Protocol of the Session on June 29, 2016

Zunächst ändert das nämlich noch immer rein gar nichts dar an, dass man in diesem Land immer noch nicht willens und in der Lage ist, unsere Grenzen wirksam zu schützen. Da zeigt man lieber vom hohen moralischen Ross auf die südöstlichen Nachbarländer, die genug Verstand aufbringen, um auf die akute Bedrohung ihrer inneren Sicherheit zu reagieren und ih re Grenzen zu schließen. Dafür übrigens meinen Dank an die se Staaten.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Des Weiteren ändert diese Einstufung auch rein gar nichts da ran, dass man immer noch – ganz egal, woher man kommt – seinen Pass „verlieren“ und vergleichsweise leicht einen sy rischen Pass erwerben kann, um dann in Deutschland Asyl zu beantragen. Das ändert auch nichts daran, dass unser gelten des Asylrecht ohne wirksamen Grenzschutz überhaupt nicht funktioniert.

Es ändert nichts an der nach wie vor hoffnungslosen Überlas tung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Es än dert nichts daran, dass es bei einer Zahl von mehr als 476 000 Asylanträgen im Jahr 2015 nicht mehr zu einer genauen Ein zelfallprüfung kommt und angesichts dieser Zahlen auch nicht kommen kann. Es ändert nichts daran, dass wir nicht verhin dern können, dass die wirklich Schutzbedürftigen unsere Hil fe nicht bekommen, während einige von jenen, die sich an Sil vesteraktivitäten wie denen in Köln beteiligten, sogar eine Aufenthaltserlaubnis hatten oder erhalten.

Wir teilen grundsätzlich sogar einmal die Sorgen eines Grü nen-Politikers: Oliver Hildenbrand war von dem Kuhhandel, den Herr Kretschmann mit der Kanzlerin geschlossen hat, we nig begeistert. Die Bundesregierung habe Herrn Kretschmann nämlich zugesagt – so lesen wir –, dass bestimmte Gruppen von Flüchtlingen aus den Maghreb-Staaten so behandelt wür den wie bisher. Dazu würden wir hier sehr gern Näheres und auch Präziseres erfahren, Herr Ministerpräsident. Das wüss ten wir gern etwas genauer.

Zum einen kann ich die Notwendigkeit für eine solche Zusa ge schon rein inhaltlich nicht nachvollziehen, denn Artikel 16 a Absatz 3 Satz 2 des Grundgesetzes sagt doch schon ein deutig, dass bei Ausländern aus sicheren Herkunftsländern zwar vermutet wird, dass sie nicht verfolgt werden, dies aber nur so lange vermutet wird, wie sie nicht Tatsachen vortragen, die die Annahme begründen, dass sie entgegen dieser Vermu tung politisch verfolgt werden. Damit dürfte doch schon durch das Grundgesetz und durch die dieses konkretisierenden ein fachgesetzlichen Regelungen sichergestellt sein, dass auch Menschen, die etwa aufgrund ihrer sexuellen Identität in den Maghreb-Staaten ihres Lebens nicht sicher sein können, bei uns nach wie vor Schutz finden.

Zum anderen beunruhigt mich der Satz, dass einige dieser Flüchtlinge so behandelt würden wie bisher – so steht es da. Nur zur Erinnerung: Dieses „wie bisher“ in der sogenannten Flüchtlingspolitik, die wir Migrationspolitik nennen, war bis lang gekennzeichnet von einer Reihe von Rechtsbrüchen und Anmaßungen dieser Bundesregierung, wie es sie in der jün geren deutschen Geschichte lange nicht gegeben hat, und ei nes diese Zustände übrigens unterstützenden Ministerpräsi denten Kretschmann. Darum meinen wir, es kann und darf un ter diesen Umständen eben kein „Weitermachen wie bisher“ in dieser Angelegenheit mehr geben.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der AfD)

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich dem Kollegen Lede Abal das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Recht auf Asyl für Personen im Sinne des Grundgesetzes und der Genfer Flüchtlingskonvention ist kein Gnadenakt, sondern ein Grundrecht und eine humanitäre Ver pflichtung, und daran halten wir, die grüne Landtagsfraktion in Baden-Württemberg, auch unbedingt fest.

Wir sind allerdings der Auffassung, dass Asylverfahren wei ter beschleunigt werden müssen und beschleunigt werden sol len, auch im Interesse der Antragstellerinnen und Antragstel ler. Wir sehen an dieser Stelle insbesondere das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie die Bundesregierung in der Pflicht, die Zusagen, die sie gegeben haben, auch einzu halten.

Vor allem aber müssen wir jenen mit einer guten Bleibepers pektive schneller eine Anerkennung oder zumindest schnel leren tatsächlichen Zugang zu Integrationsleistungen ermög lichen. Bei denjenigen, die Regelüberschreitungen begehen, werden wir diese Verstöße entsprechend den Gesetzen dieses Landes auch ahnden.

(Beifall des Abg. Daniel Rottmann AfD)

Auch dafür steht diese Landesregierung.

Wir müssen schauen, dass wir den Menschen möglichst schnell Integrationsangebote machen, dass wir so schnell wie mög lich mit der Integration beginnen. Wir dürfen an dieser Stelle keine Zeit verlieren.

Im Gegenzug, wenn die Verfahren negativ entschieden wer den und die Rechtsmittel erschöpft sind, müssen wir auch mit teilen, dass Menschen das Land verlassen müssen. Auch wenn wir der freiwilligen Rückkehr den Vorrang einräumen, wer den wir auch zwangsweise Rückführungen durchführen müs sen.

Für die Beschleunigung der Verfahren ist es allerdings irrele vant, ob Staaten als sichere Herkunftsstaaten eingestuft wer den, weil das Problem nicht in der Einstufung liegt, die eine relativ geringe Verfahrensverkürzung mit sich bringt, sondern in den Organisations- und Ausstattungsdefiziten, die es beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach wie vor gibt.

Trotzdem ist ein zentraler Bestandteil der Diskussion eben diese angebliche Verfahrensverkürzung, weil es offensichtlich leichter ist, ein Land als sicheren Herkunftsstaat einzustufen, als die Personalstellen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nachhaltig zu besetzen, die Prozesse zu verbes sern und taugliche völkerrechtliche Verträge für Rücknahme abkommen mit den entsprechenden Herkunftsländern einzu führen.

Das Konstrukt der sicheren Herkunftsländer existiert in unse rer Verfassung. Deshalb lassen wir uns, obwohl wir es eigent lich für unsinnig halten, auf die inhaltliche Auseinanderset zung über die Frage ein, ob ein Herkunftsstaat sicher sein kann. Dafür ist für uns die Maßgabe entscheidend, ob es ge lingt, dies auch den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entsprechend zu gestalten. Mit Blick auf die Maghreb-Staa ten haben wir an dieser Stelle Bedenken.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Es ist beispielsweise unbestritten, dass dort Homosexuelle so wie Pressemitarbeiterinnen und Pressemitarbeiter Gefahren ausgesetzt sind. Auch ist die Situation in diesen Staaten nicht einheitlich. Die Anerkennungsquote Marokkos beispielswei se ist in der Tat gering. Aber es gibt eben doch Anerkennung, es gibt also auch Fälle, bei denen auf individuellem Weg ent schieden wird, dass Verfolgung vorliegt. Wir erachten es als unbedingt notwendig, dass in diesen Fällen gewährleistet sein muss, dass die betreffenden Personen bei uns Schutz finden und nicht wegen erhöhter Darlegungspflichten in Länder zu rückkehren müssen, in denen sie bedroht sind.

(Beifall bei den Grünen)

Die Bundesregierung muss dies gewährleisten, um den hohen verfassungsrechtlichen Hürden bei der Einstufung als siche rer Herkunftsstaat zu entsprechen. Die grün-schwarze Lan desregierung hat deshalb mit der Bundesregierung erfolgreich eine verbindliche Vereinbarung getroffen. Danach soll für be sonders schutzbedürftige Personen weiterhin keine erhöhte Darlegungslast vorliegen.

Sollte der Ministerpräsident oder sollten die Vertreter der Lan desregierung im Bundesrat unter dieser Maßgabe zustimmen, unterstützen wir ihn und sie bei dieser Entscheidung, die wir tatsächlich als sehr schwer erachten.

Perspektivisch sehen wir das Modell der sicheren Herkunfts länder kritisch. Wir glauben auch, dass es eigentlich keine Antworten auf die Herausforderung bietet, die wir im Moment in der Flüchtlingspolitik, in der Sicherheitspolitik haben, auch

was die Signale betrifft, die wir an dieser Stelle in bestimmte Länder hinein – auch an bestimmte Regierungen dieser Staa ten – senden. Deshalb unterstützen wir auch das Vorhaben der Landesregierung, eine Initiative im Bundesrat einzubringen, das aktuelle Modell der sicheren Herkunftsstaaten durch ein pragmatisches Modell zu ersetzen. Dafür sagen wir unsere ausdrückliche Unterstützung zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Für die CDU-Fraktion er hält Herr Abg. Mack das Wort.

Herr Präsident, liebe Kollegin nen und Kollegen! Wir stehen zum Menschenrecht auf Asyl. Unsere Richtschnur ist das christliche Menschenbild. Das heißt, wir helfen, wo Not ist. Wir sagen aber auch ganz klar mit Kardinal Marx aus München: Wir können nicht alle Not leidenden der Welt in Deutschland aufnehmen.

Deshalb haben wir in Artikel 16 a des Grundgesetzes in den Neunzigerjahren gemeinsam mit der SPD das Prinzip der si cheren Herkunftsstaaten durchgesetzt. Die Einstufung als si cherer Herkunftsstaat hat zur Folge, dass für einen Asylbe werber aus diesem Staat eine gesetzliche Vermutung der Nicht verfolgung besteht, die jedoch – das ist auch wesentlich – im Einzelfall widerlegbar ist. Dies bedeutet, dass der Asylantrag eines Ausländers aus einem sicheren Herkunftsstaat grund sätzlich als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird, es sei denn, der Ausländer kann nachvollziehbar begründen, dass ihm in seinem konkreten Einzelfall abweichend von der all gemeinen Lage im Herkunftsstaat asyl- und flüchtlingsrele vante Verfolgung droht.

Genau darum geht es auch hier. Es besteht einerseits die Ver mutung, andererseits ist es nicht so, dass alles über einen Leis ten geschlagen würde. Vielmehr wird im Einzelfall nachge prüft. Wenn jemand beispielsweise vorträgt, dass er aufgrund seiner sexuellen Orientierung oder aufgrund seiner journalis tischen Tätigkeit verfolgt wird, dann muss das im Asylverfah ren selbstverständlich geprüft werden, auch wenn die betref fende Person aus einem sicheren Herkunftsstaat kommt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Wir stehen also zum Grundrecht auf Asyl. Wir sehen, dass das Instrument, Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären, Erfolg hatte. Die Zahlen aus dem Westbalkan sind dadurch beispielsweise deutlich zurückgegangen. Im Juni 2015 kamen 1 704 Personen aus dem Westbalkan nach Baden-Württem berg. Im Mai 2016 waren es nur noch 227 Personen. Allein von Oktober auf November 2015 – nachdem wir Albanien, das Kosovo und Montenegro zu sicheren Herkunftsländern erklärt haben – sind die Zahlen von 1 060 auf 386 zurückge gangen. Das heißt, dieses Instrument wirkt.

Wir haben gesehen, dass es plötzlich eine Zunahme des Zu zugs von Menschen aus Tunesien, Algerien und Marokko um 250 % und gleichzeitig eine sehr geringe Anerkennungsquo te gibt. Deswegen sind wir zu der Überzeugung gekommen, dass wir prüfen müssen, ob hier gehandelt werden muss.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der AfD)

Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag eine entsprechende Vereinbarung getroffen. Der Ministerpräsident hat erklärt, dass er in dieser Sache im Bundesrat zustimmen wird. Die Bundesregierung hat sorgfältig geprüft. Es gibt einen Lage bericht des Auswärtigen Amts. Bei der Erarbeitung dieses Be richts wurden die Erfahrungen und Berichte von Menschen rechtsorganisationen und NGOs hinzugezogen. Es geht uns also darum, hier eine sachgerechte Abwägung zu treffen.

Herr Meuthen – er ist gerade wieder nicht anwesend; doch, er ist da –, die Ereignisse von Köln Anfang des Jahres sind be dauerlich. Die Ereignisse von Köln müssen aufgearbeitet wer den. Auf Antrag der CDU-Fraktion im Landtag NordrheinWestfalen wurde hierzu ein Untersuchungsausschuss einge richtet.

Tatsache ist, dass viele Personen aus den Maghreb-Staaten verdächtig sind, die bekannten Straftaten auf der Kölner Dom platte begangen zu haben. Aber auch das, Herr Meuthen, darf nicht dazu führen, einen Generalverdacht gegenüber allen Per sonen aus diesen Staaten auszusprechen.

(Zuruf des Abg. Anton Baron AfD)

Deswegen muss es eine vernünftige Prüfung geben. Diese Prüfung wurde von der Bundesregierung mittlerweile durch geführt. Wir in der Koalition und in diesem Hohen Haus sind uns darin einig, dass wir vertreten können, die genannten Staa ten zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären.

Jetzt liegt der Ball beim Bundesrat. Der Bundesrat muss die sen Punkt auf die Tagesordnung nehmen. Ich hoffe, dass es hierzu in der Sitzung des Bundesrats am 8. Juli zu einer Mehr heit und damit zu einer guten Entscheidung kommt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und den Grünen)

Für die SPD-Fraktion er hält Herr Abg. Hinderer das Wort.

Herr Präsident, werte Kollegin nen und Kollegen! Wir sind darüber verwundert, dass die AfD diese Aktuelle Debatte angeregt hat und dass ausgerechnet Sie von der AfD sich um Kriterien sorgen, nach denen die Lan desregierung ihre Entscheidungen in Sachen „sichere Her kunftsländer“ trifft.

Bisher sind Sie eher dadurch aufgefallen, dass Sie die Ein wanderung mit allen Mitteln begrenzen wollen, unabhängig davon, ob die Menschen aus sicheren oder unsicheren Her kunftsländern kommen.

In Ihrem Wortbeitrag, Herr Abg. Meuthen, haben Sie noch einmal auf die Ereignisse in Köln hingewiesen. Unter den Tä tern befanden sich sowohl Marokkaner als auch Syrer – die se Menschen kommen sicher nicht aus sicheren Herkunftslän dern –, aber auch Deutsche.

(Abg. Dr. Jörg Meuthen AfD: 14!)

Sie, die AfD, haben in der Vergangenheit aus unserer Sicht noch keinen einzigen konstruktiven politischen Vorschlag zur Lösung der Flüchtlingsproblematik gemacht, im Gegenteil.