Wir halten die Dynamisierung wegen der Individualität der Bedarfslagen für notwendig, und Sie halten eine Dynamisie rung wegen der Bedarfe der Anbieter für notwendig.
Ganz zum Schluss möchte ich noch einmal Herrn Haußmann ganz direkt ansprechen. Sie haben Ihre Rede letztes Mal mit dem Satz begonnen: „Heute ist ein guter Tag für die Pflege.“ Ich möchte gern mit folgender Aussage aufhören: Heute ist ein guter Tag für die Pflege, weil das Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz wirkt. Es wird jetzt wirken, und das wird auch in Zukunft so bleiben. Bleiben Sie gesund.
Sehr geehrte Frau Prä sidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Gesellschaft wird im Durchschnitt immer älter, die Lebenserwartung im mer höher. Das zeigen die neuesten Zahlen des Statistischen Landesamts. So waren 2017 knapp 290 000 Menschen in Ba den-Württemberg älter als 85 Jahre. Diese Zahl wird sich bis zum Jahr 2060 verdreifachen.
Diese Entwicklung ist nicht neu, aber sie bestätigt, wie wich tig es war, das damalige Landesheimgesetz durch das WTPG abzulösen, das Gesetz für unterstützende Wohnformen, Teil habe und Pflege. Das WTPG ist aber mehr als eine Reform; es steht für einen grundlegenden Systemwechsel. Vor allem ist es jedoch eine wichtige Wegmarke auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft.
Umso bedauerlicher ist es, dass die FDP/DVP lieber alte We ge gehen möchte. Lassen Sie mich in zwei Punkten verdeut lichen, warum die CDU den vorliegenden Entwurf ablehnt.
Erstens: Ob in Stadt oder Land, ambulant betreute Wohnge meinschaften ermöglichen Menschen mit Unterstützungsbe darf, selbstbestimmt zusammenzuleben. Sie sind eine Einla dung an die Bürgerinnen und Bürger zur Mitbeteiligung. Mit anderen Worten: Das WTPG ist eine große Chance.
Der FDP/DVP-Entwurf sieht das ähnlich, allerdings nicht als Chance für die Menschen, sondern als Chance für die Träger. Seine Zielsetzung, ambulant betreute Wohngemeinschaften auch unter dem Dach von stationären Pflegeheimen zu ermög lichen, nützt nicht den Bewohnerinnen und Bewohnern, son dern einzig und allein den Anbietern. Würden wir dem Ent wurf folgen, würden wir nicht nur die bauliche, organisatori sche und wirtschaftliche Selbstständigkeit der Wohngemein
schaften wieder rückgängig machen. Wir würden auch zent rale und rechtssichere Kriterien zur Abgrenzung von stationä ren Einrichtungen der Pflege schwächen, nämlich die Selbst bestimmung und die Eigenverantwortlichkeit. Kurzum: Der Gesetzentwurf möchte den Charakter der ambulanten Wohn gemeinschaften verwässern und das Herzstück des WTPG aushöhlen. Wir von der CDU werden dies nicht mittragen.
Zweitens. Zugegeben: Die CDU war vor vier Jahren sehr skeptisch, ob es gelingen würde, das WTPG mit Leben zu er füllen. Deswegen haben wir seinerzeit das Gesetz abgelehnt. Allerdings hat uns die Realität eines Besseren belehrt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Grünen – Abg. Jochen Haußmann FDP/DVP: Warum haben Sie es dann in den Koalitionsvertrag hineingeschrie ben?)
Der Teilhabegedanke wird in der Praxis nicht nur umgesetzt, er wird gelebt. Hierfür genügt ein Blick in den Bericht des So zialministeriums von Ende 2017. Dieser Bericht belegt ein deutig: Sowohl die selbstverantworteten wie die ambulant be treuten Wohngemeinschaften als neue Wohnform gewinnen stark an Bedeutung. Die Behauptung, es fehle an einer Grün dungsdynamik, ist daher schlichtweg falsch.
Im Gegenteil: Seit 2014 nimmt die Zahl der Wohngemein schaften ständig zu. Allein 2017, also innerhalb eines Jahres, sind 50 Wohngemeinschaften dazugekommen. Diese Entwick lung wollen wir nicht abwürgen, sondern für die Zukunft er halten.
Deswegen mein Rat an Sie, liebe Freie Demokraten: Spei chern Sie nicht nur Berichte irgendwo, lesen Sie diese auch.
Lassen Sie mich zusammenfassen, warum die CDU eine Ge setzesänderung ablehnt. Das jetzige WTPG stellt den Men schen in den Mittelpunkt. Es steht für Lebensqualität und Viel falt. Vor allem steht es für Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Unterstützungsbedarf sowie von Menschen mit Behinderungen. Diese Menschen haben unser Engage ment verdient. Sie haben es verdient, dass wir ihnen sagen: „Ihr seid selbstbestimmt. Ihr wisst selbst, was gut für euch ist.“
Liebe Damen und Herren, mit dem WTPG haben wir frühzei tig die Weichen für einen steigenden Pflegebedarf gestellt. Da bei ist auch klar, dass wir auf dem Weg hin zu dieser Teilha begesellschaft noch manche Baustellen vor uns haben. Mein abschließender Appell lautet: Lassen Sie uns auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft für die Menschen konstruktiv weiterarbeiten. Dazu sind alle herzlich eingeladen.
(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen – Abg. Winfried Mack CDU: Sehr gut! Prima! – Abg. Nicole Razavi CDU: Gut gemacht!)
Sehr geehrte Frau Präsidentin, mei ne Damen und Herren Abgeordneten! Bereits in der ersten Le sung ergab sich eine sehr klare und eindeutige Einschätzung zum Vorstoß der FDP/DVP, die sich nun auch in der zweiten Lesung gefestigt hat. Herr Lucha, ich darf Sie zitieren: „FDP – Allein zu Haus“.
Da das Ministerium für Soziales und Integration in seiner Stel lungnahme bereits alle Punkte des Gesetzentwurfs widerleg te und auf die rechtslogischen Ziele verwies, möchte ich nun auf zwei Punkte eingehen. Der Gesetzentwurf der FDP/DVP zeigt zum einen, dass auch die AfD durchaus einer Meinung mit der Landesregierung sein kann. Denn die neu geschaffe nen Wohnformen nach dem Wohn-, Teilhabe- und Pflegege setz stellen ein gutes Konzept dar. Der Gesetzentwurf der FDP/DVP würde dieses geradezu genau ins Gegenteil verkeh ren. Er würde von der Eigenverantwortung, die die Kollegin gerade angesprochen hat, und Selbstbestimmung wegführen hin zu profitorientiertem Wirtschaften.
Der Gesetzentwurf zeigt zum anderen sehr deutlich, dass die ausgedachten Änderungen am bestehenden Gesetz gerade das Herzstück, die ambulant betreuten Wohngemeinschaften, er heblich verwässern würden.
Besonders interessant ist, dass uns die FDP/DVP dies unter dem Deckmantel von Dynamik zur Schaffung neuer Angebo te und Entbürokratisierung verkaufen möchte. Aktuelle Zah len bestätigen bereits jetzt die Gründungsdynamik. Ambulan te Wohneinheiten gewinnen gerade wegen dieses Konzepts stetig an Zulauf. Von ursprünglich 20 Wohneinheiten, die zu Beginn des WTPG vor drei Jahren gestartet sind, stieg deren Zahl aktuell auf 300.
Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf der FDP/DVP scheint es weniger um die betroffenen Einzelpersonen zu gehen als vielmehr darum, es den Investoren einfacher zu machen. Dies zeigt beispielsweise die Intention, die Zulassung von mehr als zwei ambulant betreuten Wohneinheiten in unmittelbarer Nä he zu ermöglichen oder eine Liberalisierung hinsichtlich der Ausbildung und der Anzahl der Pflegekräfte vorzunehmen.
Der Gesetzentwurf enthält darüber hinaus auch rechtslogische Fehler. Danach sollen ambulant betreute Wohngemeinschaf ten unter dem Dach einer stationären Einrichtung angeboten werden können. Die Landesheimbauverordnung ermöglicht allerdings bereits jetzt das Zusammenleben von kleinräumi gen individuellen Wohngruppen innerhalb einer stationären Einrichtung. Ebenso verhält es sich bei der Forderung, dass der Anbieter auch Pflegeleistungen anbieten kann. Auch dies ist nach geltendem Recht bereits jetzt möglich.
Was die FDP/DVP gänzlich übersieht, ist der ursprüngliche Gedanke dieser neu geschaffenen Wohngemeinschaften. Durch das häusliche Zusammenleben in einem normalen, überschaubaren und familiären Umfeld soll mit dem WTPG sichergestellt sein, dass die Würde, die Interessen und auch die Bedürfnisse von hilfsbedürftigen Menschen gewahrt wer den.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der FDP/DVP sehen wir diesen Ursprungsgedanken stark gefährdet. Wir, die AfD, un terstützen unbürokratische Lösungen, vergessen dabei aber nicht, dass im Mittelpunkt unseres Handelns immer das Wohl der Menschen stehen muss.
Hinsichtlich der Finanzierung regen wir daher an, alle genann ten Anbieter gleichermaßen fair zu behandeln.
Es darf nicht sein – wie bereits im Bericht der Landesregie rung angesprochen –, dass Privaten wie Bürgergenossenschaf ten bei der Vergabe von Mitteln durch die Stiftung Deutsches Hilfswerk keine Möglichkeit eingeräumt wird.
Frau Krebs, Sie haben vorhin dem Kollegen Baron vorgewor fen, er hätte nicht zum Gesetz gesprochen. Das haben Sie auch nicht.
(Beifall bei der AfD – Abg. Petra Krebs GRÜNE: Ich habe zu Herrn Haußmann gesprochen! – Staatssekre tärin Bärbl Mielich: Herr Haußmann ist doch das Ge setz! – Vereinzelt Heiterkeit)
Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen und Kollegen! So gesehen, werde auch ich nicht zum Ge setzentwurf sprechen, denn auch in der zweiten Lesung leh nen wir Ihren Gesetzentwurf, wie erwartet, ab.
Ich habe das ja schon im Rahmen der ersten Lesung am 19. Ju li ausreichend begründet. Für uns sind die Argumente ausge tauscht. Wir haben auch in der Sitzung des Sozialausschusses am 20. September noch einmal ausgiebig über den Gesetzent wurf diskutiert. Sie haben gemerkt, liebe Kollegen von der FDP/DVP, dass auch dort Ihrer Intention mehrheitlich nicht gefolgt wurde.
Das von der SPD gemeinsam mit den Grünen in der letzten Legislaturperiode verabschiedete Wohn-, Teilhabe- und Pfle gegesetz basiert nämlich auf einem gut austarierten System von ambulant betreuten Wohngemeinschaften auf der einen Seite und stationären Einrichtungen auf der anderen Seite, zu denen eine klare Abtrennung zum privaten Wohnen im Alter und bei Pflegebedürftigkeit gezogen ist. Mir scheint es immer noch so zu sein, dass die FDP/DVP diese von uns im Gesetz auch klar benannten Unterschiede einfach nicht akzeptieren will. Also, wir sind – das hat man hier jetzt auch wieder ge merkt – mehrheitlich anderer Meinung.
Entsprechend unterstützen wir die Beschlussempfehlung des Ausschusses und lehnen, wie gesagt, den Gesetzentwurf ab. Mehr Worte sind dazu auch nicht nötig.
Ich möchte trotzdem die Gelegenheit nutzen, meine restliche Redezeit darauf zu verwenden, mein Bedauern darüber zum Ausdruck zu bringen, dass die CDU ihrer ursprünglichen An kündigung, dass heute eine Aktuelle Debatte zum Thema Pfle ge geführt wird, nicht entsprochen hat. Ich hätte mich sehr ge freut, wenn wir an dieser Stelle diese Debatte geführt hätten.
Am Ende meiner ersten Rede über den Gesetzentwurf der FDP/DVP habe ich dem Sozialminister vor den Sommerferi en dazu gratuliert, dass er sich gegenüber seinem Koalitions partner CDU durchgesetzt hat, dass es keine Änderungen an der Landesheimbauverordnung und an der Einzelzimmerre gelung geben soll. Ich fürchte, ich muss diese Gratulation heu te zurücknehmen. Denn mit der Formulierung in ihrem Posi tionspapier stellt die CDU diese Regelung erneut infrage und stellt sich damit auch gegen Ihre Absicht, Herr Minister Lucha, die wir teilen.
Ihr Koalitionspartner scheint Ihnen offenbar auch nicht zu glauben, dass die Heimaufsichten nach dem bestehenden Recht Ausnahmeregelungen zulassen können.