Protocol of the Session on November 12, 2002

Kollege Kaiser hat es kurz angesprochen. Der Rentenbeitragssatz hätte statt 19,1 Prozentpunkte 20,6 Prozentpunkte betragen. Jetzt hätten wir sogar 21 Prozentpunkte nötig.

(Zuruf des Abgeordneten Dinglreiter (CSU) – Weitere Zurufe von der CSU)

Herr Dinglreiter, da sind wir genau beim Kern. Ich verstehe, dass Ihnen unwohl ist. Von Ihnen kommt nichts anderes als Gemeckere, Genöle und Gejammere.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei eigenen Konzepten und eigenen Ideen ist völlige Fehlanzeige. Konzeptlosigkeit und völlige Orientierungslosigkeit ist bei CDU und vor allem der CSU ja schon zum Programm geworden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Dinglreiter, meine Kollegen von der CSU, nehmen Sie es mir nicht übel: Wenn die CSU über Steuererhöhungen jammert, ist das genauso, wie wenn Jack the Ripper beklagen würde, dass der Staat zu wenige Programme zum Schutz leichter Mädchen in dunklen Ecken auflegt.

(Lachen bei der CSU)

Sie sind doch die Partei der größten Steuererhöhungen: Versicherungsteuer, Mineralölsteuer; ich könnte das beliebig fortsetzen. Sie sind die Partei der höchsten Steuersätze. Das gilt für den Spitzensteuersatz und den Eingangssteuersatz der Einkommensteuer. Sie haben doch immer für die höchsten Steuern gesorgt. Hinterher aber kommt wieder das übliche Gejammere.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Ex-Kanzlerkandidat ist erfreulicherweise da. Er hat sich in den letzten Tagen mehrfach zu diesem Thema in Interviews und Reden, auch in der Rede auf dem CDUParteitag, geäußert. Ich nenne einige Schlagworte, die wir dem Internet entnehmen durften: „Rot-Grün hat den Karren tief in den Dreck gefahren.“ Wir erinnern uns: 16 Jahre Regierungszeit von Kohl und Waigel waren ein Jungbrunnen für Reformer, waren ein Quell zielführender Reformen. Ich nenne ein weiteres Schlagwort: „RotGrün heißt mehr Staat, CDU/CSU weniger Staat.“ Und dies aus dem Munde des Ministerpräsidenten im Bürokratiemonster Bayern! Herr Ministerpräsident, dazu nenne ich nur zwei Stichworte. Das erste ist das Bayerische Weinabsatzförderungsgesetz, die zweite Zwangsabgabe für unsere bayerischen Winzer.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das zweite Schlagwort: Aus Bayern kommt das Gemeckere über das Bürokratiemonster Bauabzugsteuer. Auf wessen Betreiben ist die Bauabzugsteuer eingeführt worden? – Das geschah auf Betreiben der Bayerischen Staatsregierung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich nenne ein weiteres Zitat von Edmund Stoiber: „Wir wollen eine positive Grundstimmung erhalten.“ Das geht aber nicht, wenn man alles schlecht macht. Noch eine schöne Aussage: „Die Durchschnittsfamilie hat durch Rot-Grün weniger in der Tasche, ich lehne jede Art von Steuererhöhung ab.“ Wir erinnern uns noch daran, wie Sie im Bundestagswahlkampf versprochen haben, den Spitzensteuersatz zu senken, die Sozialversicherungsbeiträge zu deckeln, gleichzeitig Milliarden für die Spallationsquelle bereitzustellen, weitere Milliarden für den

Transrapid. Von irgendwoher müssen die Gelder aber kommen.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das zeigt, dass die CSU und ihr damaliger Kanzlerkandidat die kleinen Leute ausbluten lassen wollten. Nur Reiche können sich einen schwachen Staat leisten. Sie aber wollen eben das.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist augenfällig – das wird auch später bei den Haushaltsreden zum Einzelplan 07 der Fall sein –, dass dann, wenn etwas gut geht, Staatsregierung und CSU dafür verantwortlich sind, wenn etwas nicht hervorragend läuft, waren selbstverständlich die anderen schuld.

Wir, die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN im Bayerischen Landtag, sagen: Jetzt sind endlich grundlegende Reformen angesagt, und zwar der sozialen Sicherungssysteme, des Arbeitsmarkts und der öffentlichen Haushalte.

(Zuruf des Abgeordneten Loscher-Frühwald (CSU))

Das ist eine Aufforderung an die Regierung in Berlin. Diese Aufforderung richten wir selbstverständlich an die grüne Bundestagsfraktion in Berlin. Das ist aber auch eine Aufforderung an die CSU und die Staatsregierung, nicht immer nur zu maulen, zu meckern und zu blockieren, sondern stattdessen eigene Konzepte und Ideen zu liefern. Dann können wir uns damit hier auseinander setzen. Dann kämen wir weiter.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Staatsminister Dr. Wiesheu hat um das Wort gebeten.

Herr Präsident, Hohes Haus! Es ist doch erstaunlich, dass die SPD bei der Diskussion über den Haushalt offensichtlich immer wieder vergisst, dass es in Deutschland eine Wiedervereinigung gegeben hat.

(Lebhafter Widerspruch bei der SPD)

Seinerzeit waren Sie auch der Meinung, dass die Ausgaben notwendig sind. Ich verweise auf Herrn Eichel, der nach Übernahme seines Amtes gesagt hat, diese Aufgaben seien notwendig und nicht vermeidbar gewesen.

(Dr. Scholz (SPD): Aber wie sie finanziert werden!)

Deswegen ist es unfair, heute damit zu argumentieren.

Fairer wäre es, wenn Sie sagen würden, was aus dem Sparhans Eichel geworden ist. Heute kommen Rügen aus Brüssel wegen Nichteinhaltung der Stabilitätskriterien. Wo ist denn da der Sparkurs geblieben? – Immer wieder wird gesagt, der Reformstau wäre 1998 aufgelöst

worden. Vergessen ist also die sinnvolle Steuerreform unter Stoltenberg, die Reformen bei Bahn, Post, Telekom und anderswo. In den letzten vier Jahren der KohlRegierung sind mehr sinnvolle Reformen gelaufen als bei Ihnen in den letzten vier Jahren. Der Reformstau wurde zwar aufgelöst, aber Ihre Reformen gingen in die falsche Richtung. Sie haben Probleme geschaffen und nicht Probleme gelöst. Sie bereuen ja heute noch, dass die Blüm-Reform mit dem demografischen Faktor bei der Rente zurückgenommen worden ist. Jetzt müssen Sie einräumen, dass die Bevölkerungsentwicklung Sie zu Korrekturen zwingt. Die Korrekturen werden zwar nicht vor den Wahlen in Hessen und Niedersachsen durchgeführt, aber nachher kommen sie schon.

(Zurufe von der SPD)

Aber selbstverständlich! Das wissen Sie genauso gut wie ich. Die Koalitionsvereinbarungen und die Gesetzentwürfe, die jetzt mit großer Hektik auf den Weg gebracht werden, sind ein Dokument politischer Rat- und Mutlosigkeit ohne jede ordnungspolitische Linie. Sie verbessern weder das Investitionsklima noch das psychische Klima bei den Verbrauchern, sondern sorgen nur für Verängstigung. Sie flexibilisieren den Arbeitsmarkt nicht: hier Fehlanzeige; Impulse für Wachstum und Beschäftigung: Fehlanzeige; Modernisierungspolitik für Deutschland: Fehlanzeige.

Das ist die Bilanz Ihrer Koalitionsvereinbarungen. 50 Steuererhöhungen mit einer Gesamtbelastung von 70 Milliarden e bis zum Jahr 2006 sind vorgeschlagen. Die Sozialabgaben sinken nicht, sondern sie steigen. Bei Einführung der Ökosteuer wurde gesagt, dass die Lohnzusatzkosten auf unter 40% sinken: Tatsächlich sind sie aber gestiegen, weil man die Ökosteuer eingeführt und sich dann auf die faule Haut gelegt hat und wichtige Reformen nicht durchgeführt hat.

Das Hartz-Konzept schafft keine neuen Arbeitsplätze, es bereinigt die Statistik. Mehr wird es nicht sein. Die Haushaltskonsolidierung ist weitgehend aufgegeben. Mit dem, was Rot-Grün macht, kommen wir nicht aus der Rezession heraus. Sie verschärfen die Krise in der Wirtschaft, und Sie verschärfen die Krise auf dem Arbeitsmarkt. Das gilt für Deutschland generell; Herr Kollege Dinglreiter hat es dargestellt. Ich möchte nun einige Punkte herausgreifen, die uns in Bayern speziell betreffen. Wenn man genau hinsieht, bemerkt man, dass wir von einigen Dingen überproportional stark betroffen sind.

Herr Dr. Kaiser sagt, mit der Verlustverrechnung und der Mindestbesteuerung sollen Fehler korrigiert werden, die bei der Körperschaftsteuer gemacht wurden. Der Fehler bei der Körperschaftsteuer war die sofort mögliche Auflösung der thesaurierten Gewinne. Bei der niedrigeren Besteuerung mit 25% wurde eine Menge herausgezogen.

(Dr. Kaiser (SPD): Das war doch vorher schon möglich!)

Nein, das war vorher nicht möglich. Machen Sie sich kundig: Das ist durch die Steuerreform geschehen.

Die Mindestbesteuerung und die Begrenzung auf sieben Jahre bei den Verlustvorträgen lösen das Problem nicht, weil es sich dabei um eine Antwort auf eine nicht gestellte Frage handelt. Die Mindestbesteuerung und die Begrenzung auf sieben Jahre treffen nicht nur die Kapitalgesellschaften, sondern auch die Personengesellschaften. Wenn Sie das Problem der Körperschaftssteuer bei den Kapitalgesellschaften lösen wollen, brauchen Sie eine Regelung, die die Personengesellschaften nicht trifft. Ihre Regelung trifft aber die Personengesellschaften, wobei darauf hinzuweisen ist, dass 88% der Betriebe in Bayern Personengesellschaften sind. Das heißt, diese Maßnahme setzt an der falschen Stelle an.

Hinzu kommt Folgendes: Sehen Sie sich einmal die Situation bei Existenzgründungen und Betriebsübernahmen, bei Venture-Capital-Firmen und neuen Technologien an. Eine Reihe von Firmen ist darauf angelegt, in den ersten Jahren Verlust zu machen, weil Produkte erst entwickelt werden müssen, bevor man in die Gewinnzone kommt. Deshalb werden diese Betriebe auch mit Venture Capital finanziert. Wenn Sie die Verlustvorträge sachlich und zeitlich begrenzen, dann würgen Sie die Betriebe ab. Das ist ein Programm zum Abwürgen der modernen Betriebe in Bayern und Deutschland. Sieht man das nicht?

(Beifall bei der CSU)

Sie würgen die Gründerdynamik ab. Jeder wird sagen: Wenn man die ersten Jahre – logischerweise bei den Investitionen – Verluste macht und diese Verluste später nicht verrechnen kann, wie soll man dann einen Betrieb aufbauen? Unter diesen Voraussetzungen kann man nur einen Betrieb aufbauen, der sofort etwas bringt. Aber das gibt es bei uns noch nicht. Sie würgen die Betriebe ab, die zyklischen Schwankungen unterworfen sind. Schauen Sie sich Infineon an: Dort muss eine Menge von Leuten ausgestellt werden. Wenn es dort wieder aufwärts geht, könnten die Verluste nur eine kurze Zeit lang verrechnet werden. Wo wird die Firma hingehen, wenn wir derartige steuerliche Regelungen haben? Mit den Steuerregelungen, mit denen Sie keine Antwort auf die Fehler, die Sie bei der Steuerreform gemacht haben, geben, treiben Sie Betriebe, die zyklischen Schwankungen unterworfen sind, aus dem Land. Hier geht es um eine Reihe von modernen Betrieben. Das trifft uns in Bayern.

Ich komme zur Besteuerung des Aktienmarktes. Warum gibt es denn die Probleme bei den Betrieben, die sich mit Venture Capital oder Chancen-Capital finanzieren? – Weil die Möglichkeiten auf dem Neuen Markt eingegangen sind, weil hier zur Zeit Schwierigkeiten bestehen. Wenn Sie die von Ihnen geplante Aktienbesteuerung durchführen, dann wird der Aktienmarkt nicht mehr aufstehen und dann wird die Finanzierungsquelle für expansive Betriebe und neue Betriebe, die nach einer Gründungs- und Aufbauphase auf den Markt kommen sollen und sich auf dem Kapitalmarkt finanzieren sollen, ausfallen. Über Fremdfinanzierung läuft das nicht. Das bedeutet, dass der Innovationsprozess bei neuen Produkten und neuen Betrieben abgewürgt wird. Damit fehlt ein wesentliches Element bei der Strukturveränderung in unserer Wirtschaft, das bedeutet: Dort, wo Altes weg

bricht, muss Neues entstehen. Damit werden Chancen abgebaut. Damit werden diese Betriebe mit ihren Chancen in andere Länder vertrieben. Das Ganze geht weiter bei der Venture-Capital-Finanzierung und Besteuerung.

Bei mir war kürzlich ein Unternehmer aus Israel – ich nenne keinen Namen –, der einen Venture-CapitalFonds mit einem Volumen von 100 Millionen Dollar in Europa einrichten will. Wir hätten das natürlich gern in München. Er sagt, es kommt darauf an, welche steuerlichen Regelungen hier in Zukunft gelten. Wenn die jetzigen Regelungen bleiben, geht er nach London. Wenn sie korrigiert werden, geht er nach Bayern. Es hängt also davon ab, welche Regelungen kommen. Leider sind in Berlin aber keine Anzeichen für eine Korrektur vorhanden.

Wenn diejenigen, die finanzieren sollen, nicht bei uns investieren, weil die steuerlichen Regelungen nicht stimmen, wird der Innovationsprozess abgewürgt. Manchmal habe ich den Eindruck, das ist einigen gerade recht, die sehen, dass das Bayern eine Menge gebracht hat, und die Bayern gern eine auf den Hut geben würden, weil es in Berlin besser aussieht, wenn Bayern bei der wirtschaftlichen Entwicklung nicht davonzieht, sondern im Mittelfeld mitläuft. Das wollen wir aber gerade nicht.

Ich komme zur Erhöhung der Pauschale für die private Nutzung von Dienstfahrzeugen von 1% auf 1,5%. Ich darf in diesem Zusammenhang an die Erfahrungen von 1995 bis 1997 erinnern. Bereits unter Finanzminister Waigel gab es eine Debatte über die Korrektur. Damals wurde die Pauschale heraufgesetzt, obwohl wir uns dagegen gewandt haben. Damals ging die Zahl der Fahrzeuge im oberen Segment – BMW, Audi, Mercedes – um knapp ein Viertel zurück, während bei kleineren Fahrzeugen weniger Rückgang zu verzeichnen war. Wenn Sie eine Erhöhung von 1% auf 1,5% vornehmen, trifft das im Wesentlichen das obere Segment, also BMW, Audi und Mercedes, aber weniger VW, Ford und Opel. Will man das? In Deutschland gibt es ohnehin einen Rückgang bei der Bestellung von Neufahrzeugen, in anderen Ländern nicht. Wo bleibt denn hier der Autokanzler? Wo bleibt denn der Kamerad, der sich sonst immer so gern loben läßt?

(Heiterkeit bei der CSU)

Meine Damen und Herren, den Schaden haben die Südländer. Ist das beabsichtigt?

(Welnhofer (CSU): Selbstverständlich!)