Protocol of the Session on October 15, 2020

An welcher Schule werden die besten Abschlüsse gemacht, an welcher die schlechtesten? An welcher Schule brechen die Schüler am häufigsten ab? Klar, Wettbewerb hat noch selten geschadet. Dieses Credo vertreten wir gern mit sehr viel Ver ve. Aber ist es überhaupt fair und zielführend, die Schulen in einen internen Wettbewerb treten zu lassen? Können Schulen überhaupt die gleichen Startbedingungen für diesen Wettbe werb haben? Ich glaube, die Antwort ist Nein.

Langfristig entstehen Standortnachteile, die die Situation von Schulen noch weiter verschärfen, die ohnehin unter erschwer ten Bedingungen arbeiten müssen. Es wird ein unvermeidba rer Druck auf die Schulen, aber vor allem auch auf die Leh rerinnen und Lehrer entstehen, am Ende für das Ranking gu te Noten verteilen zu müssen. Abschlüsse werden so insge samt verwässert.

Natürlich ist es wichtig, die Arbeit der Schulen im Blick zu haben und dafür zu sorgen, dass alle Schulen auf einem mög lichst hohen Level arbeiten. Ich glaube, da sind wir alle in die sem Haus völlig einer Meinung. Wir müssen sehen, wo es Pro bleme gibt und wie man diese angehen kann.

(Beifall der Abg. Nicole Razavi und Isabell Huber CDU)

Die Qualitätssicherung findet längst statt, seit dieser Legisla turperiode mehr denn je. Frau Ministerin Dr. Susanne Eisen mann hat dafür die Schulverwaltung weiter professionalisiert. Mit dem Gesetz zur Umsetzung des Qualitätskonzepts für die öffentlichen Schulen in Baden-Württemberg haben wir im letzten Jahr die gesetzliche Grundlage hierfür geschaffen.

Mit dem Institut für Bildungsanalysen haben wir eine Institu tion aus der Taufe gehoben, die mit hoher Kompetenz und gro ßer Schlagkraft diesen essenziellen Aufgaben nachkommt, nämlich dass alle Kinder, egal, woher sie kommen und auf welche Schule sie gehen, zu Beginn die gleichen Chancen ha ben.

Im Jahr 2015 hat sich dieses Hohe Haus dazu entschieden, diesen hochsensiblen Bereich der Schulen im Informations freiheitsgesetz zu schützen. Man hat ihn ganz bewusst im Aus nahmekatalog ausgeklammert. Diese Entscheidung erfolgte im Übrigen einstimmig und damit wahrscheinlich, Herr Dr. Kern, auch mit Ihrer Stimme.

Es geht darum, die Stigmatisierung, die Brandmarkung von Schülern, von Eltern und von Lehrerinnen und Lehrern zu ver hindern.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Wir finden, das ist ein sehr hohes und vor allem ein sehr schüt zenswertes Gut. Diese Entscheidung war damals richtig, und sie ist es heute noch genauso.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. An dreas Schwarz GRÜNE)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Dr. Fulst-Blei das Wort.

Vielen Dank. – Frau Präsi dentin! Kollege Kern, Sie greifen in Ihrer Argumentation mei nes Erachtens zu kurz. Das LIFG betont nicht ohne Grund ins besondere die Wahrung des Schutzes personenbezogener Da ten und sonstiger berechtigter Interessen. Dies ist auch im Kontext von Schulen von besonderer Bedeutung.

Natürlich kann man prinzipiell zweierlei Daten unterschei den: unmittelbar personenbezogene Daten, z. B. Leistungen oder Verhalten – darum kann es in keinem Fall gehen; da sind wir uns einig –, aber auch übergeordnete Schuldaten wie Sit zenbleiberquote, Abbrecherquote, Zusammensetzung der Schü lerschaft, Anmeldezahlen. Es ist klar, dass eine Diskussion, wenn überhaupt, nur die zweite Kategorie betreffen kann.

Ihre Beispiele klingen ganz nett, Kollege Kern, aber wir dür fen nicht blind – das ist das Stichwort, das auch Kollegin Eri kli gerade genannt hat – an die Sache herangehen. Denn wo zu kann die Veröffentlichung solcher Daten noch führen? Wel che Gefahr kann hieraus für die Schülerinnen und Schüler so wie die Schulen folgen?

(Lachen des Abg. Rüdiger Klos AfD)

Ich kann hier an die Ausführungen des CDU-Kollegen an knüpfen. Eine ganze Reihe von Fragen stehen im Raum, die Sie nicht beantwortet haben. Droht eine Stigmatisierung von bestimmten Schulen oder gar die Relativierung ganzer Schul abschlüsse? Führt die Diskussion über Abbrecherquoten bei spielsweise jetzt hin zu einer Diskussion über pädagogische Ansätze, oder geht es am Ende um eine Aufweichung von Standards?

Ein Beispiel aus dem Kontext: Ist die Anzahl von Sitzenblei bern Ausdruck von Leistungsorientierung, von einem geschei terten pädagogischen Konzept oder vielleicht auch von einer besonderen Situation, was die Herkunftsquartiere der Schüle rinnen und Schüler angeht? Wie wird beispielsweise dann der Migrantenanteil an einer Schule interpretiert? Als Warnsignal

(Abg. Anton Baron AfD: Ja!)

missbräuchlich interpretiert? Ist der Anteil von Gruppen mit z. B. Grundschulempfehlung G wirklich zu veröffentlichen, oder würde dies zu einer Absetzbewegung führen? Ist bei klei nen Schulen die Gefahr von individuellen Rückschlüssen – so sieht es die GEW – nicht viel größer als bei großen?

Für uns ist klar, dass hinter diesen weiter gefassten leistungs bezogenen Daten einzelner Schulen auch Personen – auch mögliche Rückschlüsse – stehen, die geschützt werden müs sen. Wir sehen uns da auch einig mit den Kommunen, die zu Recht die besondere Sensibilität der Daten sehen und auf die Gefahr von Fehlinterpretationen hinweisen.

Übrigens, über den Tellerrand geblickt: In England, wo eine solche Kultur sehr extrem ausgeprägt ist, ist die Tendenz zu beobachten, dass sich Schulen in ihrem Bewertungsverhalten von Schülerleistungen an gesellschaftlich gewollten statisti schen Werten anpassen. Das hat dann weder mit guter Päda gogik noch mit gerechter Leistungsbewertung zu tun. Da geht es oft nur ums Image und am Ende – so weit ist man dort ge gangen – sogar um die Finanzierung der Schulen. Im Endef fekt war das eine marktliberale Pervertierung des schulischen Auftrags.

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Das ist ja Unsinn!)

Das ist dort passiert.

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Sie müssen in an dere Bundesländer schauen, nicht in andere Länder!)

Eine weitere Frage: Umfasst Ihre Streichung beispielsweise, was dann mit den Evaluierungen von Schulen passiert? Wie gering das Problembewusstsein in Ihrer Partei, aber auch hier im Haus war, hat der Streit um die Veröffentlichung von Schul evaluationen aus dem Jahr 2015 gezeigt. Wer ehrliche Evalu ationsergebnisse haben will, muss gewährleisten, dass die Da ten vertrauensvoll behandelt werden. 2015 haben FDP und CDU ihre strategischen Interessen über diese Schutzanforde rung gestellt. Aber: Nach dieser Erfahrung droht auch, dass keine Schule mehr Defizite ehrlich evaluiert. Und die offene Frage, die sich jetzt hier im Raum stellt, ist: Würde eine sol che Fehlentwicklung durch die pauschale Abschaffung des § 4 Absatz 1 Nummer 11 des Landesinformationsfreiheitsgeset zes, wie von Ihnen vorgeschlagen, gefördert werden?

Nein, der FDP/DVP-Gesetzentwurf schüttet meines Erach tens das Kind mit dem Bade aus. Weil eine Regelung nicht genau definiert ist, soll sie komplett gestrichen werden. Die FDP/DVP macht es sich sehr einfach – ja, zu einfach –, wenn sie nun vorschlägt, die Regelung wegen Unbestimmtheit zu streichen. Damit sorgen Sie dafür, dass leistungsbezogene Da ten überhaupt nicht mehr geschützt werden. Damit verkennen Sie die Gefahren der Veröffentlichung solcher Daten in Gän ze und machen erst gar nicht den Versuch, diese auch nur im Ansatz zu schützen.

Denn ansonsten hätte Sie in Ihrem Gesetzentwurf den Versuch unternommen, die Regelungen bestimmter zu fassen, statt die Verletzung von Persönlichkeitsrechten pauschal zuzulassen.

Wir treten gern in die Diskussionen ein, wie das genau ausse hen könnte – auch gern, Frau Erikli, wenn Ihr „Wir prüfen die Evaluation“ die Opposition in die Diskussion einschließt.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Ja, klar!)

Darüber hinaus stehen wir auch für eine Diskussion bereit über die Ausstattung von Schulen vor dem Hintergrund der Anforderungen infolge von Inklusion, Ganztagsschulen, der Verfügbarkeit der Lehrkräfte oder der Arbeitsbedingungen.

Was wir aber entschieden ablehnen, ist eine Auseinanderset zung zwischen Schulen über die Bande. Ein Schulranking in irgendeiner Form wird es mit uns nicht geben. Daher können wir Ihren Gesetzentwurf in dieser Form auch nur ablehnen.

Gleichwohl, Herr Staatssekretär, bitten wir das Kultusminis terium in der Ausschussberatung insbesondere um Stellung nahme zur Möglichkeit der Einrichtung eines Informations registers nach § 11 LIFG, wie der Landesdatenschutzbeauf tragte es vorgeschlagen hat. Denn die Fragen, die hier in die sem Kontext aufgeworfen sind, sind, denke ich, wirklich sehr sensibel. Wir müssen sie sehr sensibel und fachlich genau dis kutieren. Dann kommen wir vielleicht perspektivisch auch noch zu neueren Ansätzen.

Zum jetzigen Zeitpunkt oder auf der Grundlage des FDP/ DVP-Gesetzentwurf ist das allerdings nicht gegeben, wenn Schutzvorschriften aufgehoben würden und damit die Ent

wicklung von Schulen möglicherweise sogar nachhaltig ge schädigt würde.

(Beifall bei der SPD)

Für die AfD-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Abg. Dr. Balzer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Kollegen Abgeordnete! Die ser Gesetzentwurf erfordert ein sorgfältiges Abwägen der In teressen aller Beteiligten und des Auskunftsinteresses der Bür ger und der Politik. Er fordert jedoch nicht nur dieses sorgfäl tige Abwägen der momentanen Interessen, sondern auch ein Abschätzen der Wirkung der möglichen Folgen in der Zu kunft.

Diese Auskünfte, die dann in Zukunft – sollte der Gesetzent wurf Realität werden – erteilt werden müssten, werden auch Rückwirkungen auf die betroffenen Schulen haben, die dann möglicherweise stärker an ihren sogenannten Erfolgen gemes sen werden oder an dem, was die Öffentlichkeit für Erfolg oder Misserfolg hält.

Die PISA-Studie hat die Bildung in Deutschland nachhaltig verändert wie wenige andere Ereignisse vorher oder nachher. Viele sagen dazu – gerade auch Fachleute aus den Schulen –: Es hat sich dadurch nicht alles nur zum Positiven verändert. Bildung muss nun – in Gänsefüßchen – „messbar“ sein.

Aber jeder Pädagoge weiß, dass eine Fixierung nur auf Ab schlussnoten, auf Abgangszahlen oder Übergangszahlen an dem Wesen der Pädagogik, der Lehrer-Schüler-Beziehung vorbeigeht. Der gute Lehrer möchte den Schüler ein Stück weit auf seinem Lebensweg begleiten, ihn sozusagen lebens tüchtig machen. Wir alle wissen: Mancher Schüler, auch man cher Abiturient, ist dies durchaus nicht. Er muss sich danach noch immer ein paar Jahre finden. Mancher Handwerker ist früher reif.

Wenn nun die Lehrkräfte der Grundschulen ihren Kindern ver mehrt Gymnasialempfehlungen geben, weil dies in der Öf fentlichkeit als „Erfolg“ – in Gänsefüßchen – wahrgenommen wird, so bekommen diese Kinder hinterher, in den weiterfüh renden Schulen, möglicherweise gewaltige Probleme. Ich re de vom Sitzenbleiben – neudeutsch sagen wir Abschulung da zu.

Ich darf einen alten Zeitgenossen, Pestalozzi, zitieren:

Wo Kopf und Herz, Hände und Füße notwendig sind, um etwas zustande zu bringen, da lassen sie Kopf und Herz und Hände und Füße auf der Seite und begnügen sich, die Regeln auswendig zu lernen, wie man das Geschäft an stellen müsse.

Das ist – nach Pestalozzi – nicht wirklich das, was unter um fassender Bildung zu verstehen ist. Deswegen mag dies als Hinweis darauf genügen, was uns, der Alternative, hier wich tig ist.

Bildungsevaluationen haben nicht nur die positiven Aspekte der Vergleichbarkeit gebracht, sondern daraus ergibt sich ein

Zwang zur Messbarkeit. Bildung ist dann irgendwann immer nur noch das, was gefragt ist. Deswegen, bei allen Überlegun gen zur gewollten ganzheitlichen Erziehung und Bildung: Am Ende muss etwas dabei herauskommen. Es ist richtig: Leis tungskontrolle ist erforderlich.

Wir wissen aber eines auch, das ist eine Binsenweisheit: Der Erfolg oder Misserfolg in der Schule hängt nicht nur von der Schule, nicht nur von den Lehrern ab, sondern eben auch von dem, was der Schüler von zu Hause mitbringt, seiner Bega bung, seiner Fähigkeit und davon, ob er in einer homogenen oder einer heterogenen Lerngruppe tätig ist.

Das heißt, die Übergangszahlen auf die weiterführenden all gemeinbildenden Schulen nach der Grundschule sind mit Recht unterschiedlich. In den Universitätsstädten erhalten tat sächlich deutlich mehr Schüler eine Gymnasialempfehlung als auf dem „platten Land“.