wird eines deutlich: Wer bereits mit der These in die Debatte einsteigt, dass es Deutschland heute so schlecht ginge wie noch nie, der kann sich hier nicht ans Pult stellen und eine Analyse vorlegen. Der macht nämlich einen grundlegenden Fehler, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD und den Grünen sowie Abgeord neten der CDU und der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Stefan Räpple AfD)
Diese Europäische Union ist für Deutschland und für BadenWürttemberg eine extrem wichtige Einrichtung und Instituti on.
Aber nichts ist so gut, dass es nicht noch besser werden könn te. Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren: Wenn die CDU diese Aktuelle Debatte unter dem Titel „Europa rich tig machen“ anberaumt hat, dann hat sie es zunächst einmal richtig gemacht. Kurz vor der Europawahl sollte man ruhig auch über Europa reden.
Schöner wäre es allerdings, wenn wir nicht nur hier im Haus über Europa reden würden oder reden, sondern auch draußen im Land im Wahlkampf.
Und während die CDU diese heutige Debatte angeregt hat, haben wir alle zur Kenntnis genommen, dass die Bundeskanz lerin als wichtigste CDU-Politikerin der Republik keinerlei
Wahlkampf betreibt – nicht für Europa, nicht mal für die CDU, gar nicht. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist zu wenig Bekenntnis für Europa.
Das wirklich Schlimme ist nicht einmal, dass die Bundeskanz lerin zu Europa nichts mehr zu sagen hat, das wirklich Schlim me ist, dass diese Tatenlosigkeit, dieses Zaudern ein Stück weit auch symptomatisch für das politische Handeln sind.
Das hat Günther Oettinger gesagt, und leider hat er recht. Im mer mehr Politikern reicht der Horizont nur noch bis zum Gar tenzaun, und dann geht es um angstgetriebene Themen wie Grenzsicherung und Arbeitsmigration, und die alte Mär von Deutschland als Zahlmeister Europas wird wieder durch die Gegend gezogen –
(Abg. Carola Wolle AfD: Schauen Sie doch mal die Zahlen an! – Abg. Anton Baron AfD: Widerlegen Sie es doch, Herr Stoch!)
und die Krümmung von Gurken gleich hinterher. Und dann ist es nicht nur bei Populisten wohlfeil, ein bisschen über Eu ropa zu lästern. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer so über Europa redet, braucht sich über Verdruss der Men schen in diesem Land nicht zu wundern.
Diese Aussagen sind nicht einmal volkstümelnd, sondern nur noch von gestern. Eine Studie der Heinrich-Böll-Stiftung
von April 2019 ergibt – die Böll-Stiftung hat nichts mit der Gewerkschaft zu tun; aber das werden Sie nie begreifen –:
Über 75 % der Deutschen wün schen sich ein kooperatives und aktives Auftreten Deutsch lands in der EU, über 76 % sind der Meinung, dass Deutsch land seine Ziele eher mit der EU als ohne sie erreichen kann, und 66 % glauben, dass Deutschland wirtschaftlich mehr Vor- als Nachteile durch die EU hat. Über 90 % der Deutschen wünschen sich mehr gemeinsame Anstrengungen und Ausga ben der EU-Partner, ganz besonders für Klima- und Umwelt schutz, Forschung und Bildung, Sicherheit sowie Arbeit und Soziales.
Ich weiß, dass diese Regierung nicht viel von Volksbegehren hält – aber das ist, was das Volk begehrt, wenn man es fragen würde, meine sehr geehrten Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD und des Abg. Hermann Katzen stein GRÜNE – Zuruf von den Grünen: Wer hat’s er funden?)
Ja, es gibt Menschen, die genug haben von Europa. Aber die allermeisten Menschen in diesem Land haben noch nicht ge nug Europa. Sie wollen sogar mehr Europa, ein Europa, das mehr kann und das mehr können darf – und das schließlich auch mehr können muss.
Doch wenn eine Minderheit lauter ist als die Mehrheit, dann ist dieses Europa gefährdet. In Großbritannien sehen wir, was passiert, wenn Menschen auf Lügen hereinfallen.
Viele haben dort geglaubt, sie hätten zu viel Europa. Jetzt mer ken sie, dass ihnen ohne Europa nicht viel bleiben wird.
Europa hat Feinde, auch in diesem Haus. Europa hat Feinde wie Orban und Kaczynski, wie Salvini oder wie Strache in Österreich. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Europa muss von denen unterstützt und nach vorn gebracht werden, die Europa wollen, weil sie wissen: Europa ist gut für die Menschen auf diesem Kontinent.
Eigentlich wäre das eine Aufgabe für die politisch wichtigs ten Menschen in diesem Land. Macron, der französische Staatspräsident, hat Vorschläge gemacht.
aber Macron als französischer Staatspräsident hat von einer deutschen Regierung zu erwarten, dass dazu eine fundierte Stellungnahme kommt. Die Bundeskanzlerin ist in dieser Hin sicht ein schlechtes Beispiel.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch wenn hier im Land über Europa diskutiert wird, dann kommt – durch den Ministerpräsidenten oder vorhin durch Herrn Kollegen Rein hart für die CDU – immer gleich das Wort Subsidiarität als Allzweckwaffe gegen jede Idee. Europa ist jenseits von Sonn tagsreden dann nur dazu da, als Sündenbock zu dienen. Die Subsidiarität ist ein Ordnungsprinzip in Europa, sie ist aber kein Schutzschild gegen mehr Europa, wenn europäische Lö sungen notwendig sind, um wirkliche Probleme der Menschen zu lösen.
Menschen, die das einfordern, sind die Menschen, die freitags auf die Straße gehen, nämlich Schülerinnen und Schüler,
kreuz und quer in Europa. Ihnen sind Grenzen genauso egal wie Politiker, die sie als Schulschwänzer bezeichnen, und es ist ihnen egal, welcher Kleinstaat mit dem Finger auf einen
anderen Kleinstaat zeigt. Sie wollen Lösungen, und sie wis sen, dass es beim Klimaschutz nur gemeinsame Lösungen ge ben kann.
Kommende Woche findet hier im Haus die Internationale Eu ropa-Jugendveranstaltung statt. Reden Sie mal mit den Teil nehmern! Die wissen, dass wir andere Probleme haben als bei spielsweise die angebliche Islamisierung des Abendlands.
Wir in der Politik müssten eigentlich doch mehr wissen. Wir müssten wissen, dass wir gegen Kriminalität und Terrorismus nur gemeinsam vorgehen können, mit einer wesentlich besser verzahnten europäischen Sicherheitsarchitektur.
Wir sollten wissen, dass wir es nur gemeinsam schaffen, dass internationale Konzerne bei uns, wo sie die Profite erwirt schaften, auch gerechte Steuern zahlen. Das schaffen wir nicht im Nationalstaat, das schafft nur eine Europäische Union.