Protocol of the Session on May 20, 2020

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Genau da haben Sie es gefordert!)

weil wir diese Epidemiespitze, den Peak, tatsächlich überwun den hatten, und wir hätten die gleiche Entwicklung genom men, wie wir sie jetzt auch tatsächlich verfolgen können.

Im Prinzip hat Schweden es vorgemacht und hat die gleiche Linie gefahren – ohne Lockdown, mit Schutz für Risikogrup pen. Das wäre auch heute hier in diesem Land möglich.

(Beifall bei der AfD)

Waren die Basis für Ihren Lockdown – das muss man den Menschen hier auch mal klarmachen – Aussagen des RKI zur Einschätzung der Gefahrenlage als gering, mäßig, hoch oder sehr hoch oder aber Äußerungen von Frau Merkel, etwa die im Interview mit der „Bild“-Zeitung getroffenen Aussage: „Es werden sich 60 bis 70 % der Menschen infizieren“ oder die Aussage: „Es ist gefährlich, es ist auch für Sie gefährlich“? Haben Sie etwa auf diesen Grundlagen, auf diesen Aussagen einen Lockdown der Gesellschaft, der Wirtschaft hier veran lasst? Es wäre ein Skandal, wenn es auf diesen Aussagen ba sieren würde. Dem können wir wirklich nur Kopfschütteln entgegenbringen.

Auf der anderen Seite werden Menschen, die jede Woche – da möchte ich auf die Samstagsdemos zurückkommen – für ihre Grundrechte einstehen und demonstrieren, als Rechtsra dikale, als Nazis, als Reichsbürger diffamiert. Wie unver schämt, wie unverfroren sind denn inzwischen die politische Klasse und die Medien in diesem Land verkommen? Wirk lich total verkommen!

(Beifall bei der AfD)

Bürger in dieser Form so abzuqualifizieren, das ist unglaub lich.

Ich kann Ihnen nur ein Beispiel nennen. Gestern haben Rech te an einer Demo der Milchbauern teilgenommen, und sie hat ten bestimmt einen 50-%-Anteil an den Zuhörern. War das jetzt rechts unterwandert? Schauen Sie sich die Bilder an. Bür ger haben ein Gespür, wann sie einschreiten müssen, wann ih re Geduld zu Ende geht. Wir von der AfD sind froh, dass wir genau für diese Menschen ein Sprachrohr im Parlament sind.

(Beifall bei der AfD – Zurufe)

Für die Landesregierung er teile ich das Wort Herrn Ministerpräsident Kretschmann.

Verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Rülke, wenn ich den Titel Ihrer Aktuellen Debatte lese – „Ver ordnungen am Wochenende, Chaos am Montag – Wann fin det Ministerpräsident Kretschmann einen ordentlichen Kri senmodus mit seiner Landesregierung?“ –, dann sehe ich auf jeden Fall, bei Ihnen ist die alte Normalität zurückgekehrt – Rülke, wie er leibt und lebt.

(Beifall – Zurufe, u. a. Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Wir sind halt ein Vorreiter für das ganze Land geworden! Wir können nur hoffen, dass das auch für alle baden-württembergischen Bürgerinnen und Bürger so wird!)

Genau, genau. Wir können doch alle hoffen: Wenn Rülke in die Normalität geht, kommen wir vielleicht auch alle in die Normalität zurück.

(Zuruf: Genau!)

In Wirklichkeit ist der Titel der Aktuellen Debatte komplett überzogen. Und Ihre These, die Größe der Demonstrationen sei mit dem Chaos der Regierungspolitik sozusagen kongru ent,

(Zuruf)

erinnert mich an die Störche in Oberschwaben. Wenn man die Kurve der Storchentwicklung in Oberschwaben mit der Kurve der Geburtsentwicklung in Oberschwaben vergleicht, dann stellt man fest: Das ist kongruent.

(Heiterkeit)

Aber es besteht eben kein kausaler Zusammenhang, auch wenn man es Kindern erzählt.

(Heiterkeit – Lebhafter Beifall – Zurufe)

Ich finde, dass sich der Titel der Aktuellen Debatte auch selbst widerspricht. Ein „ordentlicher Krisenmodus“ ist ein Wider spruch in sich. Krisen sind nun einmal nicht ordentlich, und das Kennzeichen einer Krise ist gerade das Plötzliche, das Un vorhergesehene, die Dynamik. Und wenn man eine Krise pla nen könnte, dann würde man sie ja wohl verhindern.

(Zurufe)

Es gibt keine Blaupausen für diese Krise, und sie läuft eben nicht nach Plan. Wenn es so wäre, wäre es keine Krise und wir würden irgendeinen anderen Begriff dafür verwenden.

Jetzt muss ich in allem Ernst sagen: Das Wissen, das wir über dieses Virus haben, ist unvollständig. Es bestehen auch Un klarheiten in den wissenschaftlichen Aussagen; zu den anfäng lichen Aussagen gibt es natürlich Veränderungen. Auch was die Ansteckungswege und die Wirkungen betrifft, die dieses Virus auf die Menschen hat, gibt es Fragen, die nun einmal nicht geklärt sind. Das ist ein paar Mal angesprochen worden.

Deswegen haben wir z. B. eine Studie der Universitätsklini ken in Baden-Württemberg in Auftrag gegeben, die untersu chen soll: Was macht dieses Virus mit Kindern? Ich hoffe, dass wir Ende dieser Woche, spätestens Anfang nächster Woche da Klarheit haben. Ich muss hierbei einfach um Verständnis bit

ten. Bei der Heinsberg-Studie hat eine zu rasche Veröffentli chung dem betreffenden Wissenschaftler sehr viel Kritik ein gebracht.

Man muss einfach Verständnis dafür haben, dass Wissen schaftler nach ihren eigenen Methoden arbeiten. Ich kann sie nicht unter Druck setzen, nur weil ich dringend Aussagen bräuchte. Das geht einfach nicht. Deswegen muss man noch etwas Geduld haben. Aber ich bin sicher, dass wir Anfang nächster Woche belastbare Aussagen machen können. Daraus würden wir eventuell auch Konsequenzen ziehen.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: „Eventuell“!)

Ja. – Ich erinnere noch einmal daran: Das sind schwierige Abwägungen, die man treffen muss. Kollege Schwarz hat noch einmal darauf hingewiesen: Es geht um Fragen der Ver hältnismäßigkeit. Sie haben mich ermahnt, doch besser dar auf zu achten, ob die Maßnahmen auch alle verfassungsge mäß sind, nachdem wir vor Gericht verloren haben.

Man sieht also: In einer Krise mit einem solchen Charakter kann man einfach nicht rund und geradlinig arbeiten. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit.

Für einen merkwürdigen Vorwurf halte ich aber, dass wir auch am Wochenende arbeiten. Natürlich arbeiten wir in einer Kri se auch am Wochenende. Wir haben dann Verordnungen er lassen, wenn sie notwendig waren.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Es ist halt schlecht, wenn man nur am Wochenende arbeitet!)

Das ist nicht der Fall. – Das Virus kennt eben auch kein Wo chenende, und es macht auch keine Feiertage.

(Zurufe)

Genau deswegen hat der Bundesgesetzgeber im Infektions schutzgesetz die Exekutive in solchen Situationen zum Han deln ermächtigt, weil es eben schnell gehen muss. Einem dy namischen Infektionsgeschehen muss man agil und schnell entgegentreten, und man muss auch schnell handeln. Wie soll man eines exponentiellen Geschehens sonst Herr werden?

Klar ist aber: Auch wenn es schnell gehen muss, muss man Verfahrensregeln einhalten. Sie müssen geschrieben werden, müssen geprüft werden und müssen vom Kabinett beschlos sen werden.

Ein paar Beispiele, damit Sie einmal einen Einblick bekom men, mit welcher Intensität und Schnelligkeit und auch – Gott sei Dank – mit welchem Erfolg die Exekutive gehandelt hat: Am 16. März 2020 haben Bund und Länder Leitlinien verein bart. Am 17. März haben wir die entsprechende Verordnung erarbeitet, den Kabinettsbeschluss durchgeführt und spät abends dann verkündet – innerhalb nur eines Tages. Das war übrigens gar nicht am Wochenende, sondern an einem Diens tag, Herr Rülke.

Weitere Änderungen der Verordnung fielen dann oft auf das Wochenende, weil es notwendig war. Das machen wir schließ lich nicht zum Spaß. So haben sich an einem Sonntag, am 22. März, die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidentin

nen und Ministerpräsidenten auf die Einführung von Kontakt verboten verständigt. Diesen Beschluss haben wir umgehend umgesetzt und noch am selben Tag verkündet. Zur Erinne rung: Die Infektionskurve verlief damals exponentiell. Da darf es keinen Zeitverzug geben – darin sollte man sich doch wirk lich einig sein.

(Beifall)

Noch ein Beispiel: Der grundlegende Beschluss der Minister präsidentenkonferenz zu den ersten Lockerungen erging am 15. April, an einem Mittwoch. Wir mussten diesen Beschluss umsetzen, und zwar zeitnah und in einem rasanten Tempo, da mit die beschlossenen Lockerungen Realität werden konnten. Das erwarten die Menschen im Land nämlich zu Recht. Das heißt, die Verordnung musste diesen Beschluss bis zum 17. April ab bilden. Dafür musste sie im Eiltempo grundlegend überarbei tet werden. Lockerungen sind eine komplexe Sache, schwie riger als die Schließung – das wissen wir inzwischen alle. Dennoch blieben nur wenige Tage. Natürlich haben wir auch hier wieder am Wochenende gearbeitet.

Ich kann darin überhaupt kein Chaos erkennen – im Gegen teil. Wir arbeiten in der Krise sieben Tage die Woche durch.

(Beifall)

Wir haben in kurzer Zeit komplexe Regelungen getroffen und diese dann auch so kommuniziert, dass sie verständlich sind. Ich frage mich, wo da das Chaos sein soll.

Natürlich ging das alles schnell, aber es musste auch schnell gehen. Ein exponentielles Virusgeschehen erfordert einfach ein schnelles und effektives Handeln der Exekutive. Was wä re denn die Alternative dazu gewesen, diese Verordnung am Wochenende zu verkünden?

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Das schnel ler zu machen! Ganz einfach!)

Nein. – Dienst nach Vorschrift? Dann dauert es eben eine Woche länger, bis das Ganze kommt. Dann kann man eben erst am Montag oder am Dienstag die Verordnung verkünden. Man hätte wertvolle Zeit verloren, und die Öffnungen hätten erst später vorgenommen werden können. Wem hätte das ge nutzt? Niemandem.

Zudem – ich darf noch einmal daran erinnern – geht es bei der Öffnung z. B. von Läden ja nicht darum, dass diese an einem bestimmten Datum öffnen müssen, sondern dass sie ab die sem Datum öffnen können. Wenn sie mehr Vorbereitungszeit brauchen, steht ihnen das frei.

(Zurufe, u. a. Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Aber die Kommunen müssen das umsetzen! Und die Kommunen hängen an Ihren Verordnungen!)

Jedenfalls kann man dieses Verwaltungshandeln natürlich un terschiedlich bewerten. Viel wichtiger ist aber doch die Fra ge: Was ist das richtige Kriterium? Woran muss man Veröf fentlichungen von Verordnungen in einer Pandemie messen?