Denn es ist ein Skandal – siehe OECD-Vergleich –, dass wir bei uns in Deutschland immer noch das Problem haben, dass Kinder, die nicht den notwendigen „Geldbeutelhintergrund“ oder den Bildungshintergrund der Eltern haben, durch das Raster fallen. Das ist sogar schon mal Thema auf UN-Ebene gewesen, und das kann uns alle hier im Haus nicht ruhig las sen.
Übrigens, das undifferenzierte Schlechtreden – – Fragen Sie einmal Ihren Kollegen, wenn er ausnahmsweise einmal in sei nem Wahlkreis unterwegs ist: Im Mannheimer Norden, in der Mannheimer Innenstadt haben wir zwei Gemeinschaftsschu len, die seit drei Jahren Anfragen ablehnen müssen, weil sie mehr Bewerbungen haben, als die Schulen aufnehmen kön nen. Auch das ist die Realität.
Daher können wir uns in der Tat nicht darauf verlassen – da bin ich übrigens bei Ihnen; Sie haben recht –, dass das zehn Standorte mit Oberstufen für Gemeinschaftsschulen werden können. Es gibt nämlich genug Standorte, die eine so gute Ar beit machen, dass es durchaus vorstellbar ist, dass es in Zu kunft mehr als zehn Standorte gibt.
Kolleginnen und Kollegen, die Gesetzesänderung, die wir heute beraten, stellt aufgrund der Gesetzeslage in der Tat ei ne Notwendigkeit dar. Doch trotz der eindeutigen Anforde rungen, die sich aus der Veränderung der Schullandschaft er geben, zeigt sich heute leider auch, dass nicht jede von Ihnen vorgeschlagene Regelung sinnvoll ist. Auch hier – ich muss das an dieser Stelle auch in Richtung der Grünen wirklich mit einer gewissen Bitterkeit sagen – lässt sich unschwer die Mo tivation herauslesen: Es geht darum, den Gemeinschaftsschu len das Leben schwerzumachen und ihnen langsam das Was ser abzugraben.
Lieber Kollege Jürgen Walter, du hast viel Richtiges gesagt. Aber die Gemeinschaftsschulen brauchen weniger warme grü ne Worte und viel mehr konkrete Unterstützung. Diese fehlt auch am heutigen Tag.
An zwei Gemeinschaftsschulen werden zum Schuljahr 2018/2019 Oberstufen eingerichtet, und es könnten mehr sein. Wenn es nach dem Wunsch von Schulleitungen, Eltern, Schülerinnen und Schü lern ginge, wären es auch deutlich mehr. Die Mindestzahl von 60 Schülerinnen und Schülern, die gefordert ist, knackt zahlreiche Standorte. – Kollege Haser, die Vierzügigkeit, auf die Sie Bezug genommen haben, ist kein offizielles Gesetzeskriterium.
Dass interessierte Schulträger zur Genehmigung der Oberstu fe nun nicht nur die regionale Schulentwicklung durchführen müssen, sondern umliegenden Gemeinden jetzt plötzlich auch öffentlich-rechtliche Vereinbarungen abgerungen werden müs sen,
(Abg. Raimund Haser CDU: Das ist doch logisch! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das war schon im mer so!)
zeigt, wie fadenscheinig die Debatte ist. Statt Debatten um ei ne stabile und vielfältige Bildungslandschaft zu führen, ver kommen die Diskussionen vor Ort leider weiterhin zu einem ideologisch aufgeladenen Schlagabtausch. Der CDU passt das gut ins Konzept. Die Grünen haben zwar, wie wir einem Brief ihres Fraktionsvorsitzenden entnommen haben, mit Blick auf die öffentlich-rechtliche Vereinbarung eine andere juristische Auffassung, aber offensichtlich eben nicht das Rückgrat, ih rem kleineren Koalitionspartner Einhalt zu gebieten. – Nichts Neues; kein Wunder, dass sich Kollege Haser von der CDU freut.
(Beifall bei der SPD – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das hat mit Freude gar nichts zu tun! Es geht um Kriterien!)
Dass es der CDU nicht um stabile Schulstandorte und eine er folgreiche regionale Schulentwicklung geht und sich die Grü nen bildungspolitisch wohl selbst aufgegeben haben, zeigt auch der Abschnitt des Gesetzentwurfs zu Schulverbünden. Wir haben Schulverbünde bisher nur in Ausnahmefällen ge nehmigt, und das mit gutem Grund. Stabile Standorte werden nur durch eine klare Entscheidung – entweder für eine Ge meinschaftsschule oder für eine andere Schulart – geschaffen. Eine Gemeinschaftsschule dauerhaft im Schulverbund mit ei ner Hauptschule, einer Realschule oder einem Gymnasium zu führen, schafft weitere Übergänge, maximal Übergangslösun gen, mehr Unsicherheit und unnötige Konkurrenz um die glei che Schülerschaft, um Schüler, die die gleichen Schulab schlüsse anstreben. Das ist schlichtweg unsinnig.
Frau Ministerin, bei allem Respekt: Hier davon zu reden, Ge meinschaftsschulen könnten Vorteile nutzen – da kann ich nur sagen: Vorsicht, das ist Zynismus pur.
Zurück zur gymnasialen Oberstufe der Gemeinschaftsschule. Dass die Fachaufsicht an den Regierungspräsidien eingerich tet wird, ist zunächst einmal sinnvoll. Hier liegt auch die Kom petenz für die Gymnasien. Es bedeutet aber zugleich, dass nun zwei Verwaltungseinheiten für die Gemeinschaftsschule ver antwortlich sind: das örtliche Staatliche Schulamt für die Se kundarstufe I und das Regierungspräsidium für Gymnasial lehrkräfte der Oberstufe. Das bedeutet bei unsauberer Umset zung mehr Kommunikationsaufwand, Abgrenzungsprobleme und eine vorprogrammierte Fehlerquelle.
Es muss also klar geregelt sein, wie die Zusammenarbeit zwi schen Regierungspräsidien und Staatlichen Schulämtern ab laufen soll. Wir werden hier genau darauf achten, dass mög
licherweise auftretende Fehler nicht wieder den Gemein schaftsschulen angeklebt werden. Die Verantwortung jeden falls tragen Sie.
Notwendig ist eben auch, dass mehr Gymnasiallehrkräfte an die Gemeinschaftsschulen gehen. Wir begrüßen ausdrücklich die Festsetzung eines Deputats von 25 Stunden. Aber auch oh ne Oberstufe müssen die Kollegien besser durchmischt wer den. Ob der heutige Schritt ausreicht, um mehr Gymnasial lehrkräfte an Gemeinschaftsschulen zu bekommen, darf be zweifelt werden.
Frau Ministerin, da auch die Frage: Welchen weiteren Ansatz haben Sie hier? Sie haben zu Anfang des Schuljahrs über 1 000 Lehrerstellen gestrichen, Sie haben unseren Antrag, die Gymnasiallehrkräfte, die auf dem Arbeitsmarkt sind, insbe sondere auch für die Gemeinschaftsschulen einzustellen, ab geschmettert. Sie haben hier nicht gehandelt. Wie wollen Sie also diesem Mangel abhelfen?
Summa summarum – ich komme zum Ende –: Es kann heu te eben nicht von einer Stärkung der Gemeinschaftsschulen gesprochen werden. Die Oberstufe kommt; das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist, dass es eher mehr denn weniger Fragezeichen für diese Schulart gibt. Die CDU will nicht. Die Grünen sind zwar nett im Feiern, lassen aber an sonsten weiter zu, wie ein fortschrittliches Schulprojekt von konservativen Kräften unter Druck gesetzt wird. Wobei: Wen kann es wundern bei dieser ökokonservativen Koalition?
(Beifall bei der SPD – Zuruf: Es heißt eigentlich: „Ein guter Schluss ziert alles“, aber den hast du jetzt nicht hingebracht!)
Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Am vorliegenden Gesetzentwurf lässt sich mustergültig erkennen, was der Ministerpräsident mein te, als er von der grün-schwarzen Komplementärkoalition sprach.
Nämlich: Grüne und CDU haben völlig unterschiedliche Auf fassungen und Positionen in der Bildungspolitik. Also werden faule Kompromisse geschlossen nach dem Muster: Jeder be kommt seins, egal, ob auch tatsächlich ein Schuh daraus wird oder nicht.
(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der AfD – Abg. Raimund Haser CDU: Jetzt bin ich aber ge spannt, was daran faul sein soll!)
Jeder, der sich das Applausverhältnis zwischen CDU und Grünen angeschaut hat, weiß, was hier der faule Kompromiss ist.
(Beifall bei Abgeordneten der AfD – Abg. Karl-Wil helm Röhm CDU: Es geht um Fakten, nicht um Ap plaus! – Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Bei Rednern der FDP/DVP klatscht nicht einmal die eigene Frak tion! – Zuruf des Abg. Raimund Haser CDU)
In diesem Fall hat die CDU-Kultusministerin die Gleichbe rechtigung der Gemeinschaftsschule bei der Bildung von Schulversuchen bekommen. Nachdem wir Freien Demokra ten dies beantragt hatten, hätten wir nun der Kultusministerin auch gern auf die Schulter geklopft und ihr zugerufen: „Wei ter so, Frau Eisenmann!“ Aber was uns daran hindert, ist die ideologisch versalzene grüne Würze in dieser Komplementär suppe.
Zwar wird in diesem Gesetzentwurf nun die Fachaufsicht für die gymnasialen Oberstufen an den Gemeinschaftsschulen ge regelt, aber damit wird etwas weiter etabliert, was die FDP/ DVP-Fraktion aus ganz grundsätzlichen Erwägungen ablehnt.
Bereits in unserem Vorschlag für einen stabilen Schulfrieden für Baden-Württemberg vom Oktober 2014 haben wir gefor dert, auf die Gemeinschaftsschuloberstufen zu verzichten. Sie sind nicht nur kostspielig, und die für sie eingesetzten Mittel wären an anderer Stelle in unserem Bildungswesen wahrlich gut zu gebrauchen. Vor allem aber bringen sie ohne Not Un ruhe in unser Bildungswesen. Sie machen den beruflichen Gymnasien Konkurrenz, ohne dass dies zu besseren Ergeb nissen führen würde. Mehrere Male unter der grün-roten Re gierung Kretschmann I und unter der grün-schwarzen Regie rung Kretschmann II haben wir deshalb beantragt, die für die Gemeinschaftsschuloberstufen reservierten Mittel lieber den beruflichen Gymnasien zu übertragen,
damit jeder Bewerber, der die notwendigen Voraussetzungen erfüllt, auch tatsächlich einen Platz erhält, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wissen Sie: Auf den Beifall der AfD kann ich verzichten. Nur beweisen Sie, dass Sie beim Applaus deutlich mehr Sachver stand haben als bei dem, was Sie sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Heiterkeit – Beifall bei der FDP/DVP – Vereinzelt Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf: Sehr gut! – Weitere Zurufe)
Mit unseren Anträgen haben wir aber bisher bei der Koaliti on immer wieder auf Granit gebissen. Dabei haben die beruf lichen Gymnasien bzw. die beruflichen Schulen wahrlich be wiesen, dass sie es können. Seit Jahren wird nur rund die Hälf te aller Hochschulzugangsberechtigungen an den allgemein bildenden Gymnasien erworben.
Nun könnte man einwenden, dass ja nur zwei gymnasiale Oberstufen zum kommenden Schuljahr an den Start gehen und 60 Schüler für die Eingangsklasse eine hohe Hürde seien. Da gegen steht zum einen, dass im grün-schwarzen Koalitions vertrag bei der Berechnung der Mindestschülerzahl – Zitat – „auch die zugangsberechtigten Schülerinnen und Schüler be nachbarter Schulen berücksichtigt“ werden. Also ist hier noch längst nicht alles entschieden; wir haben es ja bereits gehört.
Zum anderen stellen die Gemeinschaftsschuloberstufen gera dezu die verkörperte Privilegierung der Gemeinschaftsschu le dar. Wir erinnern uns: Grün-Rot bewahrte die Gemein
schaftsschulen mit dem zentralen Versprechen, dass dort alle Abschlüsse erworben werden können, das Abitur eingeschlos sen. Wenn heute eine Gemeinschaftsschule mit „Hol dir dein Abi!“ wirbt, dann ist das ein spätes Echo auf dieses grün-ro te Wahlversprechen.
In diesem Fall ist dies ein klares Privileg gegenüber den Re alschulen, die Grün-Rot damals nur zu gern in Gemeinschafts schulen umgewandelt hätte – glücklicherweise weitgehend er folglos. Ich spreche hier ganz bewusst von Privilegierung, denn mittlerweile wird ja behauptet, diese Privilegierung sei eine Mär, die FDP und CDU vor sich hin spinnen würden.
Man kann natürlich einfach Scheuklappen aufsetzen und se hen, was man sehen will. Dabei wird dann aber vieles ausge blendet, z. B. dass die Gemeinschaftsschule als einzige wei terführende Schulart automatisch einen Klassenteiler von 28 Kindern hat, dass sie als einzige weiterführende Schulart au tomatisch gebundene Ganztagsschule ist, dass die Schul bauförderung für sie maßgeschneidert ist oder dass sie beim Erreichen der Mindestschülerzahl eben auch eine Oberstufe haben kann.
Diese Aufzählung ist beileibe nicht nur eine Vergangenheits bewältigung der FDP/DVP, sie ist leider gegenwärtige Reali tät, denn die Regierung Kretschmann II hütet das bildungspo litische Vermächtnis der Regierung Kretschmann I in weit grö ßerem Maß, als es uns die CDU-Kultusministerin glauben ma chen will.
Wie vielfältig und vielschichtig die Privilegierung der Ge meinschaftsschule ausfiel, lässt sich an einem anderen Teil dieses Gesetzentwurfs zeigen, nämlich dem mit der liberalen Handschrift: Der Gesetzentwurf hebt die Bestimmung im Schulgesetz auf, dass Schulverbünde mit Gemeinschaftsschu len grundsätzlich nicht zulässig sind. Hiermit war geradezu ein Schutzzaun um die Gemeinschaftsschulen gezogen wor den; die Gemeinschaftsschule sollte nicht mit anderen Schul arten zusammengehen. Da ist sie wieder, die alte grün-rote Träumerei von der einen Schule für alle.
Wenn Sie mir nicht glauben wollen, meine Damen und Her ren von den Grünen und der SPD, dann lese ich Ihnen gern aus Ihrer Verordnung über Schulverbünde mit der Gemein schaftsschule vor – die wohlgemerkt nur ein Kompromiss war, für den der Städtetag hart kämpfen musste –: