Sehr geehrter Herr Prä sident, liebe Kolleginnen und Kollegen! „Vorwärts immer, rückwärts nimmer!“ – diese Losung aus dem sozialistischen Sprachgebrauch war nicht nur ein beliebter Ausspruch von Honecker, sondern auch das Motto der Staatsverschuldung in Deutschland.
Doch Mitte des letzten Jahrzehnts drehte sich das Bewusst sein ein bisschen. Es kamen die Schuldenuhren des Bundes der Steuerzahler, die mit schwindelerregender Geschwindig keit den Anstieg der Staatsverschuldung angezeigt haben.
Dann, ja dann kam die Schuldenbremse ins Grundgesetz. Ist damit das Schuldenproblem aus der Welt? Beherrscht die schwarze Null unsere Köpfe? Alles halb so schlimm, ein Pro blem von gestern? Hat ein Umdenken stattgefunden?
In der Tat: Aufgrund der guten Konjunktur und der geringen Zinsen sinken die öffentlichen Schulden täglich um 33 Milli onen € und sind im Jahr 2017 zum ersten Mal unter die 2-Billionen-€-Grenze gefallen. Ein Prozentpunkt weniger Zin sen entlastet die öffentlichen Haushalte um 21 Milliarden €. Auch in unserem Landeshaushalt wird man ohne eigene An strengungen 76 Millionen € weniger für den Schuldendienst in diesem Jahr, im Jahr 2017, berappen müssen.
Dennoch: Das Neuverschuldungsverbot im Jahr 2020 droht. Das hat dazu geführt, dass die Landesregierung zum 1. Janu ar 2017 das Instrument der impliziten Verschuldung einge führt hat. Man kann ja zwei Begrifflichkeiten nicht mehr hö ren: „Digitalisierung“ und „Implizite Verschuldung“. Aber ich glaube, mittlerweile weiß jeder, was implizite Verschuldung bedeutet. Vielleicht für die Zuhörer oben auf der Tribüne: Sa nierungsstau wird einfach zu Schulden erklärt.
Die Landesregierung stellt die Verhinderung des Anwach sens der impliziten Verschuldung deren Abbau gleich.
Damit ist die Einführung des Prinzips der impliziten Verschul dung ein „Sesam, öffne dich!“ für die Finanzpolitik der Lan desregierung.
Deshalb, lieber Herr Hofelich, geht der Gesetzentwurf der SPD auch grundsätzlich in die richtige Richtung, indem die Kriterien, was man unter dieser impliziten Verschuldung ver stehen muss, eng und genauer gefasst werden.
Die FDP/DVP-Fraktion steht dem Prinzip der impliziten Ver schuldung sehr kritisch gegenüber. U. a. aus diesem Grund wurde von uns auch der Haushalt 2017 abgelehnt.
Der Rechnungshof stellt in seinem Bericht fest, dass man kei ne grundsätzlichen Einwände gegen eine auf die Übergangs zeit bis 2019 beschränkte Möglichkeit des Abbaus der impli ziten Verschuldung habe, betont aber, es sei notwendig, den Begriff der impliziten Verschuldung genauer zu fassen – was auch der Gesetzentwurf der SPD anstrebt.
Anlässlich des Symposiums der Genossenschaftsbank und der Kreissparkasse im Haus der Wirtschaft vor etwa zwei Wochen, sehr geehrte Frau Staatssekretärin, habe ich der Finanzminis terin – bzw. der versammelten Professorenschaft oben auf der Tribüne – die Frage gestellt, was man denn von der nun prak tizierten Alternative halte, Geld in Sanierung zu stecken, und ob es nicht besser sei, Kreditmarktschulden zu tilgen. Die Ant wort war ein klassisches Sowohl-als-auch.
Das haben wir in Kenntnis der volkswirtschaftlichen Lage, aber auch und vor allem der Signalwirkung für die Menschen hier im Ländle auch bei der Haushaltsverabschiedung im Jahr 2017 gefordert – aber eben ohne Umgehung der Regeln der Haushaltsordnung.
Ihr Problem mit den versteckten Schulden zeigt jetzt, wie wacklig das Konstrukt der impliziten Schuldentilgung ist; denn die nicht benötigten Kreditermächtigungen nutzen Sie ja dafür.
Wir können den Gesetzentwurf der SPD leider nicht mittra gen. Er schränkt zwar den Begriff der impliziten Verschul dung sinnvoll ein, doch beseitigt er nicht das Grundproblem, dass sich die Landesregierung weitere zwei Jahre vor einem substanziellen Abbau der Kreditmarktverschuldung drücken kann. Das, was uns heute Morgen angeboten wurde und was wir jetzt in dem Haushaltsentwurf gelesen haben, dass man eben mit den 2,4 Milliarden €, die sozusagen in die Schulden tilgung gesteckt werden – wenn ich das einmal so sagen darf –, nur 500 Millionen € an Kreditmarktschulden tilgen will,
Ich komme zum letzten Satz: Was der Gesetzentwurf der SPDFraktion anbietet, ist meines Erachtens ein viel zu kleines Pflaster für die klaffende Wunde, auch implizite Verschuldung genannt.
Sehr geehrter Herr Prä sident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landes regierung hat sich zur Aufgabe gemacht, die implizite Ver schuldung des Landes abzubauen.
Wir bekämpfen den Sanierungsstau, wir betreiben Vorsorge für die Pensionen der Beamtinnen und Beamten, und wir ver hindern durch gezielte Zuschüsse an Gesellschaften, für de ren Schuld das Land haftet, einen weiteren Aufwuchs der Eventualverbindlichkeiten des Landes. Für diese Zwecke wer den neben der Schuldentilgung über dem langfristigen Trend liegende Steuereinnahmen eingesetzt.
Damit gelingt uns zweierlei: Erstens wird die versteckte Schuldenlast gesenkt, und zweitens werden die überdurch schnittlichen Steuereinnahmen eben nicht zur Finanzierung von Mehrausgaben eingesetzt, die strukturell wirken. Das könnte uns nämlich in künftigen Haushaltsjahren auf die Fü ße fallen. Die Frau Ministerin hat dies heute Mittag auch aus führlich erläutert.
Die SPD-Fraktion hat nun einen Gesetzentwurf vorgelegt, der darauf abzielt, die Tilgung expliziter und impliziter Schulden auf die Bildung von Rückstellungen zur Versorgung, soge nannte Nettobauinvestitionen und Kreditmarktschuldentilgung zu beschränken. Warum das eine Verschlechterung wäre, er läutere ich gleich.
Vorab möchte ich darauf hinweisen, dass die heutige Debatte ja nicht neu ist. Ich erinnere an den SPD-Antrag vom Novem ber vergangenen Jahres mit dem bemerkenswerten Titel: „Wie sich die Landesregierung mit kreativer Buchführung von der Schuldenbremse der Landeshaushaltsordnung und der Schul denbremse des deutschen Grundgesetzes verabschiedet“.
Aber auch jüngst haben Sie uns – so nachzulesen in der „Stutt garter Zeitung“ vom 6. Oktober – vorgeworfen, dass wir ge gen Haushaltsrecht verstoßen würden. Das weise ich ganz klar
(Beifall bei den Grünen und des Abg. Konrad Epple CDU – Abg. Peter Hofelich SPD: Na, na, na! – Abg. Reinhold Gall SPD: Meine Güte!)
Aber nun zurück zum vorliegenden Gesetzentwurf. Im Ver gleich zur geltenden Rechtslage bedeutet Ihr Vorschlag eine Verschlechterung. Erstens wäre danach ein Abbau von Even tualverbindlichkeiten aus Tilgungsmitteln nicht mehr mög lich. Das halte ich ganz klar für einen Fehler.
Zweitens könnten Sanierungsinvestitionen nur insoweit aus der Tilgungsverpflichtung bedient werden, als die Gesamtin vestitionen die kalkulierte Abschreibung übersteigen.
Was genau ist eigentlich die kalkulierte Abschreibung? Ich vermute, dass Sie auf den jährlichen Mittelbedarf, der sich aus der regelmäßigen Instandhaltung und der eigentlichen kalku latorischen Abschreibung für den Wertverlust der Immobili en, der Straßen usw. zusammensetzt, abzielen.
Für den staatlichen Hochbau wurde im Rahmen des Kassen sturzes 2011 ein jährlicher Mittelbedarf für Erhalt und Instand setzung von 550 Millionen € angegeben. Mittlerweile liegt ei ne neue umfassende Ermittlung des Finanzministeriums vor, und dadurch wurde dieser Wert auf 850 Millionen € fortge schrieben. Im Bereich des Straßenbaus müssen nach Berech nungen des Rechnungshofs mindestens 100 Millionen € pro Jahr für die Sanierung der Landesstraßen ausgegeben werden, damit das Straßennetz in einem guten Zustand erhalten wer den kann. Damit dürfte das Land nach dem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion Sanierungsausgaben im Umfang von mindes tens 950 Millionen € jährlich nicht aus den über dem Trend liegenden Steuereinnahmen finanzieren; lediglich darüber hi nausgehende sogenannte Nettobauinvestitionen dürften hier aus gedeckt werden.
Nach geltender Rechtslage wird dagegen das Delta zwischen den für Sanierung und Erhalt notwendigen Mittelansätzen und den Ansätzen der mittelfristigen Finanzplanung über Mittel aus der Tilgungsverpflichtung geschlossen. Das ist eine klare und keineswegs willkürliche Definition. Sie können die Zah len auch jederzeit ganz transparent nachlesen: für den Haus halt 2017 im Einzelplan 12 und an weiteren entsprechenden Stellen, für den Haushalt 2018/2019 im Entwurf, der jetzt in das parlamentarische Verfahren eingebracht wurde.
Die Folge einer Umsetzung des Gesetzentwurfs der SPDFraktion wäre entweder, dass die notwendigen Investitionen eben nicht getätigt würden, oder dass im Doppelhaushalt 2018/2019 eine sehr große Deckungslücke entstünde, die oh ne massive Einschränkung an anderer Stelle nicht gefüllt wer den könnte. Beides kann nicht in unserem und eigentlich auch nicht in Ihrem Sinn sein. Worauf zielen Sie also ab?
Ähnlich stellt sich die Problematik bezüglich der Zuweisun gen an die Kommunen zum Abbau des dortigen Sanierungs staus dar. Frau Abg. Walker ist darauf schon eingegangen.