Protocol of the Session on July 19, 2017

Meine Damen und Her ren, für die Aussprache hat das Präsidium eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt.

Ich erteile für die Fraktion GRÜNE Frau Kollegin Zimmer das Wort zu ihrer ersten Rede.

Sehr verehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Busse und Straßenbahnen landesweit attraktiver machen – mit diesem Schlagwort kann man das im Entwurf vorliegende Gesetz mit dem sperrigen Namen „Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Planung, Organisation und Gestaltung des öffentlichen Personennah verkehrs und des Finanzausgleichsgesetzes“ überschreiben.

Verkehrspolitik muss die Mobilität der Menschen und der Wirtschaft im Land ermöglichen, und sie muss zugleich einen spürbaren Beitrag zur Reduktion klima- und umweltschädli cher Emissionen leisten. Nach Berechnungen der Bundesre gierung muss der CO2-Ausstoß im Verkehr bis zum Jahr 2030 um 40 % gegenüber 1990 sinken, damit wir die Klimaschutz ziele erreichen. Daher müssen wir in Baden-Württemberg als einer der wirtschaftsstärksten Regionen alles tun, damit auch wir einen erheblichen Beitrag dazu leisten, diese Klimaschutz ziele zu erreichen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Einer der Hauptverursacher für das Verfehlen der Klima schutzziele ist immer noch der Straßenverkehr. Mit dem ge planten neuen ÖPNV-Gesetz und der damit verbundenen Fi nanzierung leisten wir einen weiteren wichtigen Beitrag, da mit Baden-Württemberg zum Vorreiter einer klimaschonen den Mobilität werden kann.

Daher haben wir im Koalitionsvertrag gemeinsam die ÖPNVOffensive vereinbart. Zukünftig werden mindestens im Stun dentakt von frühmorgens bis spätabends Busse und Bahnen die Ortschaften in Baden-Württemberg miteinander verbin den. Sowohl die Bürgerinnen und Bürger im ländlichen Raum als auch diejenigen in den Ballungszentren werden davon pro fitieren.

Genau an dieser Stelle, nämlich bei der Steigerung der Attrak tivität des öffentlichen Verkehrs, setzen wir mit der heutigen ersten Lesung des Gesetzentwurfs an. Um was geht es? Die kreisfreien Städte und die Landkreise erhalten als Aufgaben träger durch die Änderung dieses Gesetzes mehr Handlungs spielräume und Geld, um den ÖPNV-Ausbau entschlossen vo rantreiben zu können. Denn sie sind es, die zukünftig bestim men werden, welcher ÖPNV in ihrer Stadt, in ihrem Land kreis der beste ist. Wir schaffen mit dieser Reform dafür eine rechtssichere und zukunftsfähige Finanzierungsgrundlage.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Mit der Situation insbesondere im ländlichen Raum, dass Be wohnerinnen und Bewohner von manchen kleineren Ortschaf ten nur zwei Mal am Tag einen Bus sehen, nämlich dann, wenn der Schulbus hineinfährt, und dann, wenn er wieder he rausfährt, muss Schluss sein.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Bisher fließen rund 200 Millionen € als Ausgleichszahlungen für verbilligte Schüler- und Auszubildendentickets direkt vom Land an die Verkehrsunternehmen und so eben in den ÖPNV. 200 Millionen €, das hört sich erst einmal viel an. Aber durch die fehlende Dynamisierung steht heute nominal weniger Geld zur Verfügung als im Jahr 2000. Deshalb bin ich froh, dass es eine Mittelaufstockung geben wird: ab dem Jahr 2021 schritt weise bis 2023 um 50 Millionen € auf insgesamt 250 Millio nen €, die wir dann zur Verfügung haben.

Wir setzen auch hier um, was wir unter dem Stichwort ÖPNVOffensive gemeinsam vereinbart haben. Mein großer Dank gilt hier den kommunalen Landesverbänden; denn die Aufsto ckung der Mittel wird hälftig vom Land und hälftig von den kommunalen Landesverbänden übernommen.

Für die Bürgerinnen und Bürger Baden-Württembergs bedeu tet dieses Reformpaket mehr Busse im dichteren Takt im gan zen Land, günstigere Tickets im Ausbildungsverkehr oder auch höheren Komfort, z. B. durch WLAN oder durch Barri erefreiheit. Wir tragen so insgesamt zu einer qualitativen und quantitativen Verbesserung im ÖPNV bei.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

In einem ausführlichen und breiten Beteiligungsverfahren – der Minister hat es gerade schon geschildert – haben wir ge meinsam mit dem Städtetag, dem Landkreistag, dem Verband Baden-Württembergischer Omnibusunternehmer und dem Ver band Deutscher Verkehrsunternehmen diese Finanzierungsre form gestaltet. Wir haben eine Lösung erarbeitet, die für alle praktikabel ist, die vorausschauend geplant ist und von der al le Fahrgäste im Land profitieren werden. Dafür ganz herzli chen Dank an alle Beteiligten in diesem Prozess.

Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass sich mit dieser Reform mehr Gestaltungsspielräume für die beteiligten Ak teure ergeben und dass mehr Geld ins Spiel kommt. Das heißt, mit dieser Reform arbeiten wir am grünen Herzensanliegen, klimaschonende Mobilität sachgerecht und innovativ zum Wohl der Menschen in Baden-Württemberg umzusetzen.

Wer die unbedingt notwendigen Klimaziele des Verkehrssek tors erreichen will, wer die Luftqualität in den Städten wirk sam und auf Dauer verbessern will, der muss jetzt Geld in die Hand nehmen, um den öffentlichen Nahverkehr auszubauen. Genau das tun wir mit diesem Gesetz.

(Beifall bei den Grünen sowie der Abg. Nicole Raza vi und Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Mobilität so zu gestalten,

(Glocke des Präsidenten)

dass Baden-Württemberg ein Wegbereiter für die Mobilität der Zukunft sein kann, das ist und bleibt Leitlinie unseres Handelns.

Danke.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der SPD)

Für die CDU-Fraktion er teile ich das Wort Frau Kollegin Razavi.

(Abg. Nicole Razavi CDU fährt das Redepult nach unten.)

Sind Sie auch so groß? – Herr Prä sident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir wollen den ÖPNV im Land zukunftsfest machen und stärken. Das ha ben sich die beiden Koalitionspartner ins Stammbuch ge schrieben, in den Koalitionsvertrag. Wir sind uns einig, dass wir eher mehr als weniger öffentlichen Personennahverkehr im Land brauchen, und wir sind uns auch einig, dass der Bus das Rückgrat des ÖPNV im ländlichen Raum bildet.

Wenn wir heute die Novelle des ÖPNV-Gesetzes diskutieren, dann ist es das Ergebnis eines sehr langen und ehrlich gesagt auch recht schwierigen, teilweise auch quälenden Prozesses, eine notwendige Änderung zu vollziehen und auf den Weg zu bringen.

Wie wir wissen, sind die Mittel nach § 45 a des Personenbe förderungsgesetzes eine tragende Säule bei der Finanzierung des ÖPNV. Weil die bisherige pauschale Auszahlung eben dem Europarecht widerspricht, ist eine Nachfolgelösung not wendig.

Wir haben über diese Nachfolgelösung wirklich intensiv ge rungen. Es ist auch kein Geheimnis, dass die jetzt vorliegen de Kommunalisierung nicht gerade der Weg ist, den sich die CDU gewünscht hat. Wir hätten uns lieber eine Fortführung des Unternehmermodells gewünscht und hatten darauf auch gesetzt. Das haben wir in der Vergangenheit auch immer be tont. Aber die Weichen für die Kommunalisierung haben die Vorgängerregierung und die Fraktionen von SPD und Grünen auf den Weg gebracht. Gescheitert ist sie in der letzten Legis

laturperiode daran, dass man die Beteiligten nicht ausreichend eingebunden hatte. Gescheitert ist sie aber auch, weil die da malige Koalition die notwendigen zusätzlichen Finanzmittel – der Herr Minister und die Kollegin haben das schon be schrieben – nicht bereitstellen wollte.

In den Koalitionsverhandlungen haben wir drei Punkte zur Bedingung für unsere Zustimmung gemacht: zum einen, dass die Verkehrsunternehmen, die Verbünde, die kommunalen Aufgabenträger und der Verband Region Stuttgart in diesen Prozess aktiv einbezogen werden, zum Zweiten, dass kom munale wie auch unternehmerische Interessen in dem ganzen Prozess Berücksichtigung finden, und drittens, dass das Land hierfür zusätzliche Finanzmittel zur Verfügung stellt, sofern dies auch die kommunale Seite in gleicher Weise tut. Diese Voraussetzungen sind nun erfüllt.

Im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens kam auch ein Eck punktepapier zustande, auf das sich alle Beteiligten geeinigt hatten und das sie auch unterzeichnet hatten. Dabei haben sie sich auf die Umsetzung der Kommunalisierung geeinigt. Das bedeutet, die Aufgabenträgerschaft und die finanzielle Verant wortung werden jetzt zusammengeführt.

Auf dieser Grundlage ist also eine konsensorientierte Lösung zwischen den Fraktionen, der Landesregierung, den Unter nehmen und den kommunalen Landesverbänden gefunden worden. Das Land bringt mit 25 Millionen € pro Jahr massiv zusätzliches Geld ein. Auch die kommunale Seite engagiert sich in derselben Höhe. Das heißt, dass wir im Zielzustand bis zum Jahr 2023 statt nun 200 Millionen € dann 250 Millionen € zur Verfügung haben werden.

Den ersten Schritt der Reform gehen wir nun mit der Ände rung der rechtlichen Grundlagen. Entscheidend ist für das Ge lingen aber auch, wie die Reform in den nächsten Jahren um gesetzt wird. Der Verteilungsschlüssel muss zum 1. Januar 2021 neu gestaltet werden. Wir, die CDU-Fraktion, werden darauf achten, dass die Interessen der Ballungsräume und der ländlichen Räume hier in Einklang gebracht werden, dass die Umsetzung der Ausschreibungen die mittelständische Busun ternehmerlandschaft in unserem Land weiterhin im Auge be hält. Denn auch die Busunternehmer sollen in der Zukunft in der Lage sein, sich zu beteiligen und Leistungen zu erbringen.

(Beifall bei der CDU)

Dafür haben die beiden Regierungsfraktionen angeregt, einen Pakt für den Mittelstand im ÖPNV zu schließen, der auch bun desweit Modellcharakter hätte. Dies soll unter Beteiligung des Landes, der Unternehmerverbände und der kommunalen Lan desverbände als Aufgabenträger geschehen. Ziel ist, die Ver gabe der Busverkehre mittelstandsfreundlich zu gestalten, al so die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass der Mittelstand auch weiterhin den Busverkehr gestalten wird und eine faire Chance auf dem Markt hat.

Wir, die CDU-Fraktion, regen als Maßnahmen an, die Lini enbündel so zuzuschneiden, dass auch kleinere Busunterneh mer die Chance haben, sich an den Ausschreibungen zu be teiligen, dass von der europarechtlichen Möglichkeit der Di rektvergabe an Mittelständler und KMUs Gebrauch gemacht wird und dass die Einhaltung der Tariftreuepflicht nicht nur in den Vergabeverfahren gefordert wird, sondern an entschei

dender Stelle auch kontrolliert wird und Verstöße sanktioniert werden. Dazu gehört auch eine transparente und einheitliche Genehmigungspraxis, z. B. durch eine Verwaltungsvorschrift.

Ich denke, mit diesen Voraussetzungen und mit diesem Pakt für den Mittelstand sind wir auf einem guten Weg – wie ge sagt, wir alle kämpfen für einen guten ÖPNV –, und ich bin mir sicher, dass das auch in Zukunft gelingen wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Für die AfD-Fraktion er teile ich das Wort dem Kollegen Gögel.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die AfD ist selbstverständlich für den Ausbau des ÖPNV, für einen guten, starken und bezahlbaren Ausbau. Die se Gesetzesnovelle – ich möchte den Titel nicht noch einmal vorlesen, sonst sind die fünf Minuten um – erinnert mich et was an die Aufhebung des Ordnungsrahmens für das Spediti onsgewerbe vor gut 20 Jahren. Auch dort wurde sehr viel mit uns Unternehmern gesprochen, wurde uns sehr viel zugespro chen, und es wurden uns Ängste genommen und versichert, dass alles harmonisch weitergehen werde und harmonisiert werde. Das hat sich bis heute leider in meinem Gewerbe nicht bewahrheitet, und ich hoffe nicht, dass es für die Auftragneh mer im öffentlichen Personennahverkehr ähnlich laufen wird.

Ich habe mir diesen Gesetzentwurf zwei-, dreimal durchgele sen, auch die Ergebnisse der Anhörungen der Verbände gele sen und muss sagen: Handwerklich kann man als politische Partei, als Fraktion bzw. Regierungsfraktion sicher nicht mehr tun, als alle Bedenken auszuloten und möglichst vielen zu ent sprechen.

Dennoch wirft dieses Thema einige Fragen auf, z. B. – was wir heute noch nicht gehört haben – die 1-%-Verwaltungskos tenregelung für die kommunalen Träger. 1 % bedeutet für Ulm beispielsweise 170 000 € Verwaltungskosten pro Jahr, und für Baden-Baden bedeutet es 6 500 €. Jeder Kreis braucht laut Auskunft des Landes 0,3 Arbeitskräfte, um die Verwaltungs tätigkeit dort durchzuführen. 0,3 Arbeitskräfte verursachen laut Auskunft des Landes etwa 34 000 € an Personalkosten, und man muss auch noch den Arbeitsplatz einrichten; also kommt Baden-Baden mit 6 500 € hier sicher nicht weit. Des halb werden wir sicher noch einen Änderungsantrag nachrei chen, damit wir im Verwaltungskostenbereich einen Pauschal betrag für die Kommunen für die nächsten drei Jahre sicher stellen können; denn sonst muss es aus der eigenen Kasse fi nanziert werden. Das ist eine Frage, die sich für uns ergeben hat.

Ein weiteres Risiko, das wir sehen, liegt darin, dass zukünf tig die Netze so groß ausgeschrieben werden könnten, dass europaweite Ausschreibungen erfolgen müssen und damit die Gefahr besteht, dass Klein- und Mittelbetriebe aus der Regi on in Baden-Württemberg aus dem Markt verdrängt werden. Wie man das ausschließen könnte, ist ebenfalls als Frage of fen.

Ein weiterer Punkt, der letztlich noch nicht geklärt werden konnte, besteht in Bezug auf die Finanzhoheit der Kommu

nen, die ihnen die Möglichkeit lässt, eventuelle Restbeträge aus den jährlichen Zuweisungen – und zwar vom jeweiligen Aufgabenträger in seinem jeweiligen Zuständigkeitsbereich – für die Finanzierung anderer gemeinwirtschaftlicher Ver pflichtungen nach Artikel sowieso Nummer sowieso EG zu verwenden. Daraus ergibt sich für mich ein klarer Anreiz für die Kommunen, die Bedingungen bei künftigen Ausschrei bungen schärfer auszugestalten, um damit größere finanziel le Spielräume für sich zu erlangen.

Denn eines ist auch klar: Wir haben im Moment 1,5 Millio nen Schüler in Baden-Württemberg. Wir wissen nicht, wie viele davon den ÖPNV in Anspruch nehmen, da die Daten, mit denen wir arbeiten, veraltet sind; wir erfassen ja neue. Al lerdings stellt sich mir bei der neuen Datenerfassung die Fra ge: Beziehen wir auch die Zahlen ein, die wir in den letzten zehn Tagen aus der Presse erfahren haben, wonach wir mit et wa einer Million Kindern mehr in Deutschland rechnen müs sen, zum einen durch höhere Geburtenraten – das ist sehr er freulich – und zum anderen sicher durch Zuwanderung?

(Zurufe)