Es wurde bereits genannt, welche Handlungsmöglichkeiten Sie noch im Haushalt haben. Herr Kollege Stoch hat sie auf gezählt. Der Rechnungshof sieht das auch. Außerdem sind von den im März bewilligten Coronamitteln erst 1,3 Milliarden € abgeflossen. In Ihren Haushalten schlummern Rücklagen. Deshalb titelten die „Stuttgarter Nachrichten“ am 23. Septem ber: „Corona-Töpfe des Landes sind noch gut gefüllt“. Das ist doch kein Anlass für eine Rekordverschuldung.
Herr Kollege Reinhart, worum es eigentlich geht, haben Sie ja zugegeben. Sie haben nämlich Churchill zitiert: „Vergeude nie eine gute Krise.“
Ihnen ist wahrscheinlich der Zynismus von Churchill entgan gen. Ich halte Ihnen das nicht vor, denn ich weiß: Zynismus ist Ihnen völlig wesensfremd.
Aber Churchill hat das so gemeint, dass das Ziel eines Politi kers in einer solchen Situation sein sollte, eigennützig zu han deln. Genau das tun Sie.
Sie nutzen diese Krise zum Eigennutz. Corona dient als Ali bi für die größte Schuldenorgie aller Zeiten, doch der eigent liche Grund ist die Landtagswahl.
Sie wollen sich den Wahlsieg mit Wahlgeschenken kaufen. Von meinen Vorrednern wurde ja schon aufgezählt, was alles in diesem Nachtragshaushalt drinsteht. Das sind ja alles Din ge, die wünschenswert sein mögen. Das sind ja alles Dinge, von denen man sagen kann: Ja, es ist schön, wenn man sie ma chen kann. Aber letztlich ist es doch das Wunschkonzert all Ihrer Minister, Herr Ministerpräsident, was über Jahre und Jahrzehnte in den Schubladen lag, weil man wusste, das wür de niemals von der Finanzministerin genehmigt, als die Fi nanzministerin noch an Haushaltssolidität dachte.
Aber jetzt merkt man: Jetzt haben wir das Alibi einer Coro nakrise. Jetzt müssen keine Chefgespräche mit der Finanzmi nisterin mehr geführt werden. Jetzt kann jeder alles aus der Schublade herausholen. „Jetzt wird unter dem Deckmäntel chen der Coronakrise alles genehmigt,
und das wird uns letztlich dann auch am Wahltag helfen.“ Das ist Ihre eigentliche Motivation, und das ist der eigentliche Grund für diese Rekordverschuldung am heutigen Tag.
Insofern, Herr Kollege Reinhart, ist das Bild vom Hungern den, den man auf Diät setzt, an dieser Stelle nicht angemes sen. Vielmehr ist es das Bild eines Alkoholikers, der sich ein Schnapsfass genehmigt.
Sie haben noch etwa 800 Millionen € aus der Kreditaufnah me vom 19. März – Rücklagen für Haushaltsrisiken, erwart bare Bundeszuschüsse, nicht getätigte Ausgaben im Haus haltsvollzug. Das sind Milliardensummen. Und nicht zu ver gessen: 2020 wird die Reform des Länderfinanzausgleichs wirksam, was Ihnen noch einmal Luft in Höhe von 3 Milliar den € verschafft. Das sind doch alles Möglichkeiten, die Sie
haben, und diese Möglichkeiten sollte man zunächst einmal nutzen, bevor man den Menschen eine solche Rekordverschul dung zumutet – in einer solchen Situation eine historische Neuverschuldung.
Wir haben – das ist richtig – in diesem Jahr gemeinsam eine Schuldenbremse in der Landesverfassung implementiert. Jetzt kommen Sie zu dem Ergebnis: „Na ja, eine Schuldenbremse ist ja ganz schön, aber vielleicht auch ein bisschen lästig, wenn ein Wahltag naht. Und diese Schuldenbremse gilt bei einer Rekordverschuldung nicht. Wenn wir eine zweistellige Milli ardensumme an neuen Schulden aufnehmen, dann wollen wir von der Schuldenbremse nichts wissen.“
Wann, Herr Ministerpräsident, wenn nicht in einer solchen Si tuation, muss man über eine Schuldenbremse reden? Wann, wenn nicht in einer solchen Situation, nachdem man schein heilig das Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit bei einer Lo ckerung der Schuldenbremse in die Landesverfassung ge schrieben hat, sollte man mit der Opposition reden? Das ha ben Sie nicht gemacht; der Kollege Stoch hat es beschrieben. Wir haben dann in der vergangenen Woche von den beiden Vorsitzenden der Regierungsfraktionen einen scheinheiligen Brief bekommen
nach dem Motto: „Jetzt sind wir mit unserem Nachtragshaus halt fertig, wir haben uns geeinigt, und ihr dürft gern zustim men.“ Stellen Sie sich so eine Politik unter dem Motto der Schuldenbremse vor?
Es geht um etwas anderes – dieser Basar, Herr Kollege Stoch, wurde ja deutlich –: Nachdem Sie sich geeinigt hatten, ist an die Presse durchgesickert: Jeder bekommt 600 Millionen € zum Verteilen. Die CDU darf 600 Millionen € verteilen, und die Grünen dürfen 600 Millionen € verteilen. Da hat man ge merkt, das kommt nicht so gut an. Da merkt jeder, dass es sich um Basar und Wahlgeschenke handelt. Da hat man plötzlich erklärt: „Das haben wir nie gesagt. Wir haben alles schon im Vorfeld verteilt, und alles ist coronabedingt.“ Nein, wenn Sie 30 %, bezogen auf die Gesamtverschuldung, die über ein Menschenleben im Land Baden-Württemberg aufgelaufen ist, draufsatteln und dann ernsthaft erklären, das habe mit der Schuldenbremse nichts zu tun, dann können wir diese Schul denbremse auch gleich wieder aus der Landesverfassung strei chen, meine Damen und Herren. Dann macht sie nämlich kei nerlei Sinn.
(Beifall bei der FDP/DVP – Vereinzelt Beifall bei der AfD – Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Kein Mensch hat erklärt, das habe nichts mit der Schuldenbremse zu tun!)
Jetzt werden Sie anschließend kommen und sagen: „Es ist nach wie vor eine Naturkatastrophe. Wir haben eine Naturka tastrophe festgestellt, und diese Naturkatastrophe gilt so lan ge, bis Winfried Kretschmann sie für beendet erklärt.
In der Zwischenzeit können wir so viele Schulden machen, wie wir wollen.“ Gleichzeitig erklärt aber Ihr Sozialminister:
„Wir haben die Zahl der Intensivbetten zurückgeführt, weil sich die Situation in den Krankenhäusern entspannt hat.“
Es sagt ja niemand, dass man nicht nach wie vor Vorsorge be treiben muss. Aber Sie können doch nicht einmal eine Natur katastrophe erklären und dann anschließend bis zum Ende der Tage Schulden machen mit der Begründung, diese Schulden bremse gelte fort, diese Naturkatastrophe gelte fort. Das, was Sie am heutigen Tag machen, hat das „Badische Tagblatt“ am 23. September wie folgt zusammengefasst – ich zitiere –:
Grün-Schwarz wird als die Landesregierung in die Ge schichte Baden-Württembergs eingehen, die die meisten Schulden gemacht hat.
Später folgen dann die Steuererhöhungen, später folgen dann Behauptungen, in welchen Zeiträumen man die Verschuldung dann wieder zurückführen will. Wir geben Ihnen gern Gele genheit, Herr Ministerpräsident, das Parlament über diese Zeiträume zu informieren. Aber über diese Zeiträume wird noch zu reden sein.
Frau Präsiden tin, meine Damen und Herren! Dieser Nachtrag, den wir heu te diskutieren, ist in der Tat ein außergewöhnlicher Nachtrag in einer außergewöhnlichen Zeit – außergewöhnlich in seiner Bedeutung für die Zukunft des Landes, aber natürlich auch außergewöhnlich in seiner Dimension.
Es ist richtig: Mit diesem Nachtragshaushalt nimmt die Koa lition bzw. das Land so viele neue Schulden auf wie noch nie zuvor. Und natürlich macht man so etwas nicht einfach mal so, vor allem wenn man sieht, wo wir hergekommen sind. In meiner Regierungszeit haben wir haushaltspolitisch immer ei nen klaren Kurs gefahren, und der hieß: Sanierung des Lan deshaushalts. Wir haben eine echte Zeitenwende eingeleitet. Über ein halbes Jahrhundert wuchs der Schuldenberg fast un unterbrochen – bis auf wenige Ausnahmen – in fast jedem Jahr. Uns ist es gelungen, diesen Trend zu brechen: 2015 kei ne neuen Schulden, 2016 keine neuen Schulden,
2017 wieder ohne Schulden, und 2018 sowie 2019 haben wir zusätzlich sogar 1,4 Milliarden € an Kreditmarktschulden ge tilgt, ganz zu schweigen vom Abbau des Sanierungsstaus, al so der impliziten Schulden, den wir in einer noch viel höhe ren Größenordnung betrieben haben.
Das erzähle ich Ihnen nicht aus Nostalgie, sondern deswegen, weil meine Landesregierung diesen Kurs nicht ohne Not ver lassen hat; denn dieser Notfall ist genau eingetroffen.
Das haben wir in diesem Haus gemeinsam festgestellt. Es ist passiert, was der frühere Premierminister Harold Macmillan
einem Journalisten gegenüber einmal als größte Herausforde rung für einen Staatsmann bezeichnet hat: „Events, dear boy, events“. Ereignisse, die niemand vorhergesehen hat, sind al so die größten Herausforderungen. Damit haben wir natürlich nicht rechnen können, dass solch eine Pandemie kommt. Da mit hat wohl niemand gerechnet, das war ja in unserem Den ken so weit weg wie biblische Plagen.
Trotzdem hat uns die Pandemie heimgesucht und unser Le ben auf den Kopf gestellt. Wenn ein solches Event kommt und wir die schwerste Krise nach dem Ende des Zweiten Welt kriegs erleben und wenn es das Wohl des Landes verlangt, dann muss verantwortliche Politik entschlossen darauf reagie ren, falls nötig auch mit neuen Schulden.
Natürlich hat man bei dieser Größenordnung dabei ein mul miges Gefühl. Aber einen klaren Kopf hatte ich trotzdem. Na türlich wissen wir nicht, was in der Zukunft auf uns zukommt. Natürlich ist klar: Bei einer Nullzinsphase ist das erst mal auch gar nicht so problematisch, aber wir wissen, was da auf zu künftige Generationen zukommt, wenn sich das ändert. Wenn man aber in solch einer Krise nicht entschlossen reagiert, dann können die Folgen für die Zukunft sehr viel fataler sein. Wenn die Wirtschaft in einem harten, weltweiten Wettbewerb ab stürzt und nicht mehr hochkommt, dann spüren das die fol genden Generationen umso mehr. Wenn es nicht so ist, dann sind die Schulden einfach nur noch da. Das ist schon richtig, und das weiß jeder, der damit umgegangen ist.
Deswegen möchte ich mich bei meiner Finanzministerin recht herzlich bedanken. Sie hat einen wirklich guten Job gemacht, jetzt diesen Nachtrag in der kurzen Zeit aufzustellen.