren lauern. Ich hoffe, dass in diese Thematik Bewegung hineinkommt.

Die Regelanfrage beim Verfassungsschutz im Einbürgerungsverfahren muss endlich gesetzlich verankert und bundesweit durchgeführt werden. Wir tun das in Bayern mit großem Erfolg. Andere Länder machen es nicht. Schleswig-Holstein macht die Regelanfrage von der Zustimmung des Betroffenen abhängig.

(Heiterkeit bei der CSU)

Der Einwand, dass dann eben nicht eingebürgert wird, stimmt nicht. Denn dort, wo es Rechtsansprüche gibt, ist die Einbürgerung vorzunehmen, wenn es keine gesetzliche Regelung gibt. Diese Lücke muss geschlossen werden.

Dass Nordrhein-Westfalen sich bei der Regelanfrage auf Angehörige bestimmter Problemstaaten beschränkt, reicht nicht aus. Wir brauchen die Regelanfrage im Übrigen auch, bevor wir ein unbefristetes Aufenthaltsrecht in Deutschland gewähren.

Einen weiteren Punkt, Frau Kollegin Köhler, möchte ich jetzt außerhalb meines Manuskripts noch ansprechen, weil er gestern in der Diskussion der IMK eine Rolle gespielt hat und auch sicherlich heute in der Pressekonferenz noch eine Rolle spielen wird. Ich habe es in meinem Diskussionsbeitrag deutlich gemacht: Dass wir die unterschiedlichen Ethnien nicht speichern dürfen, ist ein schweres Versäumnis und nur durch die Ideologie von Rot-Grün zu erklären.

(Dr. Bernhard (CSU): So ist es! – Beifall bei der CSU)

Frau Kollegin Köhler hatte vor einigen Wochen gefragt – ich sage bewusst: verständlicherweise –: Wie viele Tschetschenen gibt es, die in Bayern leben? Ich musste antworten, ich weiß das nicht, weil wir nur die Staatsangehörigkeit russisch erfasst haben. Ich meine, das ist nicht in Ordnung; denn jeder weiß, dass es eine völlig unterschiedliche Situation ist, ob ein Russe oder ein Tschetschene bei uns lebt, auch wenn letzterer einen russischen Pass hat. Es muss uns mit Sorge erfüllen, dass zwei Bürger, ein Deutscher aus Ulm und ein Deutscher aus Neu-Ulm – der eine ist gebürtiger Tunesier, der andere gebürtiger Türke –, im Krieg in Tschetschenien gefallen sind. Das haben uns die Russen mitgeteilt. Der eine war also ein bayerischer Bürger aus Neu-Ulm mit tschetschenischer Herkunft. Dass wir solche Ethnien nicht speichern dürfen, ist unverantwortlich.

Sollte es – was wir nicht hoffen und worüber wir im Augenblick auch keine Erkenntnisse haben – im Irak zu Auseinandersetzungen kommen, müssen wir doch wissen, ob es sich bei den Zigtausenden von Irakern, die wir heute im Lande haben, um Kurden handelt, die vor Sadam Hussein geflohen sind, oder ob es sich um Leute handelt, die Sadam Hussein ganz bewusst in Europa positioniert hat, um den Krieg ins Land zu bringen. Das kann im Ausländerzentralregister bisher nicht gespeichert werden. Es ist dies ein unentschuldbares Versäumnis, das nur durch die rot-grüne Ideologie zu erkären ist.

(Beifall bei der CSU)

Wir brauchen eine in Europa abgestimmte Sicherheitspolitik. Zwar haben die Ausgleichsmaßnahmen für den Wegfall der Grenzkontrollen sich grundsätzlich bewährt, aber wir brauchen noch zusätzliche Schritte. Wir sind – das will ich auch noch deutlich sagen – durch das Schengener Informationssystem, das die wesentliche europäische Ausgleichsmaßnahme für den Wegfall der Grenzkontrollen darstellt, in der Tat einen großen Schritt nach vorn gekommen. Dass aber das SIS bei weitem noch nicht so ausgebaut ist, wie es notwendig wäre, insbesondere dass es nicht zulässig ist, die Verbindung zwischen Sach- und Personendaten anzugeben, ist unbefriedigend; denn jeder Fachmann weiß, dass eine Fahndung erst durch möglichst viele Verbindungen Erfolg zeigen wird. Heute geht es so: Der oder die in einem roten Porsche ist Angehöriger oder Angehörige einer OK-Gruppierung. Wir dürfen im Schengener Informationsdienst den Porsche mit dem Kennzeichen speichern und in einem anderen Bereich kann dann die Person gespeichert werden. Aber es darf auf europäischer

Ebene eben keine Verbindung zwischen Sachfahndung und Personenfahndung hergestellt werden. Das sind Defizite, die wir uns dauerhaft nicht leisten können. Insbesondere wenn die EU-Erweiterung kommt, halte ich eine solche Verbindung für unabdingbar. Denn jeder von uns weiß, dass es in den östlichen Nachbarländern leider noch kein den Normen der Europäischen Union entsprechendes Sicherheitssystem gibt und dass die Stabilisierung des Sicherheitsapparates hier in der Tat noch weiter vorangetrieben werden muss.

(Glück (CSU): Günther, du hast eine begrenzte Redezeit!)

Ich weiß es. Ich werde sie ganz präzise einhalten.

(Heiterkeit bei der CSU)