„Als Vergeltung schlachten wir deine Tochter.“ Diese brutale Drohung schickte eine Grup pe, die sich selbst NSU 2.0 nennt, an eine Anwältin, die Ne benkläger im Strafverfahren gegen Beate Zschäpe und Unter stützer des NSU vor dem OLG München vertreten hat.
Für den, dem es bisher noch nicht klar war, muss es spätes tens jetzt klar sein: Das Bekanntwerden der NSU-Terroristen war definitiv nicht das Ende des Rechtsterrorismus in Deutsch land. Der NSU scheint vielmehr Rechtsextremisten geradezu zu motivieren; er dient ihnen als Vorbild. Wir erleben aktuell ein politisches Klima, in dem der Generalbundesanwalt qua si im Wochentakt rechtsradikale Terrorgruppen aushebt, der rechtsradikale Mob sich wieder auf die Straßen traut
Es fällt inzwischen schwer, sich die Namen aller rechtsterro ristischen Gruppierungen und Einzeltäter zu merken, gegen die die Staatsgewalt in den vergangenen Wochen und Mona ten bundesweit vorgegangen ist.
Der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler hatte die Namen schon erwähnt. Ich verzichte an dieser Stelle auf eine Wieder holung.
Mindestens sieben Straftaten mit Referenz auf den NSU gab es 2017 allein in Baden-Württemberg. Der Untersuchungs ausschuss „Rechtsterrorismus/NSU BW II“ umfasste daher nicht nur die retrospektive Aufarbeitung, sondern unsere Er kenntnisse und Handlungsempfehlungen tragen dazu bei, un seren demokratischen Rechtsstaat für die Zukunft zu schüt zen und zu stärken.
Was hat der Untersuchungsausschuss also im Einzelnen er bracht? Für mich ist es ein großer Erfolg, dass es uns u. a. ge lungen ist, Licht ins Dunkel dieser vielen Tattheorien zu brin gen. Wir Sozialdemokraten sind überzeugt:
Erstens: Die NSU-Terroristen Mundlos und Böhnhardt haben die Polizistin Michèle Kiesewetter auf hinterhältigste Art und Weise ermordet und ihren Kollegen schwer verletzt.
Zweitens: Wir haben keine stichhaltigen Beweise für die An wesenheit weiterer Täter am Tatort. Dennoch fällt es mir in diesem Zusammenhang schwer, zu glauben, dass die drei NSU-Terroristen ohne unmittelbare Unterstützung aus BadenWürttemberg den Mordanschlag auf der Theresienwiese ver übt haben.
Drittens: Man kann es drehen und wenden, wie man will: Am Tattag waren keine Geheimdienste am Tatort.
Ich gehörte dem ersten Untersuchungsausschuss nicht an und bin auch bewusst ergebnisoffen in die Beweisaufnahme ge gangen, auch und insbesondere, was eine mögliche Verwick lung von Geheimdiensten angeht. Nach der intensiven Arbeit im Ausschuss liegt für mich der Mehrwert gerade auch darin, diese Unklarheiten entsprechend ausgeräumt zu haben.
Für mich steht fest: Michèle Kiesewetter und ihr Kollege wur den zum Ziel, weil sie Polizisten waren. Sie hatten sich ent schieden, unserem Land zu dienen und die Menschen in Ba den-Württemberg zu schützen. Diesen Idealismus musste Michèle Kiesewetter mit ihrem jungen Leben bezahlen. Da für schuldet der Landtag von Baden-Württemberg ihr und ih rem Kollegen die stete Erinnerung an die Verbrechen des NSU. Sie erinnern uns an die Gefahren, denen Polizistinnen und Polizisten bei ihrer engagierten und aufopferungsvollen Tätigkeit tagtäglich ausgesetzt sind.
Der feige Mord auf der Theresienwiese war, soweit wir wis sen, der Schlusspunkt einer beispiellosen Terrorserie in der Bundesrepublik Deutschland. Neun Menschen mit Migrati onshintergrund wurden zuvor auf abscheulichste Art und Wei
se ermordet, die Terroristen des NSU hatten es auf den zent ralen Grundwert unserer Verfassung abgesehen: auf die Men schenwürde.
Der Wert einer Verfassung bemisst sich danach, ob sie die Würde eines jeden Menschen ungeachtet seiner Religion und seiner Herkunft schützt. Diesen Schutz kann nur ein starker und aufmerksamer Staat garantieren. Insbesondere die In landsgeheimdienste konnten vorliegend diesem Anspruch nicht gerecht werden.
Ich möchte meine Kritik am Gebaren des Verfassungsschut zes bekräftigen, auch wenn es nicht unmittelbar das badenwürttembergische Landesamt betrifft. Wir haben beispielswei se aus Thüringen Berichte gehört, die zeigen, wie V-Personen zentrale Figuren der rechten Szene waren und auch vergütet wurden, sodass man sagen kann, dass im Wesentlichen die Szene in Thüringen damals mitfinanziert wurde.
(Beifall bei der SPD und den Grünen sowie Abgeord neten der CDU – Vereinzelt Beifall bei der FDP/ DVP)
Die Bezahlung von V-Personen muss zurückhaltend sein und darüber hinaus einer starken Kontrolle unterliegen. Selbstver ständlich darf es nicht passieren, dass V-Personen vor polizei lichen Maßnahmen gewarnt werden. Quellenschutz darf kein Täterschutz sein.
Zur parlamentarischen Kontrolle muss auch gehören, dass V-Personen umfassend vor parlamentarischen Untersuchungs ausschüssen aussagen müssen. Wir sind hier bei Zeugen an Grenzen gestoßen, die wir trotz aller Anstrengungen nicht überwinden konnten. Ich habe mich gewundert, dass Aussa gegenehmigungen mit der Begründung verweigert werden, dass das Staatswohl der Bundesrepublik Deutschland dem ent gegenstehen würde. Ich frage: Wer, wenn nicht gewählte Par lamentarier, bestimmt, was das Wohl des Staates ist und wie dieses geschützt wird?
(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Da ha ben Sie recht!)
All dies zeigt, dass Geheimdienste eine enge parlamentarische Kontrolle benötigen. Geheimdienste müssen naturgemäß im Geheimen arbeiten; dennoch muss auch dort eine Kultur der Verantwortung und der Verantwortlichkeit herrschen.
Meine Damen und Herren, selbstverständlich brauchen wir auch Zivilcourage, um rechtsextremes Gedankengut und rechtsextreme Gewalt zu bekämpfen. Diese gibt es, gerade auch in Baden-Württemberg. Aber wir benötigen auch Staats courage. Wir müssen Rechtsextremisten die Waffen abneh men. Jeder Rechtsextremist mit Waffenbesitz weniger ist gut für die Demokratie.
Gegen rechtsextremistische Musikveranstaltungen muss kon sequent vorgegangen werden. Diese müssen verboten werden.
Wir müssen, der Staat muss die gesetzlichen Möglichkeiten auch im Zweifelsfall voll ausschöpfen. Es muss im Zweifels fall heißen: Waffe weg!
Wir müssen auch kleinere Gemeinden und Behörden in die Lage versetzen, konsequent gegen Rechtsextremismus vorzu gehen. Ein starker demokratischer Staat weicht nicht vor den jenigen zurück, die ihn abschaffen wollen. Seine Institutionen müssen verfassungsfeindlichen Bestrebungen mutig und durchsetzungsfähig entgegentreten.
Der Bereich Rechtsrock wurde schon kurz angeschnitten. Für mich ist auch klar: Rechtsrock ist die zentrale Droge für den Einstieg in die Szene.
Er hat eine identitätsstiftende Funktion. Das gemeinsame Hö ren von Musik und vor allem der gemeinsame Besuch von Konzerten schafft und bestärkt ein „Wir gegen die“-Gefühl. Wenn der Rechtsrock die Einstiegsdroge ist, dann sind die Rechtsrockkonzerte die Opiumhöhlen der Rechtsextremisten.
Der Ausschuss hat umfangreiche Empfehlungen zur Bekämp fung rechtsextremistischer Musik abgegeben. Bei dieser Be kämpfung muss die Polizei grenzüberschreitend besser zu sammenarbeiten. Es darf nicht sein, dass ein Neonazikonzert in Bayern verboten wird und dann ungehindert in BadenWürttemberg stattfinden kann.
Die Polizei muss rechtsextremistische Musik erkennen und vor allem konsequent einschreiten, wenn die Grenze zum Ver botenen überschritten ist. Wir brauchen aber auch insbeson dere an den Schulen ein Frühwarnsystem. Im Unterricht muss rechtsextremistische Musik kritisch thematisiert werden. Mit Schülerinnen und Schülern, die diese Musik hören, muss ge schult umgegangen werden. Wir müssen Demokratie und die Achtung aller Mitmenschen als die zentralen Werte unserer Gesellschaft verankern. Demokratie und Respekt sind kein Projekttag, sondern eine alltägliche Aufgabe.
Wir, der Ausschuss, fordern daher einen „Aufbruch für De mokratie“. Der Ausschuss fordert die Landesregierung auf, ein umfassendes Konzept dafür zu erarbeiten, wie das Ver ständnis von Demokratie gefördert werden soll. Daran müs sen die Kommunen und die Zivilgesellschaft beteiligt werden.
Nein. – Demokratie muss für Groß und Klein insbesondere auch im Ehrenamt erlebbar sein. Theodor Heuss hat einmal gesagt: „Demokratie lebt vom Eh renamt.“ Wenn Schüler merken, dass die Wahl einer Klassen sprecherin einen Unterschied macht, und wenn sich die Mit glieder eines Sportvereins Gedanken über die anstehenden Wahlen des Vereinsvorstands machen, dann ist Demokratie tatsächlich greifbar. Das entzieht antidemokratischen Haltun gen den Boden.
Die Große Koalition hat mit dem Programm „Demokratie le ben!“ ein umfassendes Programm zur Demokratieförderung aufgelegt und finanziell sehr gut ausgestattet. Dahinter darf das Land Baden-Württemberg nicht zurückbleiben. Zivilge sellschaftliche Initiativen, die sich um Demokratieförderung bemühen, brauchen eine stabile und auch mittel- und langfris tige Finanzierungsgrundlage.
Meine Damen und Herren, der Kampf gegen rechten Extre mismus und Terrorismus fordert unsere Gesellschaft immer wieder neu heraus. Wir haben heute eindrucksvoll bewiesen, dass aktuell die Herausforderung mitunter am größten ist. Die ser Abschlussbericht und seine Handlungsempfehlungen ent halten wichtige Forderungen zur Bekämpfung des Rechtsex tremismus. Die Sozialdemokratie hat sich immer mit aller Kraft gegen Extremisten jeglicher Couleur gestellt.
Sie wird darauf drängen, dass diese Handlungsempfehlungen auch tatsächlich in Regierungshandeln einfließen.
Zum Schluss möchte ich die Gelegenheit nutzen, um mich bei den Kolleginnen und Kollegen der anderen demokratischen Fraktionen und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die konstruktive Zusammenarbeit zu bedanken. Mein Dank gilt insbesondere auch Wolfgang Drexler, der sich über zwei Legislaturperioden als unermüdlicher Vorsitzender der Unter suchungsausschüsse um die Aufklärung der Verbrechen des NSU sehr verdient gemacht hat. Sein Einsatz war hoch. Mehr fach wurde er aus rechtsextremen Kreisen auch mit dem To de bedroht. Wolfgang Drexler hat sich davon nicht beeindru cken lassen und den Untersuchungsausschuss mit hohem En gagement, viel Sachverstand und großer Durchsetzungskraft geführt. Dafür, lieber Wolfgang, möchte ich dir meine aufrich tige Anerkennung und meinen Dank aussprechen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sehe mich veranlasst – das sage ich extra, be vor die FDP/DVP zu Wort kommt –, die Redezeit etwas zu verlängern, weil die CDU insgesamt mehr als zwölf Minuten beansprucht hat. Die SPD hat jetzt nur um eine knappe Minu te überzogen. Nur damit Sie es wissen, falls sich jemand noch zu Wort melden möchte: Wir müssen noch etwas drauflegen.
Frau Präsidentin, sehr ge ehrte Damen und Herren Kollegen! Der 25. April 2007 war in Heilbronn ein ungewöhnlicher, fast schon sommerlicher Tag. Als nach 14 Uhr zunehmend Sirenen zu hören waren, Heliko pter am Himmel kreisten und Mandanten ihren Termin bei mir in der Kanzlei absagten, weil der Verkehr weiträumig in und um Heilbronn zum Erliegen gekommen war, wurde mir klar, dass etwas Schreckliches passiert sein muss. Nur langsam, dann aber in Windeseile verbreitete sich die Hiobsbotschaft, wonach auf der Heilbronner Theresienwiese ein Anschlag auf eine Polizeistreife verübt worden sei.