Protocol of the Session on October 15, 2020

mehr tun, die mehr Menschen befördern und somit eine akti ve ÖPNV-Politik machen. Man könnte auch sagen: Wer viel tut, wer viel macht, der bekommt zukünftig mehr Geld vom Land.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Anton Baron AfD)

Insgesamt gibt es übrigens ohnehin für alle mehr Geld. Bis 2023 werden wir die 200 Millionen € sukzessive um 50 Mil lionen € aufstocken: 2021 werden es schon 216 Millionen € sein, 2022 233 Millionen € und 2023 schließlich 250 Millio nen €.

Gleichzeitig wissen wir natürlich, dass vor Ort die Bedingun gen sehr unterschiedlich sind. Das ist uns vollkommen klar. Das war auch in den vielen Besprechungen, die wir hatten, immer wieder das Thema. Wie kann man nun die sehr unter schiedliche Situation im ländlichen Raum und in der Stadt so behandeln, dass man beiden gerecht wird? Es ist logisch, dass man in der Stadt mehr Menschen und diese einfacher als auf dem Land transportieren kann. Trotzdem können wir auch nicht für wenige Transporte immer mehr Geld ausgeben. Da muss irgendwie schon ein gewisser Anreiz, ein gewisses Sys tem vorhanden sein. Darüber haben wir lange beraten. Ich bin froh, dass wir am Ende zu einem guten, vernünftigen Be schluss gekommen sind.

An dieser Stelle danke ich ausdrücklich allen beteiligten Un ternehmen, den Aufgabenträgern, den Verbänden, die sich da ran beteiligt haben, und natürlich auch meiner Verwaltung so wie der Nahverkehrsgesellschaft, die viele Stunden daran ge arbeitet haben, einen ausgewogenen Kompromiss zustande zu bekommen.

(Beifall bei den Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Diese ÖPNV-Finanzreform bedeutet also für Busverkehre im ganzen Land 50 Millionen € mehr, neue angebotsorientierte Anreize und vor allem auch eine wirklich faire Verteilung.

Die zweite Stufe unserer Finanzreform soll jetzt vor allem ei ne Lösung hinsichtlich der Frage bringen: Wie kann man An reize setzen? Wir haben uns unter Berücksichtigung von Ge rechtigkeitsgesichtspunkten und der Tatsache, dass es gewis se Grundkosten gibt, darauf verständigt, dass 40 % der Mit tel, die wir ausreichen, für alle gleich sind. Das sind fixe Ein nahmen, die man genau kalkulieren kann. 60 % sind variable Einnahmen, die die Aufgabenträger von uns bekommen. Die se sind abhängig von dem, was sie anbieten.

Jetzt können Sie sagen: Im ländlichen Raum gibt es auch Un terschiede. Ja, das ist so. Deswegen hat man sich darauf ver ständigt, fünf verschiedene Kategorien zu bilden, sodass der ländliche Raum nicht mit einer Stadt konkurriert. Man hat fünf Töpfe: In Topf 1 sind die Großstädte, die Stadtbahnen haben. Diese haben besondere Kosten, aber natürlich auch eine be sondere Anzahl von Menschen zu transportieren. Dann gibt es die hoch verdichteten Räume; das sind acht. Das sind Land kreise wie Böblingen, Ludwigsburg oder Esslingen, also ge rade die Landkreise im Ballungsraum. Dann gibt es einen Ver dichtungsraum – da können Sie an Reutlingen oder Tübingen

denken – mit elf Kommunen. Dann haben wir den ländlichen Raum, der verdichtet ist, mit neun Kommunen. Dazu gehören z. B. Villingen-Schwenningen oder Tuttlingen. Schließlich ha ben wir noch den puren ländlichen Raum. Das wären Hohen lohe, Main-Tauber oder Sigmaringen.

Sie sehen schon: Man hat sich Gedanken gemacht, weil klar ist, dass unterschiedliche Bedingungen nicht gegeneinander ums Geld wettlaufen können. Die Töpfe enthalten jeweils ei ne bestimmte Summe, die dann entsprechend dem Anreiz schlüssel verteilt wird. Den Anreizschlüssel selbst haben wir nicht in das Gesetz hineingeschrieben. Diesen werden wir in einer Verordnung nachliefern. Er gehört auch nicht ins Gesetz, aber Sie sollten es verstehen. Wir haben mit dem Gesetz die Grundlage geschaffen, dass es neben den Fixkosten variable Kosten gibt, die wir anerkennen. Entsprechend werden wir die Mittel überweisen.

Wir haben übrigens auch darauf geachtet, dass es eventuell Härtefälle gibt. Deswegen gibt es auch eine Härtefallregelung. Das Ganze ist in eine Übergangszeit eingekleidet. So gibt es z. B. bis 2028 noch die Möglichkeit, dies in besonderen Fäl len, in Härtefällen, hierüber zu lösen.

Ich glaube, dass wir in der Summe wirklich einen guten Wurf hinbekommen haben.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und des Abg. Thomas Dörflinger CDU)

Wir lösen noch ein weiteres Problem. Es gibt auch die Mittel zur Förderung der Verbünde. Bisher ging dieses Geld an die Verbünde. Jetzt geht auch dieses Geld an die Aufgabenträger. Das ist auch der Europäischen Union geschuldet, die Wert da rauf legt, dass man die Mittel an die Aufgabenträger und nicht an andere Konstrukte gibt, damit wirklich ein sicherer und fai rer Wettbewerb stattfinden kann.

Also: Die Aufgabenträger, die wir über das Gesetz schon fest gelegt haben, die kommunale Ebene, bekommen die Mittel, um die Verbünde zu unterstützen und zu fördern. Die Mittel sind allerdings an Kriterien gebunden.

Erstens: Es muss sichergestellt werden, dass es tatsächlich ei nen Wettbewerb gibt. Zweitens: Dieser Wettbewerb muss dis kriminierungsfrei organisiert werden. Und drittens: Das Ver fahren der Einnahme- und Ausgabenverteilung muss transpa rent und nachfrageorientiert sein. Die Beförderungsstandards müssen einheitlich sein, da es nicht sein kann, dass man im Land unterschiedliche Beförderungsstandards hat, z. B. bei den Fragen: „Was bietet man an?“, „Was ist Teil des Tarifs?“ usw.

Schließlich erwarten wir und legen wir fest, dass die Verbün de dem Land ihre Informationen über Fahrgäste, Fahrten usw. zur Verfügung stellen. Denn wir müssen erstens wissen, dass es korrekt läuft, und zweitens ist es für unsere Planung und für die Weiterentwicklung absolut wichtig, dass wir genau wissen, wer wo fährt, welche Menschen transportiert werden, wie es mit Schwach- und Hochverkehrszeiten aussieht, damit wir einfach Bescheid wissen, um zukünftig auch weiter zu planen. Letztendlich – perspektivisch – geht es um die Sicher stellung eines guten lückenlosen Angebots, und zwar sowohl in der Stadt als auch in den verschiedenen ländlichen Räumen.

Meine Damen und Herren, ich glaube, man kann sagen: Es war der Mühe wert; denn es ist selten, dass man es am Ende in einer Gesellschaft, also in der Gruppe derer, die betroffen und beteiligt sind und die in hohem Maß auch unterschiedli che Interessen haben, nach wirklich langen und langwierigen Prozessen und Diskussionen schafft, dass alle im Wesentli chen mit diesem Entwurf einverstanden sind. Bei dem einen oder anderen kleinen Punkt hat der eine oder andere auch noch etwas einzuwenden, aber im Großen und Ganzen stimmt es. Es ist ein konsensualer Gesetzentwurf. Insofern hoffe ich, dass das Parlament das zu schätzen weiß und dem auch die Zustim mung gibt.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Her ren, wir treten in die Aussprache ein. Dafür sind fünf Minu ten je Fraktion vorgesehen.

Zuerst spricht Frau Abg. Zimmer für die Grünen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herzlichen Dank, Herr Mi nister, für Ihre ausführliche Erläuterung zu den Inhalten und zur Genese des Gesetzes.

Wozu denn das Ganze? Der Mensch kann ohne Mobilität nicht leben; wir alle hier können ohne Mobilität nicht leben. Sobald wir einen Schritt vor die Haustür gehen, sind wir alle hier schon Teil der öffentlichen Mobilität und bewegen uns in so genannten Mobilitätsketten, ähnlich wie in einem Ameisen haufen, zu Tausenden. Die Linien kreuzen sich, die Linien lau fen linear. Für einen Verkehrsplaner ist so etwas eine echte Herausforderung.

Uns zu bewegen und mobil zu sein ist uns ein Grundbedürf nis und ein wichtiger Bestandteil unseres gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens hier in Baden-Württemberg. Doch unsere Mobilität stößt an ihre Grenzen. Susanne Gaschke be tonte einmal in der Zeitung DIE WELT:

Der Verkehrskollaps tanzt... vor unserer Tür herum, aber anscheinend sind wir nicht in der Lage, ihn zu erkennen.

Da muss ich widersprechen. Denn wir in Baden-Württemberg haben die Dringlichkeit erkannt, in diesem Feld zu handeln. Denn wir sehen den Verkehrskollaps jeden Tag, wenn wir auf die Straße schauen, in unsere Busse schauen, wir sehen ihn auf den Radwegen und auf den Fußwegen.

(Abg. Rüdiger Klos AfD: Sie verursachen ihn!)

In Zusammenarbeit mit den Kommunen und den Landkreisen haben wir in den letzten Jahren die Attraktivität des ÖPNV entscheidend gesteigert. Wir haben den Linienverkehr von Bussen und Bahnen ausgebaut, z. B. durch das Regiobuspro gramm. Wir haben die Infrastruktur des ÖPNV auf feste Pfei ler gesetzt, indem wir die Mittel für das LGVFG verdoppelt haben.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Wir haben die Busförderung ausgeweitet. Bürgerbusse fahren in immer größerer Zahl in unseren kleinen Kommunen im Land.

Auch in Coronazeiten sind wir dieser Verpflichtung nachge kommen. Wir haben, um die Einnahmeausfälle in der Pande miezeit auszugleichen, für den SPNV weiterbezahlt. Wir ha ben einen Rettungsschirm für den ÖPNV aufgespannt. Wir haben beispielsweise unkompliziert Spuckschutze für Busse besorgt, und wir geben Zuschüsse für Verstärkerbusse im Schülerverkehr. Das heißt, wir betreiben Daseinsvorsorge für Jung und Alt, und wir werden diese auch weiter betreiben.

(Beifall bei den Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU – Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Haben wir jetzt einen Kollaps oder nicht?)

Nein, wir arbeiten daran,

(Lachen)

dass wir genau diesen Kollaps eben nicht haben. Und wir ar beiten seit Jahren daran – –

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Sie haben doch ge sagt, wenn sie rausgucken, sehen Sie einen Kollaps! Was stimmt denn jetzt?)

Nein, dieser Satz ist ein paar Jahre alt. – Und genau das ha ben wir in den letzten Jahren erkannt

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Aha!)

und arbeiten in dieser Legislatur wie in der letzten Legislatur mit aller Kraft daran, dass es nämlich genau so weit nicht kommt, lieber Herr Kern.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Thomas Dörf linger CDU – Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Sie haben seit zehn Jahren die Verantwortung!)

Herr Kern, das Entscheidende ist nicht nur, dass es nicht zu einem Kollaps kommt, sondern das zweite Entscheidende im Bereich Mobilität ist, dass die Klimakrise d i e Herausfor derung ist, der wir uns stellen müssen. Um unsere Lebens grundlagen zu schützen und den zukünftigen Generationen ei ne vergleichbare Lebensqualität zu ermöglichen, müssen wir das Klima mit ambitionierten Maßnahmen schützen. Die Ge staltung dieses Wandels hin zu einer nachhaltigen Mobilität ist eine der zentralen Aufgaben. Der ÖPNV war und ist einer der wichtigsten Bestandteile, um die Klimaschutzziele von Paris zu erreichen.

(Beifall bei den Grünen und der Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch)

Gerade mit diesem Gesetzentwurf, zu dem wir heute die ers te Lesung abhalten, werden wichtige strategische Ziele für den ÖPNV wie z. B. der diskriminierungsfreie Marktzugang für alle Verkehrsunternehmen und die Einführung einer nachfra georientierten Einnahmeaufteilung erreicht.

Die Änderung, die wir heute debattieren, beinhaltet neben der Kommunalisierung der Verbundförderung die Schaffung von nachvollziehbaren, von leistungsorientierten und von ver gleichbaren Kriterien für die Mittelzuweisung des Landes.

Und das ist das Wegweisende an diesem Gesetz: Wir stellen in den nächsten drei Jahren sukzessive 50 Millionen € mehr für den öffentlichen Verkehr im Land zur Verfügung

(Zuruf: Hört, hört!)

und haben dafür ein faires Verteilungsverfahren entwickelt.

Genau dafür möchte ich mich ganz ausdrücklich beim Minis terium bedanken – für dieses faire Verteilungsverfahren, das in zahlreichen Gesprächen mit den Verantwortlichen und den Trägern entwickelt wurde.

Das sind die großen Schritte, die wir gehen müssen, um un sere Verkehre im Land zukunftsfest zu machen. Wir haben die sen zukunftweisenden Weg eingeschlagen und gehen ihn wei ter. Mit dieser Gesetzesänderung beschreiten wir einen fairen, effektiven, transparenten und attraktiven Weg für den ÖPNV.