Protocol of the Session on November 13, 2002

Wie muss die Agrarpolitik aussehen, die Bayern nützt? Landwirtschaftspolitik muss nicht nur die Interessen der Landwirtschaft und schon gar nicht nur die der Agrarlobby berücksichtigen, sondern die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher, der Gesellschaft, der Tiere und der Umwelt. Wir sind davon überzeugt, dass eine konsequente Politik für die bäuerlichen Betriebe in Bayern allen nützt; denn Politik wird den bäuerlichen Betrieben nur dann eine langfristige Perspektive geben können, wenn sie nachhaltig darauf ausgerichtet ist, die Anforderungen, die Verbraucherinnen und Verbraucher und Gesellschaft an sie stellen, zu erfüllen. Diese Lehre müssten eigentlich auch Sie, Kolleginnen und Kollegen der CSU, aus der BSE-Krise gezogen haben. Damals haben Sie die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher über Jahre, ja fast über Jahrzehnte, sträflich vernachlässigt.

((Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben sie den Interessen der Agrarlobby geopfert mit der Folge, dass in Bayern gerade die Bäuerinnen und Bauern dafür zahlen mussten.

Das Optimum für die Verbraucherinnen und Verbraucher, für die Gesellschaft, für die Tiere und die Umwelt ist langfristig das Optimum für die Bäuerinnen und Bauern. Eine konsequent darauf ausgerichtete Politik könnte der Mehrheit der Betriebe den Wettbewerbsvorsprung verschaffen, der für ihr Überleben so wichtig ist.

Wer sind die bayerischen Bäuerinnen und Bauern? Die überwiegende Mehrheit sind kleine und mittlere Betriebe – keine Großbetriebe und schon gar keine Agrarfabriken. Sie stehen in scharfer Konkurrenz zu den Großbetrieben. Sie können in der Regel nicht nur kostengünstiger produzieren, sondern bekommen zusätzlich ungleich mehr Förderung. Diese angeblich so modernen Betriebe brauchen aus der EU-Kasse Zuschüsse in Höhe von bis zu 100000 Euro pro Arbeitskraft, um existieren zu können.

(Zuruf des Abgeordneten Willi Müller (CSU))

Ein bayerischer Bauer muss im Durchschnitt mit cirka 4000 Euro pro Arbeitskraft auskommen. Dies ist kein fairer Wettbewerb.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

EU-Kommissar Fischler wollte bei der Halbzeitbewertung der Agenda 2000 für einen Abbau dieser Wettbewerbsverzerrung sorgen. Aber wer hat sich gegen diese Verbesserungen gestemmt und hat geholfen, die von den bisherigen Ungerechtigkeiten Profitierenden weiter davon profitieren zu lassen? Es waren die Bayerische

Staatsregierung und allen voran Minister Miller und Ministerpräsident Stoiber.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Minister Miller musste immer wieder sagen: Wir brauchen Planungssicherheit und keine überstürzten Reformen; das haben wir auch heute wieder gehört.

Kolleginnen und Kollegen von der CSU, ich frage Sie: Wollen Sie Planungssicherheit oder eine möglichst schnelle Beendigung der Ungerechtigkeit, wenn Sie unter massiver Ungerechtigkeit leiden?

(Hofmann (CSU): Sowohl als auch!)

Minister Miller hatte im Bundesrat mit seinem Antrag Erfolg, die Agrarreform auf 2007 zu verschieben. Er verkaufte dies als Erfolg für die bayerischen Bäuerinnen und Bauern und erklärte, eine grundlegende Reform zum jetzigen Zeitpunkt gefährde Unternehmenskonzepte und zerstöre das Vertrauen der Bauern in die Agrarpolitik. Dass dies nicht die Unternehmenskonzepte der bayerischen Bäuerinnen und Bauern sind, ist sicher.

Wie sehen diese Unternehmenskonzepte aus, die jetzt nicht zerstört werden, weil sich Minister Miller dafür eingesetzt hat? Die Pläne Fischlers sehen vor, dass künftig kein Betrieb mehr als 300000 Euro bekommen soll. Dagegen hat der Landwirtschaftsexperte aus Stoibers nicht benötigtem Kompetenzteam protestiert, eine solche Beschränkung gefährde Tausende von Arbeitsplätzen in Ostdeutschland. Die Betriebe seien dann nicht mehr lebensfähig.

(Loscher-Frühwald (CSU): Das sagt auch Frau Bundesministerin Künast!)

Solche Äußerungen sind skandalös. Noch skandalöser ist, dass der bayerische Minister Miller dies auch noch unterstützt; denn was ist mit den bäuerlichen Arbeitsplätzen in Bayern, die wegen der ständigen Wettbewerbsverzerrung Jahr für Jahr verloren gehen? Warum sorgt sich Minister Miller nicht um diese Arbeitsplätze? In Bayern stehen ca. 400000 Arbeitsplätze – ungefähr ein Drittel der in Deutschland vorhandenen Arbeitsplätze – auf dem Spiel. Darum müssen Sie sich kümmern. Wo können mehr Arbeitsplätze verloren gehen – bei den Großbetrieben oder bei den vielen kleinen Betrieben?

In der EU gibt es keine 2000 Betriebe, die mehr als 300000 Euro Direktbeihilfe bekommen. Davon liegen zwei Drittel in Deutschland. In Bayern ist keine Handvoll solcher Betriebe.

((Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abgeordneten Loscher-Frühwald (CSU))

Herr Minister Miller, wem nützt also Ihre Politik? Sicher nicht den bayerischen Betrieben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die überwiegende Mehrheit der bayerischen Bäuerinnen und Bauern bemüht sich um eine artgerechte Tierhal

tung. Es gibt bei uns überall Betriebe, die ihren Schweinen einstreuen, die die Kühe auf die Weide bringen, die Laufställe bauen und Hühner im Freiland halten. Sie erbringen diese Leistungen, obwohl sie sich häufig wirtschaftlich nicht lohnen – im Gegenteil; denn sie müssen mit Preisen konkurrieren, die sich vielleicht bei Massentierhaltungen lohnen, aber nur so lange es diese Förderung gibt.

EU-Kommissar Fischler und Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast wollen die innerdeutschen und innereuropäischen Wettbewerbsverzerrungen abbauen. Eine Förderung soll es künftig nur noch geben, wenn auch in der Tierhaltung Minimumstandards eingehalten werden. Wer über die Minimumstandards hinaus für die artgerechte Tierhaltung mehr tut, soll zusätzlich gefördert werden. Das würde in Bayern gerade den bäuerlichen Betrieben nützen, die diese Leistungen bereits erbringen. Herr Minister Miller, warum schaden Sie diesen Betrieben? Weil Sie im Auftrag des ewigen Kanzlerkandidaten Stoiber die Agrarpolitik in Bayern missbrauchen, um damit Bundespolitik zu machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Großteil unserer Betriebe sind Nebenerwerbslandwirte. Sie brauchen ein zweites oder drittes Standbein, um überleben zu können. Zusätzliche Einkommen beziehen sie zum Beispiel aus ihrer Arbeit als Energiewirt. Dies hat mittlerweile sogar der Bayerische Bauernverband erkannt. Er lobt: Den erneuerbaren Energien gehört die Zukunft. Aber wer wollte diese Zukunft im Wahlkampf vorzeitig beenden: der ewige Kanzlerkandidat. Insofern sind die Bauern froh, dass wir GRÜNEN weiterhin in der Regierung sind.

Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für erneuerbare Energien haben sich durch das Gesetz für erneuerbare Energien und durch unsere GRÜNEN-Politik positiv entwickelt. Wir sind froh, dass der Bauernverband diese Politik lobt. Aber noch mehr freuen wir uns darüber, dass diese Politik den bayerischen Bäuerinnen und Bauern nützt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Minister Miller, Ihre Blockadehaltung, mit der Sie jetzt die Modulation verhindern wollen, nützt unseren Bauern überhaupt nicht.

(Zuruf des Abgeordneten Loscher-Frühwald (CSU))

Sie sind stolz darauf, dass Sie im Bundesrat eine Mehrheit gegen das Modulationsgesetz gefunden haben. Aber dass Sie es nicht verhindern werden, wissen Sie. Sie sind stolz darauf, dass Sie im Auftrag Ihres Herrn der neuen Landwirtschaftspolitik von Renate Künast wieder einen kleinen Knüppel zwischen die Beine werfen konnten. Wer nichts zu sagen hat, will wenigstens stänkern. Dies hilft ein wenig über die eigene Bedeutungslosigkeit hinweg. Diese Hilfe braucht der ewige Kanzlerkandidat und Ministerpräsident Dr. Stoiber zurzeit dringend. Aber hilft dies auch den bayerischen Bäuerinnen und Bauern?

Herr Minister Miller, Sie mussten nach der Kabinettssitzung vom 15. Oktober sagen, dass die Freibeträge bei der Modulation viel zu niedrig seien. Es geht um 10000 Euro pro Betrieb. Für kleine und mittlere Betriebe, so sagten Sie, seien die Direktzahlungen unverzichtbarer Bestandteil ihres Einkommens. Sie müssten von Kürzungen verschont bleiben. Insofern haben Sie vollkommen Recht. Aber, Herr Minister Miller, Sie sagen nicht, dass diese Betriebe wegen des Freibetrags von 10000 Euro nicht betroffen sind. Das nenne ich Volksverdummung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass so etwas verfängt. So blöd kann niemand sein, dass er auf so etwas hereinfällt; denn in Bayern wissen jeder Bauer und jede Bäuerin, wie hoch die Förderbeträge sind, die sie bekommen. Wenn sie auf ihrem Konto nachsehen, stellen sie doch fest, dass sie im Jahr weniger als 10000 Euro bekommen. Also sehen sie auch, dass sie von der Modulation nicht betroffen sind. Auch Sie, Herr Minister, wissen dies genau; denn die Zahlen habe ich von Ihnen bekommen. Warum lügen Sie dann zum Schaden der bayerischen Landwirtschaft?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In Bayern bekommen 80% der Betriebe weniger als 10000,00 e. Das sind die kleinen und mittleren Betriebe – wer sonst? Das sind die Betriebe, um die sich Minister Miller angeblich sorgt. Diese 80% sind von den Kürzungen nicht betroffen. Umgekehrt könnten diese Betriebe aber davon profitieren, dass die größeren, die 20%, nicht zusätzlich gefördert werden. Die haben ohnedies Kostenvorteile. Da braucht man ihnen das Geld nicht hinterherwerfen. Das ist Wettbewerbsverzerrung, die den 80% schadet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Warum schaden Sie diesen 80%, Herr Minister? Sie sollten endlich aufhören, zu lügen. Sie lügen auch, wenn es um das Geld geht. Anders als von Ihnen behauptet, geht der Landwirtschaft in Bayern durch die Modulation kein Geld verloren. Im Gegenteil: Es werden 4 Millionen e frei und dazu kommen noch einmal 4 Millionen e. Das ist doppelt so viel, wie Sie vorher hatten. Sie wissen auch, denn das wurde vorher mit Ihnen vereinbart, mit diesen Geldern werden Leistungen belohnt, die unsere Bäuerinnen und Bauern heute umsonst erbringen. Die Modulationsmittel werden für erweiterte Fruchtfolgen eingesetzt, zur Förderung der Bodenfruchtbarkeit und damit zur nachhaltigen Sicherung der bäuerlichen Existenzgrundlage. Die Mittel werden eingesetzt für besondere umweltgerechte Produktionsweisen im Ackerbau und beim Grünland, also zum Nutzen von Landwirtschaft und Umwelt. Diese 8 Millionen e können in Bayern für besonders umwelt- und tiergerechte Haltungssysteme eingesetzt werden. Damit nützen diese Mittel nicht nur Umwelt und Tieren, sondern sie stärken auch die bäuerliche Landwirtschaft in Bayern gegen die Massentierhaltung. Das ist doch gerade der Witz dabei.

Selbst der Bauernpräsident Sonnleitner – den ich besonders gern zitiere – hat auf einer Bauernversammlung in Baden-Württemberg erklärt, dass er für die Modulation eintreten würde, wenn er nur die bayerischen Bauern vertreten müsste. Das hat er gesagt! Aber warum tritt unser Landwirtschaftsminister, der Minister der bayerischen Landwirte ist, nicht für unsere Bauern in Bayern ein?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Weil er Bundespolitik machen muss, weil sein Chef es so will. Das ist der Punkt. Agrarpolitik in Bayern ist schon seit geraumer Zeit Chefsache. Mit der Chefsache hat Herr Stoiber schon vor der BSE-Krise angefangen, und es ist dann nicht besser geworden. Nach der BSE-Krise hat er es wieder probiert, und bei der nächsten Krise wird es wieder so sein.

(Gartzke (SPD): Vielleicht liegt es am Chef!)

Agrarpolitik ist seither extrem konjunkturabhängig, nämlich abhängig von der Medienkonjunktur. Es zählt nicht mehr Sachpolitik, sondern nur noch die Show-Effekte, die sich damit erzielen lassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die sogenannte Verbraucherinitiative wurde damals in höchster BSE-Not vom Chef persönlich ins Leben gerufen. Minister Miller hat noch gar nichts davon gewusst, da hat der Chef schon gewusst, was passiert.

(Gartzke (SPD): Der Dürr ist gut!)

Genauso schnell wurde sie auch wieder abgebaut, als anstelle der Verbrauchersicherheit die innere Sicherheit in den Fokus der Medien rückte. Heute wird sie eingestampft. Die Show ist vorbei. So sieht die Politik dessen aus, der sich im Bundestagswahlkampf als der ehrliche Kandidat aufspielte und auch heute noch mit seiner angeblichen Ehrlichkeit beschämen will. Nur weil einer aber kein Medienstar ist, ist er noch lange nicht ehrlich.

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und bei der SPD – Frau Radermacher (SPD): Da ist was dran!)

Das zeigt auch das Schicksal der sogenannten Verbraucherinitiative. Nach dem BSE-Skandal hat der bayerische Ministerpräsident von einer Zäsur gesprochen. Er hat gesagt, dass man die Fehlentwicklungen vieler Jahrzehnte nicht auf einmal rückgängig machen könnte. Das hat er in diesem Hause gesagt. Dann hat er die Verbraucherinitiative aus dem Hut gezaubert und den Ökoanbau entdeckt. Sie, Herr Minister Miller, durften im Auftrag Ihres Chefs große Versprechungen machen, dass Sie das neue Verbraucherbewusstsein als Chance für die bäuerliche Landwirtschaft nutzen wollten, dass Sie eine konsequente Weiterentwicklung des bayerischen Wegs in der Agrarpolitik für die kommenden Jahre und – nicht Jahrhunderte, aber – Jahrzehnte einleiten würden. Heute sind die Jahrzehnte aber schon wieder vorbei.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)