Daran sollen Sie auch erkennen, dass wir uns mit den Dingen wirklich ernsthaft auseinandersetzen wollen.
Deswegen möchte ich zum Schluss betonen, dass uns das in klusive Wahlrecht wichtig ist. Wir tun den Menschen aber kei nen Gefallen, wenn wir jetzt diese Entscheidung treffen, ob wohl das Bundesverfassungsgerichtsurteil noch aussteht. Wir wollen abwarten. Wir wollen, wie Frau Kollegin Lisbach schon gesagt hat, im Interesse der Menschen mit Behinderun gen dieses Wahlrecht rechtssicher und zweifelsfrei ausgestal ten. Wir wollen dabei auch die Erfahrungen in anderen Bun desländern einbeziehen. Wenn wir diese Erkenntnisse haben, werden wir auch rechtzeitig entsprechende Konsequenzen zie hen.
Alles in allem signalisiere ich Zustimmung zum Änderungs gesetz, Ablehnung des SPD-Antrags und Zustimmung zu un serem Entschließungsantrag. Wir werden uns dann in diesem Haus sicher wieder über dieses Thema unterhalten.
Sehr geehrte Präsidentin, sehr geehrte Kollegen! Als Vorsitzender des Wahlprüfungsaus schusses habe ich die beiden Sitzungen geleitet, in denen wir über die Eingaben gegen den Ablauf der vergangenen Land tagswahl beraten haben. In einem der Einsprüche ging es um eine Person, deren Gesundheit sich schlagartig verschlechtert hatte und der daraufhin das Wahlrecht aberkannt wurde mit der Begründung – ich zitiere –, „dass sie für sämtliche Erle digungen des täglichen Lebens eine Betreuungsperson benö tige“. Bei der notariellen Festlegung der Vollbetreuung sei die damit verbundene Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrech te aber nicht erwähnt worden. Und so kam es, dass eine Frau – ich zitiere –, „die wisse, was sie wolle“, bei der Landtags wahl 2016 nicht wahlberechtigt war.
Diesen Punkt hatte ich bei der abschließenden Aussprache im Plenum bereits angesprochen. Ich bin der Fraktion des Kolle gen Gall, der ebenfalls Mitglied des Wahlprüfungsausschus ses ist, dankbar, diesen Punkt auf die Agenda für die Kommu nalwahl gebracht zu haben. Immerhin geht es um 5 900 Men schen, die wegen einer Vollbetreuung nicht an Wahlen teil nehmen dürfen.
Im Ausschuss für Inneres sprach sich allerdings die Mehrheit gegen den Antrag der SPD aus, bzw. es ist ja jetzt allgemei ner Konsens, abzuwarten, bis das Bundesverfassungsgericht geurteilt hat. Dieser Empfehlung kann ich mich persönlich an schließen und werde mich bei dem Antrag der SPD enthalten.
Zum Gesetzentwurf insgesamt habe ich, denke ich, am 9. Mai ausreichend Stellung bezogen. Dem gibt es im Moment nichts hinzuzufügen. Wir können nicht allen Punkten zustimmen.
Sehr geehrte Frau Präsiden tin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Änderungen des Wahl rechts sind natürlich mit Bedacht und Vorsicht vorzunehmen. Aber eine Änderung in dem Stil, wie sie jetzt vorgenommen wird, bietet die Gelegenheit, Lücken zu schließen und Unge rechtigkeiten zu beseitigen.
Sie haben bei dieser Gesetzesänderung an viele gedacht. Sie haben bei der Wahllistenaufstellung an die kleinen Gemein den gedacht, an die Gruppe der Neuwähler, die zwischen dem ersten und dem zweiten Wahlgang bei Bürgermeisterwahlen entsteht, Sie haben an Mandatsträger gedacht, die verfassungs widrigen Parteien angehören, aber an die Menschen mit Be hinderungen in unserem Land haben Sie nicht gedacht. Auch bei der Einbringung des Gesetzentwurfs war davon überhaupt nicht die Rede. Sie haben die Menschen mit Behinderungen in diesem Land schlicht vergessen.
Daraufhin haben wir Sie aus dem Dornröschenschlaf geweckt, und Sie haben dann in der ersten Lesung Stellung genommen, im Innenausschuss auch. Es kam dann eine Pressemitteilung der Fraktion GRÜNE, die im Nachgang zur ersten Lesung et was besänftigen sollte. Jetzt haben wir einen Entschließungs
antrag auf dem Tisch, der die Handlungsabsicht beinhaltet. Aber was wir kritisieren, ist: Sie verstecken sich hinter dem Bund, und Sie verstecken sich hinter dem Bundesverfassungs gericht.
Andere Bundesländer ändern ihr Kommunalwahlrecht recht zeitig, weil sie nicht wissen, bis wann der Bund seine Rege lungen trifft. Da sind halt andere Länder fortschrittlicher, wei ter, und es bekümmert uns schon, dass Sie am Ende der Ska la rangieren, was die Rechte von Menschen mit Behinderun gen angeht.
Sie verstecken sich hinter dem Bundesverfassungsgericht; Ihr Entschließungsantrag ist auch an diese Entscheidung gekop pelt. Was machen Sie eigentlich, wenn das Bundesverfas sungsgericht nicht rechtzeitig entscheidet?
Wir haben einmal gefragt, bis wann denn mit einer Entschei dung zu rechnen sei. Da wurde uns die Auskunft gegeben, ein Entscheidungstermin sei bisher nicht absehbar. Es steht zwar auf der Agenda des Bundesverfassungsgerichts, aber das ist ja nicht bindend. Es ist also nicht absehbar, wann das Gericht entscheiden wird. Sie koppeln aber, obwohl Sie regieren und Gestaltungsfreiheit haben, Ihr Handeln an eine ungewisse Ent scheidung – was das Zeitliche angeht – des Bundesverfas sungsgerichts. Warten wir also ab.
Sie haben jetzt die Chance, das Wahlrecht zu ändern. Alle Be teiligten warten auf dieses Wahlrecht mit dieser Änderung. Ich glaube, die gesamten Beteuerungen, die Sie jetzt im Lau fe des Verfahrens zur Gesetzesberatung abgegeben haben, sind eigentlich Schall und Rauch. Ändern Sie es doch jetzt!
Was machen Sie denn, wenn die Entscheidung des Bundes verfassungsgerichts nicht rechtzeitig kommt? Dann können Sie Ihr Gesetz offensichtlich nicht mehr erlassen. Dann haben Sie die Situation – der Bund ist ja jetzt intensiv dran –, dass die Menschen mit Behinderungen zur Europawahl gehen, ih ren Europawahlkandidaten wählen, und dann wollen sie auch noch für die Gemeinderatswahl abstimmen.
Und dann sagt ihnen der Vorsitzende im Wahllokal: „Guter Mann, gute Frau, Sie dürfen leider nicht wählen, weil das Kommunalrecht in Baden-Württemberg das nicht hergibt.“ Das hätten Sie zu verantworten.
Deshalb appelliere ich an Sie: Nehmen Sie die Änderungen jetzt vor. Jetzt ist die Gelegenheit. Es sind ja zahlreiche Än derungen. Was hindert Sie daran? Andere Bundesländer ha ben es auch gemacht. Auf welchen Erkenntniszuwachs war
ten Sie eigentlich? Tun Sie es jetzt! Setzen Sie ein echtes Si gnal an die Menschen mit Behinderungen in diesem Land, und hören Sie auf mit Beteuerungen.
Handeln Sie! Die Menschen mit Behinderungen haben einen Anspruch darauf. Es wäre ein fatales Signal dieses Landtags, wenn dieser eine umfassende Änderung des Kommunalrechts vornimmt und dabei nichts tut für die Gleichstellung und die Teilhabe für Menschen mit Behinderungen in diesem Land. Also handeln Sie!
Ich weise darauf hin, dass Fotos und Videoaufnahmen sowohl auf der Besuchertribüne als auch hier im Saal nur den akkreditierten Pressevertretern zugestanden sind. Wenn Sie das bitte alle miteinander beher zigen wollen.
Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen, Kollegen! Auch zu diesem Entwurf kann ich mich kurzfassen – in diesem Fall deswegen, weil wir allen Punkten darin zustimmen werden. Es ist ja auch schon beschrieben worden, worum es geht; das muss jetzt, glaube ich, nicht noch ein weiteres Mal erfolgen – nur damit wir uns jetzt nicht miss verstehen, wenn ich die Punkte im Einzelnen nun nicht mehr erwähne. Wir unterstützen den Gesetzentwurf in allen Punk ten so, wie die Regierung ihn vorgelegt hat.
Diskussionswürdig ist aber natürlich der Antrag der SPD; er ist nach unserer Meinung auch zustimmungswürdig. Wir wer den diesem Antrag zustimmen; denn wir halten es für richtig, den Gesetzentwurf in diesem Punkt zu ergänzen. Das Verhal ten der Regierung und der Koalitionsfraktionen finden wir da bei nicht besonders schlüssig. Mein bescheidener Verstand sagt mir nämlich: Wenn wir das jetzt einbauen, dann riskie ren wir in der Tat, dass wir es nach dem Urteil des Bundes verfassungsgerichts noch einmal ändern müssen. Sie aber ris kieren jetzt schon, dass Sie dann nochmals ein Gesetz machen müssen. Vom Aufwand her ist das genau dasselbe. Man kann es doch jetzt hineinnehmen; dann werden wir möglicherwei se ein weiteres Gesetzgebungsverfahren brauchen. Das wür den wir aber so oder so brauchen – Sie brauchen es ganz si cher. Nach erfolgter Rechtsprechung des Bundesverfassungs gerichts und dessen Urteil könnte ein weiteres Gesetz sogar entbehrlich sein, wenn man diesen Punkt, wie von der SPD – in der Sache richtig – beantragt, mit hineinnimmt und so be schließt.
Deswegen finden wir es überzeugender, für den Antrag der SPD zu stimmen. Bei der Abstimmung über den Entschlie ßungsantrag werden wir uns aus dem Grund enthalten, dass wir es vom Vorgehen her für überzeugender halten, dies gleich mit hineinzunehmen.
Sehr verehrte Frau Präsidentin, sehr verehrte Damen, sehr geehrte Herren! Jede Minderheit braucht einen, der sich für sie einsetzt. Das gilt besonders für Menschen, die keine eigene Stimme haben. Darum bin ich froh, dass die SPD dieses Thema heute einge bracht hat.
Erst vor wenigen Tagen berichtete mir eine nahezu blinde Frau, dass bei ihr im Ort nur mangelhafte Blindenleitsysteme vorhanden sind. Gerade im Hafenbereich fehlen diese gänz lich. Ohne Begleitung ist für sie ein Spaziergang dort undenk bar. Der Sturz ins tiefe Wasser wäre vorprogrammiert. Als sie sich hierzu an die Stadtbehörde wandte, hieß es, dass für so etwas kein Geld da sei – was unweigerlich die Frage aufwirft, wie viel ein Menschenleben wert ist. Diese Erfahrung zeigt aber auch, wie wichtig es ist, dass Minderheiten die Möglich keit haben, sich Gehör zu verschaffen. Dazu gehören gerade in einem demokratischen System auch die Wahlen.
Was die Zahl der betroffenen Personen angeht, reden wir von knapp 6 000 Menschen in Baden-Württemberg, die aufgrund ihrer Behinderung nicht wählen dürfen. Das zeigt schon, dass die Abschaffung des Ausschlussparagrafen kaum eine Aus wirkung auf das Wahlergebnis hätte. Dennoch ist es ein wich tiger Schritt.
Ob als Notarzt in Stuttgart mit über 800 Fahrten oder in der Notfallaufnahme mit täglich bis zu 100 Patienten – ich habe mich durch meine Behinderung nicht aufhalten lassen. Dies ging aber nur, weil es Menschen gab und gibt, die an mich glauben und die sich für die Rechte von Behinderten starkge macht haben.
Darum ist es mir ein besonderes Anliegen, mich hier und heu te für das Wahlrecht der Behinderten einzusetzen. Dass bei Wahlen betrogen werden kann, ist uns allen bewusst. Das rechtfertigt jedoch nicht, Menschen das Wahlrecht vorzuent halten. Sowohl die Möglichkeit der eidesstattlichen Versiche rung als auch unser Vertrauen in die Aufrichtigkeit der Bür ger sollten uns alle für ein inklusives Wahlrecht stimmen las sen.