Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch für Baden-Württem berg erwarten wir als Folge des Brexits Einbußen, und zwar vor allem für Maschinen- und Autobauer sowie für die pharma zeutische Industrie. Wir erwarten einen Rückgang wissenschaft licher Kooperationen im Forschungsprogramm Horizon 2020, weniger Auslandsaustausch junger Menschen mit ERASMUS und weniger europäische Medienförderung. Das schmälert un sere gemeinsamen europäischen Ressourcen, um im Wettbe werb der globalen Wissensgesellschaft auch künftig mithalten zu können. Die Mobilität von Gedanken, Ideen und Menschen ist Teil unserer europäischen Identität, die uns bei aller Viel falt der Kulturen in Europa stärkt.
Für die verbleibenden Mitglieder ist der Brexit ein Weckruf, der vielleicht gerade wegen vieler Unsicherheiten mit der Chance einhergeht, den Prozess der europäischen Integration neu zu beleben und notwendige Reformen beherzt anzugehen. Die Regelungstiefe so mancher Richtlinien und Verordnun gen müssen wir hinterfragen, und wir müssen uns entschei den, wo wir eine engere Zusammenarbeit in wesentlichen Fra gen brauchen – Fragen, in denen der Nationalstaat für sich al lein in der globalisierten Welt nicht handlungsfähig ist, etwa in der Sicherheitspolitik, beim Klimawandel, in der Umwelt- und Energiepolitik oder bei der Fiskal- und Wirtschaftspoli tik. Hier muss die EU dringend Gestaltungskraft beweisen.
Deshalb sind wir Grünen über den Ausgang der Wahl in Frankreich auch erst einmal sehr erleichtert. Mit Emmanuel Macron zieht ein überzeugter Proeuropäer und Garant der deutsch-französischen Freundschaft in den Elysée-Palast ein. Für uns ist natürlich auch entscheidend, dass nach dem Bre xit kein „Frexit“ droht. Aber hierzu hören Sie morgen mehr von meinen Kollegen.
Krisen bieten uns die Chance, uns neu aufzustellen und ge stärkt daraus hervorzugehen. Nutzen wir dies, wir als Land Baden-Württemberg, als eine Region, die ganz besonders von der europäischen Zusammenarbeit profitiert!
Anekdote zurückgreifen, die dem früheren britischen Premi erminister Winston Churchill zugeschrieben wird. Er ist auf gefordert worden, eine Rede über sein Leben und die wich tigsten Erkenntnisse zu halten. Er ist ans Pult gegangen, hat eine Weile ins Publikum geschaut und folgenden Satz gesagt:
Diese Botschaft sollten wir uns zu eigen machen, insbeson dere, was Europa betrifft. Wir sollten nie aufgeben, ein ge meinsames Europa anzustreben.
Das können Sie nachher anbringen. – Trotz Brexit müssen wir eine vernünftige Lösung mit Großbritannien finden, die die gemeinsame Zusammenarbeit in Europa stärkt und eine zukünftige Zusammenarbeit gut gestalten lässt.
Natürlich ist der Brexit eine historische Zäsur für Deutsch land, für Europa und für die gesamte Weltgemeinschaft. Es ist nun bald ein Jahr her, als Großbritannien darüber abgestimmt hat, ob es in der EU bleibt. Es gibt fast täglich die Diskussi on über Rosinenpickerei – harter Brexit, weicher Brexit –, und das gesamte Wahlkampfgeschrei in Großbritannien hat mehr mit Wahlkampf und weniger mit Realität zu tun.
Es ist wichtig, dass wir erkennen, dass wir mit Großbritanni en eventuell einen sehr wichtigen Partner verlieren, der ähn liche wirtschaftspolitische Vorstellungen hat wie wir, wenn es darum geht, einen starken Ordnungsfaden in der Wirtschaft zu verankern, weniger Interventionen des Staates vorzuneh men und Bürokratie zurückzudrängen. Baden-Württemberg ist das Land der Subsidiarität. Hier gibt es eine gemeinsame Gedankenwelt mit Großbritannien.
Es ehrt Sie, dass Sie die Frage zu lassen. Ich danke Ihnen. – Herr Kollege, ich wollte fragen: Was hat es für Gründe, dass Großbritannien jetzt den EU-Aus tritt erwägt? Welche Gründe sind dies Ihrer Meinung nach? Sie sagen, ein wichtiger Partner sei uns verloren gegangen; das ist sicherlich richtig. Das hat auch Gründe. Welche sind das?
Ich sage Ihnen eines: Wenn mit Unwahrheiten, mit FakeNews, Wahlkampf gemacht wird – das war in Großbritanni en der Fall –,
wird die Bevölkerung hinters Licht geführt. Das war der Fall. Mit Unwahrheiten ist in der Abstimmung in Großbritannien Wahlkampf betrieben worden. Die Menschen in Großbritan nien werden noch erkennen, dass es falsch war, die Austritts entscheidung zu treffen.
Deshalb hat die baden-württembergische Landesregierung rechtzeitig und frühzeitig eine Folgenabschätzung in Auftrag gegeben. Insbesondere der Europaminister hat sich hier sehr verdient gemacht.
Hier wurde die Grundlage gelegt, wie wir in Zukunft mit Großbritannien verhandeln müssen, wie wir unsere Interes sen einbringen müssen. Ich denke, wir sind hier auf einem gu ten Weg. Natürlich hat diese Abschätzung deutlich gemacht, dass Baden-Württemberg als Exportland sehr stark betroffen ist. Ich möchte nur eine Zahl nennen: Der Wert der Exporte nach Großbritannien betrug im Jahr 2015 12,3 Milliarden €. Im vergangenen Jahr ist dieses Exportvolumen um 12 % ge stiegen. Dies hat natürlich gewaltige Auswirkungen auf die Investitionen in Großbritannien, es hat auch Auswirkungen auf die baden-württembergische Industrie. Großbritannien ist der sechstgrößte Exportpartner für Baden-Württemberg.
Der Brexit hat natürlich auch Auswirkungen auf den Wissen schaftsbereich. Man muss sagen: Wir haben sehr gute Verbin dungen zu Großbritannien im Wissenschaftsbereich. Wir müs sen schauen, dass diese Verbindungen auch in Zukunft trag fähig sind.
Wir müssen insbesondere auch dafür sorgen, dass in den Aus trittsverhandlungen die Länder beteiligt werden. Ich begrüße es, dass die Europaministerkonferenz auf Initiative unseres Europaministers einen Beschluss gefasst hat, dass die Länder stärker beteiligt werden müssen.
Ich kann nur eines sagen: Wir müssen mit ruhiger Hand und kühlem Kopf die Verhandlun gen mit Großbritannien führen. Wir brauchen Großbritannien in Europa. Wir müssen dafür sorgen, dass es gute Verhandlun gen gibt und dass wir zu einem guten Ergebnis kommen, da mit Baden-Württemberg nicht geschädigt wird.
Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kollegen Abgeordnete, verehrte Damen, sehr geehrte Herren! Gerade das Industrie- und Exportland Baden-Würt temberg muss ein starkes Interesse daran haben, dass im Zu ge des Austritts Großbritanniens aus der europäischen Schul den- und Haftungsunion vernünftige und für beide Seiten vor teilhafte Verträge geschlossen werden. Denn grundsätzlich gilt: Warum sollte das Vereinigte Königreich Großbritannien irgendwelchen Verträgen oder Vereinbarungen zustimmen, wenn diese nicht auch in seinem Interesse wären oder sie gar zum Nachteil für Großbritannien wären?
Gerade dies sollten alle am Prozess Beteiligten und insbeson dere unsere Eurokraten zuallererst begreifen, bevor versucht wird, aufgrund der souveränen Entscheidung eines souverä nen Staates nun ein Exempel zu statuieren, so wie dies am 29. April von den 27 derzeit in der EU noch verbleibenden Staaten beschlossen wurde – ein Exempel zu statuieren wohl auch und insbesondere deshalb, um weitere Staaten vom ver nünftigen Austritt aus der derzeitigen EU abzuschrecken.
Was passiert übrigens, wenn sich London nicht beeindrucken lässt und womöglich sogar Kontra gibt? Drei Millionen EUBürger arbeiten in Großbritannien. Was wäre, wenn deren Überweisungen in ihre Herkunftsländer wegfallen würden? Mal sehen, wie lange z. B. Polen die Phalanx der nun ach so einig und geschlossen stark tuenden 27 Mitgliedsstaaten der Rest-EU aufrechterhält.