Aktuelle Debatte – Rassismus in unserer Gesellschaft – Raushalten genügt nicht! – beantragt von der Fraktion GRÜNE
Auch hierfür ist eine Gesamtredezeit von 50 Minuten vorge sehen. Auch die Regierung möge sich bitte an die Redezeit halten. Die Redezeit für die Fraktionen ist auf jeweils zehn Minuten festgelegt.
(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Aber nichts gegen die AfD sagen! – Zuruf des Abg. Stefan Räpp le AfD)
Nie. – Sehr ge ehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, lie be Kollegen und Kolleginnen! Reden wir über Rassismus, re den wir darüber, dass der Mord an George Floyd weltweit be wegt und Menschen auf die Straßen getrieben hat – aber nicht aus einer Wohlfühlzone heraus über Dinge, die vermeintlich weit weg sind.
Reden wir vielmehr darüber, was das für uns hier in BadenWürttemberg bedeutet. Reden wir darüber, wie sich Menschen hier bei uns fühlen.
Der Mord an George Floyd hat Menschen auf der ganzen Welt zutiefst entsetzt und schockiert. Die Videoaufnahme des Mor des zeigt keine außer Kontrolle geratene Notwehr, keine wil de Verfolgungsjagd, sondern einen Polizisten, der mit Händen in den Hosentaschen fast beiläufig und seelenruhig acht oder neun Minuten lang auf dem Hals eines Mannes kniet, der wäh rend dieser Zeit um sein Leben fleht, so lange, bis er keine Luft zum Atmen mehr hat.
Seitdem gibt es Demonstrationen und auch Ausschreitungen in den USA, in einem seit der schwarzen Bürgerrechtsbewe gung der 1960er-Jahre nicht mehr gekannten Ausmaß.
Auch hier in Europa, in Deutschland, versammeln sich Men schen zu Protesten und zum Gedenken, übernehmen die Ges tik und die Rufe der Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen. Sie tun es friedlich, sie versammeln sich friedlich. Hier in Stuttgart hat die Polizei von einem vorbildlichen Verhalten gesprochen.
Die Verhältnisse in den USA kann man sicher nicht auf Deutsch land übertragen. Dafür sind die gesellschaftlichen und histo rischen Kontexte zu verschieden, und unsere Polizei ist glück licherweise besser aufgestellt, besser ausgebildet und nicht gewalttätig.
Sie kniet auch nicht auf dem Hals von wehrlosen Menschen. Aber es wäre bei Weitem zu einfach, zu sagen: Das alles hat mit uns nichts zu tun.
Leider ist es ein sehr großes und auch sehr häufiges Missver ständnis, Rassismus sei das Gleiche wie Rechtsextremismus, wie Gewalt, wie Beleidigungen, oder Diskriminierung sei nur etwas, was absichtlich und vorsätzlich geschieht. Das alles ge schieht ganz ohne Zweifel, und das verurteilen wir. Darauf können wir uns auch alle verständigen, zumindest fast alle.
Aber darum geht es hier heute nicht. Es geht vielmehr um die Diskriminierung, die alltäglich ist. Die Antidiskriminierungs stelle des Bundes berichtet aktuell, die Zahl der Beratungsan fragen zu Diskriminierungen wegen ethnischer Herkunft oder aus rassistischen Motiven sei in nur einem Jahr um knapp 10 % gestiegen.
Es trifft alle Menschen, die nicht dem angeblichen Ebenbild unserer Mehrheitsgesellschaft entsprechen. Wer glaubt, Ras sismus betreffe nur Migrantinnen und Migranten, liegt falsch. Und er liegt nicht nur falsch, sondern ist eigentlich auch Teil des Problems; denn Rassismus betrifft Ausländerinnen und Ausländer genauso wie Deutsche. Die Hautfarbe spielt dabei die entscheidende Rolle – und manchmal auch der Name. Ich
spreche auch ganz bewusst nicht von Deutschen mit Migrati onshintergrund; denn wie viele Jahrzehnte, Jahrhunderte muss jemand oder dessen Nachkommen in Deutschland als Deut scher leben, bis er das Etikett „Migrationshintergrund“ end lich los ist? Ist das eine Frage der Abstammung, des Blutes? Und, wenn ja: Ist das nicht schon eine rassistische Kategorie?
Egal, was ein Herr Gauland darüber denken mag, egal, wen er gern als Nachbarn haben möchte – Herr Boateng hat eine dunkle Hautfarbe, und er ist, wie viele andere, ein Deutscher.
Was Menschen aufgrund von Äußerlichkeiten erleben und was sie sich Tag für Tag aufs Neue gefallen lassen müssen, genau darum geht es: etwa um all die Komplimente für gute Deutsch kenntnisse – obwohl Deutsch die Muttersprache ist. Was Kon trollen angeht, werfe ich einmal einen Blick in die Runde und frage, wer von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, schon einmal ohne Anlass kontrolliert worden ist und, wenn dies passiert ist, wie oft das geschah. Wer ist es, der als Einziger im Abteil seinen Fahrschein vorzeigen muss? Wer wird im merzu gefragt, woher er kommt?
All diese Menschen sind es gewohnt, als Ausländerinnen und Ausländer wahrgenommen zu werden, obwohl sie doch noch nie in einem anderen Land gelebt haben als in Deutschland. Es sind Menschen, die als Einzige im Freundeskreis nicht in einen Klub gelassen werden, denen über die Haut gestrichen oder in die Haare gefasst wird, die trotz guter Noten keine Empfehlung für das Gymnasium bekommen haben, die we gen ihres Namens Schwierigkeiten haben, eine Wohnung oder eine Arbeitsstelle zu finden. Diese Menschen müssen erleben, dass ihnen immer wieder – mal ganz offen und dann wieder ganz subtil – bedeutet wird: Du gehörst aber nicht dazu.
Die Menschen, von denen sie so etwas erfahren, sind nicht au tomatisch immer schlechte Menschen; viele meinen es sogar als Kompliment. Sie wären sogar überrascht, wenn man ih nen sagen würde, dass es dabei um rassistisches Verhalten geht, dass sie sich also rassistisch verhalten haben. Diese Men schen kennen die Welt lediglich aus der Sicht derer, die kei ne Diskriminierungserfahrung haben. Es sind Menschen wie Sie und ich. Man nennt dies Alltagsrassismus oder institutio nellen Rassismus.
Das wird von den Betroffenen hier in Deutschland und auch hier in Baden-Württemberg nicht erst seit dem Mord an George Floyd vorgebracht. Aber die Betroffenen sind jetzt endlich in der Situation, dass sie Gehör finden können. Wir, das Landes parlament, sollten diesen Menschen zuhören und mit ihnen sprechen.
Wir hier – das gilt wohl insbesondere für die männlichen Kol legen unter uns – haben in den allermeisten Fällen keine Dis kriminierungserfahrung. Aber die Erfahrungswelt von jeman dem, der einer Minderheit angehört, ist eine völlig andere. Da mit wir die Sicht dieser Menschen verstehen, müssen wir auch unsere eigenen Denkmuster, unser Verhalten zu hinterfragen lernen, und wir müssen lernen, zuzuhören.
Es ist schade, dass Nachfragen, schon Andeutungen, Bitten um eine Debatte sehr oft mit dem Vorwurf bedacht werden, man wolle einen Generalverdacht aussprechen. Darum geht es nicht. Es geht nicht darum, hier irgendjemanden an den Pranger zu stellen. Auch den Menschen, die draußen protes tieren, den Menschen nicht weißer Hautfarbe, geht es nicht um einen Vorwurf an die Mehrheitsgesellschaft. Aber wir müssen diese Debatte ehrlich führen. Das wird nicht schmerz los gehen; denn man muss sich selbst hinterfragen, und man muss sich gefallen lassen, hinterfragt zu werden. Es geht um einen Perspektivwechsel und um eine neue Debatte. Eine sol che Debatte brauchen wir ganz dringend.
Sehr verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Attentat in Hanau, der rechtsterroristische Anschlag auf die Jüdische Gemeinde in Halle und jüngst auch der Tod von George Floyd – all diese furchtbaren Ereignisse haben zu einer wichtigen Diskussion in unserer Gesellschaft geführt. Rassismus ist immer stärker gegenwärtig – leider. Kollege Lede Abal hat es angesprochen, und die Zahlen der Antidiskriminierungsstelle belegen dies.
Es kann und darf nicht sein, dass beispielsweise Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe nur schwer eine Wohnung finden. Genau dies dürfen wir nicht hinnehmen. Vor allem dürfen wir dies nicht noch befeuern. Pauschale Äußerungen helfen nie mandem weiter, weder den Betroffenen noch der Sache. Dass zudem durch solch schwerwiegende Vorwürfe wie in der „taz“Kolumne, von Saskia Esken oder jüngst auch von der Grünen Jugend Baden-Württemberg ein Bild in der Gesellschaft ver mittelt wird, das der Realität überhaupt nicht entspricht, ge nau das ist für mich und für uns, die CDU-Fraktion, verant wortungslos.
Denn wenn die Grüne Jugend in Baden-Württemberg postet – ich zitiere –: „Es ist Realität, dass die Polizei ein Rassismus- und Rechtsextremismusproblem hat“, und wenig später dann von „strukturellem Rassismus“ schreibt, dann sage ich ganz deutlich: Ein struktureller Rassismus liegt weder in der Poli zei noch in unserer Gesellschaft vor.
Bei der Grünen Jugend kann man ja noch von jugendlichem Leichtsinn sprechen. Trotzdem: Liebe Grüne Jugend, liebe SPD, informiert euch bitte, bevor ihr so etwas von euch gebt, oder distanziert euch klar von eurer Vorsitzenden.
Und was die Damen und Herren zu meiner rechten Seite an geht: Da möchte ich jetzt gar nicht anfangen.
Dabei sind gerade sie der Nährboden für zunehmend respekt loses Verhalten gegenüber unseren Sicherheitskräften und un serem Rechtsstaat an sich. Das führt zu einem Verlust von Ver trauen in unser System, und das müssen wir mit aller Kraft verhindern.
Gleichzeitig müssen wir Themen offen ansprechen. Wenn über die Hälfte der jungen Menschen von der Krawallnacht in Stuttgart einen Flüchtlings- oder Migrationshintergrund ha ben, dann ist das für mich ein Thema, das offen angesprochen werden muss. Deshalb bin ich auch kein Rassist, sondern ich nenne – leider – die nackten Fakten. Dann erwarte ich auch, dass die Verantwortlichen – in diesem Fall auch die Stadt – Konzepte und Lösungen vorlegen, wo wir, das Land, teilwei se schon Rahmenbedingungen geschaffen haben.