Herr Stoch, das war gar keine bös gemeinte Frage. Ich ha be es nur aus der Rede heraus nicht verstanden. Da bitte ich um Entschuldigung.
Nur, die Frage ist – – Genau das ist der grundlegende Dissens. Eine vollständige Öffnung gibt es bisher in keinem Bundes land. Sachsen hat es probiert, ist aber gerichtlich gescheitert – das wissen Sie –, weil das Gericht den Gesundheitsschutz vor die uneingeschränkte Öffnung gestellt hat.
Über vollumfängliche Kitaöffnungen, darüber, in absehbarer Zeit wieder alle Kinder Kitas besuchen zu lassen, kann man diskutieren. Nur ist das natürlich ein Thema, bei dem Gesund heits- und Infektionsschutz unterschiedliche Diskussionsan sätze mit sich bringen. Ich nehme jetzt gar nicht einen Viro logen als Beispiel, aber ich nenne mal Karl Lauterbach, der ja zurzeit in jeder Diskussion ist. Der ist z. B. massiv dagegen und sagt, man sollte gar nichts schrittweise machen.
Was wir brauchen, ist tatsächlich ein Diskurs von Wissen schaft und Politik über die Frage: Wie anfällig sind Kinder im Sinne einer Infektion? Denn wir können in diesem Zusam menhang natürlich auch das Thema Gesundheitsschutz nicht verneinen. Da gibt es Indizien; das stimmt. Die neueste Stu die – Herr Kern, Sie haben es angesprochen – liegt seit weni gen Tagen vor. Ich hoffe sehr, dass die Studie, mit der die Uni versität Heidelberg und andere von der Landesregierung be auftragt wurden, baldmöglichst vorliegt. Diese befasst sich seriös mit der Frage: Gehen wir ein Risiko ein, wenn wir Kin der wieder in die Kitas lassen, in einen Regelbetrieb mit Er zieherinnen und Erziehern?
Wir sollten uns aber auch darüber Gedanken machen, dass es Erzieherinnen und Erzieher gibt, die sich Sorgen machen, die selbst zur Risikogruppe gehören. Die schreiben mir übrigens: „Wir würden gern arbeiten, sind aber gesundheitlich gefähr det und können deshalb nicht arbeiten.“ Das ist eine beträcht liche Zahl. Die Träger gehen von gut 40 % aus, die zur Risi kogruppe gehören, die dann natürlich einer regulären Öffnung ein Stück weit entgegenstehen. Ich kann sie ja nicht zwangs verpflichten. Ich habe mich auch mit dem Thema Gesundheits schutz zu beschäftigen und muss deshalb auch verantwor tungsvoll mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umge hen, ob das Lehrkräfte sind oder Erzieher. Aber auch das ge hört zur Wahrheit: Wie setze ich das denn um?
Deshalb hoffe ich sehr auf die Studie aus Heidelberg, die ja auf den Erkenntnissen einer isländischen Studie aufbaut, die durchaus das Signal aussendet, dass man sich vorstellen kann, dass Kinder nicht die „Infektionsherde“ – in Anführungszei chen – sind, die man anfangs unter Umständen vermutet hat.
Aber ich glaube, da brauchen wir wissenschaftsbasierte Grund lagen. Natürlich bekomme ich Briefe von Eltern – in freund lichem Ton und in unverschämtem Ton, mit Beschimpfungen –, man solle alles öffnen: „Corona kann jetzt weg.“ Dass aber vielleicht kein Missverständnis aufkommt: Ich mache auch Schulen und Kitas gleich morgen wieder auf; das ist kein Pro blem. Ich bin dafür da, dass Kitas und Schulen Angebote ma
Dass für Kinder der Besuch von Kitas, liebe Frau Baum, sehr wichtig ist, steht außer Frage. Dass Bildung Präsenz heißt, dass Bildung in den Schulen unterrichtet wird, ist selbstver ständlich. „Corona kann weg.“ Das sehe ich auch so. Es ist aber halt leider nicht weg, und leider kann weder ein Parla ment wie dieses hier noch eine Landesregierung sagen: „Co rona ist beendet.“
Solange wir auch für das Thema „Gesundheit und Infektions schutz“ Verantwortung haben – übrigens bekomme ich auch viele Schreiben von Eltern, die sagen: „Wir haben Angst da vor, unser Kind in eine Schule oder in eine Kita zu schicken“; diese Ängste muss ich auch ernst nehmen –, so lange müssen wir politisch differenziert vorgehen.
Aber vor diesem Hintergrund muss man sich im Klaren sein, dass das Thema Gesundheitsschutz sehr wohl ei ne Rolle spielt. Sie haben die Urteile angesprochen zu der Fra ge – nicht nur in Baden-Württemberg –, ob es ein Recht auf Betreuung gibt. Das gibt es nicht. Auf der anderen Seite ha ben in Sachsen Eltern dagegen geklagt, dass Schulen wieder in einen Regelbetrieb gehen, dass sie die Systematik verän dern und feste Gruppen, Klassengrößen bilden; diese Grup pen dürfen sich nicht durchmischen. Dieser Weg wurde vom Gericht in Sachsen untersagt mit dem Hinweis: Gesundheits schutz hat Priorität – weil Eltern eine entsprechende Klage er hoben haben. Die Wahrheit ist differenziert, und die Wahrheit ist vielschichtig.
Deshalb ist die Suche nach Lösungen nicht ganz einfach. Des halb bin ich froh, wenn wir baldmöglichst wissenschaftliche Erkenntnisse haben, um auf dieser Basis zu sagen: Trauen wir uns wieder einen normalen Regelbetrieb in den Kitas zu oder nicht? Aber, wie gesagt, dafür brauche ich auch das notwen dige Personal.
Frau Ministerin, jetzt habe ich eine Zwischenfrage von Herrn Fraktionsvorsitzenden Stoch. Lassen Sie diese zu?
Frau Ministerin, es ist natürlich völlig legitim, sich auf die Frage des Gesundheitsschutzes zu beziehen, weil uns das gesundheitliche Wohl der Kinder ge
nauso wie das der Erzieherin und des Erziehers sehr wichtig ist. Aber es gibt ja nicht nur Forderungen von Leuten, die nichts mit medizinischen Kenntnissen zu tun haben.
Ich möchte deswegen auf einen Appell zu sprechen kommen, der von der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie – also genau der Infektionswissenschaft bezogen auf Kinder –, der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin so wie des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte vorliegt.
Man kann, glaube ich, nicht sa gen, dass diese Verbände jenseits der Frage der medizinischen Gefährlichkeit, des Infektionsrisikos argumentieren.
Sie kommen in ihrer Bewertung, in ihrem Appell aber gleich zeitig auf die Frage anderer Auswirkungen einer Kitaschlie ßung, z. B. psychische Beeinträchtigungen von Kindern und Familien, zu sprechen. Diese Verbände fordern in einem Ap pell, der gestern veröffentlicht wurde
langsam –, eine Öffnung aller Einrichtungen, und zwar oh ne massive Einschränkungen durch die Bildung von Gruppen, die möglichst nicht vermischt werden sollen. Aber sie spre chen nicht von 50 oder irgendeiner anderen Prozentzahl, son dern davon, dass alle Kinder ein Kitaangebot brauchen.
Deswegen die Frage, Frau Ministerin: Wenn Sie sich hier auf die medizinische Argumentation berufen, wie begegnen Sie diesem Appell, der hier von Medizinern im Hinblick auf das Wohl der Kinder gemacht wird?
Vielen Dank. – Das ist nicht nur eine sehr berech tigte, sondern eine sehr wichtige Frage. Ich habe die Studie gestern Abend gelesen, die tatsächlich hochinteressant ist – übrigens nicht die einzige. Die Landesregierung in Sachsen kam aufgrund einer anderen medizinischen Herangehenswei se zu einer ähnlichen Erkenntnis
und hat gesagt: „Wir öffnen Kitas und Grundschulen.“ Sie wurde dann aber gerichtlich gestoppt. Sie haben ja das Urteil vom Wochenende mitbekommen.
Die Niederlande haben Sie, Herr Rülke, angesprochen. In der Schweiz gibt es ähnliche Erkenntnisse, weil die Schweiz auch bei kleineren, jüngeren Kindern diesen Rückweg angetreten ist.
Deshalb räume ich offen ein: Das ist genau die Diskussion, die wir führen müssen. Ich muss Ihnen aber ehrlich sagen: Ich tue mich schwer, dies politisch zu entscheiden, wenn die Wis senschaft auf dieser Basis Grundlagen gibt. Ich neige zu der Erkenntnis: Man hört sie. Wir, die Landesregierung, haben ei ne eigene Studie bei der Universität Heidelberg in Auftrag ge
geben, und diese ist dann die Basis. Aber ich sage Ihnen eines offen, wenn Sie das hören wollen: Wenn auch diese Studie er gibt, dass Betreuung in der Kita unter Infektions- und Gesund heitsschutzgründen keine Herausforderung ist oder keine Ge fahr bedeutet, und die Träger zudem ausreichend Erzieherin nen und Erzieher haben, dann können wir diesen Schritt gern gehen.
Nur: Gewissheit braucht man. Das ist nicht etwas, was man geschwind mal politisch entscheidet, weil das Thema Gesund heitsschutz und die Unsicherheit – – Deshalb ist ja die Dis kussion so, wie sie ist. Sie wissen, dass es dazu unterschied liche Haltungen gibt, dass es auch unterschiedliche gerichtliche Bewertungen gibt. Vor diesem Hintergrund ist es nicht ein fach, hier eine Entscheidung zu treffen.
Also: Den Eindruck zu erwecken – das haben Sie nicht ge macht –, wir könnten einfach die Kitas wieder öffnen und in den Normalbetrieb übergehen – „das klappt schon“ –, finde ich, muss ich Ihnen ehrlich sagen, angesichts dessen, was das Thema Corona an Gesundheitsschutz mit sich bringt, nicht verantwortungsvoll. Deshalb brauchen wir diesen Diskurs. Aber ganz so einfach stelle ich mir das nicht vor, weil es, wie gesagt, viele Eltern gibt, die sich da Sorgen machen.
Nein, ich sitze immer auf diesem Platz. Das ist das Schöne an den Einzelplätzen, die Herr Dr. Rülke und ich haben.