Protocol of the Session on November 13, 2002

(Zurufe von der CSU: Bürokratieberg!)

Jetzt habe ich es schon wieder gesagt. Allein der Ausdruck „Bürokratieberg“ ist mir unsympathisch. Wir sind auf dem besten Weg, den Bürokratieberg abzuschaffen. Wenn Sie in Ihren Antrag noch hineinschreiben würden „Mit Sorge stellen wir fest, dass Deutschland beim Wirtschaftswachstum seit über acht Jahren Schlusslicht ist“, dann könnte man darüber reden. Ansonsten sind die Formulierungen in Ihrem Antrag so allgemein und teilweise widersprüchlich, was die Ausführungen bezüglich der Bundesrepublik Deutschland anbelangt, dass wir uns bei gleicher Zielsetzung – Abbau der Bürokratie –

(Gabsteiger (CSU): Bravo!)

zum Antrag der Stimme enthalten werden.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Frau Kollegin Kellner.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Meyer hat zum Abschluss seiner Rede gesagt, Bayern ist auf einem guten Weg zur Entbürokratisierung. Herr Kollege Meyer, auf diesem Weg sind Sie nicht nur gestrauchelt, Sie sind sogar in Ihrem Übereifer vollkommen vom Weg der Entbürokratisierung abgekommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als herausragendes Beispiel bringe ich hier, wie Sie eine Zwangsabgabe „Weinfonds“ in memorian an die staatliche Planwirtschaft eingeführt haben, um mit dieser Abgabe die Kür und Tätigkeit von Weinköniginnen und die Ausrichtung von Barockfesten zu fördern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist die Entbürokratisierung nach CSU-Art. Herr Staatsminister Huber, ich frage Sie, ob Sie das letzte Fähnchen der Planwirtschaft in Bayern hochhalten wollen, indem Sie Leuten das Geld aus der Tasche ziehen für Aufgaben, die weiß Gott keine staatlichen Aufgaben sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich warte nur noch darauf, dass Sie eine Schwarzpulverzwangsabgabe einführen, um Schützenkönige küren zu können.

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ein weiteres Beispiel bayerischer Entbürokratisierung und Deregulierung ist die Bekanntmachung vom 27. August 2002, die mir Frau Kollegin Paulig aus dem Bereich Umwelt gegeben hat, in der auf drei Seiten das Fertigen und Aufstellen von Bautafeln für wasserwirtschaftliche Vorhaben geregelt wird. Nur damit Sie sehen, wie hier in Bayern beispielgebend für die ganze Welt entbürokratisiert und dereguliert wird, lese ich vor:

Die Breite der Tafeln beträgt mindestens zwei Meter, die Höhe der Haupttafel mindestens 50 Zentimeter, die Höhe der weiteren Tafeln mindestens 20 Zentimeter, größere Höhen in Fünf-Zentimeter-Schritten.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit der Größe allein sind Sie aber nicht zufrieden. Jetzt geht es in die Vollen:

Farben: Weiß

Aber Weiß allein reicht noch nicht. Da steht:

Diboweiß, einbrennlackiert, Materialstärke zwei bis vier Millimeter

Das wird sicher alles nachgemessen.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit es nicht gar so eintönig wird, ist gestattet:

Blau, 80% Cyan- bzw. Fascalblau, Nummer 809 BF Oceanblue

Respekt, das ist die Multikulturalität Bayerns. Richtig international sind wir, zumindest beim Aufstellen von Bautafeln.

(Allgemeine Heiterkeit)

Und so geht das weiter. Wer es noch ein bißchen bunter mag, der darf Primerose Yellow oder Royal Blue wählen. Damit Sie nicht beleidigt sind, dürfen auch noch Schriften in Schwarz – farbig möglich, aber nicht erforderlich – gewählt werden.

Herr Kollege Meyer, so sind Sie auf dem Weg der Entbürokratisierung und Deregulierung richtig in den Dschungel der Regulierungswut geraten. In Bayern darf es einfach nichts geben, was nicht kontrolliert, gemessen und überwacht wird, und sei es die mickrigste Bautafel, um Ihre geliebten Schlaglöcher auf Niederbayerns Staatsstraßen auszubessern.

(Leeb (CSU): Sehr schön!)

Wahrscheinlich wird jetzt dann auf der SchlaglöcherBautafel im Landkreis Passau noch stehen: „Gewidmet unserem geschätzten Landtagsabgeordneten Franz Meyer“.

(Allgemeine Heiterkeit)

Herr Staatsminister Huber, das wird eines der Ergebnisse der Entbürokratisierungsoffensive des Herrn Kollegen Meyer sein.

Sie erinnern sich – das ist noch nicht lange her – an die Debatten darüber, wie weit ein Plastikschüsselchen, das jemand zum Metzger mitnimmt, der seine Wurst nicht in Pergamentpapier verpackt haben will, über die Ladentheke gereicht werden darf.

In der letzten Legislaturperiode gab es hierzu zwei Plenardebatten – zwei! Plenardebatten.

(Heiterkeit)

Das nächste war – das ist noch gar nicht so lange her; denn es muss etwas geschehen in Bayern, es muss immer eine Offensive her – –

(Heiterkeit)

Eine der letzten Offensiven war, dass dann, wenn Leute auf die Idee kommen für ein Kindergartenfest, ein Feuerwehrfest oder ein Fest mit der Partnerstadt, Kuchen zu backen und die zu verkaufen, eine Regelung sein muss. Da sowieso das neue Verbraucherschutzministerium eingerichtet war, das krampfhaft auf der Suche nach Aufgaben ist, denn sonst könnten sogar Sie zu der Einsicht kommen, dass es überflüssig ist,

(Heiterkeit)

wird ein „Mordsflugblatt“ herausgegeben, wonach jeder, der ein Stück Zwetschgendatschi verkaufen will – zuhause gebacken – vorher ein Hygienezeugnis braucht im Wert von sage und schreibe 30 Zwetschgendatschi.

(Heiterkeit)

Ich habe mir gedacht, das könnte vielleicht eine der „berühmten“ Mittelstandsoffensiven des Kollegen Meyer sein, denn wo kämen wir hin, wenn jeder seinen Kuchen selbst backen würde. Sollen sie ihn doch beim Bäcker holen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Welnhofer?

Herr Welnhofer, würden Sie bitte noch etwas warten.

(Welnhofer (CSU): Wann darf ich wieder an Sie herantreten?)

Ich winke Ihnen, Herr Kollege Welnhofer. Sie sollen auch Ihren Beitrag zur Entbürokratisierungsoffensive der CSU leisten dürfen. Was dem einen sein Taferl ist, kann Ihnen – ich weiß nicht was – vielleicht seine Gartenbank sein. Wer weiß, ich lasse mich überraschen.

Kolleginnen und Kollegen, jenseits dieser Auswüchse, die ich noch sehr sehr lange fortsetzen könnte, gibt es auch einiges ernsthaftes zu diskutieren. Hier gibt in der Tat einen Spannungsbogen, wie viel Staat die Bürgerinnen und Bürger brauchen. Sie erleben es genauso wie wir: Wer reguliert und beanstandet wird sagt, es müsse entbürokratisiert und dereguliert werden. Wehe es passiert etwas, dann – auch hier ist Ministerpräsident Dr. Stoiber einer der Ersten der ein neues Sicherheitspaket, ein neues Verbraucherschutzpaket fordert – werden Leute eingestellt, um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.

Aber, Kolleginnen und Kollegen, das ist nicht alles. Wir müssen jenseits dieser Auswüchse, die es gibt, eine ernsthafte Diskussion führen und Prioritäten festlegen. Beim Bauen, Herr Kollege Meyer, kann man schon sagen, dass es zuviel Bürokratie gibt. Ich möchte aber nicht, dass Nachbarschaftsrechte Ihrem Entbürokratisierungswahn zum Opfer fallen. Es reicht nicht, die Leute auf den Rechtsweg zu verweisen. Es muss im Rahmen der öffentlichen Bebauungspläne möglich sein, Einsprüche zu formulieren, die dann auch behandelt werden. Mit Ihrem Argument, die Verfahren würden zu lange dauern, meinen Sie immer, dass die Abkürzung der Verfahren gleichzeitig bedeuten muss, Bürgerrechte zu beschneiden. Ich sage Ihnen: Das geht mit uns nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was allerdings mit uns geht – auch hier kann ich aus Erfahrung sprechen –, das ist die Bearbeitungszeit zu verkürzen. Aus meiner Gemeinde weiß ich, dass Verfahren lange dauern, weil die einzelnen Abteilungen, die sich mit bestimmten Verfahren beschäftigen, sich nicht gemeinsam an einen Tisch setzen, sondern der Bauantrag von Amtsstube zu Amtsstube weitergeleitet wird. Wenn jemand im Urlaub ist, liegt die Akte dann vier Wochen, dann kommen Ferien, so zieht es sich dann dahin.