Protocol of the Session on June 29, 2016

Wer Zweifel an Europa hat, dem möchte ich zum Schluss et was empfehlen. Der Sommerurlaub naht. Machen Sie auf dem Weg in den Sommerurlaub doch einmal einen Abstecher nach Verdun. Besichtigen Sie die Schlachtfelder, wo vor genau 100 Jahren mehr als 300 000 junge Europäer im sinnlosen Grana tenhagel gestorben sind. Mein Urgroßvater war im Krieg. Mein Großvater war im Krieg. Mein Vater hat seine besten Jahre im Krieg verbringen müssen. Wir gehören zu einer Ge neration, die die längste Friedenszeit der modernen Geschich te erleben darf.

(Zuruf von der AfD: Waffenexporte!)

Auch das ist dank Europa möglich geworden. Auch das müs sen wir immer wieder transportieren.

(Beifall bei der CDU, den Grünen und der SPD so wie Abgeordneten der AfD und der FDP/DVP)

Deshalb – wenn ich nun zum Schluss komme –: Überlegen Sie, wie wir heute leben: freies Reisen, bezahlen mit der ge meinsamen Währung, studieren und arbeiten ohne Grenzen, europäische Bürger- und Verbraucherrechte, Wohlstand und Frieden. Entscheiden Sie dann selbst, ob die Europäische Uni on mit all ihren Fehlern und Schwächen nicht doch der bes sere Weg für Europas Zukunft ist.

Lassen wir nicht zu, dass Kleingeistigkeit und Spaltung die se Zukunft bedrohen. Machen wir uns gemeinsam stark für ein freies, für ein einiges, für ein großartiges Europa mit sei ner christlich-abendländischen Kultur. Deshalb: Lasst uns, wie der Titel der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten lautet, mit neuer Leidenschaft für diese großartige Idee Euro pa eintreten. Wer, wenn nicht wir? Wo, wenn nicht hier? Wann, wenn nicht jetzt?

Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU – Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der SPD und der FDP/ DVP)

Für die Fraktion der AfD er teile ich Herrn Fraktionsvorsitzendem Dr. Meuthen das Wort.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, geschätzte Abgeordnetenkollegen! Vorab: Wir begrüßen es ausdrücklich, dass die Regierung in Person von Ministerprä sident Kretschmann sich zum Austritt des Vereinigten König reichs aus der Europäischen Union äußert und eine aktuelle Aussprache dazu einberufen hat.

Die Entscheidung des britischen Volkes vom vergangenen Donnerstag hat in der Tat eine historische Dimension. Sie be trifft unser Bundesland Baden-Württemberg auf vielfältige Weise. Deshalb ist es richtig, dass sich das Parlament heute aus diesem Anlass damit befasst.

Vermutlich werden Sie jetzt denken, damit erschöpfe sich auch bereits die Gemeinsamkeit. Denn was nun meinerseits folge, werde eine einzige Ode an den Austritt Großbritanni ens sein; ich würde die üble EU in Bausch und Bogen ver dammen und als Redner für die AfD mithin das Gegenteil von all dem intonieren, wofür die Redner aller anderen Fraktio nen einträten.

Nun liegt mir in der Tat eine Betrachtung der Dinge, wie sie Herr Ministerpräsident Kretschmann und viel mehr noch die Kollegen Stoch und Schwarz hier dargelegt haben, sehr fern. Ich werde Ihnen das sogleich auch begründen.

Zuvor aber erlauben Sie mir bitte – dies durchaus in meiner Doppelfunktion als Vorsitzender der Fraktion der AfD wie auch als Bundessprecher dieser Partei –, auf eine weitere Ge meinsamkeit hinzuweisen: Auch wir sind entschiedene Freun de des Friedensprojekts Europäische Union.

(Beifall bei der AfD – Abg. Winfried Mack CDU: Ein paar haben geklatscht!)

Das ist ja schön. Da freue ich mich.

(Abg. Winfried Mack CDU: Nicht alle! – Gegenruf des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner AfD: Sie können auch klatschen! Das war doch eine gute Aussage!)

Auch wir wissen um politische wie ökonomische Verdienste dieses mehr als 60 Jahre bestehenden Bündnisses. Entgegen weit verbreiteter Vorurteile stehen wir mitnichten für die uns gern unterstellte Position einer Rückkehr zu Nationalismus und einer Abkehr von der Europäischen Union. Das tun wir nicht, meine Damen und Herren, wie wir es uns überhaupt so einfach nicht machen.

Wenn man meiner Partei nachsagt, wir seien Eurogegner, dann stimmt das. Denn das bezieht sich auf die völlig verkorkste und de facto längst gescheiterte Idee, eine wie auch immer ge artete europäische Einigung auf dem Weg einer gemeinsamen Währung von oben erzwingen zu können. Das war Kohls Kernfehler.

(Beifall bei der AfD)

Nicht etwa die ersehnte Konvergenz hat dieses Projekt ge bracht, sondern – ganz im Gegenteil – eine immer weiter rei chende Divergenz, ein Auseinandertreiben der Staaten. Wir können das erleben: Während es dem Süden Europas, insbe sondere Griechenland, mit dieser Währung immer schlechter geht, geht es uns hier – gerade uns in Baden-Württemberg – damit sehr gut. Das aber ist ein Auseinandertreiben, und das ist hochgefährlich. Für den, der die Theorie und Praxis opti maler Währungsräume auch nur ein wenig kennt, war es von Beginn an eine sichere Prognose, dass es so kommen wird.

Wenn man meiner Partei nun nachsagt, wir seien EU-Gegner, so ist das in dieser generalisierenden Form falsch. Denn das übersieht die Verdienste der EU, die wir durchaus anerken nen. Wir richten uns nicht grundsätzlich gegen die EU als su pranationales Konstrukt europäischer Nationalstaaten. Wir richten uns allerdings z. B. entschieden gegen das, was die nur vermeintlichen europäischen Eliten in den letzten Jahrzehn ten daraus gemacht haben.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD – Abg. Winfried Mack CDU: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!)

Wenn man uns, der AfD, schließlich, wie der Herr Minister präsident dies auch immer wieder einmal tut, nachsagt, wir seien Europagegner, dann ist das komplett falsch und eigent lich eine Unverschämtheit.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Wir sind wie Sie Deutsche und Europäer. Wie könnten wir al so gegen Europa sein? Ganz im Gegenteil, wir sind deutsche, und wir sind auch europäische Patrioten – ein Begriff, mit dem eher die Grünen und die Sozialdemokraten als wir Schwierig keiten haben.

(Vereinzelt Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg. An dreas Schwarz GRÜNE)

Lassen Sie uns also bitte die Begriffe Euro, EU und Europa nicht in schwammiger Beliebigkeit durcheinanderwerfen, wie es die Berufseuropäer so gern tun –

(Beifall bei der AfD)

und dies durchaus bewusst, wie man vermuten darf. Die pe netrante Gleichsetzung von EU und Europa, wie sie auch ei nige meiner Vorredner hier an den Tag gelegt haben, wollen wir nicht mitmachen. Sie beleidigt übrigens auch eine ganze Reihe europäischer Nationen, die sehr wohl zu Europa gehö ren, die aber ganz bewusst der Europäischen Union nicht an gehören wollen. Denken Sie an die Schweiz, denken Sie an Norwegen, denken Sie an Island. Vielmehr unterscheiden wir da sehr sorgsam.

Wir können und müssen zunächst einmal ganz banal feststel len, dass sich die Briten am vergangenen Donnerstag nicht et wa entschlossen haben, den Euroraum zu verlassen; denn die sem haben sie, ökonomisch klug und politisch freiheitlich, wie sie sind, sowieso noch nie angehört. Auch haben sie mitnich ten, wie manche kolportieren, Europa verlassen; das ginge auch gar nicht. Sie haben sich allein – und das mit knapper Mehrheit – dafür entschieden, der EU künftig nicht mehr an gehören zu wollen. Wir sind allesamt gut beraten, das nicht allzu emotional, sondern mit einer den Briten selbst durchaus eigenen Nüchternheit zu betrachten.

Es drängt sich auch die Frage auf: Warum haben die Briten das getan? Warum haben sie sich als erste Nation überhaupt zu diesem Schritt entschlossen? Mit einem schlichten „Die spinnen, die Briten!“ mögen sich vielleicht Asterix und Obe lix noch einiges erklärt haben; hier indes verfängt das nicht.

(Beifall bei der AfD)

Ganz im Gegenteil: Die spinnen eben nicht, die Briten. Man muss nur den genaueren Blick wagen, dann wird klar, wer hier spinnt und wer eben nicht. Die Briten sind ein vernunftbegab tes und ein Vernunft nutzendes Volk. Es ist schlicht eine Un geheuerlichkeit, mit welcher dümmlichen Arroganz jetzt hier zulande in den öffentlich-rechtlichen Medien und in den Flu ren der Brüsseler Behörden den Briten die Vorhaltung gemacht wird, sie hätten halt nicht verstanden, über was sie eigentlich abstimmen.

(Abg. Sabine Wölfle SPD: Die Folgen!)

Doch, das haben sie. Sie haben das Glück, selbst darüber ab stimmen zu dürfen, was man uns Deutschen nach wie vor in solchen Fragen vorenthält.

(Beifall bei der AfD)

Wir könnten uns sonst am Ende noch als ähnlich klug erwei sen, dem Willen der – nur vermeintlichen – Eliten zum Trotz. Der alten Devise „Das Volk, der Lümmel“ folgend, untersagt man uns das hier – jedenfalls noch.

Man zieht nun bizarrerweise das britische Referendum als ver meintlichen Beleg dieser Hypothese gegen Volksabstimmun gen heran. Herr Stoch – er ist gerade nicht im Raum; doch, er kommt wieder herein –, machen Sie sich doch bitte eines be wusst: Ein Referendum wie das britische ist keine Krise der Demokratie in Europa, wie Sie es eben gesagt haben.

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner AfD: Ja, genau! – Abg. Andreas Stoch SPD: Das Ergebnis!)

Vielmehr ist das Referendum Ausdruck funktionierender De mokratie in Europa. Die Briten stimmen über den Verbleib ab.

(Beifall bei der AfD – Zuruf von der AfD: Richtig!)

Welch eine Arroganz der Macht offenbart sich darin – die sich freilich angesichts des Ergebnisses des Referendums eher in eine Ohnmacht verkehrt, die wir erleben.

Warum also haben 52 % der Briten mit „Leave“ gestimmt? Warum ist das alles andere als irrational, wo doch damit ver meintlich gegen Europa und gegen den europäischen Frieden votiert wurde?

Nun, zunächst haben die Briten mitnichten gegen Europa und schon gar nicht gegen ein friedfertiges Europa gestimmt. Da zu sind sie viel zu klug, in der Tat und Gott sei Dank. Sie ha ben halt etwas genauer hingeschaut, als das hierzulande üb lich ist; schließlich durften sie auch abstimmen, dann lohnt sich ja der genauere Blick auch.

(Beifall bei der AfD – Heiterkeit des Abg. Dr. Hein rich Fiechtner AfD – Abg. Reinhold Gall SPD: Das sagen alle Umfragen, über was sie abgestimmt ha ben! Meine Güte!)

Was haben sie dabei entdeckt? Zunächst einmal allerlei EUEliten – das Wort „Eliten“ verstehe ich hier immer in Anfüh rungsstrichen –, die wie die Made im Speck eine Brüsseler und eine Straßburger Existenz leben, von den Steuergeldern der Bürger, von denen sie sich mit den Jahren meilenweit ent fernt haben.

(Beifall bei der AfD – Abg. Winfried Mack CDU: Meine Güte! – Abg. Reinhold Gall SPD: Von wel chem Geld bezieht Frau Storch ihre Bezüge?)

Ich weiß nicht, wie oft Sie sich im EU-Parlament bewegen. Ich war dort verschiedentlich.

(Abg. Winfried Mack CDU: Sie leben doch hier auch von Steuergeldern! – Abg. Wolfgang Drexler SPD: Wollen wir fragen, ob er zurücktritt? – Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE – Unruhe)