Protocol of the Session on March 20, 2019

(Beifall bei der AfD und des Abg. Dr. Heinrich Fiecht ner [fraktionslos] – Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [frak tionslos]: Jawohl! – Abg. Alexander Salomon GRÜNE: Schlimmer geht’s nimmer! – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Meine Güte!)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Frau Abg. Rolland das Wort.

Herzlichen Dank. – Frau Präsiden tin, sehr geehrte Damen und Herren Kolleginnen und Kolle gen! Humboldt sagte – – Was hat er gesagt?

(Heiterkeit – Abg. Nicole Razavi CDU: Der hat viel gesagt!)

Humboldt sagte:

Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschau ung derer, die die Welt nie angeschaut haben.

(Abg. Andreas Stoch SPD: Das ist das Problem der AfD!)

Ich denke, das ist das richtige Wort zu dem eben Gehörten. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den Grünen sowie Abgeord neten der CDU)

Entschuldigen Sie die manchmal vorhandene Sprachlosigkeit. Aber das geht mir durchaus körperlich durch Mark und Bein.

Sehr geehrte Damen und Herren, dem heutigen Thema, der Kolonialgeschichte, kann man nur mit Respekt, Verantwor tung und Sensibilität begegnen. Liebe Kolleginnen und Kol legen der Grünen, das Thema eignet sich auch nicht dazu, ei ne angeschlagene Ministerin wieder in Szene setzen zu wol len.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

Die Kolonialgeschichte ist ein Teil der deutschen Geschich te. Deswegen hat auch ganz Deutschland Verantwortung: die Bundesrepublik, die Länder, die Städte und Gemeinden. Ich empfehle Ihnen allen, einmal in Ihrer eigenen Gemeinde nach zuspüren, wie sich die Stadt- oder die Gemeindegesellschaft während der Kolonialzeit aufgestellt hat. Das ist durchaus in teressant, und Sie werden dabei viel lernen.

Anlass der heutigen Diskussion ist – wir haben es gehört – die Rückgabe einer Bibel und einer Peitsche der Familie Witbooi, erbeutet 1893 bei einem Angriff auf Hornkranz in Namibia. Bei einem Massaker deutscher Truppen wurde eine große Völ kergruppe der Nama ermordet. Man hat die Peitsche und die Bibel des Nationalhelden als Souvenir, als Trophäe mitgenom men, und seit 1905 waren die Gegenstände im Linden-Muse

um in Stuttgart – dort eher unbedeutend. Aber auch heute ist klar: Es geht um ein nationales Erbe. So ist es eingestuft.

Ich wurde bereits 2013 vom Arnold-Bergstraesser-Institut da rauf angesprochen. Es gab dann auch eine Sendung im Deutsch landfunk. Der ehemalige Staatssekretär Jürgen Walter ist lei der gerade nicht im Saal. Ich bin ihm, glaube ich, mit dem Thema ziemlich auf die Nerven gegangen, denn so richtig wusste ich auch nicht, worum es geht. Aber es war richtig, dass wir zusammen mit der Ministerin diese Bibel und die Peitsche zurückgebracht haben; ich durfte bei der Delegati onsreise dabei sein. Es geht um mehr als um Symbolik, es geht tatsächlich um die Aufarbeitung eines Teils unserer Geschich te. Dazu gleich mehr.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Es war bei allen Anlässen stark zu spüren, dass die Rückgabe für die namibische Bevölkerung, für die Partner, mit denen wir es zu tun hatten, eine große Bedeutung hat. Und wir kön nen gar nicht genug wertschätzen, was da passiert ist.

Um was geht es denn eigentlich? Es geht um die Auseinan dersetzung mit unserer Geschichte. Wir dürfen nicht verges sen, dass während dieser Kolonialzeit, auch wenn sie – in An führungszeichen – „nur“ kurze Zeit gedauert hat, grausame Verbrechen an der Ursprungsgesellschaft dieser Länder ver übt worden sind, dass Herero und Nama ermordet wurden – und das nennen wir Völkermord.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Es wurden Konzentrationslager eingerichtet. Eine gute Zu sammenarbeit und eine gute Aufarbeitung unserer Geschichte können wir nur vornehmen, indem wir Vertrauen gewinnen, und die kulturellen Angelegenheiten sind dafür ein guter An fang.

Deshalb war es wichtig, dass es der SPD gelungen ist, gemein sam mit den Kolleginnen und Kollegen der Union im Bun destag einen Koalitionsvertrag zu formulieren, in dem im Ka pitel „Zusammenhalt und Erneuerung“ unter dem Stichwort „Gedenken und Erinnern“ klar steht, dass wir diese Kolonial geschichte aufzuarbeiten haben und dass wir aufzuarbeiten haben, wo das Kulturgut herkommt, das in unseren Museen und Sammlungen ist. Das ist wichtig.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP)

Kollegin Razavi, Sie haben das Eckpunktepapier schon ange sprochen, an dem auch Staatministerin Michelle Müntefering mitgearbeitet hat. Es geht um viel mehr als – in Anführungs zeichen – „nur“ um die Provenienz der Kulturgüter, die bei uns vorhanden sind. In zwölf Handlungsfeldern wird deutlich gemacht, was wir alle als Beteiligte zu tun haben, wo wir of fensiv die Themen angehen müssen, damit es überhaupt wei tergeht.

Da geht es als Erstes einmal darum, dass wir anerkennen, dass diese Kulturgüter in ihren Herkunftsstaaten eine Bedeutung für die Identität der Völker haben. Es geht darum, dass wir ei nen guten Umgang mit diesem Sammlungsgut pflegen, dass wir Transparenz walten lassen, dass wir es dokumentieren und auch veröffentlichen, was in unseren Museen und Einrichtun

gen vorhanden ist. Es geht darum, zu überlegen: Was ist denn eine gute Rückführung? Frau Razavi, da haben Sie recht: Es gibt keine pauschale Antwort. Jedes einzelne Stück muss be gutachtet werden. Es muss geklärt werden, wie das vonstat tengehen kann.

Es geht auch darum, dass wir das Bewusstsein und das Wis sen über unsere Kolonialgeschichte schärfen. Es würde mich sehr freuen, wenn ich in meiner Schulzeit ein bisschen mehr über die Kolonialgeschichte gelernt hätte. Fragen Sie Ihre Kinder, Enkel, befreundete Lehrkräfte, wo denn in der Schu le heute die Kolonialgeschichte gelehrt wird. Sie werden er staunt sein.

Es geht auch darum, neue Formen dafür zu entwickeln, wie die Kulturgüter präsentiert und zielgruppengerecht dargestellt werden können. Vielleicht ist die Afrika-Ausstellung im Lin den-Museum ein erster Schritt in diese Richtung.

Baden-Württemberg hat mit der Rückgabe gezeigt, dass es ge willt ist, sich seiner historischen Verantwortung im Zusam menhang mit dem Unrecht und den Schandtaten aus der deut schen Kolonialzeit zu stellen. Das ist ein guter Anfang, und ich lade Sie alle ein – alle demokratischen Fraktionen in die sem Haus –, an diesem Strang in die gleiche Richtung zu zie hen. Dann können wir auch unseren Beitrag leisten.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der CDU)

Es ist spannend: In der Fragestunde im Bundestag hat die Bun desregierung in Person von Staatsminister Annen, SPD, noch einmal sehr deutlich gemacht, dass wir das Thema vorantrei ben wollen und dass die Bundesregierung gute Gespräche mit der Regierung der Republik Namibia führt, um die Kolonial vergangenheit aufzuarbeiten. Das sind konstruktive Gesprä che; dazu haben wir einen guten Teil beigetragen. Es ist wich tig, dass auch zukünftig bei allen Gesprächen die Opfergrup pen, die Völkergruppen der Herero und der Nama, wirklich auf Augenhöhe beteiligt sind. Das war in der Vergangenheit nicht so; das ist ein erster Aufschlag, und das ist richtig so.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der CDU)

Unserer Fraktion sind zwei Projekte besonders wichtig, die in Namibia mit den Expertinnen und Experten, die bei der De legation dabei waren, umgesetzt werden sollen. Das eine ist der Austausch von angehenden Lehrkräften zwischen Nami bia und Baden-Württemberg, die sich Gedanken machen: Wie lehren wir denn die jungen Menschen in der Schule die Ko lonialgeschichte? Wie gehen wir mit dem Thema um? Dies auf Augenhöhe, sensibel und gemeinsam zu machen ist, glau be ich, richtig und wichtig.

Das zweite Projekt ist die Zusammenarbeit von Wissenschaft lerinnen und Wissenschaftlern. Wenn die Wissenschaftlerin nen und Wissenschaftler an der Uni Namibia heute auch sa gen: „Wir müssen für uns auch mal reflektieren, wo wir denn in unserer Arbeit noch in alten kolonialen Strukturen gefan gen sind und wo diese weiterwirken“, dann ist damit sicher lich auch für uns ein großer Erkenntnisgewinn verbunden.

Deswegen sind wir auch gespannt auf die Afrikastrategie des Landes Baden-Württemberg, die wir hoffentlich bald auf den Tisch bekommen. Wir werden das sicherlich hier an dieser Stelle auch wieder diskutieren.

Frau Abg. Rolland, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Räpple zu?

Nein. – Zum Schluss: Hornkranz 2019. Heute ist auf diesem Schlachtfeld nicht mehr viel zu se hen – allerdings zwei gut gepflegte Gräber deutscher Solda ten. Der Bereich, in dem die Toten der Nama liegen, ist kaum zu erkennen. Ich finde, Erinnerung an die 80 Frauen, Männer und Kinder, die dort abgeschlachtet wurden, geht anders.

Leider ist der Vorsitzende des Völkerbunds Baden-Württem berg, Guido Wolf, Justizminister unseres Landes, heute nicht da.

(Zuruf von der SPD: Doch! – Minister Guido Wolf, auf seinem Abgeordnetenplatz sitzend, meldet sich.)

Entschuldigung; da hinten. – Dann kann ich Sie ja direkt an sprechen: Herr Wolf, es wäre mir ein großes Anliegen, wenn die Deutsche Kriegsgräberfürsorge sich nicht nur um ein deut sches Soldatengrab kümmern würde, sondern auch um die To ten,

(Zurufe von der AfD)

die nebenan begraben liegen und an die sich heute niemand erinnert. Die Rückgabe einer Bibel und einer Peitsche kann nur der Anfang sein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, Abgeordneten der Grünen, der CDU und der FDP/DVP sowie des Abg. Anton Ba ron AfD)

Für die FDP/DVP-Fraktion er teile ich das Wort Herrn Abg. Weinmann.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Es ist unbestritten eine große zivili satorische Errungenschaft, wenn wir aus freien Stücken und aus innerer Überzeugung geraubte, unrechtmäßig enteignete, erpresste, zwangsverkaufte Kulturgüter mit dem Ziel zurück geben, eine Aussöhnung mit den betroffenen Völkern, mit den rechtmäßigen Eigentümern zu erzielen. Wir wissen dabei sehr wohl, dass es darum geht, ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Keineswegs gelingt es, durch die Restitution, durch die Rückgabe, erlittenes Unrecht wiedergutzumachen.

(Beifall bei der FDP/DVP, Abgeordneten der Grünen, der CDU und der SPD sowie des Abg. Daniel Rott mann AfD)

Eine wesentliche Aufgabe ist dabei, die Frage zu beantwor ten: Wer ist denn der rechtmäßige Empfänger der geraubten Gegenstände? Herr Kollege Kern, es handelt sich dabei nicht um juristische Spitzfindigkeiten, sondern es ist der Kern der Provenienzforschung, zu erfahren, wer denn tatsächlich der frühere, der legitime Eigentümer ist.

Während für die Raubgüter aus der NS-Zeit mit der Washing toner Erklärung ein Vertragswerk zur Verfügung steht, dem sich die Bundesrepublik Deutschland 1999 mit einer Selbst verpflichtung angeschlossen hat mit dem Ziel, eine gerechte und faire Lösung in dieser Frage zu ermöglichen, steht ein

vergleichbares Regelwerk für die Raubkunst aus der Koloni alzeit nicht zur Verfügung.

Insofern ist die Frage: Wonach soll sich die Restitution rich ten? Sicherlich nach dem Grundsatz der Intertemporabilität, nämlich dem Grundsatz, das Recht anzuwenden, das zur da maligen Zeit geherrscht hat. Danach wäre das Schutzgebiets gesetz von 1893 mit Bezug auf das Gesetz über die Konsular gerichtsbarkeit anzuwenden. Allein vor diesem Hintergrund zeigt sich die Komplexität dieser Frage – die dadurch nicht leichter wird, dass in der Folgezeit eine Vielzahl von Konven tionen und Verträgen aufgestellt wurden, die gleichwohl eine Allgemeingültigkeit vermissen lassen.