Protocol of the Session on November 8, 2017

Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte, wie der Kollege, ebenfalls daran erinnern: 1976 entwich aus einer Chemiefabrik in Norditalien hochgiftiges Dioxin, und der Wind trug die Wolke über Seveso. Der Name dieser lombar dischen Kleinstadt steht seitdem symbolisch für das Gefah renpotenzial großindustrieller Anlagen und für die skrupello se Bereitschaft der damaligen Betreiber, das Austreten des di oxinhaltigen Trichlorphenols zu verschleiern.

1984 sind im indischen Bhopal mehrere Tausend Tonnen des hochgiftigen Stoffes Methylisocyanat ausgetreten. Mehr als 25 000 Menschen starben unmittelbar an den Folgen.

Ich erinnere daran: Im Sommer 2015 gelangte über Lösch wasser das Düngemittel Ammoniumnitrat in die Jagst. Die Giftblase entlang des ökologisch reichhaltigen Flusses brach te ein dramatisches Fischsterben mit sich. Das ökologische System dieses unseres baden-württembergischen Flusses ist auf Jahre hinaus gestört.

Im Oktober 2016 ereignete sich der Chemieunfall bei der BASF, bei dem es eine Explosion und nachfolgend stunden lange Brände gab.

Ja, Unfälle mit hochgiftigen Stoffen wird es leider immer ge ben. Aus dem Seveso-Unglück konnten und können jedoch Lehren zum Umgang mit gefährlichen Stoffen gezogen wer den. Diese haben auf europäischer Ebene Eingang in einen Gesetzgebungsprozess gefunden, an dessen Ende 1982 die erste sogenannte Seveso-Richtlinie über die Gefahren schwe rer Unfälle bei bestimmten Industrieprozessen in Kraft trat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Ziel der Seveso-Richt linien hat sich im Laufe der Zeit nicht geändert. Höchste Pri orität hat der Schutzgedanke. Schwere Unfälle in Industrie betrieben sollen weitestmöglich vermieden und in ihren Aus wirkungen begrenzt werden. Die Seveso-III-Richtlinie passt dazu ihren Geltungsbereich an neue EU-Vorgaben zur Einstu fung sowie zur Kennzeichnung von Chemikalien an.

In Baden-Württemberg müssen infolge der Umsetzung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes drei wesentliche Änderun gen geregelt werden, die vor allem Anzeigeverfahren, Aus kunftspflichten der Betreiber, Sicherheitsberichte, die Öffent lichkeitsbeteiligung und das Bauordnungsrecht betreffen. Auf die einzelnen Artikel will ich hier im Detail nicht eingehen.

Meine Damen und Herren, die EU-Richtlinie ist umzusetzen. Die Bundesregierung hat den Entwurf eines Gesetzes zur Um setzung der Richtlinie 2012/18/EU zur Beherrschung der Ge fahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen, zur Ände rung und anschließenden Aufhebung der Richtlinie 96/82/EG des Rates beschlossen. Der landesrechtlichen Umsetzung tra gen wir mit diesem Gesetz heute Rechnung.

Ich kann für die CDU-Fraktion heute abschließend feststel len, dass unser Land erstens dem wichtigen Schutz der Bevöl kerung und der Umwelt vor schweren Unfällen sowie zwei tens den berechtigten Anliegen der Wirtschaft Baden-Würt tembergs durch das Artikelgesetz in der vorliegenden Fassung gerecht wird. Die CDU-Fraktion wird daher dem vorliegen den Gesetzentwurf Drucksache 16/2842 zustimmen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Für die AfD-Fraktion er teile ich das Wort dem Kollegen Dr. Grimmer.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Gestatten Sie auch mir ei nen ganz kurzen Rückblick auf die Ereignisse, die diesem Ge setzgebungsverfahren zugrunde liegen – allerdings unter ei nem etwas anderen Aspekt, als ihn der Kollege Dr. Murschel gewählt hat.

Es war ein Samstag, 10. Juli, ungefähr gegen 12 Uhr, als durch das versehentliche Öffnen eines Sicherheitsventils eine halbe Stunde lang Dioxin in die Umwelt abgelassen wurde. Eine Vorrichtung zum Auffangen gab es nicht. – Das war ein Sams tag.

Am Montag wurde im Werk weitergearbeitet; an diesem Tag wurden in dieser Gegend bereits ca. 3 000 Tierkadaver gefun den. Am Mittwoch wurde das Schwimmbad von Seveso ge schlossen. Die Anwohner wurden ohne Angabe von Gründen gebeten, Obst und Gemüse nicht zu ernten, sondern zu ver nichten. Am Donnerstag wurden 14 Kinder mit Chlorakne ins Krankenhaus eingeliefert; die Gesamtzahl der Erkrankten be trug schließlich 200.

Obwohl die Werkleitung schon am ersten Tag wusste, dass Di oxin freigesetzt worden war, gab sie dies erst acht Tage spä ter bekannt. Die Konzernzentrale von Roche wurde schon am Montag – das war der 12. Juli – verständigt; aber auch sie in formierte die Öffentlichkeit nicht. Später riefen die Gesund heitsbehörden dann Schwangere sogar gegebenenfalls zur Ab treibung auf.

Ich glaube, bereits hier wird deutlich, wie wichtig das Thema „Information der Öffentlichkeit“ ist, das auch im jetzigen Ge setzentwurf eine wichtige Rolle spielt. Es ist gut, dass seitdem vonseiten der Gesetzgeber sehr viel passiert ist. Ich bitte, ge nau hinzuhören: Wir anerkennen ausdrücklich, dass es sinn voll ist, solche Fragen für ganz Europa zentral und einheitlich zu regeln.

(Beifall bei der AfD)

Heute diskutieren wir über eine ganz kleine Verästelung der unzähligen Gesetze, Vorschriften, Verordnungen. Das ist der anstrengende Teil beim Halten der Balance zwischen Euro zentralismus und Subsidiarität.

Der Gesetzentwurf spricht von einer – ich zitiere – „geringen praktischen Relevanz“, weil die Seveso-III-Richtlinie nur für Betriebsbereiche gilt,

... die nicht gewerblichen oder wirtschaftlichen Zwecken dienen und in denen bestimmte... Stoffe in entsprechen den Mengen vorhanden sind...

Von militärischen Anwendungen ist hier nicht die Rede. Wir haben bei der Recherche auch nichts darüber gefunden. Ich wäre der Regierung dankbar, wenn sie uns hier eine Äußerung dazu abgeben könnte, wo und wie der Schutz der Bevölke rung und der Umwelt vor Gesundheitsgefahren aus militäri schen Anlagen Berücksichtigung findet.

(Beifall bei der AfD und des Abg. Dr. Wolfgang Ge deon [fraktionslos])

Die verstärkte Öffentlichkeitsbeteiligung hört sich zunächst sehr gut an. Wir geben aber auch zu bedenken – wir werden die Frage weiter auf unserer Agenda halten –, inwieweit die Öffentlichkeit die angebotenen Informationen überhaupt ver arbeiten kann.

Wir begrüßen es, dass Einwendungen zurückgewiesen wur den, welche die Öffentlichkeitsbeteiligung in der geplanten Form in Zweifel gezogen hätten. Das war u. a. das Nichtken nen der zukünftigen Bewohner geplanter Gebäude, das waren Verzögerungen bei der Schaffung von Wohnraum, und das waren das Investitionsrisiko und Verteuerungen, die befürch tet wurden.

Die Landesregierung hat daraufhin etwas beschwichtigend ge antwortet und ausgeführt:

Im Übrigen wird davon ausgegangen, dass die Beteili gung der Öffentlichkeit regelmäßig nur eine Auslegung der Planunterlagen sowie eine Bekanntmachung des Vor habens im Amtsblatt... erfordert und so kein nennenswer ter zusätzlicher Verwaltungsaufwand... entsteht.

Das ist sehr zu begrüßen. Inwieweit vor diesem Hintergrund ein de jure zugesichertes Beteiligungsrecht des Bürgers nur noch pro forma besteht, muss die Praxis erst zeigen.

Sollte es in unserer immer komplexer werdenden Welt nicht möglich sein, das Verwaltungsdeutsch in Umgangssprache zu übersetzen

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

und dies dann auch auf den heute zunehmend eingesetzten modernen Wegen zu verbreiten? Wenn die Zahl der Abonnen ten der Tageszeitungen immer weiter sinkt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Bevölkerung ausreichend in formiert wird. Ein neuer Weg wäre – entsprechend der offizi ellen Katastrophen-App NINA – eine App, die alle Planungen mit Öffentlichkeitsbeteiligung um den Standort herum aufge listet darstellt.

Der juristischen Kleinarbeit des Gesetzentwurfs zollen wir Respekt. Wir werden dem Gesetzentwurf zustimmen.

(Beifall bei der AfD und des Abg. Dr. Wolfgang Ge deon [fraktionslos])

Für die SPD-Fraktion er teile ich das Wort Frau Kollegin Rolland.

Vielen Dank. – Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen! Auch die SPD-Fraktion wird dem Gesetzentwurf zustimmen.

Wir würden gern an den Rhein erinnern, der vor mehr als 30 Jahren, ausgelöst durch den Sandoz-Unfall, eine zwar schöne rote Farbe hatte, die allerdings sehr giftig war, weswegen kein Fisch und kein anderes Lebewesen mehr im Rhein zu finden war.

Wir setzen hier EU-Recht in nationales Recht um. Der Bund hat dies bereits am Anfang des Jahres getan. Wir kommen jetzt am Ende des Jahres dazu.

Die Beteiligung der Öffentlichkeit ist sicherlich richtig. Das Gesetz dient der Gefahrenabwehr. Bei ca. 290 betroffenen Be trieben im Land ist dies übersichtlich. Ziel ist ein einheitlicher Verwaltungsvollzug. Öffentliche Einrichtungen, die mit ent sprechenden Gefahrstoffen umgehen, werden gleich behan delt. Da kann man nichts dagegen haben.

Die bestehenden Betriebe haben Bestandsschutz. Für laufen de Verfahren gibt es eine Übergangsvorschrift, sodass es da durch keine Benachteiligung gibt. Eigentlich ist also alles gut.

Trotzdem sind wir nicht zufrieden. Es hat auch etwas Unmut gegeben, was zum einen den Umweltausschuss betrifft, was jetzt öffentlich ein bisschen an mir hängen geblieben ist, was ich nicht ganz in Ordnung finde; dazu können ja die Urheber noch etwas sagen. Aber ich finde die Kritik inhaltlich schon berechtigt. Wenn der Bund am Anfang des Jahres die gesetz lichen Änderungen macht und wir das erst jetzt am Ende des Jahres behandeln, dann hätte man vielleicht doch ein bisschen früher die Ausschüsse, also das Parlament, beteiligen können. Im Umweltausschuss als federführendem Ausschuss ist das ordnungsgemäß gelaufen – danke, Herr Minister –, wir haben das auch gut behandelt.

Aber der Unmut bezog sich darauf, dass wir heute ja auch die Landesbauordnung ändern – also zum zweiten Mal am heuti gen Tag –, und zwar in Artikel 3. Das ist eine nicht unerheb liche Änderung. Dafür ist halt der Ausschuss für Wirtschaft zuständig. Aber die Frau Ministerin ist gar nicht mehr da. Was soll man jetzt dazu sagen?

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Die Frau Ministerin, die für die Änderung der Landesbauord nung zuständig ist, hat heute nicht die Zeit, dieses Gesetz wei ter zu beurteilen

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Skandal!)

und vielleicht auch Rede und Antwort zu stehen im Hinblick auf die Diskussion, die heute in der Mittagspause schnell durchgeführt werden musste.

Wir finden schon, da liegt in gewisser Weise der Hund begra ben.

(Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)

Herr Umweltminister, es tut uns leid, dass Sie jetzt vielleicht etwas dazu sagen müssen. Aber wir, die Abgeordneten der Op position, wünschen uns schon, dass wir frühzeitig in die Ge setzgebungsverfahren einbezogen werden.

Herr Präsident, vielleicht werden auch Sie zukünftig darauf achten, dass die Gesetzentwürfe so zeitig vorgelegt und die Anhörungen so fristgerecht gemacht werden, dass wir in den Ausschusssitzungen ordnungsgemäß verfahren können, dass also der federführende Ausschuss dann diskutieren und ent scheiden kann, wenn die anderen betroffenen Ausschüsse das bereits getan haben, und deren Meinungsbild zugrunde legen kann.

Das würden wir Ihnen, der Landesregierung, noch einmal mit auf den Weg geben. Ansonsten wird die SPD-Fraktion trotz

allem zustimmen. In Zukunft werden wir Ihnen das aber nicht mehr durchgehen lassen.