Protocol of the Session on October 11, 2018

Das Wort hat zuerst für die Fraktion GRÜNE Frau Abg. Do rothea Wehinger.

Sehr geehrte Frau Präsi dentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Alleinerzie hende und ihre Kinder tragen mit 45,8 % das höchste Armuts risiko in Baden-Württemberg. Es gibt 325 000 Alleinerzie hende bei uns in Baden-Württemberg, davon sind 84 % Frau en bzw. Mütter.

Eine davon – als Beispiel – ist Anna, 36 Jahre alt. Sie hat zwei Kinder im Alter von drei und sieben Jahren und lebt in einem Ihrer Wahlkreise. Anna arbeitet in Teilzeit. Sie kümmert sich allein um ihre Kinder, stemmt allein den Haushalt, jongliert mit Terminen und fällt abends natürlich müde ins Bett. Mit ihrem monatlichen Nettoeinkommen von unter 1 300 € muss sie den Lebensunterhalt der kleinen Familie allein finanzie ren. Anna lebt getrennt vom Vater ihrer Kinder. Dieser zahlt keinen Unterhalt für die beiden. Sie erhält daher 360 € mo natlich vom Staat als Unterhaltsvorschuss für die beiden Kin der.

In der ersten Jahreshälfte 2018 musste das Land Baden-Würt temberg in bereits mehr als 60 700 Fällen einspringen und Un terhaltsvorschuss von rund 65 Millionen € leisten. Jetzt kommt der springende Punkt: Das Nichtzahlen von Unterhalt ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein Strafakt.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der SPD)

Der Druck auf säumige Unterhaltspflichtige muss konsequent erhöht werden, und die Gelder müssen von ihnen strengstens zurückgefordert werden. Denn nicht oder nur unregelmäßig gezahlten Kindesunterhalt kann man nicht einfach nur hin nehmen. Er ist ein wesentlicher Grund für die Armut von Al leinerziehenden und ihren Kindern.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Der Unterhaltsvorschuss ist daher eine wichtige Leistung zur finanziellen Unterstützung alleinerziehender Mütter, aber auch Väter, die keinen Unterhalt vom unterhaltspflichtigen Eltern teil erhalten.

Mit der Reform auf Bundesebene im letzten Jahr wurden die Leistungen für Alleinerziehende ausgeweitet, die Höchstbe zugsdauer gestrichen und der Bezug bis zur Volljährigkeit des Kindes ermöglicht; das hat Minister Lucha bereits ausgeführt. Dadurch profitieren in der Summe mehr Alleinerziehende in Baden-Württemberg von der Unterhaltsvorschussleistung, und das ist ein richtiger und längst überfälliger Schritt. Die Leis tungsausweitung führt zu finanziellen Mehrbelastungen von geschätzt 7,5 Millionen € jährlich.

Der Gesetzentwurf ändert die Quoten der Beteiligung von Land und Kommunen am Unterhaltsvorschuss; auch das hat Minister Lucha ausgeführt. Die Kommunen werden dabei in den Ausgaben entlastet und stärker an den Einnahmen aus die sem Unterhaltsvorschussgesetz beteiligt. Mit den Mehrein nahmen soll für die 46 Jugendämter ein Anreiz geschaffen werden, aufgrund dieser Überschussmittel die Anteile unter haltssäumiger Elternteile zurückzufordern. Diesen Ansatz un terstütze ich ausdrücklich.

Jetzt kommen wir zu dem Wermutstropfen im Unterhaltsvor schussgesetz. Zur Wahrheit gehört, dass der Unterhaltsvor schuss keineswegs bedarfsdeckend ist und obendrein voll auf andere soziale Leistungen wie Kinderzuschlag, Wohngeld oder Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket an gerechnet wird. Diese bundesgesetzliche Regelung führt da zu, dass unsere Anna als Geringverdienerin ihren Anspruch auf diese Leistungen verliert und im Ergebnis finanziell schlech tergestellt ist – eine verheerende Wirkung.

Ebenso wird der Unterhaltsvorschuss bei Hartz-IV-Bezug als Einkommen angerechnet, sodass die Armutsgefährdung von Alleinerziehenden auch damit verschärft wird – eine parado xe Wechselwirkung, müsste die Unterstützung doch gerade diejenigen erreichen, die bedürftig sind.

Hier besteht eindeutig Handlungsbedarf auf Bundesebene. Wir fordern die Große Koalition dringend auf, rasch tätig zu wer den.

(Beifall bei den Grünen)

Außer durch finanzielle Mittel wie den Unterhaltsvorschuss müssen Alleinerziehende wie Anna bei ihren Herausforderun

gen im Alltag auch weiterhin und intensiv unterstützt werden. Die Landesregierung tut das bereits auf vielfältige Weise. Um ein paar Beispiele zu nennen: Angebote zur Teilzeitausbildung von Alleinerziehenden und Pflegenden, Ausbau und verbes serte Qualität der Kinderbetreuung über den Pakt für gute Bil dung und Betreuung, mehr familienfreundliche, flexible Ar beitszeitmodelle für Mütter, aber auch für Väter, und die För derung des sozialen Mietwohnungsbaus mit 180 Millionen € jährlich, außerdem das gute Landesprogramm STÄRKE.

Nahezu ein Fünftel aller Familien hier in Baden-Württemberg sind sogenannte Einelternfamilien. Daher fordere ich: Wir dür fen Alleinerziehende wie Anna nicht alleinlassen. Unterhalts vorschuss ist ein wichtiger Beitrag, aber es gilt, auch weitere Anstrengungen zu unternehmen, um Kinder- und Familienar mut gar nicht erst aufkommen zu lassen bzw. zu beseitigen. Denn Kinder, von denen wir immer sagen, sie seien unser Schatz – –

Frau Kollegin, bitte kom men Sie zum Ende.

Ich bin fertig. – Kinder dürfen kein Armutsrisiko sein, weder in Paar- noch in Einel ternfamilien.

Danke schön.

(Beifall bei den Grünen, Abgeordneten der CDU und der SPD sowie des Abg. Bernd Gögel AfD)

Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Christine Neumann-Martin.

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute beraten wir zum ersten Mal den Gesetzentwurf der Lan desregierung zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes.

Kinderarmut in Deutschland ist ein gesellschaftliches Dauer problem. In unserem wohlhabenden Land besteht das größte gesellschaftliche Risiko, zu verarmen, darin, Kinder zu be kommen. Wir alle wissen: Arme Kinder müssen in Deutsch land nicht hungern und haben in der Regel auch genügend Kleider. Es sind aber die soziale Teilhabe und vor allem die Chancengerechtigkeit, die ihnen fehlen.

Als Mitarbeiterin des Allgemeinen Sozialen Dienstes beim Ju gendamt habe ich viele Kinder und Jugendliche und ihre Fa milien kennengelernt, deren Leben genau davon betroffen war. Gerade wenn die Eltern selbst schon gesellschaftlich abge hängt waren, verfestigt sich der Lebensweg mancher Famili en in zweiter und dritter Generation ohne Perspektiven. Wir kennen diese Probleme seit vielen Jahren und müssen zuse hen, wie sich die Situation vieler Kinder in unserem Land eher verschlechtert als verbessert.

Ein wichtiger Faktor dabei ist, dass die Zahl der Alleinerzie henden in den letzten Jahren und Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen ist. Die Haushalte von Alleinerziehenden haben es in allen gesellschaftlichen Bereichen besonders schwer. Be troffen davon sind in der Regel noch immer vorwiegend Frau en. Denn laut einem Bericht der Bundesregierung von August dieses Jahres sind es immer noch zu 90 % Frauen, die ihre Kinder allein erziehen.

Wir können diese Entwicklung bedauern, aber diesen gesell schaftlichen Trend können wir als Politiker nicht beeinflussen oder gar umkehren. Was wir aber sehr wohl beeinflussen kön nen, sind die Rahmenbedingungen, unter denen Alleinerzie hende in unserer Gesellschaft leben. Wir können die Bedin gungen so gestalten, dass alle Kinder in unserer Gesellschaft Teilhabechancen haben.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen sowie des Abg. Andreas Kenner SPD)

Deshalb bin ich sehr froh, dass 2017 der Unterhaltsvorschuss vom Bundesgesetzgeber neu geregelt wurde. Denn mit dieser Reform haben wir zügig und konkret die finanzielle Situation Hunderttausender Kinder in Deutschland verbessern können. Inhalt der Änderung ist im Wesentlichen, dass alle Kinder bis zum 18. Lebensjahr ein Recht auf Unterhaltsvorschuss haben und dass die zeitliche Begrenzung des Anspruchs auf den staatlichen Unterhaltsvorschuss auf 72 Monate entfällt, sodass dieser Vorschuss über einen längeren Zeitraum bezahlt wer den kann.

Was bedeutet dies konkret? Im Fall einer Trennung, einer Scheidung leiden die Schwächsten am meisten. Die Schwächs ten sind in der Regel die Kinder. Zu den emotionalen und psy chischen Belastungen, die es nach einer Familientrennung zu überwinden gilt, kommt die finanzielle Unsicherheit. Dies ein Stück weit aufzufangen, dazu dient der Unterhaltsvorschuss, der dann gewährt wird, wenn der unterhaltspflichtige Eltern teil nicht zahlen kann oder nicht zahlen will, einfach ver schwunden ist oder wenn die Ansprüche zunächst gerichtlich geklärt werden müssen.

Konkret bedeutet dies aber auch, dass diese Reform zu einer deutlichen Ausweitung der Zahl der Zahlungsempfänger und damit zu Mehrbelastungen der öffentlichen Kassen führt. Trotzdem halte ich es für richtig und wichtig, dass wir die Kin der Alleinerziehender in dieser Weise unterstützen. Vor der Reform hat der Bund anteilig ein Drittel der finanziellen Be lastungen aufgrund des Unterhaltsvorschussgesetzes getragen. Mit der Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs systems übernimmt der Bund seit Juli 2017 einen Anteil von 40 %.

Nun geht es heute darum, die Durchführung in Baden-Würt temberg zu regeln. Land und kommunale Landesverbände ha ben in den vergangenen Monaten intensiv darüber beraten, wie Einnahmen und Ausgaben, die durch diese Neuregelung entstehen, zwischen Land und Kommunen aufgeteilt werden können. Wir haben, wie ich finde, einen fairen Kompromiss gefunden, der sowohl die Interessen des Landes als auch die Interessen der Kommunen berücksichtigt, der vor allem aber dem Wohl und der finanziellen Absicherung der Familien und der betroffenen Kinder dient.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen sowie des Abg. Andreas Kenner SPD)

Land und Kommune tragen je 30 % der Ausgaben. Was die Einnahmen angeht, erhalten die Kommunen einen höheren Anteil, nämlich 40 %. Das Land Baden-Württemberg verzich tet damit auf einen Teil der Einnahmen zugunsten der Kom munen. So haben die Kommunen eine stärkere Motivation, durch den sogenannten Rückgriff unterhaltspflichtige Eltern

teile zur Zahlung heranzuziehen. Denn eines sollten wir nicht vergessen: Ziel des Gesetzes ist es keinesfalls, unterhalts pflichtige Eltern aus der Verantwortung zu entlassen, sondern, ganz im Gegenteil, Ziel ist es, die Unterhaltsansprüche stär ker durchzusetzen.

Wir gehen auch davon aus, dass ein großer Teil der Mehrkos ten genau diesem Ziel geschuldet sein wird, dass wir konse quent versuchen, die Eltern an ihre Pflichten gegenüber ihren Kindern zu erinnern oder sie gegebenenfalls auch dazu zwin gen. Deshalb hat das Land Baden-Württemberg hier ein deut liches Zeichen zugunsten der Kommunen gesetzt.

Klar ist aber auch, dass es nicht gelingen kann, das Geld voll ständig wiederzubekommen. In vielen Fällen sind die Partner tatsächlich nicht in der Lage, den Unterhalt zu zahlen. Aber immer da, wo es möglich ist, sollten wir alles daransetzen, dass niemand, der unterhaltspflichtig ist, sich seiner tatsäch lichen Verantwortung für seine Kinder entzieht.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen sowie der Abg. Wolfgang Drexler und Andreas Ken ner SPD)

Wir haben auf diesem Gebiet in der Vergangenheit schon ei niges geleistet. Gemeinsam mit Bayern hatte Baden-Württem berg in den vergangenen Jahren bereits eine Rückgriffsquote von zum Teil über 30 %. Das hört sich nach nicht besonders viel an; damit sind wir jedoch deutlich besser als viele ande re Länder. Berlin oder Hamburg haben nur eine Rückgriffs quote von unter 15 %.

Diese Einigung zwischen Land und Kommunen ist ein wich tiger Schritt und ein Zeichen des Landes dafür, dass wir das Konnexitätsprinzip ernst nehmen.

Ebenso wichtig finde ich auch die Sicherstellung der Wirk samkeit und der Zielgenauigkeit der Reform. Wir werden in absehbarer Zeit überprüfen, welche Auswirkungen die Reform tatsächlich hat und ob sich unsere Prognosen dabei im We sentlichen bestätigt haben. Deshalb haben wir für 2020 eine Überprüfung der Zahlen und deren Wirkungsweise geplant. Denn wir alle wissen: Gute Politik beginnt mit der Betrach tung der Wirklichkeit. Dieser Maxime wollen wir auch mit diesem Vorhaben folgen.

(Abg. Gernot Gruber SPD: Zitat Kurt Schumacher!)

Danke, Herr Kollege.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen und der SPD – Abg. Ulli Hockenberger CDU zu Abg. Gernot Gruber SPD: Unterstellen wir mal, dass das jeder weiß, Herr Kollege!)

Für die AfD spricht Herr Abg. Thomas Palka.

Sehr geehrte Frau Präsiden tin, sehr geehrte Damen und Herren! Ich denke, es besteht weitestgehend Einigkeit darin, dass der Staat dort einspringt, wo ein unterhaltspflichtiger Elternteil seinen Verpflichtungen nicht nachkommen kann, und auch darin, dass das inzwischen

bei mehr Betroffenen der Fall ist als vor 2017. Insofern ist die durchgeführte Reform sicher lebensnah und sichert vielen Kindern eine wichtige Unterstützung.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Wir kennen aber auch Fälle, in denen ein Elternteil seiner Zah lungspflicht nicht nachkommt, weil er oder sie das nicht möch te. Auch hier kann der Staat natürlich einspringen. Tatsache ist aber auch, dass der Unterhaltsvorschuss kein gleichwerti ger Ersatz ist. Der Unterhaltsvorschuss entspricht nicht dem, was für ein Kind normalerweise bezahlt wird.

Für die Alleinerziehenden bedeutet das also immer noch, dass sie sich einschränken müssen und ihren Kindern nicht das bie ten können, was mit einem regulären Unterhalt möglich wä re.