Nochmals: Die SPD steht für die Zustimmung im Bundesrat. Wunder erwarten wir von der Einstufung als „sichere Her kunftsstaaten“ jedoch nicht. Die echten Herausforderungen liegen in der Flüchtlingsfrage auf einem anderen Gebiet – dort ist unser Sozial- und Integrationsminister zuständig –: Wir müssen uns vorrangig um eine gelingende Integration der Menschen, die aus nicht sicheren Herkunftsländern kommen – Wohnen, Bildung, Arbeit und soziale Teilhabe –, kümmern.
Herr Präsident, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Die Frage, ob irgendein Land ein siche res Herkunftsland ist – – Wobei ich an dieser Stelle einfügen muss: Wir betrachten das Konzept der sicheren Herkunftslän der zwar nicht als Wundermittel – das gibt es nicht –, aber durchaus als schlüssig, hilfreich und notwendig. Auch wir sind gespannt, ob Ihnen etwas Besseres einfällt. Hierzu haben wir ja eine Anfrage gestellt.
Wenn nun diese Frage, ob irgendein Land ein sicheres Her kunftsland ist, geklärt werden muss, kann dies nur nach einem ganzen Katalog von objektiv überprüfbaren Kriterien gesche hen. Das muss auch an einer Stelle geschehen, die am besten Bescheid weiß, ob diese Kriterien erfüllt sind, und diese Stel le – das muss ich jetzt einmal sagen – ist für mich der Bund.
Als Vergleich fällt mir hierzu ein: Wenn das Auswärtige Amt vor Reisen nach Ägypten warnt, dann habe ich bisher noch nicht erlebt, dass auch nur ein einziges Land in Deutschland erklärt hätte: Ägypten ist eigentlich doch sicher. Denn die Länder wissen eigentlich genau, dass der Bund die nächsten und besten Informationen zu diesem Thema hat.
Jetzt kann man nicht übersehen, dass im Fall der MaghrebStaaten entschieden wurde, und zwar nach einem ganz auf wendigen Prüfungsverfahren, unter Beachtung sämtlicher Kri terien, die auch in der Debatte schon angesprochen wurden.
Es ist sorgfältig geprüft worden, ob dort Verfolgung, Folter, unmenschliche, erniedrigende Bestrafung usw. drohen. Dabei sind die europäischen Vorschriften eingehalten worden. Da bei ist auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsge richts berücksichtigt worden. Dann ist man auf Bundesseite
zu dem Schluss gekommen, dass die Maghreb-Staaten siche re Herkunftsländer sind, wobei zu Recht mehrfach betont wor den ist, dass dies nicht heißt, dass es in keinem Fall mehr Asyl geben würde. Man drückt es so aus:
Vereinzelte Schutzgewährungen stehen einer Einstufung der genannten Staaten als sichere Herkunftsstaaten auch deshalb nicht entgegen, weil die damit verbundene Ver mutung der Verfolgungssicherheit widerlegbar ist.
Da kann man nicht meckern, da kann man eigentlich nur zu stimmen. Warum eigentlich nicht? Wo sind die Gründe?
Ministerpräsident Kretschmann hatte bei einem vorangegan genen Vorgang ja noch einen Handel versucht, bei dem von unserer Seite dann zu Recht angemerkt wurde, dass man die Frage, ob ein Herkunftsland sicher ist, wahrscheinlich nicht im Wege eines politischen Deals entscheiden kann. Vielmehr ist ein solches Land sicher, oder es ist nicht sicher. Nach Bun deseinstufung sind diese Länder sicher, und insoweit folge richtig hat Ministerpräsident Kretschmann nach einigem Zö gern auch angekündigt, er wolle zustimmen.
Womit wir wieder einmal die Situation haben, dass Minister präsident Kretschmann A sagt, und die Grünen sagen und ma chen B. Hier in Baden-Württemberg haben Sie ja wenigstens noch halbherzige Unterstützung bekommen, aber Sie wissen genau, dass die Grünen außerhalb Baden-Württembergs – auch Teile der SPD, aber vor allem natürlich die von den Grü nen mitregierten Länder – nicht beabsichtigen zuzustimmen und das schon deutlich gemacht haben.
Jetzt mögen manche dieses Spiel – so hätte ich beinahe ge sagt – „Kretschmann sagt A, die Grünen sagen B“ immer noch als einen Ausdruck persönlicher Unabhängigkeit wahrneh men. Aber ich muss gestehen, für mich stellt sich allmählich natürlich auch die Frage, ob das nicht auch Fragen nach per sönlicher Glaubwürdigkeit aufwirft.
Wenn ich weiß, dass meine Partei sowieso anders will, dann habe ich einerseits eine Menge Handlungsmöglichkeiten, an dererseits weiß ich aber auch, dass ich keinen Einfluss habe. Man muss den Leuten eigentlich dann auch deutlich sagen, dass man keinen Einfluss hat, dass man als baden-württem bergischer Ministerpräsident an dieser Stelle in seiner Partei nichts zu sagen hat. Das muss man den Leuten dann auch deutlich sagen.
Aus umgekehrter Perspektive sagen Ihre grünen Freunde ak tuell: „Mach ruhig, was du willst, du kannst in Stuttgart dein Publikum unterhalten, wir brauchen dich sowieso nicht für unsere Mehrheit.“ Das könnte man, meine Damen und Herren, auch als Narrenfreiheit bezeichnen. Aber Narrenfreiheit ha ben bekanntlich nur Narren und nicht die, die etwas zu sagen haben. Narrenfreiheit bei den Grünen, Herr Kretschmann, ist mir persönlich für einen baden-württembergischen Minister präsidenten etwas zu wenig.
Was die CDU anbelangt, hat sie natürlich wieder einmal ei nen Scheinerfolg erzielt; denn mit dem Zugeständnis der Zu
stimmung, wenn sie kommt, bekommt sie von Ministerpräsi dent Kretschmann ein letztlich wertloses Geschenk. Das wis sen auch alle Beteiligten.
Insgesamt bleibt für mich der Eindruck zurück, dass das Land mit dieser Koalition offensichtlich kein sonderliches Gewicht im Bund entfaltet. Das ist nicht gut. Das muss man hier leider festhalten.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Landesregierung von Baden-Württemberg hat sich in den letzten Wochen ganz intensiv mit der Frage beschäftigt, ob die nordafrikanischen Länder Algerien, Marokko und Tunesien zu sogenannten sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden sol len – im Übrigen nicht nur im Vorfeld der Bundesratssitzung vom 17. Juni, sondern innerhalb der Koalition bereits inten siv während der Koalitionsverhandlungen.
Dieser Verabredung folgend hat die Landesregierung auch ent schieden, dass wir einer solchen Einstufung zustimmen wer den. Rasche Asylverfahren und zeitnahe Aufenthaltsbeendi gungen dürfen insbesondere auch die Kommunen in BadenWürttemberg erwarten. Sie sind diejenigen, die für die Ver sorgung und Unterbringung von Asylsuchenden die Kosten tragen und die vor Ort die Integration vorantreiben müssen. Deswegen hat sich der Deutsche Städte- und Gemeindebund dementsprechend für die Einstufung der Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsstaaten ausgesprochen. Das ist im kommu nalen Interesse richtig so. Deswegen ist auch die Entschei dung der Landesregierung richtig und sinnvoll.
Die Zahl der Menschen aus Algerien, Marokko und Tunesi en, die in Deutschland einen Asylantrag gestellt haben, ist in den letzten Jahren stark gestiegen, um nicht zu sagen: sehr stark gestiegen. 2012 waren es noch rund 1 500 Asylantrag steller, 2015 schon knapp 5 000. Das ist eine Zunahme um 250 %. Diese Tendenz setzt sich im Grunde genommen auch in diesem Jahr fort. Bis Ende Mai haben bereits knapp 3 200 Menschen aus diesen drei Staaten einen Asylantrag in Deutsch land gestellt. Diese Entwicklung kann im Übrigen auch nicht auf eine veränderte politische Situation oder auf kriegsähnli che Zustände wie etwa in Syrien zurückgeführt werden. Die Schutzquote in diesen Ländern ist sehr niedrig. Sie liegt bun desweit im laufenden Jahr zwischen 0,5 und 2,2 %. Das heißt, die Asylantragsteller aus diesen Staaten kommen fast aus nahmslos aus asylfremden Gründen.
Angesichts dieser Zahlen ist es notwendig und fair, den Men schen in den Maghreb-Staaten zu verdeutlichen, dass unser Asylsystem nur für wirklich Schutzbedürftige zugänglich ist.
Wir alle wissen, die Situation in Algerien, Marokko und Tu nesien ist schwierig, und vielen, insbesondere jungen Men schen fehlt dort die Perspektive. Aber über das Asylrecht – darauf hat der Kollege Mack zu Recht hingewiesen – können wir das Elend und die Not in dieser Welt nicht bekämpfen.
Mit der Botschaft, dass ein Asylantrag in Deutschland keine Aussicht auf Erfolg hat, mit der Botschaft, dass die Verfahren in Deutschland sehr schnell erledigt werden, mit der Bot schaft, dass man sehr schnell wieder zurückgeführt wird, er sparen wir diesen Personen die Illusion, dass sie sich mit be achtlichen Aufwendungen, zum Teil unter dem Risiko des Ver lusts ihres eigenen Lebens, ohne wahre Perspektive auf den Weg nach Deutschland machen.
Das ist auch tieferer Sinn, sichere Herkunftsstaaten zu haben, dass es nämlich ein Signal gibt an diejenigen, die keinen Asyl grund haben, sondern aus asylfremden Gründen nach Deutsch land kommen wollen: Macht euch nicht auf den Weg,
bezahlt nicht mit dem letzten Geld, das ihr habt, euren Schleu ser und euren Schlepper. Ihr werdet schnell wieder da sein, wo ihr hergekommen seid,
Es ist deswegen auch im Interesse dieser Menschen, dass wir solche Länder zu sicheren Herkunftsstaaten erklären.
Der Flüchtlingsschutz umfasst nicht die Flucht aus asylfrem den Gründen. Das gilt für unser Grundgesetz, und das gilt für die Genfer Flüchtlingskonvention. Wer ein besseres Leben sucht, ohne in seiner Existenz etwa an Leib und Leben be droht zu sein, kann keine Asylgründe für sich in Anspruch nehmen. Dafür gibt es andere Wege. Wir sind es im Übrigen auch denen, die wirklich an Leib und Leben bedroht sind, die wirklich politisch verfolgt sind, schuldig, dass wir das nicht vermengen.
Deswegen ist die Unterscheidung wichtig. Wer tatsächlich hu manitär schutzbedürftig ist, wer hierher geflohen ist vor Krieg, Vergewaltigung, Tod, für den haben wir auch in Zukunft eine offene Tür und ein offenes Herz. Wer aus anderen Gründen kommt, beispielsweise aus nachvollziehbaren wirtschaftlichen Gründen, kann das im Rahmen der allgemeinen aufenthalts rechtlichen und ausländerrechtlichen Bestimmungen tun – dort gibt es im Übrigen Möglichkeiten –, aber eben nicht un ter dem Gesichtspunkt des Asylrechts.
Deswegen möchte ich auch in aller Deutlichkeit klarstellen: Die Erklärung zu einem sicheren Herkunftsstaat ist kein Frei brief für die pauschale Ablehnung von Asylanträgen. Das Asylverfahren ist individuell für jeden Asylbewerber offen. Die Verfahren werden zwar beschleunigt, aber es gibt für je den, der das möchte, ein individuelles Verfahren, sofern indi viduelle Asylgründe dargelegt werden. Den Betroffenen wird im Übrigen lediglich aufgegeben, solche Asylgründe glaub haft zu machen. Das heißt, sie müssen sie nicht beweisen, son dern es muss ein schlüssiger Vortrag sein.
Dass die Bundesregierung noch einmal zugesichert hat, dass es für die sogenannten vulnerablen Gruppen selbstverständ lich in jedem Einzelfall ein solches individuelles Asylverfah ren gibt, hilft, entspricht im Übrigen aber auch der Rechtsla ge.
Insofern bleibt das Recht auf Asyl selbstverständlich gewahrt; es steht weiterhin jedem offen, der von Verfolgung betroffen ist. Der vorliegende Gesetzentwurf entspricht jedoch schlicht der Realität, indem er die Fakten einer kaum vorhandenen An erkennungsquote in der praktischen Gesetzesanwendung an erkennt. Mit der Zustimmung zu diesem Gesetz ermöglichen wir einen sachgerechten Umgang mit den Tatsachen und Er fordernissen, ohne das Grundrecht auf Asyl zu beeinträchti gen.