Protocol of the Session on November 30, 2016

(Beifall bei der FDP/DVP)

Zur Erinnerung: Im Jahr 2011, nach 15 Jahren CDU-FDP/ DVP-Regierung, hatte Baden-Württemberg unter allen 16 Bundesländern nicht nur die niedrigste Sitzenbleiberquote,

(Abg. Sandra Boser GRÜNE: Auch in den siebten Klassen?)

die niedrigste Schulabbrecherquote und die niedrigste Jugend arbeitslosenquote. Nachdem Sie die Verbindlichkeit der Grund schulempfehlung überstürzt abgeschafft haben – ich habe die Zahlen gerade genannt –, gibt es im Land Baden-Württem berg in der fünften Klasse im Durchschnitt an den Realschu len eine Steigerung der Sitzenbleiberzahl um 500 % und an den Gymnasien um 300 %. Dann können Sie doch nicht sa gen, es sei eine Erfolgsgeschichte, dass Sie die Verbindlich keit der Grundschulempfehlung in Baden-Württemberg abge schafft hätten.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Jochen Haußmann FDP/DVP: Genau!)

Herr Abg. Dr. Kern, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Boser zu?

Nein, ich möchte meine Ar gumente in sich aufbauend vortragen.

(Lachen des Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE – Abg. Jochen Haußmann FDP/DVP: Das ist auch richtig!)

Es hätte auch Alternativen gegeben. Sie hätten z. B. sagen können: „Wir bauen an den Grundschulen zunächst ein noch professionelleres Beratungssystem auf.“ Ziel muss doch sein, dass sich nach einem vierjährigen Besuch der Grundschule der Elternwunsch auf der einen Seite und die professionelle Beratung durch die Lehrer auf der anderen Seite decken.

(Abg. Sandra Boser GRÜNE: Das passiert doch!)

Das muss das Ziel sein. Aber die Zeit dafür haben Sie sich nicht genommen. Sie haben den Grundschulen nicht mehr Ressourcen gegeben.

Sie hätten auch den Klassenteiler in den fünften Klassen der Realschulen und der Gymnasien senken können, damit man dort auf die gestiegene Heterogenität tatsächlich hätte einge hen können. Auch das haben Sie nicht gemacht.

Sie hätten zusätzliche Stützkurse, Förderkurse in den Fächern Mathematik und Deutsch sowie in der ersten Fremdsprache für die Schüler der fünften Klasse an den Realschulen und an den Gymnasien anbieten können, um der gestiegenen Hete rogenität tatsächlich Herr zu werden. Auch das haben Sie nicht gemacht.

Das alles wären mögliche Maßnahmen gewesen, deren Um setzung zwingend notwendig gewesen wäre, wenn man die Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung abschafft. Sie ha ben das nicht getan – mit den entsprechenden Folgen.

Deshalb ist es jetzt ein erster Schritt in die richtige Richtung,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jawohl!)

den Lehrerinnen und Lehrern an den weiterführenden Schu len nicht mehr zu misstrauen und nicht zu sagen: „Die Kin der, die nicht die entsprechende Grundschulempfehlung ha ben, bekommen dann sozusagen einen Stempel aufgedrückt; dann haben sie an den Realschulen, an den Gymnasien keine Chance mehr.“ Das ist ein unglaubliches Misstrauen, das die vorherige Landesregierung den Lehrerinnen und Lehrern ent gegengebracht hat, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Die Schüler der fünften Klassen sind meist etwa zehn Jahre alt. Was bedeutet es für ein Kind, wenn es tagtäglich in die Schule kommt und erlebt, dass die Lehrerin, der Lehrer zum Überbringer schlechter Nachrichten wird? Was bringt dieses Kind mit Schule, mit Lernen, mit Lehrerinnen und Lehrern in Verbindung? Das kann verheerende Konsequenzen für den weiteren Lebensweg haben. Deshalb ist es richtig, dass wir den Realschulen und auch den anderen weiterführenden Schu len vom ersten Tag an die wichtige Information geben, mit welchen Voraussetzungen die Kinder an die Schule kommen, damit man sich diesen Kindern auch tatsächlich widmen kann.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

Das halte ich für eine ganz zentrale, wichtige Voraussetzung, um den Kindern zu helfen.

Dann noch ein Beispiel – auch für den Kollegen Born –: Stel len Sie sich einmal vor, Sie sind Schulleiter eines Gymnasi ums, und dort melden sich 100 Kinder an. Von diesen 100 Kindern haben beispielweise zehn eine Hauptschulempfeh lung. Wäre es im Interesse der Kinder nicht sinnvoll und rich tig, dass man diese zehn Kinder dann einigermaßen gleich mäßig auf die vier Parallelklassen aufteilt, damit sich jede Lehrkraft um jedes Kind tatsächlich kümmern kann, und nicht alle zehn zufällig in eine Klasse kommen?

(Zuruf des Abg. Reinhold Gall SPD)

Ich glaube, das ist doch ein schlagendes Argument dafür, dass man den Lehrkräften zukünftig die Information gibt, mit wel chen Voraussetzungen die Kinder kommen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Die FDP/DVP-Landtagsfraktion fordert die Landesregierung dringend auf, weitere Maßnahmen zu ergreifen, um den Kin dern zu helfen und um die Lehrkräfte zu unterstützen,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jawohl!)

damit sie sich auch wirklich um jedes Kind kümmern können. Denn wir Freien Demokraten glauben an den Sachverstand, an die Expertise der Lehrkräfte. Die geben sich die größte Mü he, jedem Kind – egal, mit welchen Voraussetzungen – ent sprechend zu helfen und es zum Erfolg zu führen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU und der AfD – Abg. Jochen Haußmann FDP/ DVP: Da kann man nur noch zustimmen!)

Für die Landesregierung er teile ich Frau Ministerin Dr. Eisenmann das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es wäre viel gewonnen, wenn wir uns ge meinsam vor allem einmal darauf verständigen könnten – wir tun das hoffentlich auch –, dass Schule der zentrale Ort der Wissensvermittlung ist und dass es eines unserer Ziele ist, gut ausgebildete Menschen in Ausbildung, Beruf, Studium zu ent lassen und ihnen gemäß ihren jeweiligen Fähigkeiten die Per spektiven zu bieten, die sie brauchen, um sich in jeder Hin sicht erfolgreich und zufriedenstellend zu entwickeln.

Ich glaube, das ist eine Grundlage, die Bildungspolitik schaf fen muss. Genau darauf aufbauend brauchen wir die Vielfalt im Schulsystem. Wir brauchen die Durchlässigkeit in den ein zelnen Schularten. Das heißt: kein Abschluss ohne Anschluss. Und ich glaube – das ist ganz entscheidend –, wir brauchen die richtige Beschulung für das Kind, damit es sich an seiner Schule wohlfühlen und sich gemäß seinen Neigungen und Be gabungen entwickeln kann.

Wir wissen alle, dass sich die jungen Menschen durchaus än dern können. Manche brauchen ein bisschen länger, manche

entwickeln sich schlagartig, ändern sich inhaltlich in eine ganz andere Richtung. Gott sei Dank ist jeder anders. Diese Mög lichkeiten müssen wir auch aufgreifen, und deshalb ist es ganz entscheidend, dass wir die richtige Basis bieten.

Natürlich hat die Heterogenität der Schülerschaft – wir haben es heute schon mehrfach gehört – immens zugenommen, und auch die Förderungsbedarfe im individuellen Bereich oder im Gruppenbereich haben zugenommen. Deshalb ist es für die Schülerinnen und Schüler, vor allem aber für die Lehrerinnen und Lehrer eine große Herausforderung, der sie sich da ins gesamt stellen müssen.

Die Frage der SPD-Fraktion „Schränkt Grün-Schwarz die Schulwahlfreiheit ein?“ kann man relativ klar beantworten: Nein. Ganz im Gegenteil, wir legen die Grundlagen für eine fundierte Entscheidung der Eltern.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Wie entscheidend es ist, dass man die richtige Grundsatzent scheidung trifft, habe ich gerade dargelegt im Hinblick auf das aufbauende System, das wir haben. Deshalb ist es wichtig, dass wir den Erziehungsberechtigten dabei helfen, die richti ge Entscheidung für den Bildungsweg ihres Kindes zu finden.

Natürlich geht es darum, dass die Eltern diese Entscheidungs grundlage haben. Dazu zählt auch die Grundschulempfehlung, die wir verändert haben. Der Elternwille zählt.

Aber ganz entscheidend ist, dass wir in den weiterführenden Schulen die Voraussetzungen dafür schaffen, die Beratung der Eltern deutlich zu verbessern, dass wir kontinuierliche und systematische Beratungen von Klasse 1 bis zum Ende der sechsten Jahrgangsstufe ermöglichen und den Eltern auch hel fen, die richtige Entscheidung zu treffen.

Ich muss Ihnen auch eines sagen: Uns ist es wichtig – wir ha ben da großes Vertrauen –, dass die weiterführenden Schulen, und zwar alle, verantwortungsbewusst damit umgehen. Wir wollen überhaupt keine Gängelung. Ganz im Gegenteil, das, was wir wollen, ist Transparenz.

Deshalb ist es für eine passgenaue Förderung der Kinder ganz entscheidend, dass die weiterführende Schule weiß, welche Empfehlung die Grundschule gemeinsam mit den Eltern ent wickelt hat. Das Kind war ja vier Jahre auf der Grundschule. Deshalb habe ich auch großes Vertrauen in die Grundschul lehrerinnen und Grundschullehrer, dass sie dieses Kind auch aufrichtig und fair beurteilen. Da liegen die Erfahrungen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Unsere Koalition vertraut auf den pädagogischen Sachver stand der Lehrerinnen und Lehrer. Wir haben überhaupt kei nen Grund für Misstrauen, weder in den Grundschulen noch in den weiterführenden Schulen. Deshalb wissen wir auch, dass verantwortungsbewusst damit umgegangen wird.

Seien wir auch einmal ehrlich: Ich glaube schon – – Herr Born, Sie sagten es: Optimale Förderung heißt optimale Be schulung. Nur: Optimale Beschulung ist nicht optimale För derung. Wir achten darauf, dass sich die Kinder gemeinsam mit den Eltern dort wiederfinden, wo es für die Kinder zum jetzigen Zeitpunkt richtig ist. Wir fordern, und wir fördern. Dafür gibt es Beratungs- und Unterstützungssysteme. Aber

die passgenaue Beschulung für alle Kinder ist ein Ziel, das wir gemeinsam haben, das wir auch gemeinsam haben soll ten und das wir mit der veränderten Grundschulempfehlung auch passgenau erreichen.

Es zählt selbstverständlich der Elternwille. Wir nehmen die Beratung und die Erfahrungen der Pädagoginnen und Päda gogen in Anspruch. Daraus entwickelt sich ein Beratungssys tem, ein begleitendes System für Eltern und Kinder im Hin blick auf eine erfolgreiche Bildungsbiografie. Das ist das Ziel, und ich glaube, damit beschreiten wir auch genau den richti gen Weg.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen sowie des Abg. Dr. Heinrich Kuhn AfD)

Für die SPD-Fraktion erteile ich das Wort in der zweiten Runde Herrn Abg. Born.