Ihr Koalitionspartner scheint Ihnen offenbar auch nicht zu glauben, dass die Heimaufsichten nach dem bestehenden Recht Ausnahmeregelungen zulassen können.
Beim Zukunftsthema Pflege zeigt sich, dass sich der grüne So zialminister auf seinen Koalitionspartner CDU offensichtlich nicht verlassen kann. Das ist schlecht für die Pflege in BadenWürttemberg und besonders schlecht für die Menschen, die auf Pflege angewiesen sind.
Ich würde mir wünschen, dass wir die generelle Debatte über die Zukunft der Pflege hier im Landtag noch einmal führen könnten.
Sehr geehrte Frau Prä sidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon als vor vier Jahren das WTPG, das Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz, von Grün-Rot beschlossen wurde, hatte die FDP/DVP auf ei nige Geburtsfehler hingewiesen. Nach vier Jahren können wir feststellen, dass sich diese Geburtsfehler mehr als bestätigt haben. Das war der Anlass für den Gesetzentwurf, den die Freien Demokraten hier im Landtag eingebracht haben. Wir fühlen uns also insoweit in den Dingen deutlich bestätigt, auf die wir schon in der letzten Legislatur hingewiesen haben. Deswegen haben wir die Initiative zu diesem Gesetzentwurf ergriffen.
Im Koalitionsvertrag – ich sage das, falls die Regierungsfrak tionen das nicht mehr so ganz im Kopf haben; es ist ja schon eine Zeit lang her – heißt es:
Das Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz (WTPG) soll ent lang der Ergebnisse der Evaluation weiterentwickelt wer den.
Insofern können wir konstatieren, dass Sie auch nach den Er gebnissen der Evaluation – die stehen ja in dem Bericht – nichts ändern wollen.
Sie, liebe Frau Kollegin Krebs, sprechen von einer Erfolgs geschichte. Das ist immer dann einfach, wenn man sich gar kein Ziel gesetzt hat und einfach sagen kann: „Wenn es jetzt so viele ambulant betreute Wohngemeinschaften gibt, dann ist das super, dann ist das in Ordnung.“ Wenn Sie es aber al
lein auf die Zahl der Kommunen herunterrechnen, kommen Sie in Baden-Württemberg auf unter 10 %. Ich würde mir da mehr versprechen. Deswegen hat die FDP/DVP auch die Ini tiative ergriffen, hier mehr Impulse zu setzen.
Wir haben – ohne jetzt auf alle Themen einzugehen – mehr Flexibilisierung bei der Umsetzung und der Gestaltung von Pflege vorgesehen, wir haben die Initiierung von Wohnge meinschaften aufgegriffen, wir haben das Thema Bürokratie abbau aufgenommen, wir haben das Thema „Doppelprüfun gen durch MDK und Heimaufsicht“ aufgegriffen, und wir ha ben vor allem Flexibilisierung bei Erprobungsregelungen vor gesehen, um mehr innovative Wohnformen umsetzen zu kön nen.
Liebe Frau Kollegin Hartmann-Müller, in dem Positionspa pier der CDU zur Pflege, das in Berlin unter Mitwirkung des Bundesgesundheitsministers Spahn gestaltet worden ist, lese ich, dass sich die CDU dort auch mit den Themen Pflegedo kumentation und Bürokratieabbau beschäftigt hat. Hier wäre nun die erste Gelegenheit gewesen, anstatt nur etwas aufzu schreiben, auch tatsächlich etwas umzusetzen. Insofern ist es schade, dass Sie es nur auf das Papier drucken, es aber in der Praxis nicht umsetzen.
Wir erwarten jetzt gar nicht, dass Sie alle Vorschläge, die wir gemacht haben, tatsächlich gutheißen; das ist überhaupt kei ne Frage.
Ich will noch einmal darauf eingehen, dass Sie zwischen den Anliegen der Träger und den Bedürfnissen der Menschen in Baden-Württemberg unterscheiden. Die Liga der freien Wohl fahrtspflege, der größte Träger, hat schon zwei Jahre nach In krafttreten des Gesetzes darauf hingewiesen, welche Schwie rigkeiten bestehen. Sie argumentieren, die Träger seien aus Ihrer Sicht irgendwelche renditestarken Organisationen.
Wir reden bei der Liga von der Arbeiterwohlfahrt, von der Ca ritas, vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, vom DRK, von der Diakonie und der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland; damit uns das klar ist.
Ich darf aus der Stellungnahme der Liga der freien Wohlfahrts pflege zu unserem Gesetzentwurf zitieren:
Insgesamt halten wir die von der FDP/DVP-Fraktion vor geschlagenen Änderungen auch vor dem Hintergrund der bisherigen Umsetzungserfahrungen des WTPG für erfor derlich.
Insofern hätten wir uns gewünscht, dass wir tatsächlich in ei ne sachliche, konstruktive Diskussion eintreten. Aber es war schon in der ersten Lesung erstaunlich, überraschend und auch
enttäuschend, wie insbesondere der Sozialminister diesen Ent wurf im Grunde genommen abgekanzelt hat. Dadurch war uns nicht mehr die Möglichkeit gegeben, über den einen oder an deren Punkt noch einmal konstruktiv und durchaus auch hart zu diskutieren. Dadurch haben Sie die Gelegenheit verpasst, noch einmal inhaltlich in das Thema einzusteigen, eine Ana lyse nach vier Jahren zu machen und zu überlegen, welche Positionen durchaus sinnvoll sind und welche Positionen man nicht übernehmen kann.
Insofern ist es schon enttäuschend, dass wir nicht inhaltlich eingestiegen sind. Deswegen würde ich mir auch wünschen, dass wir noch einmal sehr intensiv inhaltlich über die Pflege in Baden-Württemberg sprechen. Gelegenheit hierzu hätte bei der Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfs bestanden.
Wir werden sehr genau im Auge behalten, wie Sie in Zukunft mit dem Thema „Ambulant betreute Wohngemeinschaften“ umgehen. Wir fühlen uns in erster Linie auch durch diejeni gen bestätigt, die dafür die Verantwortung in Baden-Württem berg übernehmen.
(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Sehr souverän! Alle Argumente der Re gierung auseinandergenommen!)
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kolle gen! Sie wissen, lieber Herr Haußmann, ich bin ein alter Freund von Watzlawick. „Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“ Sie wissen, da geht es um Sender und Empfänger bei den The oremen der Kommunikation.
Sie kommen mir ein bisschen so vor, wenn ich die Debatte verfolge, wie derjenige, der bei der Verkehrsfunkmeldung: „Zwischen München und Stuttgart kommt Ihnen ein Falsch fahrer entgegen“ erwidert: „Einer? Tausende!“
Lieber Herr Haußmann, Sie bezichtigen uns jetzt hier, bei die sem Thema nicht inhaltlich zu debattieren. Allein wenn Sie unsere Zwischenberichte zur Umsetzung der Enquete, wenn Sie alle unsere Initiativen zu „Quartier 2020“ anschauen, wo dieser Angebotsbaustein ein integraler und integrierter Be standteil ist, können Sie sehen, dass das einfach nicht stimmt.
Ich möchte noch einmal sagen: Ihr Konzept – das haben alle Rednerinnen und Redner, das haben auch wir in den Vorde batten gesagt – verwässert das Konzept ambulant betreuter Wohngemeinschaften. Es nutzt Bewohnerinnen und Bewoh nern gar nichts; es ist ausschließlich aus der Sicht von Anbie tern gesehen. Keine Frage, das kann man tun. Aber Aufgabe des Gesetzes ist es, einen Perspektivwechsel aus der Sicht der Betroffenen, der Nutzer vorzunehmen und deren Schutzrech te, deren Teilhaberechte zu stärken.
Wenn Ihr Gesetzentwurf durchgehen würde, hätten wir wirk lich große Sorge, dass es tatsächlich zu einer Art Etiketten schwindel käme. Lieber Herr Haußmann, ich habe jetzt wirk lich nichts gehört – auch nicht in Ihren Einlassungen nach der Ersten Beratung –, was uns veranlassen würde, unsere Kritik an Ihrem Vorschlag zu relativieren oder gar zurückzunehmen. Die bisherigen Beratungen und die hier im Parlament breit ge übte Kritik bestätigen uns in unserer Haltung, dass dieser Ge setzentwurf abzulehnen ist.
Wir haben dahin gehend einen breiten Konsens zwischen SPD, Grünen, CDU – auch die AfD hat sich dazu bekannt –, dass die Selbstbestimmung und die Wahlfreiheit der Bewoh nerinnen und Bewohner ambulant betreuter Wohngemein schaften zentrales Wesensmerkmal dieser ambulant betreuten Wohngemeinschaften sind. Gerade die Wahlfreiheit und die Selbstbestimmung sind mit Ihrem Gesetzentwurf infrage ge stellt.
Ihr Entwurf stellt folgende Vermutung auf: Wenn die Bewoh nerinnen und Bewohner mit dem Anbieter einer WG zusätz lich auch einen Vertrag über ambulante Pflegeleistungen ab geschlossen haben, dann müssen sie sich dazu ja wohl aus freien Stücken entschieden haben. Diese Vermutung ist we gen der strukturellen Abhängigkeit der Bewohnerinnen und Bewohner vom Anbieter der ambulant betreuten WG aller dings gerade nicht begründet. Deswegen muss der Anbieter gerade in diesem Fall für einen geeigneten Nachweis sorgen, dass die Bewohnerinnen und Bewohner in ihrer Wahlfreiheit nicht eingeschränkt gewesen sind – so, wie es Gesetz und Be gründung fordern.
Zudem entspricht eine ambulant betreute Wohngemeinschaft unter dem Dach eines stationären Pflegeheims eben nicht dem Gedanken des Zusammenlebens in einem familienähnlichen Umfeld als Alternative zur stationären Versorgung. Diese Punkte haben wir bereits in der Ersten Beratung und, wie ich glaube, auch im Ausschuss ausführlich beleuchtet; ich muss mich nicht wiederholen.
Ich habe auch auf die Gefahr hingewiesen, dass die Vorschlä ge im Gesetzentwurf vor allem zur Flucht aus den Vorgaben der Landesheimbauverordnung genutzt werden könnten, et wa durch die bloße Umwandlung stationärer Einrichtungen in ambulant betreute WGs, ohne einen einzigen Platz mehr ge schaffen zu haben, aber eben auch, ohne die Standards, die dafür erforderlich sind, erbringen zu müssen. Das wäre dann wirklich ein Etikettenschwindel.
Wir wollen weder Substandards für ambulant betreute Wohn gemeinschaften noch „Pflegeheime light“ durch die Hintertür etablieren.
Ich muss wirklich auch noch einmal mit dieser immer wieder gebetsmühlenartig vorgetragenen Leier aufräumen, das sei ein bürokratischer Bremsklotz für den Ausbau ambulant betreu ter Wohngemeinschaften. Ich muss Ihnen die Dynamik noch einmal schildern: Wir hatten 2011 – da gab es keine ordentli che Rechtslage, das waren halb geduldete Free-Wheeling-Sta tionen – Standorte in Eichstetten, Nürtingen, Esslingen, Ost fildern,