kritisieren muss. Denn das sind die wesentlichen Themen, die uns alle hier leiten, und wir sollten bei aller Wichtigkeit der Entscheidungen, die hier in diesem Haus getroffen werden, nicht außer Acht lassen, dass wir auf diesem Kontinent in ei nem großen Konstrukt leben und eben auch gemeinsam Ent scheidungen treffen sollten und vor allem auch gemeinsam mehr erreichen können. Deshalb sollte der Bericht über aktu elle europapolitische Themen im Plenum einen höheren Stel lenwert erhalten.
Ein wichtiges Thema, das unter dem Zeichen von Corona, aber auch der ständigen Diskussion über die Herausforderun gen des Klimawandels etwas in den Hintergrund geraten ist und eigentlich eher dann aufgeploppt ist, wenn es Katastro phen wie in Moria gab, ist die Migration. Es gibt jetzt auf eu ropäischer Ebene eine erhebliche Bewegung in diesem Be reich.
Faktisch bereitet man quasi die Abschaffung des Dublin-Ab kommens vor bzw. erkennt an, dass dieses gescheitert ist. Das ist schon einmal gut. Denn die Mechanismen aus dem Dub lin-Abkommen haben nicht funktioniert, und mit dem Ersatz, dem Migration Governance System, gibt es jetzt erstmals zu mindest so etwas Ähnliches wie Solidarität unter den Mit gliedsstaaten, indem diejenigen, die sagen, sie möchten kei ne Migranten aufnehmen, wenigstens bei der Abschiebung und bei anderem unterstützen. Das ist schon einmal ein An satz, mit dem man die Akzeptanz erhöhen kann und mit dem wir vielleicht zu einer möglichst gütlichen Einigung unter den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union kommen. Das ist ein zentraler Ansatz.
Was in diesem Zusammenhang aus meiner Sicht aber fehlt, ist das Thema Arbeitsmigration. Das ist immer noch eine un geklärte Frage. Denn ähnlich, wie es sich auf nationaler Ebe ne verhält, wo wir noch immer kein vernünftiges Einwande rungsrecht haben, haben wir auch auf europäischer Ebene kei ne Lösung.
Wir dürfen uns ja nichts vormachen: Von denen, die beispiels weise den gefährlichen Weg über das Mittelmeer auf sich neh men, um hierherzukommen, kommen eine Menge Leute oft auch aus wirtschaftlichen Gründen, was nachvollziehbar ist. Aber man sollte hier auch Fluchtursachen bzw. überhaupt das Wagnis der Flucht reduzieren, indem man auch den legalen Einwanderungsweg schafft.
Die FDP hat hierzu Vorschläge auf europäischer Ebene mit ei nem europäischen Talentpool gemacht, wonach die Chancen, hierzubleiben, nach einem Punktesystem bewertet werden. Die Mitgliedsstaaten können sich entsprechend beteiligen und aus diesem Pool etwas abrufen. Das wäre eine wirksame Me thode, um legale Einwanderung zu ermöglichen und viel Leid auf dem Mittelmeer zu verhindern.
Dringend erforderlich wären solche klaren Regeln nicht nur auf europäischer Ebene, da sie auch eine erhebliche Auswir kung auf das Gefüge hier in Baden-Württemberg, in Deutsch land haben. Da gibt es viele Fragen, viel Hinterfragen von Ak teuren, die gegenüber der Einwanderung durchaus aufge
schlossen sind, aber vieles, was sich da so zuträgt, nicht ver stehen. Das würde einige Klarheit schaffen und vor allem da zu führen, dass es endlich klare Regeln gibt und wir einen Teil unseres Fachkräftemangels auch durch gezielte Einwande rungssteuerung beseitigen können.
Was wir auf europäischer Ebene brauchen, sind eine klare Stärkung der Grenzschutzagentur Frontex und ein ordentli cher Ausbau. Sie wird ja immer wieder einmal gestärkt, aber das darf ruhig noch deutlich mehr sein. Denn wir brauchen ei nen soliden Schutz der Außengrenzen, und wir brauchen vor allem auch, was die Seenotrettung betrifft, neue Regularien.
Ein zentrales Thema, das auch noch eine wichtige Rolle spielt, sind die Flüchtlingsabkommen z. B. mit dem Libanon und Jor danien. Das Abkommen mit der Türkei ist ja am Wackeln. Hier sehe ich schon erhebliche Schwierigkeiten. Denn wir sollten mit diesen Staaten, in denen sich momentan viele auf halten, auch in den Dialog treten und zu Abkommen kommen. Mit der Türkei hat sich das bewährt. Das Problem ist nur: In der Türkei wurde es dann in Ansätzen als politisches Druck mittel missbraucht. Das wollen wir so nicht. Hier hat aber die EU die Chance, wenn sie zusammenrückt, eine entsprechen de Macht auszuüben und auch ein Verhandlungspartner zu sein, dem man nicht auf der Nase herumtanzt. Diese Aufgabe müssen wir aber wahrnehmen.
Damit komme ich zum Schluss, zum Thema „Wahlen in den USA“. Wir haben in den letzten vier Jahren eigentlich immer wieder gesagt: Wir müssen als Europäer gegen die „America first“-Politik von Donald Trump zusammenstehen. Was ist in den letzten vier Jahren aber passiert? Ich habe da nur sehr, sehr wenig Zusammenrücken gesehen. Vielmehr hat es leider an einem entschlossenem Auftreten gefehlt. Und da haben wir noch immer Nachholbedarf. Denn auch, wenn Joe Biden jetzt gewählt zu sein scheint, heißt das nicht, dass Amerika nicht seine Interessen knallhart durchsetzen wird. Das wird zwar diplomatischer geschehen, es wird freundlicher geschehen, es wird mit weniger Populismus geschehen, aber Amerika wird seine Interessen durchsetzen.
Wir, die Europäische Union, müssen uns behaupten und wei terhin daran arbeiten, und zwar ernsthaft – nicht nur darüber reden, sondern es auch machen.
Frau Prä sidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, Herr Kollege Sänze, ob es Ihnen aufgefallen ist: Während Ihrer Re de hat Ihr Fraktionskollege Klos eine Handbewegung ausge führt, die den Tatbestand der Beleidigung erfüllt.
Ich gehe davon aus, dass er angesichts Ihrer Rede gute Recht fertigungsgründe geltend machen kann, um sich nicht straf bar gemacht zu haben.
Aber wenn Sie von Mitgliedern ihrer eigenen Fraktion auf das, was Sie gebetsmühlenhaft über Europa zum Besten ge ben, nur noch beleidigende Reaktionen mangelnden Verständ nisses erhalten, dann, muss ich sagen, spricht das für den Pro zess der weiteren Zerlegung Ihrer Fraktion.
Bringen Sie an dieser Stelle nicht gebetsmühlenhaft zum Aus druck, dass Sie sich mit Europa tatsächlich auseinandersetzen wollen. Sie wollen Europa im Herzen zerstören. Damit stehen Sie allein. Dafür werden Sie niemals die Zustimmung dieses Hauses bekommen.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, in den letz ten Tagen hat ganz Europa über den Atlantik geblickt und bei den Präsidentschaftswahlen in den USA mitgefiebert. Wer in den sozialen Medien unterwegs ist, der hat gemerkt, wie vie le Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses in der Wahlnacht begannen, auf ein Ergebnis hinzufiebern. Vielleicht lag das besonders hohe Interesse an den US-Präsidentschaftswahlen daran, dass auch wir in Europa mancherorts vor ähnlichen He rausforderungen stehen.
Hier wie dort gibt es Gesellschaften, die stark polarisiert sind, in denen keine politische Streitkultur mehr herrscht, sondern in denen Gesprächsfäden abgerissen sind und sich nicht we nige in einer Informationsblase bewegen. Anhaltspunkte hier zu gab es auch heute in dieser Debatte.
Die Überwindung dieser Gräben, der Wiederaufbau von Ge sprächskultur und der Respekt von grundlegenden Werten sind Aufgaben, denen wir uns auf beiden Seiten des Atlantiks stel len müssen. Zu diesen grundlegenden Werten gehört für mich insbesondere das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit.
Vielleicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, erleben wir – da rauf hoffe ich – in diesen Tagen die befriedende Wirkung von Urteilen unabhängiger Gerichte in den USA.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Rechtsstaatlichkeit – das ist heute mehrfach angeklungen – ist ein entscheidender Grundpfeiler der Europäischen Union.
Manche Reaktion spricht für sich. – Die Achtung rechts staatlicher Prinzipien in allen Mitgliedsstaaten ist wesentlich für das Funktionieren der Europäischen Union.
Das hat die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Vera Jourova, bei der Auftaktveranstaltung des Justiz- und Eu ropaministeriums zur deutschen Ratspräsidentschaft im Juli dieses Jahres sehr deutlich gemacht.
Es ist wichtig, dass die EU schnell neue Instrumente be kommt, um rechtsstaatliche Prinzipien wirksam zu kontrol lieren. Ich glaube, wir sind uns einig – zumindest in wesent lichen Teilen dieses Hauses –, dass Sonntagsreden hier schon lange nicht mehr ausreichen. Deshalb müssen wir notfalls auch über Vertragsänderungen nachdenken.
Ich freue mich, dass diese Auffassung auch von der Mehrheit der Länder im Bundesrat geteilt wird. Dies zeigt sich in der am 6. November angenommenen Stellungnahme der Länder kammer, die auf eine Initiative meines Hauses zurückgeht.
Ein wichtiger Schritt hin zu diesen neuen wirksamen Instru menten ist die Verbindung zwischen der Einhaltung rechts staatlicher Standards und der Auszahlung von EU-Mitteln. Wir haben es hier immer und immer wieder betont: Wer von den positiven Seiten Europas profitieren will – zu Recht pro fitieren will –, der muss sich auch gemeinsamen rechtsstaat lichen Grundsätzen, die wir nicht zur Disposition stellen, un terwerfen.
In der letzten Woche haben sich die Trilog-Verhandlungsfüh rer von Europäischem Rat und Europäischem Parlament auf einen solchen Mechanismus verständigt. Ich begrüße diese Einigung, da wir damit erstmals – erstmals! – ein Instrument hätten, um bei einer Verletzung des Rechtsstaatsprinzips die Auszahlung von EU-Mitteln zu stoppen. Es ist gut und wich tig, dass ein Stopp der Zahlungen schon bei der Gefährdung eines ordnungsgemäßen Haushaltsvollzugs durch rechtsstaat liche Mängel möglich sein soll.
Ich verhehle nicht, dass ich mir noch etwas mehr erhofft hat te. Aber angesichts der großen Widerstände in einigen Mit gliedsstaaten ist auch der vorliegende Kompromiss ein Fort schritt. Mit der Einigung gehen die Verhandlungsführer an den Rand dessen, was die knappe Einigung im Europäischen Rat vom Juli zuließ. Es ist ein Erfolg der deutschen Ratspräsident schaft, dass der Kompromiss überhaupt zustande kam. Es ist auch ein Erfolg für das Europäische Parlament, für den euro päischen Parlamentarismus, der die Rechtsstaatskonditiona lität zu einer Kernforderung in den Trilog-Verhandlungen ge macht hat. Da sind wir einen deutlichen Schritt nach vorn ge kommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, am Dienstag konnte Bot schafter Clauß für die deutsche Ratspräsidentschaft einen wei teren Erfolg vermelden: den Durchbruch bei den Trilog-Ver handlungen zwischen dem Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat über den Mehrjährigen Finanzrahmen.
Nachdem sich der Rat im Juli auf ein Gesamtpaket geeinigt hatte, war der Spielraum für die Trilog-Verhandlungen gering. Das Parlament hatte jedoch weiter gehende Forderungen und wollte u. a. mehr Geld für Zukunftsthemen. Es ist dem Ver handlungsgeschick unserer Bundesregierung zu verdanken, dass hier nun eine gute Lösung gefunden wurde. Der Kom
promiss bleibt im vereinbarten Rahmen der Staats- und Re gierungschefs. Das Parlament konnte aber – das war uns auch hier in Baden-Württemberg immer wichtig – eine Erhöhung der Mittel für Erasmus+ und das Forschungsprogramm „Ho rizont Europa“ durchsetzen. Das sind Investitionen in euro päische Freundschaft,
das sind Investitionen in Innovation und Forschung in Euro pa, das sind Investitionen in die Zukunft Europas. Deshalb ist diese Erhöhung so wichtig.