Protocol of the Session on May 7, 2020

Auch entscheiden die Kommunen, ob und gegebenenfalls wann sie ihre Hauptsatzung im Hinblick auf die Durchfüh rung von Sitzungen per Videokonferenz ändern. Dafür haben sie bis Ende dieses Jahres Zeit.

In einem Aspekt müssen wir von der Fokussierung dieses Ge setzes auf Videokonferenzen in kommunalen Entscheidungs gremien abrücken. Es geht um den Prozess der Bürgerbegeh ren. Im Rahmen des Anhörungsverfahrens hat der Verein „Mehr Demokratie“ auf ein Problem hingewiesen, das vom Sinn her im Antrag der SPD aufgegriffen wurde. Nach derzei tiger Gesetzeslage gelten hier enge Fristen für die Sammlung von Unterschriften, die aufgrund der Pflicht zur Kontaktre duktion den möglichen Erfolg von Bürgerbegehren gravie rend verringern könnten. Bürgerbegehren wären praktisch aus gehebelt. Das widerspricht dem Demokratieverständnis der grünen Fraktion. Auch wäre infolge der Beschränkung mit Rechtsstreitigkeiten zu rechnen.

Wir werden daher im Einvernehmen mit der CDU den Ge setzentwurf um einen entsprechenden Paragrafen ergänzen, nach dem die Frist zum Einreichen der Unterschriften bis zum Ablauf des 31. Dezember dieses Jahres keine Anwendung fin

det. Ein solcher temporärer Passus ändert nichts Grundlegen des, schafft aber eine gute, rechtssichere Lösung für die Kri senzeit und sichert Bürgerbegehren die Chancen, die ihnen zustehen.

(Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Gesetz schaffen wir mehr als nur eine Notlösung. Das Gesetz bietet auch die Chance, in den nächsten Monaten rechtssicher auszuprobie ren, inwiefern sich Videokonferenzen für kommunale Ent scheidungsgremien eignen. Wir können prüfen, was sich be währt und vielleicht auch langfristig die Vereinbarkeit von Be ruf und kommunalem Ehrenamt erleichtert.

Eine Evaluation am Ende des Jahres, wenn tatsächlich Erfah rungen aus den Kommunen vorliegen, halten wir für einen richtigen und wichtigen Ansatz. Über die Durchführung einer Evaluation besteht auch Einigkeit. Das wurde auch im Aus schuss und in der Anhörung sehr deutlich. Deswegen brau chen wir auch keinen Entschließungsantrag dafür und schon gar nicht schnell erarbeitete, formulierte Fragen für die Eva luation, wie sie von der FDP/DVP vorgelegt wurden.

Zum Abschluss danke ich im Namen der grünen Fraktion den kommunalen Landesverbänden und auch allen anderen Ver bänden, die sich hier wirklich mit großem Engagement bezo gen auf diesen Gesetzentwurf eingebracht haben.

Gemeinsam betreten wir Neuland und sind sehr gespannt auf die Entwicklungen.

(Beifall)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Hockenberger das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsiden tin, werte Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zu den ge setzlichen Regelungen im Einzelnen komme, möchte ich ei nige grundsätzliche Bemerkungen machen, um den heutigen Beschluss ein Stück weit einzuordnen. Inspiriert dazu hat mich der Kollege Binder in der letzten Sitzung, als er daran erinnert hat, wie die letzte grundsätzliche Änderung der Ge meindeordnung 2015 gelaufen ist.

Diejenigen unter Ihnen, die das Privileg hatten, dabei gewe sen zu sein, dürften sich noch daran erinnern: Einbringung des Gesetzentwurfs durch die Landesregierung nach angemesse ner und vernünftiger Vorbereitungszeit Anfang August, Be schluss Ende Oktober. Ja, das waren noch Zeiten. Das waren Zeiten, in denen man Zeit hatte – immerhin drei Monate. Jetzt ist Coronazeit, und jetzt haben wir diese Zeit nicht. Die Zeit hat vielmehr uns.

Warum sage ich das? Es gibt nur zwei Möglichkeiten, dem kommunalen Wunsch nach Rechtssicherheit beim Aufbruch in die digitale Welt zu entsprechen. Die erste: ein Gesetz im normalen Verfahren, intensive Vorbereitung, intensive Anhö rungen usw. Vorteil: Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden al le Eventualitäten berücksichtigt. Nachteil: Rechtskraft des Ge setzes im Herbst, vielleicht Ende des Jahres. Gefahr: Die kom munalen Landesverbände schreiben uns dann: „Corona isch over, Chance verpasst, schade Landtag.“ Das wollen wir nicht.

Genau deswegen haben wir den anderen Weg gewählt, um in diesem Zusammenhang so schnell wie möglich Rechtssicher heit zu schaffen, und zwar in dem Bewusstsein, dass wir da bei auch mit Kritik leben müssen. Die kann nicht ausbleiben, wenn man Neuland betritt, wie Frau Kollegin Dr. Leidig be reits betont hat, und sich dabei von einem pragmatischen An satz leiten lässt. Deswegen ist es nach unserer Auffassung richtig, dass wir mit diesem Gesetz Kommunen und Sparkas sen einen Rechtsrahmen geben, mit dem sie künftig rechtssi cher digitale Sitzungen durchführen können, wenn sie das wollen.

(Vereinzelt Beifall)

Wir zwingen niemanden dazu. Es ist eine Möglichkeit. – Herr Blenke hat geklatscht. Danke schön.

(Heiterkeit und Beifall – Abg. Thomas Blenke CDU: Fürs Protokoll vor allem! Hockenberger ersetzt die Stenografen!)

Es wird auch in Zukunft noch immer Gemeinden geben, die mit den bisherigen Rechtsgrundlagen zurechtkommen, um rechtmäßige Beschlüsse zu fassen. Unser Vertrauen in diese Gemeinderäte und Bürgermeister sowie Landrätinnen und Landräte ist grenzenlos und unverrückbar. Die können es und machen es richtig.

(Beifall – Zurufe, u. a. Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jawohl! Bravo!)

Natürlich wissen wir auch, dass es Kommunen geben wird – das ist in der ersten Lesung angeklungen –, die von dieser Möglichkeit nicht werden Gebrauch machen können, weil die Breitbandversorgung noch nicht überall so gut ist, wie wir dies wollen, obwohl wir in dieser Legislaturperiode gerade in die sen Bereich wahnsinnig viel Geld investiert haben.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Betonung liegt auf „in dieser“!)

Man kann natürlich sagen: „Wenn nicht alle davon Gebrauch machen können, geben wir niemandem diese Möglichkeit.“ Das wäre für uns zu kurz gesprungen. Deswegen haben wir uns trotz der Kritik für diesen Weg entschieden, weil wir auch in Zukunft dafür sorgen werden, dass irgendwann einmal überall schnelles Internet, wie es der Innenminister immer be tont, verfügbar sein wird. Und dann kann von diesem Instru ment überall verlässlich Gebrauch gemacht werden.

(Zurufe)

Wir gehen davon aus, dass wir auf dem richtigen Weg sind, und fühlen uns darin auch dadurch bestätigt, dass uns die Ver treterin der kommunalen Landesverbände in der Anhörung des Innenausschusses dafür gedankt hat, dass wir jetzt schnell gemacht haben. Frau Dr. Leidig hat richtigerweise betont: Da gibt es noch viele, viele Wünsche seitens der Kommunen, die man auch in den Gesetzentwurf hätte hineinpacken können.

Deswegen haben wir gesagt: Jetzt machen wir einmal das. Dann führen wir es in den Echtbetrieb über. Dann sammeln wir dazu Erfahrungen. Sollte sich dabei zeigen, dass es Kor rektur- oder Nachsteuerungsbedarf gibt, entsprechen wir dem natürlich, aber dann in einem ordnungsgemäßen Verfahren,

bei dem wir uns auch die entsprechende Zeit lassen, um die Dinge richtig abzuwägen und richtig zu gewichten.

In der Tat: Die Einzelheiten des Gesetzentwurfs sind von Frau Dr. Leidig genannt worden. Ich möchte deswegen nur noch auf unseren Änderungsantrag zu sprechen kommen. Er war nicht Gegenstand der Anhörung, ist aber an uns herangetra gen worden. Ich persönlich hätte begrüßt, wenn es zum The ma „Einreichungsfrist bei kassatorischen Bürgerbegehren und Einwohneranträgen“ eine Position der kommunalen Landes verbände gegeben hätte. Aber in der Abwägung, demokrati sche Bürgerrechte zu wahren und diese Position nicht zu ken nen, haben wir uns entschieden, diesen Weg zu gehen. Vor dem Hintergrund der Übergangsregelung und mit der Begrün dung, dass wir mit dieser Regelung demokratische Bürger rechte wahren – auch und gerade in diesen aufgewühlten Zei ten –, macht diese Regelung durchaus Sinn. Sie ist geeignet, den inneren Frieden in den Kommunen zu wahren und Rechts streitigkeiten zu vermeiden. Kann es für einen kommunalaf finen Landtag ein edleres handlungsleitendes Motiv geben?

(Beifall – Oh-Rufe – Abg. Thomas Blenke CDU: Worte für die Ewigkeit!)

Wir meinen: Nein. Deswegen können Sie unserem Gesetzent wurf in der Fassung des Änderungsantrags guten Gewissens zustimmen. Wenn Sie das tun, dann werden Sie wissen und spüren, was der schwäbische Fußballphilosoph Jürgen Klins mann seinerzeit meinte, als er sagte: „Heute hatte ich vom Feeling her ein gutes Gefühl.“

(Heiterkeit)

Dieses gute Gefühl wünsche ich Ihnen.

Vielen Dank.

(Beifall – Abg. Thomas Blenke CDU: Sehr gut! Wir sollten öfter kommunalpolitische Themen beraten!)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Binder das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Dr. Leidig, sehr geehr ter Herr Hockenberger, Sie erzählen uns hier etwas von nicht ganz ordnungsgemäßen Verfahren. Wir sind, Herr Hockenber ger, hier im Parlament in einem sehr ordnungsgemäßen Ver fahren. Es geht auch nicht darum, dass ein Parlament nicht in der Lage wäre, sowohl schnell als auch rechtssicher zu han deln.

Das Problem an Ihren Anträgen ist doch, dass Sie sich nicht mehr zutrauen und sich in den Maßnahmen nicht einig sind. Es geht nicht darum, dass man die Regelungen nicht rechts sicher ausgestalten könnte, meine Damen und Herren.

(Beifall – Zuruf: Woher wollen Sie das wissen?)

Ich darf zum Thema „Bürgerbegehren und Einwohneranträ ge“ kommen. Ihr Änderungsantrag kam ja, nachdem wir un seren schon gestellt hatten. Sie hätten auch einfach einmal un serem Antrag zustimmen können.

In Ihrer Prognose, was die Pandemie angeht, sind Sie ja ziem lich klar – viel klarer als Ihre eigene Landesregierung bezüg

lich dessen ist, was auf uns zukommt. Sie gehen davon aus, dass am 31. Dezember 2020 alles vorbei sein wird.

(Zuruf des Abg. Ulli Hockenberger CDU)

Im Zuge dessen sollte sich die Landesregierung noch einmal überlegen, ob der Stufenplan und die Ampel, die Sie vorge legt haben, eigentlich noch auf der Höhe der Zeit sind oder zumindest auf der Höhe der Regierungsfraktionen.

Mit der Umsetzung Ihres Vorschlags, den Sie heute machen, laufen wir Gefahr, dieses Gesetz noch einmal ändern zu müs sen. Mit der Annahme unseres Änderungsantrags wäre Rechts sicherheit gegeben und wäre die kommunale Selbstverwal tung gewahrt. Herr Kollege Sckerl, Sie wissen genau, wovon ich spreche; Sie konnten sich nur nicht durchsetzen, meine Damen und Herren.

(Beifall – Zuruf des Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜ NE)

Wir freuen uns darüber, dass das Parlament diese Möglichkei ten nun schafft – auch die Möglichkeit zu Videokonferenzen.

Es ist ja fast schon lustig, dass die Regierungsfraktionen sich im Innenausschuss bei der Frage, was man darf und was nicht, selbst widersprochen haben – bei einem Gesetzentwurf, den sie selbst eingebracht haben. Sie haben dann den Innenminis ter gefragt, was man nach diesem Gesetzentwurf darf und was nicht. Vielleicht ist das der Grund, dass Herr Hockenberger Angst hatte, durch dieses schnelle Verfahren könnte nicht die volle Rechtssicherheit bestehen – wenn sich nicht einmal die Regierungsfraktionen darin einig sind, was nach dem Gesetz machbar ist und was nicht, meine Damen und Herren.

(Zuruf des Abg. Ulli Hockenberger CDU)

Wir sind froh – damit sind wir ganz auf der Seite des Herrn Innenministers –, dass Hybridsitzungen möglich sind, Herr Hockenberger. Damit sind wir näher am Innenminister, als Sie es im Innenausschuss waren, meine Damen und Herren.

(Beifall – Zurufe – Unruhe)

Wir orientieren uns eben immer an der Sache – unabhängig von der Person, Herr Innenminister.