Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion GRÜNE und der Fraktion der CDU – Gesetz zur Änderung des Landtagswahlgesetzes – Drucksache 16/6692
Hierzu, meine Damen und Herren, hat das Präsidium eine Re dezeit von fünf Minuten für die Begründung und von fünf Mi nuten je Fraktion für die Aussprache festgelegt.
Die Fraktion GRÜNE und die Fraktion der CDU sind über eingekommen, die Redezeit für die Begründung aufzuteilen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Da men und Herren! Die Fraktion GRÜNE und die Fraktion der SPD bringen diesen Gesetzentwurf zur Änderung des Land tagswahlgesetzes ein.
Das betrifft erstens die Untersagung der Gesichtsverhüllung für Mitglieder der Wahlorgane. Die Offiziellen im Wahllokal sollen also keine Gesichtsverhüllung tragen dürfen.
Darüber hinaus wird eine gesetzliche Klarstellung vorgese hen, dass das Wahlrecht nur ein Mal und nur persönlich aus geübt werden darf. Das ist zwar schon bisher der Fall gewe sen, aber hier geht es jetzt um eine explizite Formulierung, die das auch festhält.
Der dritte Punkt betrifft die Neuabgrenzung des Landtags wahlkreises 62 Tübingen. Sie ist verfassungsrechtlich gebo ten, weil durch die Bevölkerungsentwicklung in diesem Wahl kreis die zulässige Maximalgröße überschritten würde und dies auch unmittelbare Auswirkungen auf die Gültigkeit der nächsten Landtagswahl 2021 hätte.
Diesen Gesetzentwurf bringen wir gemeinsam mit den Kol leginnen und Kollegen von der CDU ein. Aber gestatten Sie mir als derzeit einzigem Abgeordneten des Wahlkreises 62 noch eine Anmerkung:
Es gibt vor Ort großes Verständnis und Einsicht in die Not wendigkeit, dass die Landtagswahl ordentlich und verfas sungsgemäß durchgeführt werden muss. Dennoch stößt die Aufteilung des Landkreises Tübingen auf inzwischen drei Wahlkreise vor Ort auf erhebliche Kritik. Soweit mir bekannt ist, wird sich auch der Kreistag des Landkreises Tübingen in seiner heutigen Sitzung zu diesem Sachverhalt äußern.
Dazu gehört auch die Vorgeschichte, dass dieser Wahlkreis mehrfach und scheibchenweise verändert worden ist. Es gibt deshalb auch Erwartungen in der Region, diese Neuabgren zung vorläufig vorzunehmen.
Die Neuabgrenzung muss erfolgen. Es wäre mit einem grö ßeren zeitlichen Vorlauf möglich gewesen, andere, sozialräum lich auch sinnvollere Modelle zu prüfen. Dies hätte aber ei nen erheblich größeren Veränderungsaufwand nach sich ge zogen – an dieser Stelle sind wir uns einig –, weil es dann eben nicht nur um einen oder zwei Wahlkreise gegangen wäre, son dern erheblich mehr Wahlkreise davon betroffen gewesen wä ren. Im Hinblick auf die Fristen wäre dies – das sage ich aus drücklich dazu und erkenne es auch an, auch gegenüber Herrn Kollegen Klenk; darin sind wir uns völlig einig – vor der nächsten Wahl aus rechtlichen Gründen zeitlich nicht mehr möglich gewesen.
Ich sage aber auch und möchte Ihnen darlegen, dass es in der Region Erwartungen und Hoffnungen gibt, dass es nach der nächsten Landtagswahl zu einer grundsätzlichen Prüfung kommt, wie Wahlkreise und Wahlbevölkerung im Land über die Re
gionen verteilt sind, und – das sage ich Ihnen ebenfalls ganz offen – es gibt im Landkreis Tübingen die Hoffnung, dass es im Zuge dieser Prüfung zu einer Revision dieser Neuabgren zung kommen könnte. Ich bitte Sie deshalb, liebe Kollegin nen und Kollegen, dies im Hinterkopf zu behalten, auch wenn der Landtag in dieser Legislaturperiode nicht darüber zu ent scheiden hat. Ich bitte Sie aber, dies in die nächste Legislatur periode mitzunehmen.
Ich glaube, dass es mit Blick auf die Bevölkerungsentwick lung, die insbesondere auch der Landkreis Tübingen genom men hat – deshalb ist der Landtagswahlkreis Tübingen auch der einzige, bei dem eine Änderung vorgenommen werden muss; es kann aber sein, dass in naher Zukunft noch andere Wahlkreise davon betroffen sein werden –, nach einigen Jah ren wirklich notwendig ist, dass wir die Zuschnitte der Wahl kreise noch einmal grundsätzlich prüfen, auch die Verteilung auf die Regierungsbezirke, die nach unserem Wahlrecht für die Verteilung der Wahlkreise von grundsätzlicher Bedeutung sind. Dies wird natürlich auch zur Folge haben, dass es neue Zuschnitte in den Wahlkreisen geben wird.
Es wäre gut, wenn eine solche Prüfung zu einem frühen Zeit punkt nach der kommenden Landtagswahl stattfinden könnte – möglichst bald nach der nächsten Landtagswahl –, damit auch wirklich verschiedene Modelle der Neuabgrenzung im Land geprüft werden können und dies ohne den zeitlichen Druck einer herannahenden Landtagswahl und der damit ver bundenen Fristen geschehen kann.
(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU – Abg. Thomas Blenke CDU zu Abg. Daniel Andre as Lede Abal GRÜNE: Das ist der Gesetzentwurf von Grünen und CDU, nicht von Grünen und SPD!)
Frau Präsidentin, ver ehrte Kolleginnen, geehrte Kollegen! Herr Kollege Lede Abal, wahrscheinlich meinten Sie eingangs nicht „Grüne und SPD“, sondern „Grüne und CDU“.
Wir unterhalten uns heute über das Landtagswahlgesetz von Baden-Württemberg. Es geht nicht um eine Änderung des Wahlsystems. Worum geht es dann? Die Landesverfassung verlangt, dass die Wahl zum Landtag dem Grundsatz folgt: „allgemein, frei, gleich, unmittelbar und geheim“. Heute geht es lediglich um das „gleich“. „Gleich“ meint, dass jede Stim me das gleiche Gewicht hat, egal, ob jemand arm oder reich ist, ob jemand eine wichtige Position innehat oder gerade ar beitslos ist, ob jemand dick oder dünn, Rentner oder Auszu bildender ist.
Dieser Grundsatz der Gleichheit des Zählwerts gilt auch im Hinblick auf die Größe der Wahlkreise. Die annähernd glei che Wahlkreisgröße hat für das verfassungsrechtliche Gebot der Wahlrechtsgleichheit besondere Bedeutung. Nur dann ha ben Parteien bzw. ihre Wahlkreisbewerber in den Wahlkrei
Wann sieht die Verfassungsgerichtsbarkeit die ungefähr glei chen Erfolgschancen als verletzt und demnach als nicht mehr hinnehmbar an? Kleiner Exkurs: Baden-Württemberg hat ca. 7,75 Millionen Wahlberechtigte. Die Anzahl der Wahlkreise ist festgelegt und beträgt 70.
Das bedeutet, der durchschnittliche Wahlkreis hat ca. 110 000 Wahlberechtigte. Die gerade noch zulässige Grenze liegt bei einer Abweichung von plus/minus 25 %. Bezogen auf das Wahljahr 2016 – also das Jahr der letzten Landtagswahl – lag kein Wahlkreis unmittelbar an dieser Grenze. Allerdings gab es im Wahlkreis Freudenstadt eine Abweichung nach unten von 21,24 %, im Wahlkreis Tübingen hingegen eine Abwei chung nach oben von bereits 22,46 %.
Die Prognose für Freudenstadt lässt die Annahme zu, dass der Abweichungswert 2021 nicht minus 25 % erreichen wird. So mit besteht dort kein unmittelbarer Handlungsbedarf. Anders liegt es allerdings beim Wahlkreis Tübingen. Dort steigt die Einwohnerzahl, und es droht eine Überschreitung des gerade noch tolerierbaren Wertes von plus 25 %. Deshalb ist eine Ver kleinerung des Wahlkreises Tübingen unumgänglich. Eine Un tätigkeit birgt nicht zu verantwortende Risiken. Aber: Wie ma chen?
Nach einem Abwägungsprozess, der viele unterschiedliche Aspekte berücksichtigte – wirtschaftliche, kulturelle, histori sche –, haben sich die Regierungsfraktionen für die Variante entschlossen, die beiden zum Wahlkreis Tübingen gehören den Gemeinden Hirrlingen und Starzach dem Wahlkreis Ba lingen zuzuordnen. Diese Maßnahme verdeckt jedoch nicht die Tatsache, dass bei der Landtagswahl 2016 weitere 15 Wahlkreise – immerhin mehr als 20 % – um plus/minus 15 % bis plus/minus 21,24 % von der durchschnittlichen Größe ab wichen. Es wird deshalb zu überlegen sein, ob es nicht in Zu kunft angeraten ist, sich mit diesem Thema etwas breiter zu beschäftigen.
Nicht unerwähnt bleiben soll – das hat der Kollege Lede Abal bereits ausgeführt –, dass wir jetzt festschreiben, was eigent lich selbstverständlich ist, aber in anderen Wahlgesetzen – Bund und Europa – ausdrücklich geschrieben steht, nämlich dass man natürlich nur ein Mal pro Wahl und auch nur höchst persönlich wählen darf. Prophylaktisch wird eingebaut, was in anderen Gesetzen auch schon aufgeführt ist: dass Mitglie der der Wahlorgane bei der Ausübung ihrer Tätigkeit ihr Ge sicht nicht verhüllen dürfen.
Frau Präsidentin, meine sehr geehr ten Damen und Herren! Wir haben hier in Deutschland und in Baden-Württemberg die Staatsform der repräsentativen De mokratie, also die Herrschaft des Volkes. Demokratie soll durch Gesetze, Vorschriften und Verordnungen umgesetzt werden.
Daher befassen wir uns heute mit Vorschlägen zur Änderung des Landtagswahlgesetzes. Grundlegende Voraussetzung für eine Demokratie – das wurde bereits gesagt – ist die freie, gleiche und geheime Wahl, wie in Artikel 38 unseres Grund gesetzes festgehalten. Damit Wahlen aber durchgeführt wer den können, bedarf es einer Reihe von Vorschriften und Ge setzen, die den Ablauf regeln.
Heute geht es um den Zuschnitt der Wahlkreise, damit immer eine annähernd gleiche Anzahl von Wählern einen Abgeord neten wählt – Herr von Eyb hat hierzu schon mehr als aus führlich Stellung genommen; ich werde das nicht wiederho len. Diese Anpassung – das wurde auch gesagt – bezieht sich auf den Wahlkreis 62 Tübingen und den Wahlkreis 63 Balin gen. Diese sind davon betroffen.
Meine Damen und Herren, wir können hier aber nicht an der Oberfläche stehen bleiben. Jetzt müssen wir uns auch einmal tiefer mit der Materie Demokratie beschäftigen. Denn alle Vorschriften, Gesetze, Regelungen – Bundestagswahlordnung, Landtagswahlordnung, Landtagswahlgesetz usw. – nützen nichts, wenn der Grundgedanke von Demokratie von den Ab geordneten der die Regierung tragenden Fraktionen nicht auch nach der Wahl gelebt und beachtet wird.
Genau das ist der Knackpunkt, meine Damen und Herren. Sie sind teilweise nicht bereit, nach den Wahlen die Wahlergeb nisse zu akzeptieren, zu respektieren und diese umzusetzen. Das, was Sie in den letzten dreieinhalb Jahren hier getrieben haben, um das Wahlergebnis vom März 2016 zu unterminie ren und zu unterlaufen, ist eigentlich eine Schande für den Parlamentarismus in Deutschland, meine Damen und Herren.
dann werde ich Ihnen mal Beispiele dafür geben, was Sie bis her getan haben. Direkt nach der Wahl haben Sie panikartig die Geschäftsordnung des Landtags geändert. Was war Sinn und Zweck des Ganzen? Zum ersten Mal seit Bestehen des Landtags von Baden-Württemberg gibt es keinen Präsidenten oder Vizepräsidenten aus der Opposition. Sie haben eine Hei denangst davor, dass die AfD hier jemanden hinstellt,