Protocol of the Session on July 21, 2016

Sehr geehrte Frau Präsi dentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Stellen Sie sich vor, Sie müssten morgen zur Arbeit, zu einem Wahlkreis termin – wenn Sie als Abgeordnete oder Abgeordneter im Landtag sind – oder zu einer Plenarsitzung. Am Abend vor her nehmen Sie Ihr I-Pad, Ihr Telefon oder Ihr normales Tab let – ich will hier keine Schleichwerbung machen, wie gele gentlich gern für eigene Bücher geworben wird –

(Vereinzelt Heiterkeit)

und geben ein, wann Sie wo sein müssen. Dann wird Ihnen mitgeteilt: Um 8:45 Uhr steht Ihr Carsharing-Fahrzeug vor der Tür. Sie fahren zum Bahnhof. Dort steigen Sie um, das Auto bewegt sich selbstständig auf den Carsharing-Parkplatz. Sie fahren mit der Bahn jetzt z. B. nach Stuttgart, und dort hat Ihnen Ihr System mitgeteilt: Am besten ist es, Sie nehmen das Fahrrad oder laufen zu Fuß. Wenn Sie nun nicht gern laufen oder Fahrrad fahren, dann steht Ihnen hier ein weiteres auto nom fahrendes Fahrzeug zur Verfügung, das Sie vor den Land tag oder vor das Haus der Abgeordneten bringt.

Das ist momentan eine Vision, und es gibt dieses schöne Zi tat: „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.“ Ich bin der Mei nung, wir sollten mit solchen Visionen nicht zum Arzt gehen, sondern wir sollten als Politikerinnen und Politiker in der La ge sein, Visionen zu entwickeln, um Ziele zu haben, die wir verfolgen können, und um damit auch unsere Umwelt und un sere Zukunft gestalten zu können.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Der Anlass dieser Debatte könnte aktueller nicht sein. Gera de wurde an das Konsortium aus Karlsruhe das Testfeld ver geben. Gerade hat Daimler mitgeteilt, ab 2020 teilautomati sierte Busse in Serie herstellen zu wollen, und hat auch in Amsterdam auf einer Expressbuslinie einen teilautomatisier ten Bus fahren lassen, bei dem der Fahrer nur noch die Auf sicht hatte, aber nicht mehr selbst fahren musste.

Herr Bundesverkehrsminister Dobrindt hat verkündet, er möch te einen Gesetzentwurf auf den Weg bringen, der das automa tisierte Fahren vorantreiben möge. Daraufhin wurde er vom VDA aufgefordert, möglichst schnell zu agieren. Hier darf ich Ihnen als Juristin versichern: „Möglichst schnell“ entsteht nie ein gutes Gesetz.

(Zuruf des Abg. Willi Stächele CDU)

Es wäre mir lieber, es wird langsam und gründlich entwickelt, damit wir ein gutes Gesetz haben, welches alle Chancen und Risiken hervorragend bearbeitet, sodass man hinterher als Ju rist nicht dasitzt und sich fragt: Ja wer und wie und was, und bitte kann einmal jemand nachbessern?

Worum geht es genau? Wir alle haben schon Assistenzsyste me, sofern wir moderne Fahrzeuge haben. Diese helfen uns, die Spur zu halten, sie helfen beim Bremsen, sie helfen beim Einparken. Es gibt nicht wenige, die sich nur noch auf die Ein parkhilfe mit dem Piepston verlassen, die das eine oder ande re Mal aber eine Stange nicht sieht, weswegen es doch zu ei nem Unfall kommt.

Die Vision geht hier bis zum völlig automatisierten Fahrzeug, sodass man – wie jetzt schon viele Bus- und Bahnfahrer wis sen – die Fahrtzeit nutzen kann, um zu arbeiten, zu lesen, sich zu erholen oder vielleicht sogar ein Nickerchen zu halten, wo bei da dann die Frage der Haftung wieder auftaucht.

Wir sollten aber natürlich nicht nur an die automatisierten Fahrzeuge denken – also an den Individualverkehr –, sondern insbesondere auch an den öffentlichen Nahverkehr und vor allem an die Vernetzung aller Verkehrssysteme miteinander. Wir unterstützen das, weil das Ganze einer industriellen Re volution gleichkommt, vielleicht vergleichbar mit der Ent wicklung des Fließbands.

Dann gibt es natürlich die Aspekte der Sicherheit im Straßen verkehr, die durch automatisiertes oder teilautomatisiertes Fahren deutlich verbessert werden. Es gibt den Aspekt des Umweltschutzes, des effizienteren Fahrens und vor allem auch der Erhöhung des Fahrkomforts. Deshalb unterstützte auch der Deutsche Verkehrsgerichtstag 2015 die Entwicklung des automatisierten Fahrens.

Dann müssten wir, das Land Baden-Württemberg, als Pionier region für Technik und Automobilindustrie natürlich den Vor

reiter spielen. Wir sollten hier mit unserer Entwicklung vor nedran sein und nicht dem Silicon Valley die Zukunft über lassen. Wir sollten selbst in diese Zukunft gehen und diese Zu kunft ge- und mitgestalten.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Durch die Umgehung der Fehlerquelle Mensch können wir die Verkehrssicherheit erheblich erhöhen. Natürlich macht auch die Maschine einmal Fehler, wobei man in diesem Sinn nicht von Fehlern sprechen kann, weil die Maschine ja nicht selbst agiert. Aber die Verbesserung z. B. hinsichtlich der Re aktionszeit beim Bremsen würde schon eine Menge Unfälle vermeiden.

(Vereinzelt Beifall)

Die Infrastruktur könnte wesentlich besser ausgelastet wer den, und wir könnten durch die Vernetzung der Verkehrssys teme und der verschiedenen Systeme überhaupt Staus vermei den und insgesamt effizienter fahren und die Infrastruktur we sentlich besser nutzen, als es derzeit der Fall ist.

(Beifall des Abg. Andreas Schwarz GRÜNE)

Danke. – Was ich besonders schön finde, ist, dass wir die Verkehrsmittel so vernetzen können, dass genau das, was ich eingangs geschildert habe, eintreten kann, nämlich dass wir für den konkreten Bedarf das perfekt passende Verkehrsmit tel auswählen können, um schnellstmöglich am Ziel anzukom men.

McKinsey sieht noch einen anderen Vorteil. In ihrem Bericht schreiben sie, dass jede Minute im Auto, in der Menschen un gestört surfen, ein Umsatzpotenzial von 5 Milliarden € jähr lich bringen kann. Auf diese rein wirtschaftliche Sichtweise möchte ich es jedoch nicht reduzieren, sondern vor allem noch auf die urbane Mobilität zu sprechen kommen.

Nutzerinnen und Nutzer werden angehalten, mehr Carsharing zu nutzen. Wenn nämlich das Fahrzeug irgendwann einmal autonom kommt, ich dann einsteige und es selbstständig fährt, dann erleichtert das die Nutzung dieser Möglichkeiten mas siv und wird auch die Akzeptanz des Carsharing massiv ver bessern. Das heißt, weniger Menschen haben ein eigenes Au to, was wiederum dazu führt, dass wir weniger Parkraum brau chen. Weniger Parkraum vor allem in den Städten bedeutet, dass wir mehr Lebensraum haben, dass man mehr Grün in der Stadt haben kann, dass wieder Stätten der Begegnung und mehr Platz entstehen kann anstatt Autowüsten, in denen die Autos ja doch einen Großteil der Zeit stehen und nicht fahren.

Denn seien wir doch einmal ehrlich: Die meisten Menschen fahren mit dem Fahrzeug zur Arbeit. An dem Arbeitsplatz parkt das Fahrzeug den ganzen Tag, und abends wird zurück gefahren. Wie viel schöner wäre es, wenn mich das Fahrzeug aussteigen lässt, zum Carsharing-Parkplatz oder zum nächs ten Nutzer fährt und in dieser Zeit dieser Parkraum frei für Sonstiges ist. Da gibt es diese neue Entwicklung in Stuttgart, dass Parkräume zu Lebensräumen werden – ganz interessan te Gestaltungen.

Ferner ist auch noch verbesserungsfähig und verbesserungs würdig, was beim Carsharing stattfindet, wenn es um Elekt roautos geht. Im Flottenbetrieb habe ich dann nämlich nicht

mehr das Problem, dass mein E-Auto nach einiger Zeit den Geist aufgibt, weil die Batterie leer ist. Im Flottenbetrieb neh me ich das nächste.

Dieses System vergleiche ich gern einmal mit dem Pferdekut schensystem von anno dazumal, als noch niemand darüber nachgedacht hat, dass es überhaupt Autos geben könnte. Auch das sind ja Visionen, die einmal entstanden sind und sich ent wickelt haben. Da wurde mit der Pferdekutsche von A nach B gefahren. An der nächsten Posthaltestelle wurden die Pferde ausgespannt, frische Pferde eingespannt, und dann ging es weiter. Genau so kann es jetzt in dem modernen System der Elektromobilität im Carsharing ablaufen.

Natürlich möchte ich die Risiken nicht verhehlen. Liebe Kol leginnen und Kollegen, es gibt auch Unfälle mit automatisier tem Fahren. Ich habe es eingangs schon gesagt: Auch auto matische Systeme haben Fehler. Deswegen habe ich es jetzt auch so gemacht, wie man es vielleicht zu Beginn machen sollte: Man nimmt das digitale System und sicherheitshalber das analoge noch dazu. Wenn man dann feststellt, dass das di gitale einwandfrei funktioniert, dann kann man in Zukunft vielleicht nur noch auf das digitale zugreifen. Aber man muss auch den Vergleichswert sehen, und der Vergleichswert ist nicht ein perfekt funktionierendes 100-%-kein-Unfall-mehrSystem, sondern der Vergleichswert ist der Mensch. Es tut mir leid, aber rein statistisch gesehen ist der Mensch derjenige, der, glaube ich, 90 % der Unfälle verursacht, und nicht das System. Das heißt, bezogen auf den Vergleichswert Mensch ist das automatische System definitiv besser.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU – Abg. Felix Schreiner CDU: Wie wahr!)

Um eine solche vernetzte digitalisierte Automobilität erfolg reich erreichen zu können, brauchen wir natürlich eine große Akzeptanz der Nutzerinnen und Nutzer, und diese hängt mei nes Erachtens ganz stark von der Haftungsfrage ab. Es muss geklärt sein – deswegen habe ich eingangs gesagt, es ist wich tig, dass Gesetze gründlich und nicht schnell gemacht werden –, wer im Fall eines Falles haftet, der Hersteller oder der Fah rer, der ja vielleicht nur ein Teilfahrer ist.

Für diese Herausforderung muss auch klar sein, wer in dem betreffenden Moment die Hoheit über das Fahrzeug hatte. Das heißt, dies muss dokumentiert sein, und zwar sicher dokumen tiert sein, etwa mit einer Art Blackbox, welche jedes Auto dann hat. Gleichzeitig müssen diese Daten aber auch geschützt sein. Das heißt, man darf auch nicht von außen darauf zugrei fen oder sie abändern können. Denn jedes digitale System ist auch immer anfällig. Das heißt, wahrscheinlich sogar unab hängig und getrennt von der Vernetzung müsste die Blackbox aufzeichnen, wer in welcher Situation die Hoheit über das Fahrzeug hatte. Das bedeutet, der Opferschutz muss klar ge regelt sein.

Dann kommen wir noch zu der Frage der Ethik, sofern man bei digitalen Systemen überhaupt von Ethik sprechen kann. Aber das digitale System entsteht ja nicht von selbst, das di gitale System wurde ja programmiert. Da gibt es Algorithmen, da gibt es einen Programmierer und jemanden, der das Pro gramm initiiert hat. Da muss klar sein, wie Konfliktsituatio nen aufgelöst werden sollen und müssen. Da muss eine gro ße und breit gefächerte Diskussion stattfinden, damit das deut

sche Autofahrervolk, von dem momentan noch 50 % Angst haben, in ein autonom fahrendes Auto einzusteigen – obwohl der Mensch fehlerhafter ist als die Technik –, das akzeptiert und damit auch klar ist, wer im Fall eines Unfalls die Risiken zu tragen hat. Wir müssen also Vertrauen in eine bestmögli che Software aufbauen. Die Software macht zwar Fehler, aber die Software macht weniger Fehler als der Mensch.

Insgesamt unterstützt deswegen die Regierungskoalition und vor allem natürlich unsere grüne Koalition,

(Zurufe von der CDU: Grün-schwarze!)

dass die Rahmenbedingungen für ein vernetztes und automa tisiertes Fahren geschaffen werden.

(Abg. Felix Schreiner CDU: Grün-schwarze!)

Das können Sie dann gleich sagen.

Wir sehen alle Probleme, die sich stellen, als Herausforderun gen – ich habe noch zwei Sekunden; lassen Sie mich fertig sprechen –, die wir mit Mut, Tatkraft und Zuversicht lösen können.

Damit nutze ich jetzt – ich überziehe nur ganz kurz – diesen Moment, zu dem ich heute hier stehen darf – Sie haben alle gehört, dass ich mich verabschieden muss –, um Ihnen allen, Kolleginnen und Kollegen, alles Gute, Mut, Zuversicht und Kraft für Ihre Tätigkeit im Landtag von Baden-Württemberg zu wünschen.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen sowie frak tionslosen Abgeordneten)

Das Wort für die CDU-Frak tion erteile ich Herrn Abg. Schreiner.

Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen und Kollegen! Frau Kollegin Dr. Lehnig, auch wenn es Ihre Abschiedsrede war: Wir sind uns ja in großen Teilen ei nig. Daher könnte ich mich einfach nur anschließen, will das in großen Teilen auch tun.

(Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)

Aber natürlich gibt es auch von unserer Fraktion noch ein paar Sätze dazu zu sagen.

Die Utopien oder Visionen von den Propheten des autonomen Fahrens, die die Vorrednerin erwähnt hat, sind schon vielver sprechend, wenn man sich das Ganze mal vor Augen führt. Demnach sitzen wir irgendwann in mittelferner Zukunft in miteinander vernetzten Autos, fahren computergesteuert durch das Land, können dabei Bücher lesen, die Herr Dr. Kern ge schrieben hat

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Aber bitte bloß die von ihm!)

ganz sicher –, und können uns auf die Plenardebatten vor bereiten. Der Risikofaktor Mensch ist quasi ausgeschaltet. Da es keine Unfälle mehr gibt, gibt es auch keine Staus mehr. Der Verkehr fließt, alles ist im Fluss, weil alle Fahrzeuge ihre Weg

strecken und Geschwindigkeiten aufeinander abstimmen. Die Wirtschaft prosperiert, die Menschen sind glücklich. Ist das nicht schön?

(Abg. Nicole Razavi CDU: Paradiesisch! Herr Schrei ner zeichnet das Paradies!)