Protocol of the Session on January 31, 2018

Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:

Große Anfrage der Fraktion GRÜNE und der Fraktion der CDU und Antwort der Landesregierung – Entwick lung des Informationsverhaltens der Jugendlichen – Drucksache 16/759

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Ausspra che eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion und für das Schlusswort der die Große Anfrage stellenden Fraktionen ei ne zusätzliche Redezeit von fünf Minuten festgelegt. Die Fraktion GRÜNE und die Fraktion der CDU sind übereinge kommen, die für das Schlusswort zur Verfügung stehende Zeit zu teilen, sodass ihnen jeweils insgesamt siebeneinhalb Mi nuten zur Verfügung stehen.

Das Wort für die Fraktion GRÜNE erteile ich dem Kollegen Poreski.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der digitale Wandel verän dert auch das Informationsverhalten junger Menschen rapide. Die Veränderungen haben entscheidenden Einfluss auf die Schul- und Berufsbildung, die Arbeitswelt, auf gesellschaft liche Entwicklungen und Teilhabechancen. Deshalb haben die Regierungsfraktionen dazu eine Große Anfrage gestellt, wel che von der Regierung auch zeitnah und umfassend beantwor tet wurde. Herzlichen Dank dafür.

Allerdings ist die Beantwortung vom Dezember 2016, und seither hat sich der rasante Wandel natürlich fortgesetzt. Eine wichtige Erkenntnisgrundlage waren die sogenannten JIMStudien u. a. der Landesanstalt für Kommunikation, in deren Medienrat ich sitze. Ich habe daher auch die neueste JIM-Stu die von 2017 in meine Betrachtungen einbezogen.

Einige Erkenntnisse aus den Studien sind nicht überraschend, andere schon, und einige sind auch ausgesprochen erfreulich.

Traditionelle Medien wie Fernsehen, Radio und Bücher sind bei Jugendlichen nach wie vor beliebt, und sie weisen stabile Nutzungswerte auf.

Ihre tägliche Fernsehnutzung schätzen die Jugendlichen auf 116 Minuten. Auch im Jahr 2017 lesen unverändert zwei von fünf Jugendlichen mehrmals pro Woche in ihrer Freizeit ana loge Bücher. Bei den Mädchen sind es 50 %, bei den Jungen 30 %.

Mit 18 % ist jedoch fast jeder Fünfte unter den Zwölf- bis 19-Jährigen Nichtleser bzw. Nichtleserin und beschäftigt sich in der Freizeit nie mit Büchern. Dieser Anteil ist bei den Jun gen mit 24 % mehr als doppelt so hoch wie bei den Mädchen mit 11 %. Die Leseförderung, an der sich auch viele von uns – z. B. am bundesweiten Vorlesetag – beteiligen, macht also durchaus Sinn. Sie ist notwendig, sie wirkt, und dennoch ist Luft nach oben.

Prekärer sieht es bei den Tageszeitungen aus. Der Anteil der Jugendlichen, die täglich oder mehrmals pro Woche eine Ta geszeitung lesen, sank von 59 % im Jahr 2000 auf 35 % im Jahr 2013 und beträgt nun nur noch 20 %. Das Projekt „Zei tung in der Schule“ der Zeitungsverlage in Baden-Württem berg ist somit sicher eine wertvolle Initiative, aber sie reicht offensichtlich nicht aus.

Das Internet ist heute ein fester Bestandteil des Lebens von Jugendlichen. Während im Jahr 2000 noch 29 % täglich oder mehrmals pro Woche das Internet genutzt haben, sind es heu te 97 %. So gut wie alle Zwölf- bis 19-Jährigen haben ein ei genes Smartphone. 89 % sind täglich online – ein neuer Höchst stand.

Nach oben entwickelt hat sich auch die zeitliche Zuwendung: 221 Minuten tägliche Nutzung – von Montag bis Freitag – sind eine Verdopplung gegenüber 2007; damals waren es 106 Minuten.

Das selbst geschätzte Zeitkontingent fällt bei den Ältesten mit 252 Minuten am höchsten aus; die Jüngsten kommen auf 142 Minuten.

Immerhin aber: Für mehr als jeden Zweiten ist es dabei wich tig, schnell auch über das aktuelle Weltgeschehen informiert zu sein. Der Anteil der Jugendlichen, für die es sehr wichtig ist, über die Bundespolitik Bescheid zu wissen, ist von 9 % im Jahr 2000 auf 27 % im Jahr 2015 und jetzt auf 39 % deut lich gestiegen.

Das alles ist eine Momentaufnahme. Die digitale Revolution läuft erst seit wenigen Jahren. Vor gut zehn Jahren, im Jahr 2007, wurde das erste I-Phone eingeführt, und viele Warnun gen vor Filterblasen, vor Verschwörungstheorien, vor digita ler Demenz, vor ausufernder Nutzung und Suchtverhalten sind sehr ernst zu nehmen.

Ebenso zeigen sich aber Chancen. Junge Menschen sind of fenbar weniger anfällig für politischen Extremismus und De mokratieverachtung als Ältere und digital Unerfahrene. Das zeigt sich beim Brexit und bei Trump ebenso wie bei der AfD.

(Zuruf des Abg. Emil Sänze AfD)

Unser Ziel ist klar: Wir stärken – auch mit unseren geplanten digitalen Bildungsplattformen – Kinder und Jugendliche so, dass sie den Anforderungen sowie den Herausforderungen die ser Mediengesellschaft selbstbewusst und kompetent begeg nen.

(Zuruf des Abg. Anton Baron AfD)

Leitprinzipien hierfür sind Kritikfähigkeit und eigenständiges Denken,

(Lachen bei Abgeordneten der AfD – Abg. Anton Ba ron AfD: Gerade bei der Grünen Jugend sollten Sie diese anwenden! – Glocke des Präsidenten)

die uns auch hier immer wieder ganz analog – beim Jugend landtag oder beim Kindergipfel – begegnen. Wir sehen Schu le als Ort, an dem Demokratie und gesellschaftliche Teilhabe gelernt und gelebt werden müssen – mehr denn je.

(Vereinzelt Beifall bei den Grünen)

Wir wollen, dass auch das neue Leitprinzip Medienbildung im Bildungsplan mit Leben erfüllt wird. Zugleich stärken wir die außerschulische Jugendbildung. Der Ansatz für den „Zu kunftsplan Jugend“ ist gegenüber 2016 im laufenden Doppel haushalt um jährlich 5 Millionen € aufgestockt worden. Selbstwirksamkeit, Partizipation und demokratische Teilhabe sind hier Schlüsselbegriffe. Sie standen auch bei der Überar beitung der Gemeindeordnung in der vergangenen Wahlperi ode Pate. Kinder und Jugendliche sind auch in den Kommu nen an sie betreffenden Entscheidungen zu beteiligen.

Die Landeszentrale für politische Bildung – die AfD würde sie am liebsten abschaffen – fördert dies nach Kräften und mit hoher Kompetenz ebenso wie die Jugendstiftung des Landes und das Demokratiezentrum.

(Zurufe von der AfD – Gegenruf des Abg. Winfried Mack CDU)

Das alles sind notwendige Schritte hin zu einer nachhaltigen Stärkung der Werte unserer Verfassung, für Demokratie und Menschenrechte. Dieser Weg wird angesichts der Wucht von demokratieverachtender Propaganda, Fake News und Social Bots sicher nicht einfach. Aber erfreulich und stets erfrischend ist doch: Wir haben sehr viele junge Menschen an unserer Sei te.

Danke.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Für die CDU-Fraktion er teile ich Frau Kollegin Neumann-Martin das Wort.

(Abg. Anton Baron AfD: Schickes Kleid! – Abg. Dr. Christina Baum AfD: Sehr schick!)

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die Di gitalisierung verändert unseren Alltag so nachhaltig wie kaum ein anderes Phänomen. Vergleichbar ist vielleicht die Erfin dung des Buchdrucks vor gut 500 Jahren.

In den letzten Jahren haben wir gesehen, dass sich das Tem po der Veränderung vervielfacht. Deshalb haben wir uns auch für diese Legislaturperiode das Thema Digitalisierung als Querschnittsaufgabe aller Ministerien und aller Bereiche auf die Agenda gesetzt.

Vor Kurzem war ich bei einem Vor-Ort-Termin am KIT in Karlsruhe und habe mit dem Präsidenten Professor Dr. Han selka darüber gesprochen, welche Ansätze dort erforscht und diskutiert werden. Wichtige Fragen für das KIT sind nicht

mehr nur Fragen nach den technischen Möglichkeiten und In novationen, sondern die Fragen: Was macht die Digitalisie rung mit dem Leben jedes einzelnen Bürgers, und was macht die Digitalisierung mit unserer Gesellschaft?

Um solche Fragen angemessen diskutieren zu können, müs sen wir insbesondere schauen: Wie verhalten sich Kinder und Jugendliche? Denn sie werden in den nächsten Jahren und Jahrzehnten das Tempo und die Intensität des Wandels bestim men.

Die JIM-Studie des Medienpädagogischen Forschungsver bunds, im Rahmen derer seit über 20 Jahren zum Medienum gang von zwölf- bis 19-jährigen Jugendlichen geforscht wird, kommt im Jahresbericht 2017 zu dem Schluss, dass die Aus stattung der Familien mit Mediengeräten – das heißt Smart phones, Computern und Internetzugang – bei knapp 100 % angekommen ist. Das heißt im Klartext: 99 % der Jugendli chen haben heute bereits ein Smartphone, mit dem sie über all und jederzeit ins Internet gehen, sich informieren, Musik hören, chatten, spielen und gelegentlich auch noch telefonie ren.

Dies ist – kurz zusammengefasst – sicherlich die größte Ver änderung, die sich wie selbstverständlich in unseren Alltag eingeschlichen hat. Jugendliche wachsen heute mit einem enorm breiten Medienrepertoire auf, das wir uns vor wenigen Jahren noch nicht vorstellen konnten. Sie verbringen mehr Zeit im virtuellen Raum und erledigen immer mehr Dinge on line, oft ohne ihr Tun zu hinterfragen. Dies ist meines Erach tens der entscheidende Prozess, der angefangen hat, dessen Verlauf wir kaum abschätzen können.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Richtig!)

Interessant finde ich aber auch die Zahlen, die sich in den ver gangenen Jahren nicht oder nur kaum verändert haben. Seit vielen Jahren bleibt der Anteil der Jugendlichen, die mehr mals in der Woche lesen, konstant bei etwa 40 %. Mädchen lesen etwas mehr, Jungs lesen etwas weniger. Es werden also nach wie vor Bücher gelesen. Aber oftmals ist nicht die Qua lität der Bücher entscheidend, sondern es werden diejenigen Bücher gelesen, für die die besten Werbestrategien gefahren werden.

Eine für uns wichtige Frage ist natürlich: Interessieren sich junge Leute überhaupt noch für die Politik? Die gute Nach richt ist: Junge Menschen interessieren sich mehr für Politik. Im Jahr 2002 hatten bei der Shell-Jugendstudie nur 30 % der Jugendlichen angegeben, sich für Politik zu interessieren. Im Jahr 2015 waren es bereits 41 %. Das heißt, neben den per sönlichen Belangen und Problemen nehmen auch aktuelle ge sellschaftliche Entwicklungen wieder einen wichtigen Stel lenwert für Jugendliche ein. Dies ist grundsätzlich eine posi tive Entwicklung, die wir stärken und unterstützen sollten.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Gerade vor einigen Wochen hatten wir den Jugendlandtag zu Gast. Ich habe mit vielen Kindern und Jugendlichen diskutiert und dabei die Erfahrung gemacht, dass sie sehr gut informiert und sehr interessiert sind. Klar ist aber auch, dass die Infor mationsbeschaffung vor allem digital abläuft. Deshalb ist mei nes Erachtens unsere wichtigste Aufgabe, Kindern und Ju

gendlichen das richtige Rüstzeug mitzugeben, um im digita len Dschungel zurechtzukommen.

(Beifall bei der CDU)

Das Stichwort lautet natürlich Medienkompetenz. Jugendli che müssen lernen, die riesige Menge von Informationen zu hinterfragen, zu verarbeiten und auszuwerten. Diese Kompe tenz von frühester Kindheit an zu vermitteln ist aus meiner Sicht eine der wichtigsten Aufgaben und wird darüber ent scheiden, ob die Digitalisierung zu einer enormen Bereiche rung für unsere Lebensbereiche wird.

Wir in Baden-Württemberg tun heute schon viel. Gemeinsam mit verschiedenen Kooperationspartnern und insbesondere in den Schulen müssen wir Kinder und Jugendliche, aber auch ihre Familien dabei unterstützen, die Chancen der Digitalisie rung zu nutzen, ohne die Gefahren zu unterschätzen.

(Beifall bei der CDU – Vereinzelt Beifall bei den Grünen)

Dies sehe ich als eine der wichtigsten Aufgaben der Politik für die nächsten Jahre an und als entscheidenden Faktor, wie Digitalisierung gelingen kann.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)