Protocol of the Session on December 19, 2018

Zuerst hat für die Fraktion GRÜNE Herr Abg. Kern das Wort.

Frau Präsidentin, meine Da men und Herren! Am vergangenen Sonntag jährte sich zum 76. Mal der Tag, an dem der Reichskommissar für die Festi gung deutschen Volkstums, Heinrich Himmler, die Deporta tion und damit die Vernichtung aller im Reichsgebiet und in den besetzten Gebieten lebenden Sinti und Roma anordnete.

23 000 Menschen wurden drei Monate später, im März 1943, nach Auschwitz deportiert, wo die meisten von ihnen als Op fer von Hunger, Krankheit, Misshandlungen oder medizini schen Experimenten ums Leben kamen. Von den erfassten rund 40 000 deutschen und österreichischen Sinti und Roma wurden über 25 000 systematisch ermordet. Insgesamt fielen zwischen 220 000 und 500 000 Sinti und Roma dem Rassen wahn der Nationalsozialisten und dem an ihnen verübten Völ kermord zum Opfer.

Es ist nicht vorstellbar, dass man so etwas wiedergutmachen kann.

Umso mehr freuen wir uns und sind dankbar, dass es uns, der grün geführten Regierung in Baden-Württemberg, gemeinsam mit dem Landesverband Deutscher Sinti und Roma in BadenWürttemberg vor fünf Jahren gelungen ist, mit einem Staats vertrag die Rechte der hier lebenden Sinti und Roma als an erkannte nationale Minderheit anzuerkennen und zu sichern.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP)

Diesen Vertrag gilt es nunmehr fortzuschreiben. In der Prä ambel des neuen Vertrags wird konstatiert, dass der Völker mord durch das nationalsozialistische Regime unermessliches Leid über Sinti und Roma in unserem Land brachte und die ses Unrecht bis heute nicht ausreichend aufgearbeitet wurde. Es wird ebenfalls festgestellt, dass der Antiziganismus, den es bereits im Mittelalter gab, noch immer existent, noch immer nicht überwunden ist.

Wir wollen mit dem neuen Staatsvertrag Diskriminierung und Antiziganismus entgegenwirken und gemeinsam das gesell schaftliche Miteinander unter Achtung der ethnischen, kultu rellen, sprachlichen und religiösen Identität der Sinti und Ro ma kontinuierlich verbessern.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP/DVP)

Wir wollen insbesondere das freundschaftliche Zusammenle ben zwischen den Angehörigen der Minderheit und den An gehörigen der Mehrheitsgesellschaft fördern. Das geschieht u. a. im Bildungsbereich über die Aufnahme der Thematik der Sinti und Roma in die Curricula der Lehrerbildung und über die verstärkte Präsenz des Themas im Unterricht an den Schu len in unserem Land.

Mindestens ebenso wichtig ist aber das Verständnis der Kul tur der jeweils anderen. Wir alle kennen die Musik der Sinti und Roma. Ich glaube, die meisten von uns mögen sie.

Kürzlich durfte ich einen Flamenco-Abend besuchen, der vom Landesverband veranstaltet wurde. Erst dort wurde mir klar, dass diese wunderbaren Tänze und die bezaubernde Gitarren musik Teil der Kultur der Sinti und Roma sind.

Die Kultur umfasst aber noch weit mehr als Musik und Tanz. So wollen wir die Minderheit darin unterstützen, Angebote zur Vermittlung ihrer Sprache zu schaffen. Ich glaube, es gibt außer mir noch viele andere Menschen im Land, die sich über die Gelegenheit freuen würden, Romanes zu lernen.

Ich freue mich außerordentlich, dass seit Kurzem mit meinem Freund Romeo Franz ein deutscher Sinto ins Europäische Par lament nachgerückt ist. Aber eine Vertretung der Minderheit in der Politik ist darüber hinaus bisher kaum wahrnehmbar. Deshalb wollen wir zukünftig eine angemessene Wahrneh mung und Vertretung der deutschen Sinti und Roma in Kul tur, Wissenschaft, Politik und Medien ermöglichen.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP)

Nicht zuletzt wollen wir die erfolgreiche Arbeit der Beratungs stellen für die Teilhabe von Sinti und Roma in den Bereichen Bildung, Integration und Soziales fortführen und ausbauen.

Meine Damen und Herren, mit diesem Vertrag können wir nichts von dem vorher erwähnten Unrecht wiedergutmachen. Aber wir kommen damit auf jeden Fall einen großen Schritt weiter in Richtung eines freundschaftlichen, gleichberechtig ten Zusammenlebens, eines Miteinanders auf Augenhöhe mit den Sinti und Roma in unserem Land.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP/DVP)

Für die CDU spricht Herr Kollege von Eyb.

Sehr verehrte Frau Prä sidentin, verehrte Kolleginnen, geehrte Kollegen! Sinti und Roma gehören seit mehr als 600 Jahren zur Kultur und Ge sellschaft auf dem Gebiet des heutigen Landes Baden-Würt temberg. Sie sind eine anerkannte nationale Minderheit in der Bundesrepublik Deutschland. Ihre Sprache und ihre Kultur sind durch deutsches und europäisches Recht geschützt. Es ist daher ein wichtiges Anliegen des Landes, Sinti und Roma als einzige in Baden-Württemberg lebende anerkannte nationale Minderheit zu fördern und zu unterstützen.

Ausgrenzung und Benachteiligung von Sinti und Roma rei chen zurück bis in das Mittelalter. Die grausame Verfolgung und der Völkermord durch das nationalsozialistische Regime brachten unermessliches Leid über Sinti und Roma in unse rem Land und zeitigen Folgen bis heute. An die 500 000 eu ropäische Sinti und Roma wurden deportiert und in Vernich tungslagern ermordet. Ihr kulturelles Erbe wurde zu großen Teilen zerstört. Dieses Unrecht wurde erst beschämend spät politisch anerkannt und ist noch nicht ausreichend aufgear beitet worden.

Der frühere Bundespräsident und Präsident des Bundesver fassungsgerichts, Professor Roman Herzog, stellte 1997 fest:

Der Völkermord an den Sinti und Roma ist aus dem glei chen Motiv des Rassenwahns, mit dem gleichen Vorsatz und dem gleichen Willen zur planmäßigen und endgülti gen Vernichtung durchgeführt worden wie der an den Ju den.

Auch der Antiziganismus ist bis zum heutigen Tag noch im mer existent und nicht überwunden. Diese nationale Minder heit hat bis heute mit Stereotypen zu kämpfen und benötigt Unterstützung bei der Kommunikation eines differenzierten Bildes, mit welchem vermutlich nicht alle Kollegen etwas an fangen können.

(Beifall bei der CDU, den Grünen und der SPD so wie Abgeordneten der FDP/DVP)

Aber wer es nicht verstehen will, wird es auch nicht verste hen.

Das Land erkennt eine besondere geschichtliche Verantwor tung gegenüber den Sinti und Roma als Bürgerinnen und Bür ger an. Es ist Aufgabe der Länder, geeignete Bedingungen zu schaffen, die es den auf ihrem Gebiet lebenden anerkannten nationalen Minderheiten ermöglichen, ihre Kultur und ihre Sprache zu erhalten sowie ihre Identität zu wahren.

Hier hat Baden-Württemberg eine bundesweite Vorreiterrol le eingenommen, die es zu bewahren gilt. Der am 1. Januar 2014 in Kraft getretene erste Vertrag zwischen dem Land Ba den-Württemberg und dem Verband Deutscher Sinti und Ro ma, Landesverband Baden-Württemberg, der die Sicherung der Anerkennung, Bewahrung und Förderung der in BadenWürttemberg lebenden deutschen Sinti und Roma zum Ge genstand hat, läuft zum Ende dieses Jahres aus.

Dieser Vertrag legte erstmals die Grundlagen und Ziele der Zusammenarbeit fest. Der Vertragsschluss ging ganz maßgeb lich auf eine Initiative des früheren Ministerpräsidenten Gün ther Oettinger zurück und wurde von der CDU-Fraktion im mer unterstützt. Nunmehr soll dieser Vertrag bis zum 31. De zember 2033 verlängert werden. Zugleich soll der Verband hinsichtlich der Verbesserung der Bildungschancen junger Sinti und Roma gestärkt sowie bei der Bewahrung und Erfor schung der eigenen Kultur unterstützt werden.

Diese Verlängerung ist nicht nur ein verdienter Vertrauensbe weis an den VDSR-BW, sondern gewährleistet beiderseitige Planungs- und Rechtssicherheit sowie Prozessökonomie in Bezug auf die Wiederholung von Vertragsverhandlungen.

Auch kann ich dem von der AfD eingebrachten Einwand ent gegentreten, zukünftige Regierungen könnten keinen Einfluss nehmen. Wie Sie im Vertrag nachlesen können, besteht im Härtefall bei unüberbrückbaren Differenzen ein Sonderkün digungsrecht.

Der bereits laufende Vertrag hat gezeigt, dass eine Erhöhung der Mittel schlichtweg unerlässlich ist. Bislang konnte man mit nur einem Standort im ganzen Land keine flächendecken den Anlaufstellen für Rat suchende Sinti und Roma gewähr leisten.

Die Zusammenarbeit mit dem VDSR-BW ist ein voller Er folg. Daher kann ich Sie nur einladen, diesem Vertrag zuzu stimmen. Setzen Sie mit Ihrer Stimme ein Zeichen gegen den Antiziganismus und gegen das Vergessen der gemeinsamen wie auch der eigenen Vergangenheit.

(Beifall bei der CDU, den Grünen und der SPD so wie Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Dr. Wolf gang Reinhart CDU: Sehr gut!)

Für die AfD spricht Herr Abg. Klos.

Frau Präsidentin, meine sehr geehr ten Damen und Herren! Artikel 50 Satz 1 unserer Landesver fassung lautet:

Der Ministerpräsident vertritt das Land nach außen.

Satz 2 lautet:

Der Abschluss von Staatsverträgen bedarf der Zustim mung der Regierung und des Landtags.

Deshalb beraten wir diesen Vertrag heute zum ersten Mal in einer Aussprache. Es wurde zu Recht betont: Es gibt vier an erkannte nationale Minderheiten in Deutschland. Grundlage

dieses Vertrags ist also, dass die deutschen Sinti und Roma zu den anerkannten nationalen Minderheiten gehören. Insoweit begrüßen wir ausdrücklich, dass es einen Vertrag gibt.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Wir unterstützen auch ausdrücklich, dass hier eine anerkann te nationale Minderheit gefördert wird – bei der Bewahrung ihrer Kultur, ihrer Sprache und ganz besonders ihrer Gedenk stätten, von denen es in Deutschland nur noch knapp 3 000 gibt. Das ist dem nationalsozialistischen Wahnsinn einer Ban de von Verbrechern, Mördern, Psycho- und Soziopathen, die Frauen und Kinder in Gaskammern und an anderen Orten er mordet hat, geschuldet.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Insofern unterstützen wir die Erhaltung der Gedenkstätten aus drücklich.

Die nationalen Minderheiten werden durch Zuwendungen von Bund und Land unterstützt. Herr Ministerpräsident, hätten Sie uns den Vertrag hingelegt, hätten Sie ihn normal fortgeschrie ben, wären wir nicht an einer Zustimmung gehindert gewe sen. Aber Sie haben natürlich einige schwere Fehler einge baut.

Der erste Fehler, den Sie gemacht haben, wurde schon ange sprochen: Sie verdreifachen die Laufzeit dieses Vertrags. Da rate ich Ihnen, einen Blick nach Bayern zu tun; dort ist näm lich ein jährliches Kündigungsrecht – und zwar ein automati sches jährliches Kündigungsrecht, wenn sich der Vertrag nicht automatisch verlängert – eingebaut. Insofern hätte man das hier auch machen können.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Warum?)

Eine Verdreifachung der Laufzeit auf drei Legislaturperioden ist für uns nicht nachvollziehbar.